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Bezeichnung für ein Gebiet, ein Volk oder ein Königreich in hethitischen Keilschrifttexten des 15. bis 13. Jahrhunderts v. Chr. Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Aḫḫijawa (auch Achijawa oder, meist in der englischsprachigen Literatur, Aḫḫiyawa) ist die Bezeichnung für eine Region, ein Reich oder einen Staatenbund in hethitischen Keilschrifttexten des 15. bis 13. Jahrhunderts v. Chr.
Bis 2011 sind knapp 30 hethitische Dokumente entdeckt worden, in denen der Name Aḫḫijawa, Aḫḫija oder auch Hijawa (die Gleichsetzung ist allerdings strittig, s. u.) vorkommt.[1][2] Aus diesen Dokumenten geht hervor, dass Aḫḫijawa westlich des Hethiterreichs lag. Es war lange Zeit heftig umstritten, ob mit Aḫḫijawa ein Gebiet in Kleinasien, in der Ägäis, auf dem griechischen Festland oder im südöstlichen Thrakien gemeint ist. In Kleinasien wurden sowohl Nordwest- als auch West- und Süd-Kleinasien als Gebiet für Aḫḫijawa diskutiert. In der Forschung wurde und wird es oft mit den Achäern, eine von drei Bezeichnungen für Griechen bei Homer, in Verbindung gebracht. Demnach handelte es sich bei Aḫḫijawa möglicherweise um ein mächtiges mykenisches Reich oder einen größeren mykenischen Staatenbund. Die Gleichsetzung mit dem bzw. mit einem Teil des mykenischen Griechenland ist zwar nach wie vor nicht ganz unumstritten; mittlerweile stimmt ihr die große Mehrheit der Forscher aber zu. Noch 2011 sprach sich vor allem der Altorientalist Gerd Steiner gegen diese These aus.[3]
Die Lokalisierung Aḫḫijawas und eine Verbindung mit dem mykenischen Griechenland war ab den 1920ern heftig umstritten (sogenannte „Ahhijawafrage“). Die Bezeichnung Aḫḫijawa ist auf ca. dreißig Keilschrifttafeln erhalten. Die meisten davon kamen während der von Hugo Winckler von 1905 bis 1908 und 1911 bis 1912 geleiteten Ausgrabungen der hethitischen Hauptstadt Ḫattuša bei Boğazköy ans Licht. Insgesamt wurden bei den Erforschungen der Hauptstadt viele tausend Tontafeln bzw. deren Fragmente entdeckt, davon allein 2500 bereits im Jahr 1906, während Wincklers erster langen Grabungskampagne.[4] Erstmals in der Literatur erwähnt wurde Aḫḫijawa 1923 im "Index of Hittite Names" der British School of Archaeology in Jerusalem, Supplementary Papers 1, 3 von Leo Ary Mayer und John Garstang, die es aber mit dem kilikischen Anchiale verbanden.[5]
1924[6] veröffentlichte der Schweizer Altorientalist Emil Forrer, der seit 1917 freien Zugang zu den in Berlin aufbewahrten Keilschrifttafeln aus Boğazköy hatte, erstmals die Theorie, dass Aḫḫijawa mit Achäern, eine Bezeichnung der Griechen bei Homer und ursprünglich eine Benennung der Bevölkerung eines Teils Mittelgriechenlands, bzw. einer unbekannten älteren Form von Achaia zu verbinden sei und es sich bei den Leuten aus Aḫḫijawa um Griechen handele.[7] Er nahm eine alte Form Achaiw(i)a an. Ferner sah er in einigen Personennamen hethitisierte Formen von griechischen Namen. Forrer glaubte an ein großes mykenisches Reich, das sich von Griechenland bis nach Kleinasien erstreckte und auch Teile Pamphyliens beherrschte. Da die meisten Dokumente, auf die Forrer Bezug nahm, noch nicht veröffentlicht waren, hielt sich die Diskussion zunächst sehr in Grenzen; seine Theorie wurde anfangs sogar positiv aufgenommen.[8][9] Dies änderte sich ab Ende der 1920er, als die Texte, auf die Forrer Bezug nahm, veröffentlicht und übersetzt wurden.
