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Nutzen, den Menschen aus Ökosystemen ziehen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Begriff Ökosystemdienstleistung (abgekürzt ÖSD; engl. ecosystem service, abgekürzt ESS oder ES; dt. auch: Ökosystemleistung oder ökosystemare Dienstleistung) bezeichnet in der verbreitetsten Definition die „Nutzenstiftungen“ bzw. „Vorteile“ (engl. benefits), die Menschen von Ökosystemen beziehen.[1] Der Begriff ist seit Beginn dieses Jahrtausends zu einem Schlüsselkonzept an der Schnittstelle von natur- und sozialwissenschaftlicher Umweltforschung geworden.
Beispiele für Ökosystemdienstleistungen sind das Bestäuben von Obstblüten durch Insekten, die Bereitstellung von nutzbarem Bewässerungs- und Trinkwasser durch natürliche Filtration von Niederschlag, die Reproduktion von Fischpopulationen als Nahrungsmittel sowie die Bereitstellung von frischer Luft und einer ansprechenden Umwelt für Freizeit, Erholung und ästhetischen Genuss.
Der Begriff der Ökosystemdienstleistung ist abzugrenzen von dem der Ökosystemfunktion. Obwohl es terminologische Überschneidungen gibt, werden als Ökosystemfunktionen in der Regel die zum Beispiel hinter Ökosystemdienstleistungen stehenden ökosystemaren Prozesse, seltener auch dahinterstehende ökosystemare Strukturen und Zustände bezeichnet.
Die international maßgebliche Definition stammt aus dem Methodenband des Millennium Ecosystem Assessment.[1] Ökosystemdienstleistungen werden hier (Box 1, Key Definitions, S. 3) definiert als
Eine andere einflussreiche Definition stammt von Gretchen Daily, die in ihrem Sammelband Nature’s Services erschien.[2] Sie definiert Ökosystemdienstleistungen als
Aufgrund von Kritik an beiden Definitionen[3] wurde von Roy Haines-Young und Marion Potschin das einflussreiche Konzept der Ökosystemdienstleistungs-Kaskade vorgeschlagen.[4] In der üblichen Form beinhaltet die Kaskade die Stufen: Ökosystemprozesse/Biodiversität, Ökosystemfunktionen, Ökosystemdienstleistungen (services), Vorteile (benefits) für Menschen. Die MEA-Definition vermische die letzten beiden Stufen, während die Daily-Definition die ersten beiden nicht klar trennt.
Entsprechend der Unterscheidung des Kaskaden-Modells zwischen services und benefits sowie um zwischen Beiträgen von Ökosystemen und anderen Faktoren wie menschlicher Arbeit zu unterscheiden, sind Ökosystemdienstleistungen dann auch definiert worden als “the direct and indirect contributions of ecosystems to human well-being.”[5]
Nach dem Millennium Ecosystem Assessment lassen sich Ökosystemdienstleistungen in vier Kategorien einteilen, wobei die sogenannten unterstützenden Dienstleistungen als Basis der übrigen Dienstleistungen angesehen werden:[6]
In dem einflussreichen TEEB-Bericht The Economics of Ecosystems and Biodiversity: Ecological and Economic Foundations[7] wurde eine alternative Klassifikation von Ökosystemdienstleistungen vorgeschlagen. Diese ist weitgehend deckungsgleich mit der MEA-Klassifikation, jedoch wurde auf die Kategorie der Unterstützenden Dienstleistungen verzichtet. Diese wurde durch Habitat-Dienstleistungen (Habitat Services) ersetzt, zu denen die Aufrechterhaltung von Lebenszyklen migrativer Arten und die Aufrechterhaltung genetischer Diversität zählen.
Auf EU-Ebene wird im Rahmen des CICES-Projekts (Common International Classification of Ecosystem Services) der Europäischen Umweltagentur eine neue Klassifikation erarbeitet, die die MEA- und TEEB-Klassifikationen ablösen soll. Das Projekt steht im direkten Zusammenhang mit den Versuchen, auf EU-Ebene Standards zur umweltökonomischen Gesamtrechnung festzulegen (im Rahmen des System of Environmental-Economic Accounting, SEEA). In der aktuellen Fassung[8] beinhaltet die CICES nur 3 Kategorien:
Ohne Ökosystemdienstleistungen wäre menschliches Leben auf der Erde nicht möglich. Solche Aussagen scheinen zu implizieren, dass Ökosystemdienstleistungen einen Wert haben, der weit über jedes sinnvoll in Geldeinheiten quantifizierbare Maß hinausgeht. Für die Gesamtheit aller Ökosystemdienstleistungen ist dies auch richtig. Dies hat beispielsweise die detaillierte Kritik am Artikel von Costanza et al. (1997) zum „Wert“ der Biosphäre gezeigt. Die Gesamtheit der Ökosystemdienstleistungen ist jedoch kaum jemals Gegenstand menschlicher Handlungsentscheidungen. Handlungsrelevante Bewertungsfragen in Bezug auf Ökosystemdienstleistungen stellen sich erst im Hinblick auf spezifische Fragestellungen.
