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deutsche Lyrikerin Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Hilde Domin, geborene Hildegard Dina Löwenstein, verheiratete Hilde Palm (geboren am 27. Juli 1909 in Köln; gestorben am 22. Februar 2006 in Heidelberg), war eine deutsche Schriftstellerin, mit jüdischen Eltern, dabei aber erklärtermaßen nicht jüdischen Glaubens.[1] Sie war vor allem als Lyrikerin bekannt und eine bedeutende Vertreterin des „ungereimten Gedichts“. Nach ihrem Exil in der Dominikanischen Republik, der Domin ihren Künstlernamen entlehnte, lebte sie von 1961 an in Heidelberg.
Hilde Domin wurde im Juli 1909 in Köln, in der Riehler Straße 23 geboren.[2] Ihre Eltern waren Paula Löwenstein, geborene Trier und deren Ehemann, der aus Düsseldorf stammende jüdische promovierte Rechtsanwalt und Kölner Justizrat Eugen Siegfried Löwenstein (1871–1942). Domins Mutter, eine gebürtige Frankfurterin, war, wie damals im gehobenen Bürgertum noch üblich, ohne Berufsausbildung („ohne Beruf“: Eintrag in der Heiratsurkunde vom 24. Oktober 1908).
Als Heranwachsende hatte sie zunächst keine öffentliche Schule besucht, sondern trat nach mehreren Jahren Privatunterrichts in die Höhere Töchterschule (Merlo-Mevissen-Lyzeum) in Köln ein.[3] Nach dem Abitur am 6. März 1929, schrieb sie sich am 23. April 1929 an der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg ein. Sie hatte das Fach Rechtswissenschaft „aus Begeisterung für ihren Vater gewählt“[4]. Im Wintersemester 1929/1930 schrieb sie sich noch zusätzlich im Institut für Sozial- und Staatswissenschaften (SOSTA) ein. Der Wechsel im Sommersemester an die Universität Köln und Bonn (Zweithörer) war unfall- bzw. krankheitsbedingt. Bis zur endgültigen Genesung war die junge Studentin gezwungen, im Elternhaus zu leben. An der Universität Köln vertiefte sie ihr ökonomisches Wissen in allgemeiner Wirtschaftspolitik und Volkswirtschaft, allerdings ohne Abschluss. Eine Tanzstundenfreundschaft mit dem späteren Literaturkritiker und Schriftsteller Hans Mayer veranlasste Domin 1930, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) beizutreten.
Eine Fortführung des Studiums folgte an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (der heutigen Humboldt-Universität) am 22. Oktober 1930. Am 4. Dezember 1930 wohnte Domin persönlich einer Rede Hitlers im Berliner Volkspark Hasenheide bei. Sie beschloss daraufhin, Hitlers Mein Kampf zu lesen, und sie besaß die Weitsicht, dass „Hitler das, was er in ‚Mein Kampf‘ geschrieben hatte, auch ausführen würde.“[5]
Nach ihrer Rückkehr nach Heidelberg zum Sommersemester 1931 lernte sie den jüdischen Frankfurter Altphilologie- und Archäologiestudenten Erwin Walter Palm kennen. Seiner Italiensehnsucht nachgebend, begannen beide im Herbst 1932 ein Auslandsstudium in Rom, das 1933, nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, zur ersten Exilstation wurde. Beide schrieben sich an der Universität La Sapienza in der „Facoltà di lettere e filosofia“ (Fakultät für Literatur und Philosophie) ein, Domin belegte zudem Kurse in Kunstgeschichte und unterstützte Palms archäologische Forschungen, indem sie Zeichnungen und Skizzen von seinen Ausgrabungen anfertigte. Mit privatem Deutschunterricht bestritt sie für beide hauptsächlich den Lebensunterhalt. Am 30. Oktober 1936 heirateten Erwin Walter Palm und Hilde Löwenstein im Standesamt im Konservatorenpalast in Rom.