Es entwickelte sich eine sehr heftige, teils ungewöhnlich scharf geführte Debatte um die „Aḫḫijawa-Frage“, die auch persönliche Angriffe enthielt. Auf Forrers Seite stand vor allem der Indogermanist Paul Kretschmer, entschiedene Gegner waren die Altorientalisten Johannes Friedrich, Albrecht Goetze, der Mitte der 1920er zunächst selbst Aḫḫijawa mit Griechen verband, sowie der hoch angesehene Indogermanist und Altphilologe Ferdinand Sommer, zu dem Goetze und Friedrich guten Kontakt pflegten und der erst 1932 aktiv in die Debatte eingriff. Sommer versuchte sämtliche 13 Punkte, die nach Forrer für die Gleichsetzung sprachen, zu widerlegen und legte andere Thesen dazu vor.
Ein wichtiger Kritikpunkt an Forrer waren starke philologische Probleme gegen die Herleitung Aḫḫijawa von Achaia oder Achaiwia, eine Form, die sehr unwahrscheinlich sei.[10] Forrers Gegner hielten Aḫḫijawa für ein Reich in Anatolien, mit zumeist indigener Bevölkerung, das Sommer eher in Kilikien, Goetze dagegen in Nordwest-Kleinasien, im Bereich der Troas lokalisierte. Eine eher vermittelnde Haltung versuchte der Althistoriker Fritz Schachermeyr einzunehmen, der Teile der Kritik Sommers und Goetzes für überzogen, die Gleichsetzung Aḫḫijawa mit Griechen für nicht beweisbar aber wahrscheinlich hielt.[11] Als er beiden Seiten vorwarf, ihre Argumente auf zu vielen Hypothesen aufzubauen, geriet Schachermeyr zwischen die Fronten. Auch nach Jahren war der Streit nicht entschieden. Zumeist war in der Folgezeit die Haltung verbreitet, dass die Aḫḫijawafrage ohne neuen Erkenntnisse nicht abschließend zu beantworten sei, wobei Althistoriker und Archäologen einer Gleichsetzung mit mykenischen Griechen eher zugeneigt, Hethitologen eher skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden.
1994 veröffentlichte der Geoarchäologe Eberhard Zangger eine Theorie, nach der Aḫḫijawa – wie bereits von Götze angenommen – in Nordwestanatolien lag. Zangger geht von einer bedeutenden Handelsmacht aus, die vor allem im 13. Jahrhundert – zusammen mit verbündeten luwischen Staaten in Westanatolien – einen wichtigen Machtfaktor darstellte. Der Troianische Krieg sei ein Krieg von Mykenern gegen Aḫḫijawa gewesen und Aḫḫijawa habe auch gegen das Hethiterreich opponiert und sei ein wichtiger Faktor bei der Seevölkerbewegung gewesen.[12]
Durch Neuinterpretationen einiger relevanter Texte in den 1970ern und 1980er, archäologischer Forschungsergebnisse sowie insbesondere der Auffindung bzw. Übersetzung neuer Schriftzeugnisse in den 1980er und 1990er Jahren, nicht zuletzt auch durch die sicherere geopolitische Situation in Süd- und Westkleinasien, schlug das Pendel immer mehr zugunsten einer Gleichsetzung von Aḫḫijawa mit dem Mykenischen Griechenland aus. So gilt durch die Auswertung des Staatsvertrags zwischen Tudḫalija IV. und Kurunta auf der 1986 entdeckten Bronzetafel aus Bogazköy als gesichert, dass die Lukka-Länder in Südwestkleinasien lagen,[13] westlich von Tarḫuntašša, dem sich östlich Kizzuwatna anschloss. Da zudem durch die Übersetzung der Karabel-Inschrift durch John David Hawkins belegt ist, dass das Gebiet des Arzawa-Nachfolgestaats Mira in Westanatolien bis zur Ägäisküste reichte,[14] bleibt für ein Reich Aḫḫijawa mit Zentrum in West- oder Südanatolien kein Platz mehr.[15] Weil die Lokalisierung der Lukka-Länder im Südwesten Kleinasiens (ungefähr der antiken Landschaft Lykien entsprechend) mittlerweile als gesichert gilt, ist auch eine Lage Aḫḫijawa in Nordwestanatolien und/oder Thrakien sehr unwahrscheinlich, denn einige Texte legen nahe, dass Aḫḫijawa nicht weit von den Lukka-Ländern gelegen haben muss (konsequenterweise lokalisierten u. a. Goetze und Zangger sie auch im nordwestlichen Kleinasien).