Der Begriff der Ökosystemdienstleistung ist definitorisch auf eine anthroporelationale (es sind Menschen, die bewerten) und eine anthropozentrische Perspektive (allein menschliche Interessen zählen) festgelegt. Dies impliziert nicht, dass es andere Relationen oder Perspektiven nicht geben kann (siehe z. B. Biozentrismus). Wenn von Ökosystemdienstleistungen die Rede ist, werden jedoch ausschließlich Nutzenstiftungen für Menschen thematisiert. Diese Nutzenstiftungen können durch verschiedene Verfahren bewertet werden:
Die Berechnung von Nettobarwerten in der KNA setzt dabei voraus, dass der zeitliche Strom der wirtschaftlichen Vor- und Nachteile (Nettonutzen) der Handlungsalternativen hinreichend abgeschätzt werden kann. Bei „umweltrelevanten“ Handlungsalternativen setzt dies die Abschätzung der Veränderungen der betroffenen Ökosystemdienstleistungen sowie deren Monetarisierung voraus.[9][10] Für die Umrechnung in Geldeinheiten stehen wiederum verschiedene Verfahren zur Verfügung; insbesondere Befragungsmethoden (z. B. die Kontingente Bewertungsmethode) sind dabei oft leichter für die Bewertung der Ökosystemdienstleistungen anzuwenden als für die Bewertung von Ökosystemfunktionen.[11] Auch die monetäre Bewertung von Ökosystemdienstleistungen bleibt jedoch schwierig, wenn im engeren Sinne „essentielle“ Ökosystemdienstleistungen in großem Umfang betroffen werden.[12][13]
Um die Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen zu sichern, werden spezielle Honorierungsmechanismen (Payments for Ecosystem Services, PES) eingesetzt.
Die Verfügbarkeit von Ökosystemdienstleistungen kann sich in der Folge von Umweltverschmutzung oder anderem nicht nachhaltigen Management rapide verschlechtern. Weltweit befinden sich 60 % der vom Millennium Ecosystem Assessment untersuchten Ökosystemdienstleistungen in einem Zustand von Degradation oder nicht nachhaltiger Nutzung, der von abnehmender Quantität und Qualität der Ökosystemdienstleistungen geprägt ist. Von 24 erfassten bereitstellenden, regulierenden und kulturellen Dienstleistungen erhöht sich der Nutzungsdruck gegenwärtig bei 20.
Über 15.000 Wissenschaftler haben 2017 eine eindringliche Warnung an die Menschheit veröffentlicht, die belegt, dass die Ökosystemdienstleistungen erheblich gefährdet sind und die Chancen ihres Erhaltes derzeit negativ eingeschätzt werden.[14]
In der Landwirtschaft kann eine Diversifikation der Anbausysteme zu einer Förderung der Ökosystemdienstleistungen führen. Insgesamt konnten Verbesserungen für die Biodiversität, die Bestäubung, die Schädlingsbekämpfung, den Nährstoffkreislauf, die Bodenfruchtbarkeit und die Wasserregulierung nachgewiesen werden.[15]
In ihrer über 30 Studien zusammenfassenden Arbeit führen Costanza et al. 1997[16] eine Reihe von Sachverhalten an,[17] die der praktischen Umsetzung von Wertermittlungen bei Ökosystemdienstleistungen Grenzen setzen.
In der Diskussion ist weiterhin die Operationalisierung des Konzeptes der sogenannten Kulturellen Ökosystemdienstleistungen. Es geht dabei um Versuche der Definition, Erfassung und Bewertung dieser Dienstleistungen aus Forschungsbereichen wie Landschaftsästhetik/Landschaftsbildbewertung, Kulturlandschaftspflege und Erholungsplanung.[18]
Eine grundsätzliche Kritik am Konzept der Kulturellen Ökosystemdienstleistungen weist auf Folgendes hin:[19][20] Erstens beruhten wesentliche kulturelle Werte unserer natürlichen bzw. kulturell überformten Umwelt auf dem einzigartigen Charakter (Eigenart) von Gebieten, der sich mit den allgemeinen, naturwissenschaftlichen Parametern, anhand derer Ökosysteme beschrieben werden, nicht erfassen ließen;[21] zweitens werde die Umwelt, wenn es um solche Wertschätzungen geht, nicht als Ökosystem wahrgenommen, sondern in emotionaler und ästhetisch-subjektiver Auffassungsweise als Landschaft, Wildnis etc.; drittens gründeten diese Wertschätzungen nicht in ökologischen Eigenschaften und Prozessen, sondern in kulturell geprägten Auffassungsweisen und Deutungsmustern.
Im Gegensatz zu grundsätzlich ablehnenden Wortmeldungen beurteilen andere Autoren die Anwendbarkeit des Konzepts als eine empirische Frage. Für eine Vielzahl an Beispielen habe die Forschung einen substantiellen Beitrag spezifischer Ökosysteme zur Befriedigung bestimmter kultureller Bedürfnisse und Wünsche nachgewiesen. Dies gelte gerade auch für die ästhetische Wahrnehmung und Bewertung der Landschaft. Auch im Sinne rechtlicher Regelungen zum Landschaftsschutz müsse gerade die Wechselwirkung natürlicher und kultureller Faktoren betont werden – ansonsten drohe eine weiter fortschreitende Unterbewertung der kulturellen Nutzenstiftungen ökologischer Systeme.[22]
Um den kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Nutzen von Ökosystemen und Landschaften zu beschreiben, wird in der neueren Forschung auch der alternative Begriff Landschaftsleistungen verwendet.[23] Die Verwendung des Begriffs «Landschaft» anstelle von «Ökosystem» zielt darauf ab, ein breiteres Publikum, insbesondere Raumplaner und Architekten, anzusprechen.[24] Der Ansatz der Landschaftsleistungen dient auch als Grundlage für partizipative Verfahren zur Gestaltung spezifischer Landschaften: Im Dialog zwischen Öffentlichkeit, Politik und Forschung können damit Potenziale von Landschaften benannt und Qualitäten von Landschaften gezielt gefördert werden.[23]
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