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volkstümliche Schriften Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Volksbuch ist eine von Joseph Görres und Johann Gottfried von Herder gegen Ende des 18. Jahrhunderts eingeführte Bezeichnung für seit dem Mittelalter gelesene Historien und volkstümliche Schriften, die in der Regel in Prosa verfasst waren. Darunter fallen alte Geschichten, romantische Abenteuer, volkstümliche Sagen, märchenhafte Legenden und Schwänke.[1] Ursprung sind zum Teil Ritterdichtungen, Minnelieder und örtliche Begebenheiten. Meist wurden ursprünglich gereimte Formen in Prosa aufgelöst, volkstümlich verfasst und verbreitet.
Ein neutralerer Begriff für das mit dem Wort Volksbuch zu erfassende Feld wäre „niederer Markt des Frühdrucks“. Weder spezifische Stoffe noch eine einheitliche Herkunft zeichnen die Titel dieses Marktes aus. Die historische Produktion, die man im 19. Jahrhundert mit den „Volksbüchern“ problematischerweise nur zum Teil erfasste, bietet vor allem in Sprache, Typographie und Illustration eine typische optische Gestaltung gegenüber Angeboten des gehobenen Buchmarkts. Sie wies mit dieser Gestaltung einen eigenen (sich zwischen 1450 und 1800 allerdings deutlich verändernden) Kundenanspruch auf.
Berühmte Stoffe dieses Bereichs wurden mit späteren literarischen Adaptionen durch Charles De Coster und Johann Wolfgang Goethe die Geschichten Till Eulenspiegels und der Bericht über das Leben des Schwarzkünstlers Johann Georg Faust.
Eine rückblickende Bewertung des Phänomens der Volksbücher ist schwierig, da der Buchmarkt des frühen Drucks im Bereich der Historien wie der Fiktionen Differenzierung vermissen lässt, die man bei kritischer Betrachtung seit dem 17. Jahrhundert erwartet.
Der Druck, der um 1450 entstand, versprach zuerst bessere, gleichmäßiger gestaltete, fehlerfreie Texte großen Prestiges, wie sie für Bibliotheken von Interesse waren. Die Gutenberg-Bibel zeugt von diesem Anspruch. Der Druck erwies sich zweitens unverzüglich als Medium, über das sich Öffentlichkeit herstellen ließ: Engagierte Theologen und durch das Land reisende Prediger nutzten die Presse, um sich persönlich mitsamt den eigenen Thesen in die Diskussion zu bringen. Die Reformation entfaltete sich mit dem neuen Medium. In der res publica literaria (der scientific community) erwies sich der Druck als Weg, grenzüberschreitend (man schrieb auf dem internationalen Buchmarkt auf Latein) die Fachwelt zu erreichen. Die Vervielfältigung eliminierte in Standardwerken Fehler, die sich durch das Abschreiben einschlichen, sie schuf international verbreitete Standardausgaben wichtiger Texte aus Recht und Theologie – hier sorgte der Druck für Qualitätssteigerungen und für persönliche Verantwortung derer, die Texte mit einer neuen Wissenschaft der Textkritik vorlegten.