Heute geht die vorherrschende Forschungsmeinung davon aus, dass Emil Forrer mit seiner Theorie zumindest insofern recht hatte, dass Aḫḫijawa mit einem bedeutenden mykenischen Reich gleichzusetzen ist, dessen Zentrum westlich von Kleinasien lag. Auch von Hethitologen und Philologen wird, trotz immer noch ungeklärter Probleme bei der etymologischen Verbindung von Aḫḫija(wa) mit Achai(wi)a,[16] die Gleichsetzung mittlerweile bejaht oder für sehr wahrscheinlich gehalten. Sie ist allerdings immer noch nicht unstrittig; vor allem der Altorientalist Gerd Steiner argumentiert seit den 1960ern[17] konsequent[18] gegen die Gleichsetzung.[19]
Der Streit, ob Aḫḫijawa mit den Achäern verbunden werden kann, ist daher immer noch nicht ganz entschieden. Zwar stimmt mittlerweile die große Mehrheit der Forschung dieser Theorie zu, jedoch gibt es immer noch kritische Stimmen. Der Schwerpunkt der Debatte bzgl. der Aḫḫijawafrage hat sich seit einiger Zeit dahingehend verlagert, dass inzwischen vor allem das Zentrum bzw. die Hauptstadt Aḫḫijawas innerhalb des mykenischen Kulturkreises diskutiert wird.
Nach den hethitischen Textzeugnissen hatte Aḫḫijawa wechselhafte Beziehungen zum Hethiterreich. Der älteste bisher gefundene Text (CTH 147; sogenannte Anklageschrift gegen Madduwatta), der Aḫḫija erwähnt, das in der Forschung gewöhnlich mit Aḫḫijawa gleichgesetzt wird, stammt wahrscheinlich aus der Regierungszeit des hethitischen Großkönigs Arnuwanda I. (ca. 1400–1375 v. Chr.). Er beschreibt Ereignisse, die bereits in der Regierungszeit eines der Vorgänger des Verfassers, wahrscheinlich Arnuwandas I. Vaters Tudhalija I. (ca. 1430–1400 v. Chr.), stattfanden. Demnach war Aḫḫija(wa) bereits spätestens gegen Ende des 15. Jahrhunderts v. Chr. im Blickfeld der Hethiter. Aḫḫija griff unter der Führung eines gewissen Attariššija das Gebiet von Madduwatta, einen Vasall der Hethiter in Westkleinasien an, der daraufhin floh. Der hethitische Großkönig zog daher gegen Aḫḫija zu Felde, schlug Aḫḫija und setzte Madduwatta wieder ein. Bei der Schlacht gelang es dem hethitischen Großkönig, 100 Streitwagen von Aḫḫija zu erbeuten und mehrere tausend Krieger gefangen zu nehmen. Madduwatta erwies sich aber als undankbar, verbündete sich später sogar mit seinem ehemaligen Feind Attariššia, und überfiel mit ihm u. a. Alašija (Zypern), das zum Interessengebiet der Hethiter zählte.
Muršili II. zog um 1315 v. Chr. gegen die Stadt Milawanda, deren Gleichsetzung mit Milet durch neuere Forschungsergebnisse „immer wahrscheinlicher“ ist.[20] In ungefähr dieselbe Zeit datiert eine mächtige Brandschicht im damals stark mykenisch geprägten Milet, die das Ende von Milet V markiert. Grund für den Zug gegen Millawanda war, dass Aḫḫijawa zu den Verbündeten Arzawas gehörte, mit dem Muršili Krieg führte. Der (letzte) arzawische König Uḫḫaziti floh nach Siegen der Hethiter schließlich aus der arzawischen Hauptstadt Apaša (wahrscheinlich mit dem später griechischen Ephesos zu identifizieren) über das Meer nach Aḫḫijawa. Ausführliche Schilderungen dieser Ereignisse finden sich in den Annalen Mursilis II. (CTH 61). Für das 13. Jahrhundert v. Chr. sind für die Aḫḫijawa-Frage die Korrespondenzen Muwattalis II. (1290–1272) und Ḫattušilis III. (ca. 1265–1238/35) von großer Bedeutung, nämlich der Manapa-Tarḫunta-Brief (CTH 191; KUB 19.5) und der Tawagalawa-Brief (CTH 181; KUB 14.3). In beiden Briefen spielt Piyamaradu, ein Rebell möglicherweise arzawischer Herkunft, eine wichtige Rolle. Dieser griff über viele Jahre hinweg immer wieder Gebiete in Westkleinasien an, meist hethitische Vasallen und scheint zumeist von Millawanda aus operiert zu haben, wo Atpa Statthalter war, der auch Schwiegersohn Piyamaradus war. An Angriffen Piyamaradus auf den hethitischen Vasallenstaat Šeḫa und auf Lazpa (Lesbos) war Atpa wahrscheinlich mitbeteiligt. Da Millawanda zu jener Zeit wieder fest unter der Herrschaft von Aḫḫijawa stand, ist davon auszugehen, dass auch der König von Aḫḫijawa die Aktivitäten des Piyamaradu zumindest deckte.