Neu zugewanderten Juden wurde im Jahr 1935 das Recht abgesprochen, die italienische Staatsbürgerschaft zu erwerben; die Rassengesetze von 1938 machten die Juden zu Staatsfeinden und verlangten deren Ausreise bis zum 12. März 1939. Deshalb floh das Paar 1939 in letzter Minute aus Italien – das von Mussolini gesetzte Ultimatum für die Ausreise war bereits überschritten. Über Paris führte sie die Flucht nach Großbritannien, wo sie mit Hilfe der vermögenden Verwandtschaft unterkamen und wie die meisten jüdischen Flüchtlinge im Londoner Stadtteil Hampstead lebten, bevor die Eltern Löwenstein in Minehead, Somerset, ein Häuschen erwarben. Dort unterrichtete Hilde Palm ein halbes Jahr lang als Sprachlehrerin am St. Aldwyn’s College. Angesichts der Kapitulation Frankreichs und des drohenden Blitzkriegs Hitlers, entschlossen sie sich zur Ausreise aus England. Am selben Tag wie Stefan Zweig, dem 26. Juni 1940, verließen beide England und gelangten über Kanada in die Dominikanische Republik. Dort unterrichtete sie von 1948 bis 1952 Deutsch an der Universität Santo Domingo.[6] Die Veröffentlichung „Architektonische Denkmäler der Kolonialmacht Spaniens“ im Jahr 1955, eine Kollektivarbeit des Ehepaars, sorgte für Aufmerksamkeit. Sie hatte das Lektorat übernommen und den Großteil der dokumentarischen Architekturfotografien erstellt.
1946 begann Palm mit ersten schriftstellerischen Tätigkeiten. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 1954 veröffentlichte sie Gedichte unter dem Pseudonym Domin. Sie nannte sich nach dem Namen des Inselstaates, in dem sie Zuflucht gefunden und ihr Dichterleben begonnen hatte. Lieben und Geliebtwerden, vor allem aber Gebrauchtwerden, waren für Domin der eigentliche Sinn des Lebens.[7]
1954 kehrte sie nach 22 Jahren Exil in die Bundesrepublik zurück, doch pendelte sie noch sieben Jahre zwischen Spanien und Deutschland hin und her und intensivierte ihre schriftstellerische Tätigkeit, während ihr Mann seine ibero-amerikanischen Studien vorantrieb. In Miraflores de la Sierra machte sie die Bekanntschaft des spanischen Dichters Vicente Aleixandre, der den Kontakt zur Literaturzeitschrift Caracola herstellte, in der Domin ihre Übersetzungen veröffentlichte.
1959 erschien ihr erster Gedichtband Nur eine Rose als Stütze.[8] Um zu vermeiden, die Erstveröffentlichung einer Autorin zu publizieren, die das Alter von 50 Jahren bereits überschritten hatte, gab man ihr Geburtsjahr mit 1912 an; die Mogelei rückte Domin 1999 zurecht, als ihr offizieller 90. Geburtstag anstand. Neben Gedichten, Erzählungen und ihrem Roman Das Zweite Paradies, verfasst in einer Montageform, schrieb sie zunehmend Essays und literaturwissenschaftliche Abhandlungen, die jedoch weniger Beachtung fanden. Darunter auch ihre Analyse Wozu Lyrik heute, der Ulla Hahn in ihrer Laudatio 1992 anlässlich der Verleihung des Friedrich-Hölderlin-Preises der Stadt Bad Homburg an Domin Anerkennung zollte. Domin war auch als Übersetzerin und Herausgeberin tätig und stand jungen Dichterkollegen mit Rat zur Seite.
Domin empfand sich als „Gratwanderer“ mit viel Welt, aber wenig Boden unter den Füßen. Die Verfolgungs- und Exilerfahrung war gleichermaßen prägend für die Identität wie für das dichterische Werk der Lyrikerin, das durch ihre Beherrschung der freien Rhythmen geprägt wurde. Zuflucht bot das dichterische Wort, die deutsche Muttersprache.[9] Das Vertrauen in die Beständigkeit und Verlässlichkeit menschlicher Beziehungen hingegen war und blieb trotz allen Erfolgs und der großen Anerkennung, die in vielen Zuschriften und zahlreichen Ehrungen zum Ausdruck kam, und selbst angesichts zahlreicher Freundschaften bis zuletzt fragil. Die diesbezüglichen Fragen wurden daher zu einem beherrschenden Thema ihres Werks, in dem sie ihre Situation in immer neuen Bildern zur Sprache brachte, nach Anhaltspunkten für Antworten suchte und sie in der, wenngleich immer gefährdeten, Begegnung mit Menschen fand. Domin sah sich als spanische Autorin in deutscher Sprache, geprägt vom arabischen Erbe des Spanischen und damit Giuseppe Ungaretti verbunden, der sich vom Ägyptischen beeinflusst fühlte. In ihren späteren Gedichten ließ sie sich von der japanischen Kunsttheorie inspirieren und sah auch den Einfluss Hölderlins.