Ein dritter Bereich des Buchmarkts entstand (gegenüber dem der theologischen und politischen Kontroversen und gegenüber dem der res publica literaria) mit den „Historien“, im weitesten Sinne berichtenden Texten. Hier machte der Druck vor allem auf bequeme Weise Titel zugänglich, nach denen bislang bereits auf dem Handschriftenmarkt eine breite Nachfrage bestand. In Klöstern und von Berufskopisten wurde seit längerem für den kommerziellen Markt produziert, was auf Absatz vor allem in den Städten hoffen konnte: religiöse Erbauung, Historien (insbesondere Rückgriffe auf die Sagenwelt und die Welt der Ritter), praktische Bücher in populären Bereichen wie Astrologie und Medizin. Die Titel, die in Handschriften zirkulierten, um im Bedarfsfall abgeschrieben und für den einzelnen Kunden nach dessen Wünschen ausgestaltet zu werden, ließen sich mit dem Frühdruck plötzlich in Hunderten Exemplaren billig auf Vorrat herstellen. Alles, was der Drucker benötigte, war eine brauchbare Vorlage, die er nach dem Satz sogar noch weitergeben konnte. Es entstand in der Folge mit den gedruckten Historien gegenüber den kostbaren individuellen Handschriften ein vor allem billigerer Markt. Typisch war auf diesem Feld ein eigener Umgang mit Illustrationen: Sie ließen sich wie die Buchstaben im Text wiederverwenden und wurden gar nicht erst individueller ausgestaltet. Kam es im Text zu einem Duell, einem Liebesgeständnis zwischen einem Ritter und einer Frau, einem Kampf des Ritters mit einem gefährlichen Tier, einer Schlacht, einer Belagerung – so ließ sich die einmal angefertigte Illustration beliebig oft an vergleichbaren Stellen wiederverwenden, im selben Buch oder im nächsten ähnlichen Sujets. Hatten sich Historien bislang nicht beliebig verbreiten lassen, da die Produktion zu teuer war, so konnte nun an Typographie, Illustration, Papier und Einband in der Massenproduktion gespart werden. Es entstand mit den Historien ein billiges Marktsegment.
Autoren waren im billigen Markt durchaus gefragt, gewannen aber hier nicht wie in den Bereichen der Theologie und der Wissenschaften Gestalt als Meinungsführer und lebende Personen. Die Leserschaft suchte im Marktsegment der historischen Schriften Autoren eher als Autoritäten, als ehrwürdige Labels, als Garanten für Texte, die auch andere Leser soeben lasen. Die sich von Aristoteles bis Jehan de Mandeville in diesem Feld verbreitenden Namen spielten eine durchaus andere Rolle als ihre Nachfolger es im Kulturleben tun, das sich im 19. Jahrhundert einrichtete. Sie traten nicht mit Romanlesungen in Buchhandlungen auf, wurden kaum als biographisch erfasst, blieben oft pure ehrwürdige Namen, denen Schriften von den Verlegern zugeordnet wurden, um damit besser verkäuflich zu werden.
Eine Differenzierung in fiktionale und nichtfiktionale Schriften unterblieb im sich ausbildenden Marktsegment der niederen historischen Schriften. Die Bücher, die hier Kunden suchten, hatten entweder praktischen Wert, etwa mit religiösen oder medizinischen Verhaltensanweisungen, oder sie waren offen dazu verfasst, zu „verwundern“. „Wundernswürdige Historien“ wurden produziert (ähnlich wie man es für die Hollywood-Historienfilme sagen kann, die von Alexander dem Großen bis zu den Rittern des Mittelalters Stoffe dieser Produktion übernahmen), ohne dass sie eine Fachdiskussion oder eine Diskussion des Wahrheitsgehaltes auslösen sollten.
Sprache wurde im neuen Marktsegment weitgehend lieblos behandelt. Prosa setzte sich durch, da sie sich praktischer und flüssiger als Vers lesen ließ, auch, da sie (anders als der Vers) die beliebige Modernisierung erlaubte – die meisten Sprachen Europas machten einen massiven Sprachwandel durch, der erst jetzt durch die schriftliche Fixierung halbwegs zum Stillstand kam.