Der hethitische Herrscher Hattušili III. war jedoch um gute Beziehungen zu Aḫḫijawa bemüht und bat dessen König, den er als gleichberechtigt anerkannte, den Aufständischen nicht weiter zu unterstützen und ihn sowie 7.000 Gefangene auszuliefern. Nach seinem letzten Raubzug in den Lukka-Ländern (Südwestkleinasien) hatte sich Piyamaradu auf der Flucht vor dem hethitischen Großkönig nach Millawanda begeben und entzog sich einer Auslieferung durch Flucht über die Inseln in den Kernbereich von Aḫḫijawa. Der König Aḫḫijawas wird im Tawagalawa-Brief als Bruder angeredet, was nur bedeutenden Herrschern, wie dem ägyptischen Pharao oder dem König Babyloniens zukam. Erstaunlicherweise wird aber nicht nur der König selbst, sondern auch dessen Bruder Tawagalawa, offenbar ein hoher Repräsentant Aḫḫijawas, vom hethitischen Großkönig als Bruder tituliert. Eine fragmentierte, unklar zu lesende Stelle des Tawagalawa-Brief kann dahingehend interpretiert werden, das Tawagalawa selbst zuvor König von Aḫḫijawa war und auf einem Fragment (KUB 23.93), das wahrscheinlich zum Tawagalawa-Brief gehört, werden möglicherweise Tawagalawa und sein Bruder in einem Atemzug als Brüder des hethitischen Großkönigs bezeichnet, woraus geschlossen wurde, dass es zu jener Zeit ein Doppelkönigtum in Aḫḫijawa gegeben haben könnte.[21] Tawagalawa ist nach mittlerweile fast einhelliger Forschungsmeinung[22] die hethitische Schreibweise einer alten Form des griechischen Namens Eteokles. Bereits Forrer hat 1924 diese Verbindung vertreten und eine alte Form Etewoklewes angenommen, die inzwischen tatsächlich in Linear-B-Dokumenten für die mykenische Zeit nachgewiesen ist.[23] Es fallen gewisse Parallelen zur griechischen Mythologie auf, nach der sich im böotischen Theben die beiden Oidipus-Söhne Eteokles und Polyneikes das Königtum teilten und abwechselnd regieren sollten. Jedoch ist äußerste Vorsicht dabei geboten, die Mythologie für historische Vorgänge heranzuziehen. Keinesfalls kann die Sage von Eteokles und Polyneikes „als Beweis herangezogen werden“, dass die Deutung der kritischen Stellen im Tawagalawa-Brief richtig ist, zumal ungewiss ist, ob zwischen dem mythischen Eteokles und dem historischen Tawagalawa überhaupt eine Verbindung besteht und worin ein eventueller historischer Kern der Sage besteht.[24]
Aus der Regierungszeit Tudḫalijas IV. (ca. 1237–1215/09 v. Chr.) stammt der Šaušgamuwa-Vertrag (CTH 105), der ca. 1230 v. Chr. verfasst wurde. In einem erhaltenen groben Entwurf des Vertrags wurde der Herrscher von Aḫḫijawa durch den Schreiber nachträglich aus einer Liste der gleichgestellten Großkönige gestrichen. Eine mögliche Erklärung ist, dass Aḫḫijawa nun als feindlich angesehen wurde.[25] Dafür könnte der weitere Text des Vertrags sprechen, in dem der Vasall in Amurru in § 15 aufgefordert wird, in seine Häfen keine Schiffe von (Aḫḫ)ijawa – die Lesung ist nicht unstrittig[26] – in amurritischen Häfen landen zu lassen, damit diese keine Verbindungen zu assyrischen Händlern aufnehmen. Gegen diese Interpretation spricht jedoch, dass auch der Herrscher Assyriens (Tukulti-Ninurta I.), zu dem die Beziehungen in jener Zeit schlecht waren, in der Präambel als Großkönig bezeichnet wird. Eine andere Erklärung für die Streichung ist, dass Aḫḫijawa zu jener Zeit schon geschwächt war, jedenfalls in Kleinasien keine Rolle mehr spielte. Dafür spricht, dass nach Ausweis des Milawata-Briefs (CTH 182) die Stadt und das Gebiet von Milawata (= Millawanda) offenbar unter Oberherrschaft der Hethiter geraten waren. Dieser Brief stammt ebenfalls aus der Zeit Tudḫallias IV.
