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Personen der griechischen Mythologie Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Hero (altgriechisch Ἡρώ Hērṓ) und Leander (Λέανδρος Léandros) sind zwei Gestalten aus der griechischen Mythologie. Sie zählen zu den bekanntesten Liebespaaren der europäischen Literatur. Der Sage zufolge war Hero eine Priesterin der Aphrodite in Sestos am westlichen Ufer der Meerenge Hellespont. Ihr Geliebter Leander lebte in Abydos am gegenüberliegenden kleinasiatischen Ufer. Da er Hero nur heimlich besuchen konnte, durchschwamm er allnächtlich den Hellespont. Ein Leuchtfeuer, das Hero in einem Turm entzündete, oder eine von ihr dort verwendete Öllampe oder Fackel wies ihm den Weg. Einmal verirrte er sich jedoch bei einem Sturm, der das Feuer auslöschte, und ertrank. Am folgenden Morgen entdeckte Hero seinen angeschwemmten Leichnam am Ufer und stürzte sich vom Turm in den Tod.
Der Stoff ist erstmals im 1. Jahrhundert v. Chr. bezeugt, sein Ursprung ist unbekannt. Die erste ausführliche Bearbeitung stammt von dem Dichter Ovid, der einen fiktiven Brief Leanders an Hero und deren Antwort verfasste und in die Sammlung seiner Heroidenbriefe aufnahm. Um die Mitte oder in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts stellte der Dichter Musaios die Geschichte in einem griechischen Epyllion (Kurzepos) dar. Erwähnungen in der kaiserzeitlichen Literatur und Darstellungen in der bildenden Kunst lassen die andauernde Bekanntheit der Sage erkennen.
In der Neuzeit entfaltete die Sage eine starke Nachwirkung. Besonders verbreitet war die abgewandelte Fassung im Volkslied Es waren zwei Königskinder. Von den zahlreichen literarischen Bearbeitungen sind die bekanntesten ein episches Gedicht von Christopher Marlowe, eine Ballade von Friedrich Schiller und Franz Grillparzers Trauerspiel Des Meeres und der Liebe Wellen. Neben Dichtern und Schriftstellern griffen auch bildende Künstler und Komponisten das Motiv der tragischen Liebesgeschichte auf. Viele Gemälde und Skulpturen sowie eine Reihe von Opern, Kantaten, Liedern und Instrumentalkompositionen zeugen von der anhaltenden Faszinationskraft der Sage. Verschiedentlich wurde der Stoff in Travestien und Parodien verfremdet.
Die Dardanellen-Meerenge, die in der Antike Hellespont genannt wurde, trennt die europäische Halbinsel Gallipoli von Kleinasien. Sie verbindet das zum Mittelmeer gehörende Ägäische Meer mit dem Marmarameer, das über den Bosporus mit dem Schwarzen Meer verbunden ist. An der Oberfläche strömt ständig Wasser aus dem Schwarzen Meer ins Mittelmeer. Diese Strömung ist stark und steigert sich an verengten Stellen und bei Nordwind. In der Antike befand sich die engste Stelle zwischen den Hafenstädten Sestos am europäischen und Abydos am asiatischen Ufer; heute sind die Verhältnisse infolge Anlandung etwas anders. Die Entfernung zwischen diesen beiden Häfen wird bei dem antiken Geographen Strabon mit 30 Stadien angegeben. Aus den Beschreibungen von Polybios und Strabon geht hervor, dass es wegen der Stärke und des Verlaufs der Strömung im Bereich dieser Verengung unmöglich war, direkt vom einen Hafen zum anderen zu gelangen. Auf der asiatischen Seite musste man außerhalb des geschützten Hafens von Abydos mit stürmischem Seegang rechnen. Außerdem war Sestos von der Gegenküste aus nicht direkt erreichbar, weil die Strömung seinen Hafen nicht berührte, sondern erst ein Stück unterhalb der Stadt ans Ufer brandete.[1]
Daher gab es an den beiden Küsten speziell für die Überfahrt ans andere Ufer geeignete Anlegeplätze in einiger Entfernung von den Häfen der beiden Städte. Auf der kleinasiatischen Seite befand sich die Stelle, die sich für die Einschiffung eignete, acht Stadien nordöstlich von Abydos. Auf der europäischen Seite lag der Anlegeplatz an einer felsigen Küste, von Sestos aus ein Stück südwestwärts in Richtung der Ägäis. Somit waren die beiden für diesen Schiffsverkehr bestimmten Stellen weiter voneinander entfernt als die Häfen der Städte. Jede von ihnen war durch einen Turm markiert. Der asiatische Turm hatte keinen Namen, der europäische hieß „Turm der Hero“. Wer von Abydos nach Sestos wollte, folgte erst an Land nordostwärts der Küste und gelangte so zum asiatischen Turm. Dieser befand sich dort, wo die aus dem Marmarameer kommende Hauptströmung an das Ufer stößt, wobei ein Teil des Wassers abgelenkt wird und dann südwestwärts quer zur europäischen Seite flutet. Diese Querströmung trug ein Schiff oder einen Schwimmer schräg zur europäischen Küste hinüber, an Sestos vorbei zu dem Anlegeplatz, den der Heroturm markierte. Von dort musste man sich dann an Land nach Sestos begeben. Zur Rückkehr konnte man sich beim Heroturm einschiffen und dann von der dort beginnenden Querströmung direkt zur Stadt Abydos hinübertragen lassen. Dabei benötigte man somit den asiatischen Turm nicht.[2]
Trotz der beiden hilfreichen Strömungen war jedoch die Hellespontüberquerung für einen Schwimmer gefährlich, vor allem nachts. Die Strömung konnte stellenweise reißend werden, und bei schlechtem Wetter konnte man sich verirren. Der Heroturm, der den Schiffern den Landeplatz anzeigte, war auch für einen vom asiatischen Ufer kommenden Schwimmer eine unentbehrliche Orientierungshilfe. In der römischen Kaiserzeit diente er als Leuchtturm. Abgesehen von der Sage von Hero und Leander wird in den antiken Quellen keine Überquerung der Meerenge durch Schwimmer erwähnt.