Die Stoffe im sich ausbildenden niederen Marktsegment kamen mit den Textvorlagen überwiegend vom Handschriftenmarkt. Neue Materien kamen mit „lustigen“ und „erschreckenden“ Berichten hinzu wie denjenigen zu Till Eulenspiegel oder dem Magier Johann Georg Faust. Letzterer zeigt deutlich, wie auf dem neuen Markt gearbeitet wurde: Der Autor, der für den Frankfurter Verleger Johann Spies 1587 die überlieferten Berichte zu Faust zusammenstellte, stattete sein Buch mit lebhaften Szenen der Teufelsbegegnungen aus, von denen es keine überlieferten und bezeugten Berichte geben konnte; er behauptete, manches aus Briefen und Hinterlassenschaften Fausts erlangt zu haben, schrieb jedoch tatsächlich ungekennzeichnet aus längst bestehenden Berichten wie Schedels Schedelsche Weltchronik oder dem Elucidarium Passagen zusammen, die belehren wie unterhalten würden. Die Zusammenschnitte geschahen sorglos und ohne auch nur den aktuellen Wissensstand zu berücksichtigen. Noch viel weniger gab es im Buch einen Versuch, die Machart aufzuzeigen und Fakten von Fiktionen zu trennen. Faust mochte dabei durchaus gelebt haben – die Berichte von Sagenhelden, die daneben auf dem Markt kamen, wurden jedoch wie der seine als „wundernswürdige“ wahre Historien auf den Markt gebracht.
Der Markt der billigen Historien wurde von der gelehrten Welt weitgehend ignoriert. Im niederen Segment erschienen Bücher in den Volkssprachen. Es ist heute unklar, wer alles lesen konnte. Fähigkeiten im Schreiben musste in der frühen Neuzeit jeder aufweisen, der Rechnungen erstellen wollte oder im eigenen Geschäft Einnahmen verzeichnete und Bestellungen aufnahm. Lesefähigkeit verbreitete sich, soweit ersichtlich, mit dem Druck noch sehr viel weiter – unabhängig von der Fähigkeit zu schreiben. In den Städten dürfte dies schon im 17. Jahrhundert dafür gesorgt haben, dass in so gut wie jeder Haushaltung zumindest ein Bewohner lesen konnte. Auf dem Land dürfte die Fähigkeit zum Lesen Amtspersonen und Pfarrern vorbehalten geblieben sein. Es genügte, wenn im Dorf einer Briefe schreiben und aus den Zeitungen vorlesen konnte. Die Lesehilfen, die gemeinsam mit billigen Büchern für die einfache Kundschaft produziert wurden, lassen jedoch erahnen, dass auch auf dem Land zumindest ausgewählten Kindern Unterricht gegeben wurde. Beliebt waren einzelne Seiten mit dem Vater unser (einem bekannten und darum gut entzifferbaren Text) und den einzelnen Buchstaben zum Buchstabieren lernen. Es bleibt unklar, ob hier Väter ihre Söhne oder Pfarrer begabtere Kinder unterrichteten. Lesen konnte man in jedem Falle lernen, ohne je schreiben zu müssen.
Eine andere Frage gilt in heutigen Untersuchungen dem hohen Preis von Büchern. Bücher waren zwar teuer, doch darum nicht unbedingt eine Ware, auf die verzichtet wurde – sie waren Luxusartikel, für die man Geld ausgab (vielleicht ähnlich, wie man dies heute für Reisen und Unterhaltungselektronik tut). Die Existenz von Händlern, die mit kleinen Bauchläden herumreisten (Kolportagehandel ist das spätere Wort), verweist auf den breiten Absatz von Büchern in der frühen Neuzeit.
Es entstanden im Lauf des 17. Jahrhunderts eigene Vertriebswege für die billigere Ware. Händler in kleineren Städten produzierten sie in grober Manier. In Großstädten wie London etablierten sich eigene Läden mit einem eigenen Angebot für den einfachen Kunden, der ein vollständiges Marktsegment erwartete, mit Büchern, die seit Beginn des Drucks nahezu unverändert wieder und wieder aufgelegt wurden und mit neueren Titeln, von denen man hörte.