Domin trug in Lesungen ihre Gedichte jeweils zweimal vor. Sie las in Gefängnissen, Schulen und Kirchen. In einem Interview 1986 antwortete sie auf die Frage, wie viel Mut ein Schriftsteller benötige: „Ein Schriftsteller braucht drei Arten von Mut. Den, er selber zu sein. Den Mut, nichts umzulügen, die Dinge beim Namen zu nennen. Und drittens den, an die Anrufbarkeit der anderen zu glauben.“ Im Wintersemester 1987/1988 hielt sie als vierte Frau nach Ingeborg Bachmann, Marie Luise Kaschnitz und Christa Wolf die Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Im Wintersemester 1989/1990 hatte sie die Poetikdozentur der Akademie der Wissenschaften und der Literatur an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz inne.[10]
Domin war seit 1930 Mitglied der SPD, sah sich aber in späteren Interviews auch als Vordenkerin der Grünen. Ihren Lebensabend verbrachte die Dichterin in Heidelberg; bis ins hohe Alter unternahm sie Lesereisen, so noch 2003 in Spanien und 2005 in England.
Am 22. Februar 2006 verstarb Hilde Domin in Heidelberg im Alter von 96 Jahren nach einer notwendig gewordenen Operation, da sie sich bei einem Sturz einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hatte. Sie wurde auf dem Heidelberger Bergfriedhof beigesetzt und fand ihre letzte Ruhe in der Grabanlage, in der bereits ihr 1988 verstorbener Ehemann Erwin Walter Palm beigesetzt wurde. Der von Domin selbst gewählte Grabspruch lautet: „Wir setzten den Fuß in die Luft / und sie trug“. Die Grabstätte findet sich in unmittelbarer Nähe der Ruhestätte des Dichters Friedrich Gundolf.
Domins literarischer Nachlass liegt im Deutschen Literaturarchiv Marbach.[11] Ausgewählte Exponate können dort im Rahmen einer Dauerausstellung betrachtet werden.
Zum 90. Geburtstag überreichte ihr Beate Weber, in ihrer Funktion als OB der Stadt Heidelberg, die Bürgermedaille. Diese Auszeichnung wird seit 1969 an Personen vergeben, die sich besonders um die Stadt Heidelberg verdient gemacht haben. Träger sind u. a. Hans-Georg Gadamer (seit 1993), Berndmark Heukemes (seit 1994), Arthur Tischer (seit 1995), Ludwig Merz (seit 1996), Werner Boll (seit 1997), Leonie Stollreiter (seit 1999). Zum 95. Geburtstag am 27. Juli 2004 erhielt sie die Ehrenbürgerwürde der Stadt Heidelberg.
Die Dominikanische Republik zeichnete sie mit dem höchsten Orden aus, den der Inselstaat zu vergeben hat: Del mérito de Duarte, Sánchez y Mella. Bereits zu ihrem (eigentlich 83.) 80. Geburtstag stiftete die Stadt Heidelberg 1992 ihr zu Ehren den alle drei Jahre vergebenen Literaturpreis „Literatur im Exil“, der seit ihrem Tod „Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil“ heißt. Am 15. Februar 2006 wurde sie Ehrenmitglied des P.E.N.-Club des Exils.
Im März 2007 erhielt die Haus- und Landwirtschaftliche Schule Herrenberg den Namen Hilde-Domin-Schule.[12] 2008 erhielt in Köln ein Rosengarten in der Nähe ihres Geburtshauses am ehemaligen Fort X in Neustadt-Nord den Namen Hilde-Domin-Park.[13] In Köln trägt seit Oktober 2008 eine städtische Schule an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ihren Namen.[14]
Hilde Domins ehemaliges Wohnhaus Riehler Straße 23 in Köln erhielt 2017 einen Stolperstein. 2020 wurde eine Straße im ehemaligen US-Quartier in Heidelberg-Rohrbach gemäß Beschluss des Heidelberger Stadtrats vom 12. November 2020 nach Hilde Domin benannt.[15]
Der Literaturwissenschaftler Jan Bürger und der Kunsthistoriker Frank Druffner, beide Mitarbeiter des Deutschen Literaturarchivs Marbach, stellten im Januar 2007 Briefe zwischen Domin und Erwin Walter Palm aus 28 Jahren (1931 bis 1959) vor, die neben dem persönlichen Aspekt zwei Emigrantenschicksale widerspiegeln. Die Briefe wurden in der letzten Wohnung in Heidelberg aufgefunden.[17]
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