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Erzählung von Wilhelm Raabe Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Wunnigel ist eine Erzählung von Wilhelm Raabe, die 1876 entstand und Ende 1878 in Braunschweig erschien. Die Groteske war bereits im Winter 1877/78 in Westermanns Monatsheften abgedruckt worden. Nachauflagen zu Raabes Lebzeiten erschienen 1900 und 1903.[1][2]
Um das Jahr 1872 praktiziert der 25-jährige Arzt Dr. med. Heinrich Weyland in einer nicht benannten feinen, alten mitteldeutschen Stadt. Die Eltern sind verstorben. Der begüterte Junggeselle lebt in bescheidenem Luxus; bewohnt das über Generationen hinweg weiter vererbte, mit Antiquitäten bis unter das Dach angefüllte Haus am Schlossberg. Der inzwischen 90-jährige ehemalige Rottmeister[A 1] Wenzel Brüggemann, ein bankrotter Uhrmacher und guter alter Freund der Familie Weyland aus der Nachbarschaft, hatte den Doktor schon vor längerer Zeit mit Nachdruck darauf hingewiesen: In das Haus am Schlossberg gehört eine Frau. Um eine Gattin hat sich Dr. Weyland überhaupt noch nicht gekümmert.
Der Mediziner wird in das Riedhorn, einen Gasthof außerhalb der Stadt, zu der 19-jährigen Patientin Anselma Wunnigel, gerufen. Anselma muss auf ihrem Zimmer das Bett hüten. Die Halbwaise hat gastrische Zustände. Dem Vater, das ist der Regierungsrat a. D. Wunnigel aus Königsberg, ist der Zwangsaufenthalt gar nicht recht. Der „quecksilbrige Antiquitätenfanatiker“ kann keine Rücksicht auf seine einzige Tochter nehmen. Der Rabenvater muss unter allen Umständen weiter zur nächsten Rarität.
Der „antiquarische Wüterich“ hat die Rechnung ohne den jungen Arzt gemacht. Dr. Weyland verordnet dem schönen Kind mehrere Wochen Bettruhe. Murrend muss sich Wunnigel fügen. Als der Durchreisende aber das Haus des Arztes oberflächlich durchstöbert hat, ändert er seine Meinung: „Vor vier Wochen kann das Kind nicht reisen.“ Während der Regierungsrat a. D. entzückt das alte Haus genauer durchforscht und dabei größere Mengen Meißner Porzellans zerscherbelt, kommt der Doktor der Genesenden näher. Dr. Weyland nennt Anselma bald seine „süße Braut“. Wunnigel freundet sich indes mit dem alten Brüggemann an. Die beiden Herren verbindet eine Neigung zu mechanischen Spielereien.
Während der Hochzeitsfeier entwickelt Wunnigel ein Toasttalent. Das junge Paar verzichtet auf die Hochzeitsreise und verbringt die Flitterwochen im Haus am Schlossberg. Wunnigel aber, der Sorge um die Tochter ledig, macht die Hochzeitsreise. In Italien lernt er Seine Exzellenz, den Kaiserlich Russischen Staatsrat a. D. Paul Petrowitsch Sesamoff und die Deutschrussin Oktavia Paulowna von Schlimmbesser kennen. Sesamoff und Wunnigel sind Juristen und Sammler. Wunnigel, der alte Untersuchungsrichter, hat Abhandlungen über Erbrecht und Konkursverfahren geschrieben. Wunnigel, das alte Kind, prahlt vor den Russen mit seinem Hausbesitz am Schlossberg. Oktavia fällt darauf herein und heiratet Wunnigel aus Besitzgier. Die Ehe geht nur acht Tage gut. Nachdem die Reisekasse leer ist und Wunnigel einen Wechsel auf das Haus des Schwiegersohnes ausgestellt hat, flüchtet der frischgebackene Ehemann vor seiner Oktavia und muss aus finanziellen Gründen zu den Kindern heimkehren.
Zuhause gesteht Wunnigel eine Dummheit, sagt aber nicht, welche. Er fürchtet, die Russin und der Russe könnten ihn in der deutschen Kleinstadt heimsuchen. Und sie kommen tatsächlich. Zunächst reist Sesamoff an. Seine Exzellenz durchsucht das Haus vom Keller bis zum Dach, um dessen Inhalt zu erhandeln. Wunnigel flüchtet in die Nachbarschaft zu Brüggemann, erklärt dem ehemaligen Rottmeister: „Mein Herumlaufen ist zu Ende... in der Welt“ und verkriecht sich in Brüggemanns Bett. Der bankrotte Uhrmacher muss sich in seinem Lehnstuhl am Fenster einrichten. Vor der Ehefrau aber kann sich Wunnigel nicht verbergen. Kaum aus Italien angekommen, sucht Oktavia Wunnigel den Gatten, der unter der Bettdecke nicht sehr überzeugend den Bewusstlosen spielt, auf. Wutentbrannt müssen die beiden Russen feststellen, der nichtswürdige Wunnigel, dieser miserable Verräter, nur Plunder besitzt. Sie reisen ernüchtert über Eydtkuhnen nach St. Petersburg ab.
Später teilt der inzwischen ziemlich patientenlose Doktor Weyland der Frau Oktavia Wunnigel das friedliche Abscheiden ihres Gatten mit. Es antwortet nicht die Witwe, sondern P. P. Sesamoff auf Französisch. In dieser bewundernswürdigen Sprache – will der Erzähler den Leser glauben machen – könne man gleichzeitig Beileid und Glückwunsch artikulieren. Nebenbei will der Briefschreiber auch noch Geld. Die Antwort aus Deutschland lautet prompt: „Vermögen nicht vorhanden“.[A 2]
Anselma schenkt ihrem Gatten Dr. Weyland mehrere Knaben. Brüggemann schlummert mit einem Lächeln um Nase und Mund in seinem Lehnstuhl am Fenster für immer und ewig ein.
Heiterkeit, ja Humor sogar, dominieren im Vortrag. In seinem „wahrheitsgetreuen Bericht“ weiht der Erzähler den Leser in die Gedanken Dr. Weylands ein. Der Doktor kuriert Anselma wochenlang, weil er Zeit gewinnen, weil er die Durchreisende heiraten will. Eigenwillige Späße des Erzählers sind keine Seltenheit: „Wir tun jetzt den ersten Sprung in dieser Geschichte und bitten unsere Leser und Leserinnen mitzuspringen, und zwar aus dem Dezember in den April.“ Der allwissende Erzähler kommentiert weltklug das unbeholfene Treiben seiner Protagonisten: „Nun ist's eine alte, aber nie genug beherzigte Wahrheit, daß die Herrschaften nur eine Treppe tiefer zu steigen und in die Stuben ihrer Dienerschaft zu horchen brauchen, um in manchen Dingen, über die sie sich den Kopf vergeblich zerbrechen, sofort das Richtige zu erfahren.“ Weder das junge Ehepaar noch der neugierige Leser erfahren, was der Lügenbaron Wunnigel in Italien alles angestellt hat.
Die gleichnamige Komödie von Oswald Döpke wurde am 25. Dezember 1978 im Fernsehen ausgestrahlt. Siegfried Wischnewski spielte den Wunnigel, Susanne Uhlen die Anselma, Peter Fricke den Dr. Weyland, Louise Martini die Oktavia, Thomas Holtzmann den Sesamoff und Sigfrit Steiner den alten Brüggemann.
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