Zu den Aḫḫijawa-Texten werden oft auch einige Dokumente gezählt, in denen der Name Hijawa (auch Hiyawa) vorkommt (vgl. auch Que).[27] Dazu zählen zwei fast gleichlautende Briefe (RS 94.2530 und RS 94.2523) aus der Zeit um 1200 v. Chr., von Šuppiluliuma II. bzw. dem hohen Beamten Penti-Šarruma verfasst, jeweils an Ammurapi von Ugarit gerichtet, der Schiffe zur Versorgung von Hijawa-Männern an der Küste der Lukka-Länder mit Metallen(?) zur Verfügung stellen soll. Ferner die Bilingue von Çineköy aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. Nach Veröffentlichung und Übersetzung der Dokumente Anfang der 2000er wurde die Bezeichnung Hijawa schlicht als aphäresierte Variante von Aḫḫijawa angesehen. Seit 2010 wird dies allerdings durch mehrere Forscher kritisch gesehen oder sogar scharf abgelehnt.[28]
In Verbindung mit Aḫḫijawa und/oder den Achäern werden gerne die Ekweš (auch Aqaiwascha transkribiert) gebracht, die als Söldner auf Seiten der Libyer im Libyerkrieg im 5. Jahr (ca. 1209/08 v. Chr.) des Pharaos Merenptah gegen die Ägypter kämpfen. Sie werden damit den Seevölkern zugerechnet, zu denen u. a. auch Leute aus den Lukka-Ländern gehören, die ebenfalls auf Seiten der Libyer kämpfen. Die Gleichsetzung der Ekweš mit Achaiern, also mykenischen Griechen bzw. Aḫḫijawa ist jedoch strittig und problematisch, da sie im Totentempel des Merenptah beschnitten dargestellt sind.[29] Die Beschneidung war aber in Griechenland unüblich und wurde in der klassischen Antike sogar als anstößig angesehen.[30]
Zu den Ortsnamenlisten im Totentempel des ägyptischen Pharaos Amenophis (ca. 1390/88–1353/51 v. Chr.)[31] gehört auch eine Liste mit ägäischen Ortsnamen, zuweilen auch „ägäische Liste“ genannt,[32] die auf der linken Seite oben Keftiu (Kreta), das damals bereits unter mykenischer Herrschaft war, nennt, darunter einige Ortsnamen Kretas. Auf der rechten Seite werden Orte und Regionen von Tanaja aufgelistet, das entweder die Peloponnes (inklusive Kythera) meint oder das gesamte griechische Festland. Als "Oberzentrum" erscheint zunächst Mukana = Mykene. Während die Forschung mittlerweile auch fast alle anderen Orte auf dem Peloponnes – bzw. nahe bei – verortet (Nauplia, Kythera, wahrscheinlich Messenien (mi-ḏ3-n3-j) und möglicherweise Elis (waileia oder weleia)), wird di-qa-ja-s meist mit Theben identifiziert, jedoch kommt auch Tegea auf dem Peloponnes[33] in Frage. Ob es sich bei Tanaja, das wahrscheinlich mit den Danaern, einer Bezeichnung von Griechen bei Homer verbunden werden kann, um eine politische oder geographische Angabe handelt, und wie es im Verhältnis zu Aḫḫijawa steht – z. B. ein konkurrierendes Reich oder nur eine andere Bezeichnung – lässt sich derzeit nicht beurteilen.[34]
Die mykenische Kultur, die im 17. Jahrhundert v. Chr. erstmals in der Argolis und in Lakonien auftritt und sich bald auf die gesamte Peloponnes und andere Teile des südlichen griechischen Festlands ausbreitet, war einerseits stark von der minoischen Kultur Kretas beeinflusst, andererseits stand sie auch in Tradition zur festländischen mittelhelladischen Kultur. Im 15. Jahrhundert v. Chr. eroberten mykenische Griechen offenbar nicht nur Kreta, sondern auch minoische Gebiete auf den Kykladen, auf Rhodos (z. B. Ialysos), dem Dodekanes und im südlichen Westkleinasien, wie Milet und eventuell Iasos. Aus dieser Zeit bis zum 12. Jahrhundert v. Chr. stammen viele Funde mykenischer Keramik in Westkleinasien, von Troja im Norden, bis nach Lykien im Süden.