Die Geschichte von Hero und Leander ist in der Antike erst spät bezeugt: Die literarische Überlieferung setzt im späten 1. Jahrhundert v. Chr. ein und die erhaltenen bildlichen Darstellungen stammen alle aus der römischen Kaiserzeit. Daher gilt es als sicher, dass die Urfassung der Erzählung aus der Epoche des Hellenismus stammt, einer Zeit, in der die belletristische Literatur ein wachsendes Interesse an „romantischen“ Stoffen und tragischen Liebesabenteuern befriedigte. Nicht nur wegen ihrer späten Entstehung, sondern auch aus inhaltlichen Gründen zählt die Geschichte von Hero und Leander nicht zur klassischen griechischen Heldensage. Die beiden Figuren sind einfache Sterbliche, keine Heroen halbgöttlicher Herkunft. Die Handlung spielt sich nur zwischen ihnen ab, in einem rein menschlichen Milieu; es geschehen keine Wunder, es werden keine Heldentaten verrichtet und die Götter greifen nicht ein. Daher gehört dieser Stoff nur am Rande zur griechischen Mythologie. Er zeigt mehr Gemeinsamkeit mit Konstellationen hellenistischer Romane als mit den Mythen der archaischen Zeit.
Nach der heute vorherrschenden Auffassung hat die Sage einen lokalen Ursprung. Sie entstand anscheinend in der Gegend von Sestos und wurde anfangs wohl mündlich verbreitet. Einer spekulativen Forschungsmeinung zufolge war das Entstehungsmotiv aitiologisch, das heißt, die Erzählung wurde ursprünglich zu dem Zweck konzipiert, eine gegenwärtige Gegebenheit historisch zu erklären, indem man eine dazu passende sagenhafte Ursprungsgeschichte erfand. Demnach waren es die Gefährlichkeit der Schiffspassage und das Leuchtfeuer bei Sestos, die den Anstoß zur Entstehung des Motivs vom verhängnisvollen Erlöschen des zur Orientierung benötigten Lichts gaben. In solchen aitiologischen Sagen wird die Handlung oft in einen religiösen Zusammenhang eingebettet. Im vorliegenden Fall wäre dies der Kult der Liebesgöttin Aphrodite, denn Hero wird als deren Priesterin vorgestellt. Allerdings lässt sich die aitiologische Interpretation nicht beweisen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass der Anlass der Sagenbildung ein historisches Ereignis war.
Die ersten Erwähnungen der Begebenheit setzen voraus, dass sie dem Lesepublikum bereits bekannt war. Demnach hat sich die ursprünglich lokale Sage im Römischen Reich schnell verbreitet und war zu Beginn der Kaiserzeit zumindest den Gebildeten vertraut. Altertumswissenschaftler haben versucht, die verlorene hellenistische Urfassung zu rekonstruieren, doch hat keine solche Hypothese allgemeine Zustimmung gefunden. In der älteren Forschung wurde ein Zusammenhang mit der Errichtung der ersten Leuchttürme angenommen und die Sagenbildung daher ins 3. Jahrhundert v. Chr. gesetzt; damals sei der Heroturm wohl als Leuchtturm in Betrieb genommen worden. Heute werden solche Spekulationen zurückgewiesen; man neigt jetzt eher zur Spätdatierung und vermutet, dass die Sage erst im 1. Jahrhundert v. Chr. entstanden ist, nicht lange vor dem Beginn ihrer Rezeption in literarischen Werken.