Ein Wandel in der Positionierung des niederen Marktes trat mit dem Aufkommen der „belles lettres“ im Lauf des 16. Jahrhunderts ein. Gargantua und Pantagruel erschien zwischen 1532 und 1552 in mehreren Bänden: eine Satire auf die billigen Heldenhistorien des niederen Marktsegments – die üppige Historie von grotesken Riesen, die ihr Publikum bei aller Derbheit der Darstellungen deutlich unter den gebildeten Lesern fand, die allein die gelehrten Anspielungen entschlüsseln konnten (und das Geld für die mehreren Bände hatten). Ein zweiter Markterfolg auf dem Gebiet der belles lettres wurde im 16. Jahrhundert der Amadis, ein Ritterroman, für den die Zartheit seines Stils werben sollte – und der seine Leser sofort in Anhänger und Verächter teilte. Letztere vermissten bis hin zu Cervantes, der seinen Don Quijote gegen den Vorgänger schrieb, guten Geschmack hier so sehr wie ein klares Bewusstsein für die Fiktionalität des Gegenstands.
Um das Jahr 1600 hatte sich zwischen dem Markt der niederen Bücher und dem der „Literatur“ (der hohen gelehrten Publikationen) ein Bereich herausgebildet, der von Stil bestimmt wurde und von vornehmlich unter Pseudonymen schreibenden Autoren, die mit Geschmack Moden setzten.
Im Bereich des niederen Marktes entstand unter den Lesern ein Bewusstsein dafür, dass ihnen der elegante mittlere Markt der belles lettres genauso wie der gelehrte Markt der Literatur verschlossen blieb. Bücher der belles lettres hatten „lange“ und „schön“ formulierte Sätze, ihr Schriftbild war fein, ihre Illustrationen in Kupfer gestochen nach der neuesten Mode; sie waren insgesamt in aller Regel bis zu dreimal so teuer wie das Buch, das denselben Stoff nach alten Vorlagen gekürzt und mit miserablem Druckbild bot. Bücher des niederen Marktes blieben in der Regel bei Stoffen, die seit Jahrhunderten gelesen wurden, doch gab es Ausnahmen – gezielte Übernahmen von Stoffen aus dem Segment der belles lettres. Sie sind im Rückblick interessant, da sie verraten, welche Hürden im gesamten Markt mittlerweile bestanden. Robinson Crusoe war 1719 ein sofortiger Erfolg auf dem eleganten Markt. Eine Billigfassung kam als „abridg’d Version“ unverzüglich heraus. Der Titel gab dem Kunden stolz Auskunft darüber, dass ihm eine veränderte Fassung angeboten wurde: „faithfully Abridg’d, in which not one remarkable Circumstance is omitted“, hieß es auf dem Titelblatt der Bearbeitung. Andere Billigausgaben versprachen offen, verständlicher zu sein als die eleganten modernen Vorlagen: Bei Boddington, dem Verleger des Pilgrim’s Progress (eines allegorischen religiösen Lebenswegs aus dem billigen Segment), konnte man gekürzt auch den Don Quijote auf Englisch erwerben: „contracted from the Original, the Conceits sharpned, and so much in a little Compass, that in reading it, you will find nothing worthy of note omitted […] the Quality or Quintessence of all more refined and corrected than any since Don Quixote began to speak Languages different from that of Spain.“ Der Verleger sprach unverblümt Leser an, die sich ihres eingeschränkten Begriffsvermögens bewusst waren und nur bedingt deswegen schämten. Die Feengeschichten der Comtesse Marie-Catherine d’Aulnoy boten in der eleganten Ausgabe Märchen mit kunstvoller höfischer Moral. Die Billigausgabe kaufte man 1716 bei Ebenezer Tracy auf London Bridge mit eigenem Verweis auf die Distanz, die sich zwischen den Märkten herausgebildet hatte – der Übersetzer:
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Ich nahm mich dieser Sache nicht mit dem Ziel an, der französischen Ausgabe exakt zu folgen, noch schenkte ich unserer englischen Fassung irgendeine Beachtung, die beide in meinen Augen mühselig und lästig sind. Die Arbeit erstreckte sich auch nicht über Jahre. Für das Buch, das sich zur Unterhaltung überall hin mitnehmen lässt und nicht so teuer ist, habe ich stattdessen vor allem die Abstände zwischen den Sätzen und Wörtern etwas verringert. Das entlastet nicht nur das Gedächtnis, das hält die Geschichten auch viel übersichtlicher zusammen. [Übers. o.s.] |
Was im 19. Jahrhundert als „Volksbücher“ eingestuft wurde, als ein Feld der Bücher, die aus dem Volk kamen, wird besser verstanden werden als eine Produktion, die der Buchhandel einer speziellen Kundenschicht anpasste, die sich wiederum selbst von den Moden abgeschnitten sah, einen Mangel an Begriffsvermögen verspürte und die allenfalls ab und an mehr erwerben wollte als die Titel, die schon seit Jahrhunderten zum Buchbestand der Haushalte gehörten.