[35] In den meisten Fällen bezeugen mykenische Waren allerdings nur Handelskontakte. Milet war jedoch, wie vor allem die Ergebnisse der Ausgrabungen der bronzezeitlichen Schichten durch Barbara und Wolf-Dietrich Niemeier in den 1990ern und 2000ern zeigen, ab dem frühen 2. Jahrtausend v. Chr. zunächst eine stark minoisch, ab dem fortgeschrittenen 15. Jahrhundert v. Chr. eine stark mykenisch geprägte Siedlung. Töpferöfen, in denen mykenische Keramik hergestellt wurde, größere Mengen mykenischer Gebrauchskeramik und andere typisch mykenische Funde belegen, dass hier auch mykenische Griechen gelebt haben. Zudem ist der Anteil an eindeutig einheimischen, westanatolischen Funden relativ gering. Milet V wurde im späten 14. Jahrhundert v. Chr. zerstört, wovon eine Brandschicht zeugt, was gut zu dem Feldzug des Muršili II. gegen Millawanda passen würde, wobei eine Zerstörung von Millawanda nicht ausdrücklich in den Annalen erwähnt ist. Milet VI (ca. 1315 bis 1100 v. Chr.) war zunächst ebenfalls eine stark mykenisch geprägte Stadt, ab dem 13. Jahrhundert v. Chr. nehmen aber anatolische Elemente sehr stark zu. So steht die nach neueren Erkenntnissen erst um 1200 v. Chr. errichtete Wehrmauer typologisch hethitischen Stadtmauern, wie der Ḫattušas, sehr viel näher als mykenischen Wehrmauern des griechischen Festlands.[36] Zudem sind hethitische Schwerter als Grabbeigaben in der Nekropole von Milet ab dem späten 13. Jahrhundert v. Chr. belegt und ein im mykenischen Stil bemaltes Gefäßfragment aus jener Zeit zeigt eine hethitische Hörnerkrone.[37] Diese Befunden legen den Schluss nahe, dass Milet ab dem späten 13. Jahrhundert v. Chr. unter starken hethitischen Einfluss geriet. Dies passt gut zum Millawata-Brief aus dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts v. Chr., nachdem Millawata nun unter hethitischer Oberhoheit stand,[38] sofern man Milet mit Millawata (bzw. Millawanda) gleichsetzt,[39] wie die mittlerweile deutlich herrschende Forschungsmeinung. Mykenische und ältere minoische Funde kamen auch in und um das antike Teichioussa (etwa 4 km nördlich von Akbük, auf einer Halbinsel gelegen) ans Licht.[40] Im knapp 40 km südöstlich von Milet gelegenen Iasos sind die Befunde zwar nicht so eindeutig wie in Milet, da die bronzezeitlichen und früheisenzeitlichen Schichten bisher wenig erforscht sind. Sie deuten aber an, dass auch Iasos zunächst eine minoisch und ab dem späten 15. Jahrhundert v. Chr. eine mykenisch geprägte Siedlung war.[41] Ferner wurden bei Müsgebi (in der Nähe des späteren Halikarnassos) 48 Kammergräber entdeckt, die vor allem mykenische Funde enthielten. Die Nekropole und die Art der Beigaben zeigen aber auch Eigenarten, die auf dem griechischen Festland nicht anzutreffen sind und mit westanatolischen Elementen verbunden werden können.[42] Eine zugehörige Siedlung wurde bisher erst wenig erforscht, lässt aber möglicherweise auf eine anatolisch-mykenische Mischbevölkerung schließen. In der Umgebung von Ephesos wurden Gräber mit kostbaren mykenischen Beigaben entdeckt, ferner mykenische Keramik und Terracotta-Statuetten unter dem späteren Artemision, die auf einen auch durch Mykener genutzten Kultplatz schließen lassen; außerdem erbrachten Probegrabungen am Ayasoluk neben stark überwiegender westanatolischer Funde auch mykenische Keramik.