Der erste Autor, der auf die legendenhafte Begebenheit Bezug nahm, war Vergil. In seinem wohl 29 v. Chr. vollendeten Gedicht Georgica, das von der Landwirtschaft handelt, warnte er vor üblen Auswirkungen des Begattungstriebs in der Pferde- und Rinderzucht. Er betonte die Notwendigkeit, Stiere von den Kühen, Hengste von den Stuten fernzuhalten. Sowohl in der Nutztierhaltung als auch beim Wild zeige sich, dass sexuelle Erregung zu destruktivem Verhalten führe.[3] Auch beim Menschen sei die ungehemmte erotische Begierde verhängnisvoll. Als abschreckendes Beispiel dient in Vergils Versen das Schicksal des Jünglings, dem die „grausame Liebe“ (durus amor) ein gewaltiges Feuer entfacht und das Mark durchglüht. Sie stachelt ihn dazu an, nachts im Sturm durch die wilden Fluten zu schwimmen. Von dem waghalsigen Unternehmen, das ihn das Leben kostet, kann ihn nichts abhalten: Er denkt weder an den Jammer der Eltern, die ihren Sohn verlieren werden, noch an die Zukunft der Geliebten, die seinetwegen sterben wird. So stürzt er sich und andere ins Unglück.[4] Hier wird Leander nicht namentlich genannt, doch ist offensichtlich von ihm die Rede. Dazu bemerkte Servius, ein einflussreicher Vergil-Kommentator des 4. Jahrhunderts, der Dichter habe auf die Angabe von Leanders Namen verzichtet, weil die Geschichte bekannt gewesen sei.[5] Wahrscheinlich unterließ Vergil die Namensnennung, um die überindividuelle Gültigkeit seines Urteils zu unterstreichen. Es geht an dieser Stelle nicht um ein Einzelschicksal, vielmehr steht der Jüngling, dem die „grausame Liebe“ die Besinnung raubt, für einen Typus. Auffallend ist die dezidiert negative Bewertung der erotischen Anziehung. Die „blinde“ Liebe (caecus amor) erscheint hier als zerstörerische Macht, die Menschen und Tiere gleichermaßen in einen verhängnisvollen Wahn treibt. Der Mensch, der sich solcher Leidenschaft hingibt, statt sie zu zügeln, verhält sich nach Vergils Urteil nicht anders als ein brünstiges Tier.[6]
Der Dichter Horaz, ein etwas jüngerer Zeitgenosse Vergils, nannte die Meerenge „zwischen den benachbarten Türmen“ als mögliches Reisehindernis bei einer Rückkehr aus dem Osten nach Italien. Damit spielte er offenbar auf die dortigen Witterungsverhältnisse an, die nach der Sage Leander zum Verhängnis wurden.[7] Strabon erwähnte in seiner Geographie, an der er in der Zeit um Christi Geburt arbeitete, bei der Beschreibung des Hellesponts beiläufig den „Turm der Hero“; diese Bezeichnung war also damals schon geläufig.[8] Etwa aus dieser Zeit stammt auch die älteste erhaltene Überlieferung, in der Leander als der ertrunkene Schwimmer und Hero als seine Geliebte genannt werden. Es handelt sich um zwei Epigramme des Antipatros von Thessalonike, die in die Anthologia Palatina aufgenommen wurden. Mit knappen Worten erinnerte Antipatros an den Tod des Jünglings im Sturm und an das Erlöschen des Lichts als Ursache des Unglücks. Nach seinen Angaben waren die Trümmer des offenbar zerstörten Hero-Turmes zu seiner Zeit noch zu besichtigen.[9]
Die älteste ausführliche literarische Bearbeitung des Stoffs stammt von Ovid. Er verfasste die Heroides, eine Sammlung von einundzwanzig Briefgedichten in elegischen Distichen, in denen er berühmte mythische Persönlichkeiten das Wort ergreifen ließ. In den ersten fünfzehn fiktiven Briefen wenden sich Frauen klagend an ihre verlorenen Gatten oder Geliebten; die letzten sechs sind drei Briefpaare, in denen ein Mann an seine Geliebte schreibt und sie ihm antwortet. Den achtzehnten Brief richtet Leander an Hero, der neunzehnte ist ihre Antwort.
Musaios, der spätantike, in der handschriftlichen Überlieferung seines Werks als Grammatiker bezeichnete Dichter des Epyllions Die Geschichte von Hero und Leander, ist sonst unbekannt. Sein Werk besteht aus 343 Hexametern und steht in der Tradition der hellenistischen erzählenden Dichtung; es werden einzelne in sich abgeschlossene, breit angelegte Szenen aneinandergereiht. Die Darstellung führt von der ersten Begegnung des Paars bis zur Katastrophe.
Im Mittelalter war der Stoff in West- und Mitteleuropa nur aus Ovids Werk bekannt. Das verschollene Epyllion des Musaios wurde erst zur Zeit des Renaissance-Humanismus entdeckt.
Bearbeitung oder Erwähnung:
Vom Fortleben der Sage auch außerhalb der Belletristik, Kunst und Wissenschaft zeugt der Umstand, dass offenbar eine neue Version entstand, die den Schauplatz vom Hellespont zum Bosporus verlagerte. Ein im 18. Jahrhundert gebauter Leuchtturm auf einer kleinen Bosporus-Insel in Istanbul, der türkisch „Mädchenturm“ genannt wird, hat in Europa den Namen Leanderturm erhalten.
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