Gab es im frühen Druck kaum ein Interesse an der genaueren Einstufung von Fiktionalität, so hatte sich dies mit dem Markt der belles lettres, den skandalöse Memoires und politisch brisante Romane prägten, grundlegend geändert.
Der niedere Markt erfuhr von derselben Änderung des Kundeninteresses nichts. Jehan de Mandevilles Reisen verkauften sich noch immer mit allen seit dem 14. Jahrhundert bekannten Verquickungen von Reisebericht, biblischer Historie und groben Lügen wie jener von den Einfüßlern, die in Äthiopien leben sollten und unter dem hochgestreckten eigenen Bein bei Regen wie Sonne Schutz suchten.
Ritterhistorien boten heutigen Comics vergleichbar in brachialer Kürze Abenteuer samt veralteten, doch dafür so reichlichen wie groben Illustrationen – eine Textprobe aus einem englischen Titel dieses Marktes: The Honour of Chivalry (Dublin: L. Dillon [um 1720]). Ein wilder Löwe springt die kaiserliche Jagdgesellschaft an. Der junge Held muss ihn niederstrecken. Da ist auch schon ein Bär hervorgestürzt und hat den Vetter des Helden unter den Arm genommen. Schon eilt der Bär mit seiner Beute über die Hügel. Bellianis bleibt nichts anderes übrig, als sich vom Löwenkampf zu befreien und schwer verletzt dem fliehenden Bären hinterherzureiten; Lektüre, die besonders junge Leser fesselte:
“The Lion ran straight against the Prince, who although it somewhat scared him, did not therefore fear him, but with an undaunted Heart set himself, before him with his Sword in his Hand, which at his Side he wore, but the Lion joyned with him so suddenly, that he wounded him sorely in the Forehead, and gripping him between his Arms, thrust one of his Paws into his Flesh making a deep Wound: But the Prince not dismayed hereat, nor losing his couragious Mind, gave such a Thrust from his Arms downward, right to his Heart, that the Lion through extream Pain left him. Then looking toward the Empress, saw that the Bear with devilish Fury, having overthrown the Prince his Cousin, against which his great strength nothing prevailed, dragged him over the Mountain Tops: which he seeing although grieveously wounded, and the Lion not stirring straight took his Horse, and with all Speed followed the Way the Bear had taken, not respecting the many Knights that went in his Rescue, nor the Empress's Out-cries forbidding his Enterprize, fearing he should faint throught the much Blood he had lost by his Wounds, But counterposing all these things with the great Love he bare his Cousin, stayed not, but in all haste thrust himself into those great and thick Groves.”[3]
(Siehe den Artikel Roman für Abbildungen von eleganteren Titelblättern der belles lettres.)
Das Angebot musste einen eigenen Bücherbedarf der ungebildeten Kundschaft abdecken. Zuweilen geben Seiten mit Buchwerbung, die Titeln beigegeben sind, Überblick über das Marktsegment. Die nachfolgend auszugsweise wiedergegebene Liste findet sich über fünf Seiten am Ende der Seven Famous Champions of Christendom (London: T. Norris, 1719) – die letzten Zeilen geben Auskunft über die spezielle Kundschaft dieser Ware:
History of Reynard the Fox.
