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deutscher Zoologe, Evolutionsbiologe und Ökologe Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Josef Helmut Reichholf (* 17. April 1945 in Aigen am Inn) ist ein deutscher Zoologe, Evolutionsbiologe und Ökologe.
Reichholfs Vater starb während des Zweiten Weltkrieges in Polen vor der Geburt des einzigen Sohnes. Josef Reichholf wuchs bei seiner Mutter und Großmutter in Niederbayern am Inn auf.[1] Dort faszinierte ihn schon als Kind die Natur und Wildnis des unteren Inns. Nach seinem Studium der Biologie, Chemie, Geografie und Tropenmedizin ermöglichte ihm ein Stipendium einen einjährigen Aufenthalt in Brasilien, wo er über die tropische Artenvielfalt forschte.
Zusammen mit Bernhard Grzimek, Horst Stern und Hubert Weinzierl gründete er Anfang der 1970er Jahre in München die „Gruppe Ökologie“, eine Keimzelle des später gegründeten Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).[2]
Reichholf ist Honorarprofessor der Technischen Universität München[3] und war von 1974 bis 2010 Sektionsleiter Ornithologie der Zoologischen Staatssammlung München.[4][5] Reichholf war Präsidiumsmitglied des WWF Deutschland. 2005 wurde er mit der Treviranus-Medaille des Verbands deutscher Biologen ausgezeichnet, 2007 erhielt er für seine allgemeinverständlichen Beiträge zur Ökologie den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Reichholf ist Autor zahlreicher Bücher über Natur und Naturschutz, Ökologie, Evolution, Klima- und Umweltschutz. Zu diesen Themen hält er auch öffentliche Vorträge, gibt Interviews und tritt in Diskussionsrunden im Fernsehen auf.[1] Er wird in der Öffentlichkeit als streitbarer Querdenker und Provokateur wahrgenommen.[6][3]
Seit Oktober 2018 ist Reichholf einer der beiden Ehrenpräsidenten des Vereins für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern. Darin folgte er dem 2018 verstorbenen Enoch zu Guttenberg nach.
Reichholf sieht Schulterschlüsse von Wissenschaft und Politik oder Industrie, zum Beispiel beim Klimaschutz oder der Drittmittelforschung, kritisch, da sie die Unabhängigkeit der Wissenschaft gefährdeten.[7]
Der Bewegung zum Klimaschutz wirft Reichholf Dogmatismus vor.[8] Er spricht unter anderem bei Klimaschutz und Waldsterben von „Katastrophismus“ und fordert, „die falschen Propheten“[9] für die Folgen ihrer düsteren Prognosen zur Rechenschaft zu ziehen, sofern diese überhaupt überprüfbar seien.[10]
Klimaerwärmung und Artenverlust. In seinem Buch Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends[11] widerspricht Reichholf der These, dass die Klimaerwärmung zum Artenverlust führen werde, da die wissenschaftliche Erforschung von Lebensräumen einen anderen Befund zeige (Zu- und Abwanderung von Arten). So habe beispielsweise die Erfindung des Kunstdüngers zu einer immer massiveren Überdüngung (Eutrophierung) und zum Zuwachsen ganzer Landstriche geführt, die früher „ausgeräumt“ und kahl gewesen seien. Dadurch komme am Boden immer weniger Sonne an, so dass wärmeliebende Arten abwanderten. Die Fixierung auf die Klimaerwärmung lenke von weitaus realeren und drängenderen Problemen wie Eutrophierung, Futtermittelimporte, Biodiversität usw. ab, die uns und die Natur direkter und unmittelbarer beträfen. Hier bestehe dringender Handlungsbedarf.
Artenschutz. Gerade im Naturschutz sind laut Reichholf Veränderungen notwendig. In seinem Buch Naturschutz. Krise und Zukunft[12] favorisiert er sogar die Idee, statt die Rote Liste gefährdeter Arten von Jahr zu Jahr immer länger und unüberschaubarer werden zu lassen, prinzipiell „jede Tierart zu schützen“ und nur in begründeten Ausnahmefällen den Schutz aufzuheben. Mit einer solchen Umkehrung des bestehenden Systems (bisher muss begründet werden, warum eine (Tier-)Art schützenswert ist) werde der moralischen Grundposition der Gleichheit aller Arten Rechnung getragen (warum sollten nur Singvögel geschützt werden und zum Beispiel Kleinsäuger nicht?).