[43] Diese Befunde deuten auf starke Handelsbeziehungen und möglicherweise auch einen gewissen griechischen Bevölkerungsanteil im spätbronzezeitlichen Ephesos hin, was zu hethitischen Quellen passen würde, nach denen Aḫḫijawa Beziehungen zu Arzawa und möglicherweise auch zum Nachfolgestaat Mira hatte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die archäologischen Befunde einer Gleichsetzung von Aḫḫijawa mit einem mykenischen Reich nicht widersprechen. Der Stützpunkt Millawanda kann sehr wahrscheinlich mit Milet gleichgesetzt werden; das wahrscheinlich mykenisch beherrschte Gebiet, das sich von Milet bis Iasos bzw. eventuell bis zur Halbinsel von Halikarnassos erstreckte, steht nicht im Widerspruch zu den Angaben bzgl. Aḫḫijawa in hethitischen Quellen. Zudem sind zumindest Handelsbeziehungen der mykenischen Kultur mit verschiedenen Orten von Nordwest- bis Südwestanatolien nachgewiesen. Sollte Aḫḫijawa nicht in Zusammenhang mit der mykenischen Kultur stehen, wäre es verwunderlich, dass diese in hethitischen Quellen nicht erwähnt wird.[44]
Lange stand die Frage im Vordergrund, ob Aḫḫijawa ein mykenisches Reich meint oder ein anatolisches. Letzteres versuchte man in Kilikien, in Westkleinasien, der Troas oder dem den Dardanellen gegenüberliegende Thrakien zu lokalisieren (s. oben, Forschungsgeschichte). Da inzwischen die ganz überwiegende Mehrheit der Althistoriker, Archäologen und Altorientalisten davon ausgeht, dass ein mykenisches Reich gemeint ist,[45] hat sich seit einiger Zeit der Schwerpunkt der Aḫḫijawa-Frage auf die Lokalisierung des Zentrums Aḫḫijawa im ägäischen Raum verlagert.
Hierbei gibt es zwei prinzipielle Ansichten. Die deutlich häufigere setzt ein großes mykenisches Reich voraus, dessen Zentrum auf dem griechischen Festland lag und auch die Kykladen, Kreta sowie die Südostägäis und einen Küstenstreifen des westkleinasiatischen Festlandes (mit Milet) beherrschte. Strittig ist, ob Mykene oder Theben die Hauptstadt war. Für Mykene spricht, dass dort mit Abstand am meisten kostbare Importe, vor allem aus Ägypten und dem vorderen Orient gefunden wurden. Zudem lagen wichtige Produktionsstätten in der Nähe von Mykene, in der Argolis, so Berbati, wo ein Großteil der im 14. und der ersten beiden Drittel des 13. Jahrhunderts v. Chr. sehr einheitlichen Mykenischen Keramik hergestellt wurde. Außerdem wird darauf verwiesen, dass Mykene in der Mythologie eine große Rolle spielt, insbesondere in den Werken Homers, in denen Agamemnon – bei Homer der König von Mykene – das Heer der Griechen gegen Troja anführte. Argumente für Theben sind der Fund zahlreicher Rollsiegel, darunter viele kassitische Exemplare, die nach einer Theorie von Edith Porada ein Geschenk des assyrischen Herrschers Tukulti-Ninurta I. (regierte zwischen 1244 und 1197 v. Chr.) waren.[46] Demnach könnte dieser versucht haben, Theben als Verbündeten zu gewinnen. Ferner war das Toponym Achaia ursprünglich mit Mittelgriechenland verbunden und gelangte erst zu späterer Zeit auf die Peloponnes.[47] Zudem wird ein Mann aus Milet auf mehreren Linear B-Täfelchen (z. B. TH Fq 177, TH Fq 198) aus Theben erwähnt, der vermutlich am Hof versorgt wurde, was auf Verbindungen Thebens zum kleinasiatischen Milet hinweisen könnte.[48] Ferner nehmen auch die Sagen um Theben eine bedeutende Rolle in der griechischen Mythologie ein. Im Schiffskatalog der Ilias werden an erster Stelle die Kontingente und Städte Ostböotiens genannt und die gesamte Griechenflotte startet von Aulis, dem Hafen Thebens, aus in Richtung Troja. Allerdings ist die Datierung des Schiffskatalogs in der Fachwelt sehr umstritten.[49]