––––––– of Fortunatus.
––––––– of the Kings and Queens of England.
Aristotle’s Master-piece.
The Pleasures of Matrimony.
Cabinet of Wit.
The Wars of the Jews.
The History of the Jews.
The History of Parismus.
The Book of Knowledge.
Hart’s Sermons.
Po[!]sie of Prayer.
A Token for Mariners.
Bunyan’s Sighs of Hell.
Saviour’s Sermons of the Mount, 1st and 2d Parts.
Dyers Works.
[…]
Whole Duty of Man.
[…]
Bunyan’s barren Fig-tree.
––––––– Good News.
––––––– Solomon’s Temple.
––––––– Excellency of a broken Heart.
––––––– Come and Welcome.
––––––– Good News.
––––––– Grace Abounding.
––––––– Heavenly Foot-man.
––––––– Advocateship.
Book of Palmistry
Dutch Fortune-teller, folio.
Cambridge Jests.
[…]
Guide to the Altar.
History of the seven Wise Masters.
––––––– seven Wise Masters.
Lambert of Cattle.
[…]
London Spelling Book.
Mother’s Blessing.
Man’s Treachery to Women.
Practice of the Faithful.
Quacker’s Academy.
Rochester’s Poems.
Reynold’s Murder.
–––––––– Adultery.
School of Recreation.
Art of Dying.
D[o]ctrine of the Bible.
At the afore-mentioned Place, all Country Chapmen may be furnished with all Sorts of Bibles, Commonprayers, Testaments, Psalters, Primers and Horn-books; Likewise all Sorts of three Sheets Histories, Penny Histories, and Sermons; and Choice of new and old Ballads, at reasonable Rates.[4]
Den satirischeren Querschnitt liefert an dieser Stelle für den deutschen Markt 1691 der Musiker „Battalus“, der in seiner zum Roman ausgebauten Lebensgeschichte erzählt, wie er in der Kleinstadt, in der er seine Ausbildung hinter sich bringen musste, anderen Kindern Bücher abhandelte, auf die deren Eltern nicht genügend aufpassten – Satire, da der anonyme Autor auch noch einige Kollegen von Johann Beer bis Grimmelshausen unter die billige Ware mischt, die die größte Verbreitung genoss:
„Diesen meinen Vorsatz [der Liebe zu entsagen und stattdessen die Künste zu studieren] werckstellig zumachen, fragte ich bey allen meinen Condiscipulis nach, ob auch ihre Eltern Bücher hätten. Welche ja sagten, die bate ich, daß sie mir dieselben wiesen, laß ich mir diejenigen aus, die mir gefielen, und entlehnete sie, mit dem festen Vorsatz, sie nimmermehr wieder zu geben? Viel kauffte ich auch von ihnen etwa um ein liederliches Lumpen-Geld: und war ich gar glücklich in diesem Handel, sonderlich zu solchen Zeiten, wenn allerhand Näschereyen auff dem Marckte zu bekommen waren, denn dar zu bedurfften die Pürschgen Geld. Auff diese Weise brachte ich in kurtzen eine ziemliche Liberey zusamen, doch mehrentheils von Historischen und Kunst-Büchern. In einem Vierthel-Jahr stunden schon […] folgende Authores in meinem Catalogo: 1. Eulenspiegel teutsch. 2. Eulenspiegel in lateinischen Versen. 3. Clauß Narr. 4. Fincken-Ritter. 5. Clauret. 6. Clement Marot. 7. Jean-Tambour. 8. Leyer-Maz. 9. Scher-Geiger. 10. Rollwagen. 11. Garten-Gesellschafft. 12. Lustige Gesellschafft. 13. Meister Hildebrand. 14. Cento Novella Bocatii. 15. Cento Novella Giraldi. 16. Don Kichote. 17. Lustige Kurtzweil. 18. Von Fortunati Seckel und Wunschhütlein. 19. Von dem Sohn Däumling. 20. Von Eurialo und Lucretia. 21. Landstörtzer Gusmann. 22. Landstörtzerin Justina. 23. Lazarillo. 24. Simplicius Simplicissimus. 