Invasive Arten. Auch sieht Reichholf keinen Grund, neue Tier- und Pflanzenarten (Neozoen, Neophyten) per se mit Misstrauen zu betrachten. Die Gründe für ihren Erfolg seien meist vom Menschen verursachte Missstände (wie etwa Überdüngung); gegen diese gelte es vorzugehen, nicht gegen die Einwanderer.[13]
Jagd. Reichholf kritisiert auch, dass die an der Natur Interessierten aus Naturschutzgebieten ausgesperrt würden, während Jäger und Angler freien Zutritt und Besitzansprüche geltend machen könnten. Die Allgemeinheit, der steuerzahlende Bürger, müsse sich ideologisch begründeten Gesetzen im Interesse einer kleinen Minderheit (Jagd) unterwerfen.[14]
Reichholf hat sich verschiedentlich zur Jagd geäußert, so kritisiert er, dass andauernde Bejagung zu vermehrter Scheu und Nachtaktivität bei Wildtieren führe. Angesichts der Wildschäden in der Landwirtschaft betrachtet Reichholf die Jagd auf Wildschweine zur Regulation der Population als erforderlich und empfiehlt hierfür den verstärkten Einsatz von Schalldämpfern und Nachtsichtgeräten sowie kurze, aber intensive Drückjagden als für das Wild störungsarme und zugleich effektive Methoden zur Reduktion der Wilddichte.[15]
Sesshaftwerdung des Menschen. Unter dem Titel „Am Anfang war das Bier“ wurde Reichholfs These bekannt und vielfach in Presse und Fernsehen diskutiert,[16] dass der Ursprung von Ackerbau und Sesshaftwerdung des Menschen die Lagerhaltung und Verarbeitung von berauschenden Nahrungsmitteln gewesen sei. Im Osten beginne mit dem Mohn die „Opiumzone“, am Indischen Ozean seien es Betelnuss und Khat, in Mittelamerika der Peyote-Kaktus und in Südamerika der Cocastrauch. Im Mittleren Osten sei die Bierbrauerei auf Basis des Gerstenanbaus lange vor der Erfindung der Brotbäckerei eine wesentliche Triebkraft gewesen. Bier als Nahrungsmittel war im Gegensatz zu Getreide lagerfähig und man konnte berauschende gemeinschaftliche Feste feiern. Die Aufbewahrung von Bier wie auch der Getreidevorräte und die dazu benötigten Tontöpfe und -fässer hätten die Mobilität der Jäger und Sammler verringert. Reichholf widerspricht der gängigen These, dass die Sesshaftwerdung des Menschen mit einer Verknappung von jagdbarem Wild einhergegangen sei.[17]
Produktivität der Natur. Reichholf vertritt die Auffassung, dass die Produktivität der Natur (z. B. die Bodenfruchtbarkeit) und das Klima den Bestand oder Niedergang von Kulturen und Weltreichen bestimmt hätten und sich viele verschiedene Ereignisse der Menschheitsgeschichte durch Klimaveränderungen erklären ließen. So gingen beispielsweise die Kreuzzüge im Mittelalter und die Epoche der Romantik im 18. und 19. Jahrhundert letztlich auf das damalige warme Klima zurück.[6]
Reichholfs evolutionäre Betrachtung der Geschichte beruht auf drei Prinzipien:
Reichholf plädiert für „überlebensfähige Ungleichgewichte“. Gleichgewicht bedeute Stillstand, nur Spannung erzeuge Aktivität.
Religion. Reichholf hat sich auch zum Spannungsfeld von Naturwissenschaften und Glauben geäußert. Die Hauptfunktion des Glaubens ist für Reichholf die Reduktion der realen Komplexität, um sie begreifbar zu machen. Religion erfülle in sozialen Gruppen einen konkreten Zweck; sie trage zur Ordnung innerhalb der Gruppe bei und sei somit als evolutionärer Vorteil zu verstehen.