Die Beziehungen der einzelnen Paläste zueinander sind unklar. Die These eines mykenischen Großreichs mit Zentrum auf griechischem Festland kann durch Linear-B-Dokumente weder verifiziert noch falsifiziert werden. Nach diesen zu urteilen gab es offenbar kleinere autonome mykenische Staaten, die jeweils von einem mächtigen Palastzentrum kontrolliert und wirtschaftlich zentral organisiert wurden (siehe auch Palastwirtschaft). Jedenfalls scheint das mykenische Pylos nur einen Großteil Messeniens und der Palast von Theben Ostböotien und einen Teil Euböas kontrolliert zu haben. Ein übergeordneter Herrscher, dem diese Staaten untergeordnet waren, ist in den Texten nicht fassbar. In manchen Regionen – der sogenannten Peripherie der mykenischen Palastzeit – wie Elis, dem Westen Achaias, dem westlichen Mittelgriechenland und wahrscheinlich auch Thessalien, bestanden sogar weiterhin viele, von lokalen Fürsten beherrschte Höhensiedlungen, die nur ein kleines Gebiet kontrollierten.[50] Eine Oberhoheit Mykenes, Thebens oder gar Orchomenos'[51] über das gesamte mykenische Griechenland, wie früher angenommen wurde, ist durch die Linear-B-Dokumente nicht belegt, wird aber auch nicht verneint. Forscher wie Jorrit Kelder, Hans Lohmann und Birgitta Eder, haben die These eines Großreichs neuerdings wieder ins Spiel gebracht.[52] Die erstaunliche Standardisierung der Linear-B-Texte, sowohl auch die Einheitlichkeit der Mykenischen Kultur, liege eine zentrale Ordnungsmacht nahe. Allerdings ist zu beachten, dass die Texte 1. nur Inventar- und Warenwirtschaftslisten darstellen, die für die Verwaltung des jeweiligen Staats wichtig waren, 2. Korrespondenzen oder Verträge mit anderen Staaten bisher nicht ans Licht kamen, 3. Die meisten Linear-B-Dokumente aus dem frühen 12. Jahrhundert v. Chr. und aus den letzten Monaten vor der Zerstörung der Paläste stammen. Einschneidende geopolitische Veränderungen für die Jahre davor sind in dieser Krisenzeit keineswegs unwahrscheinlich.
Eine Mindermeinung geht davon aus, dass hinter Aḫḫijawa ein ostägäisches Reich steckt, das einige östliche Ägäisinseln, inklusive des Dodekanes, mykenische Stützpunkte in Westkleinasien, wie Milet und vielleicht Iasos, sowie eventuell Teile Kretas umfasste.[53] Argumente für diese Annahme sind, dass ein solches Reich und dessen Zentrum dem Reich der Hethiter viel näher gewesen sei, als Theben oder Mykene; ferner die Annahme, dass im 12. Jahrhundert v. Chr. einige östliche Inseln und Milet eine kulturelle Koine bildeten. Der östliche Ägäisraum blieb auch von den Zerstörungen und Umwälzungen, die sich auf dem Griechischen Festland um 1200 v. Chr. ereigneten, weitgehend verschont. Gegen diese Theorie spricht, dass weder auf Rhodos, wo Mountjoy und Benzi das Zentrum Aḫḫijawas annehmen, noch in Milet oder anderen in Frage kommenden Orten bisher ein mykenischer Palast nachgewiesen werden konnte.
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