25. Spring-ins Feld. 26. Courage. 27. Wunderbahrliches Vogel-Nest, erster Theil. 27. Ejusdem ander Theil. 28. Narren-Hospital. 29. Ritter Hopffen-Sack. 30. Jan Rebhu. 31. Der kleine Schneider Gesell. 32. Fliegender Wanders-Mann. 33. Stoltzer Melcher. 34. Vom ersten Bärnhäuter. 35. Bart-Krieg. 36. Teutsche Wahrheit. 37. Froschmäusler. 38. Von den sieben Meistern. 39. Vom Keyser Octavio und seinen Söhnen. 40. Beutel-Schneider-Historien. 41. Güldner Esel. 42. Güldner Hund. 43. Vom Hertzog Ernst. 44. Von der schönen Magalona. 45. Drey Ertz-Narren. 46. Drey klügsten Leute. 47. Politischer Näscher. 48. Politischer Maulaffe. 49. Politische Colica. 50. Politischer Feuer-Mauer-Kehrer. 51. Politischer Stockfisch. 52. Politischer Braten-Wender. 53. Politischer Toback-Bruder. 54. Winter-Nächte. 55. Philander von Sittewald. 56. Schelm über Schelmen. 57. Amadis in 24. Bänden. 59. Jungferlicher Zeitvertreiber. 60. Rübezal. 61. Katzen-Veit. 62. Weiber-Hechel. 63. Kluncker-Mutz. 64. Jungfer-Hobel. 65. Francien. Unter den Kunst-Büchern waren, so viel ich mich erinnern kan, folgende: 1. Neues Kunst-Büchlein. 2. Hoccus Pocus oder Taschen-Spiel. 3. Des Simplicii Gauckel-Tasche. 4. Vom Glaß-Schleiffen. 5. Illuminir-Buch. 6. Von der Mahler-Kunst. 7. Gradir-Kunst. 8. Spiegel-Kunst. 9. Magia Naturalis. 10. Cryptographia. 11. Kalligraphia. 12. Von Feuerwercken. 13. Mathematische Erqvickstunden. 14. Helden-Schatz. 15. De Sigilis. 16. Occulta Philosophia. 17. Arbatel. 18. De Curâ Magneticâ. 19. Vom Goldmachen. 20. Fallopii Kunst-Buch. 21. Von Sonnen-Uhren. 22. Magia Optica, und andere, die mir itzt nicht beyfallen. In diesen Büchern studirte ich sehr fleißig, und sonderlich gefiel mir das Buch von Feuer-Wercken.“[5]
Mit dem ausgehenden 17. Jahrhundert bildete sich im Markt der belles lettres ein Angebot von Klassikern heraus (eingehender hierzu der Artikel Kanon (Literatur)). Pierre Daniel Huets Traitté de l’origine des romans (1670) formulierte dabei in den letzten Passagen des historischen Überblicks noch Verachtung für den niederen Bereich, der sich gerade in der Romanproduktion wiederfand. Klassiker sollte es von Heliodors Romanen bis zu Don Quixote im hohen Marktsegment geben; das niedere hatte zum Roman nichts beigetragen:
“I shall not undertake to […] examine whether Amadis de Gaul were originally from Spain, Flanders, or France; and whether the Romance of Tiel Ulespiegel be a Translation from the German; or in what Language the Romance of the Seven Wise Men of Greece was first written; or that of Dolopathos, which some say was extracted from the Parables of Sandaber the Indian. Some say ’tis to be found in Greek in some Libraries; which has furnished the Matter of an Italian Book call’d Erastus, (and of many of Boccace his Novels, as the same Fauchet has remarked) which was written in La-
<137>tin by John Morck, or the Abby de Hauteselne, whereof Ancient Copies are to be seen; and translated into French by the Clerk Hubert, about the End of the Twelfth Age, and into High Dutch about Three Hundred Years afterwards; and an Hundred Years after that, from High Dutch into Latin again, by a Learned hand, who changed the Names of it, and was ignorant that the Dutch had come from the Latin.”