Stuttgart 21. Im Oktober 2010 warf Reichholf Gegnern des Großbauprojekts Stuttgart 21, die sich aus Naturschutzgründen gegen das Fällen von Platanen wandten, eine Instrumentalisierung des Naturschutzes vor. Da die Platanen und die auf ihnen lebenden Juchtenkäfer nichtheimische Arten seien, müssten sie aus Gründen des Naturschutzes eher bekämpft als geschützt werden.[18]
Reichholfs Publikationen haben verschiedentlich öffentliche Kontroversen ausgelöst. Nach Ansicht von Bernd Lötsch verstehe sich Reichholf als „Hefe im Sauerteig“ und vertrete „immer die gegenteilige Meinung“.[19]
Die Philosophin Anna Leuschner bezeichnete Reichholf als Klimaskeptiker, der „ohne Umschweife die Unsicherheiten in der Klimaforschung gegen die Glaubwürdigkeit der Prognosen“ ausspiele.[20] Das Internetportal Klima-Lügendetektor warf ihm Falschaussagen vor, nachdem er in einem Gastkommentar in der Tageszeitung Die Welt behauptet hatte, die globale Erwärmung sei – im Widerspruch zu den Aussagen der Klimamodelle, die eine Erwärmung vorhergesagt hatten – seit anderthalb Jahrzehnten zum Stillstand gekommen. Tatsächlich gab es diesen Stillstand nie, und die drei vorangegangenen Jahre 2014, 2015 und 2016 waren jeweils die wärmsten seit Beginn der Messungen.[21][22] Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung warf ihm vor, in seinen Veröffentlichungen mit „falschen und irreführenden Klimakurven“ zu arbeiten und somit gegen die Regeln der „guten wissenschaftlichen Praxis“ zu verstoßen. Er ignoriere die im IPCC-Bericht dokumentierten Rekonstruktionen der Klimaentwicklung im letzten Jahrtausend und die aktuellen Forschungen in der Biologie zu den Auswirkungen der globalen Erwärmung auf Tier- und Pflanzenarten.[23][24][25] Reichholf nannte Rahmstorfs Angriffe ungerechtfertigt und unterstellte ihm ein unseriöses Vorgehen aus politischen Motiven. Die These, eine Erwärmung schade dem Artenreichtum, sei angesichts der Befunde in den Eiszeiten völlig abstrus.[10]
Anlässlich der Veröffentlichung des Buches Stabile Ungleichgewichte und eines begleitenden Essays[26] warf Wolfgang Cramer, Professor für Globale Ökologie an der Universität Potsdam und später Forschungsdirektor am CNRS, Reichholf vor, er rechtfertige mit seiner These anthropogene Fehlentwicklungen als biologische Notwendigkeit. Reichholf stelle Raubzüge und Kriege als „menschliche Ungleichgewichte“ dar und verleihe ihnen damit einen ungerechtfertigten Platz im Ökosystem.[27]
Im November 2016 stellte Reichholf die These auf, dass die zu dieser Zeit unter Wild- und Nutzgeflügelbeständen grassierende Vogelgrippe H5N8 nicht, wie vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) angenommen, über Wildenten aus Asien eingeschleppt worden sei. Wahrscheinlicher sei, dass das Virus aus der Intensivtierhaltung stamme und über deren Futter und Erzeugnisse verbreitet werde; die tot aufgefundenen Wildvögel seien eher an Botulismus und schleichender Bleivergiftung durch Schrotkugeln verendet.[28] Reichholfs Thesen wurden von vielen Tier- und Umweltschutzverbänden übernommen, z. B. von NABU[29][30] und Provieh[31]. Das FLI entgegnete im März 2017, es gebe „keinen Zweifel an der Feststellung, dass das Virus mit Zugvögeln aus Asien nach Europa gekommen ist“.[32]
Zazen oder die stetige Bereitschaft zum Neubeginn – jetzt! In: OM C. Parkin, Muhō Nölke, Andrew Cohen, Josef Reichholf, Doris Zölls u. a.: Stirb und Werde: Die Kraft des Neubeginns Advaita Media 2010
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