“It shall suffice if I tell you, that all these Works which Ignorance has given Birth to, carried along with them the Marks of their Original, and were no other than a Complication of
<138> Fictions, grossly cast together in the greatest Confusion, and infinitely short of the Excellent Degree of Art and Elegance, to which the French Nation is now arrived in Romances. 'Tis truly a Subject of Admiration, that we, who have yielded to others the Bays for Epic Poetry, and History, have nevertheless advanced these to so high a Perfection, that the Best of theirs are not Equal to the Meanest of ours”[6]
Diese Einschätzung änderte sich im ausgehenden 18. Jahrhundert unter deutschen Intellektuellen, die den Bereich deutscher Nationalliteratur aufbauten und mit Tradition ausstatteten, ein Feld der Werke von Kunstanspruch, die fortan in Schulen und im Feuilleton besprochen werden sollten. In ihrer Perspektive gab es die niedere Erzählliteratur und die belles lettres (die „schöne Literatur“), und aus beidem musste die neue Traditionslinie zusammengesetzt werden. (Siehe eingehender hierzu den Artikel Literatur.)
Aus den belles lettres entwickelte sich unaufhaltsam der internationale Massenmarkt, der bis heute mit der Belletristik fortbesteht. Die Literaturwissenschaft des frühen 19. Jahrhunderts suchte diesem Markt gegenüber Werke einer bedeutenden interpretierbaren nationalen Tradition. Hier schienen die niederen Bücher weitaus interessanter als die modischen Titel nach dem französischen und letzthin englischen Geschmack der Moderne. Die Entdeckung der „Volksbücher“ war dabei insbesondere ein deutsches Desiderat: Einige der Titel gingen bis in die mittelalterliche Epik zurück. Unter Intellektuellen der Romantik bewiesen sie, dass das Volk sich ein Gedächtnis für die ursprünglichen Stoffe bewahrte und eine Verbindung zu genau dem Mittelalter hielt, das in der deutschen Geschichtsschreibung soeben zum Traditionsgaranten aufgebaut wurde (siehe eingehender den Artikel Kanon (Deutsche Literatur)). Die Franzosen und Engländer gründeten dagegen ihre eigene Kultur dezidiert auf die Antike und hatten für ein Mittelalter als nationale Epoche vergleichsweise geringe Verwendung.
Die Editionen von „Volksbüchern“, die im 19. Jahrhundert in wissenschaftlichem Interesse entstanden, sollten dem Verlust der kulturellen Wurzeln Einhalt bieten und fanden ihren Rahmen im viel größeren Bestreben, in dem die Märchensammlungen der Brüder Grimm und den Sammlungen von „Volksliedern“ zusammengestellt wurden, die bei der Namensgebung endlich den „Volksbüchern“ Pate standen. Der nachfolgenden literaturwissenschaftlichen Forschung bürdeten die neue Begriffsetzung wie die ersten Interpretationen des Phänomens erhebliche Folgeprobleme auf.
Die Bezeichnung „Volksbuch“ und eine Einordnung von literarischen Texten in diese Kategorie gilt aus folgenden Gründen als problematisch:
Mit den Volksbuchausgaben des frühen 19. Jahrhunderts verschwammen die Grenzen zwischen dem Relikt des niederen Buchmarkts und dem neoromantischen Kunstwerk. Die Volksbuchausgaben Gotthard Oswald Marbachs (34 Hefte, 1838–1842), die Texte des bislang trivialen Marktes wieder zugänglich machten, sprachen 1838 bis 1849 mit den Illustrationen Ludwig Richters ein kunstbeflissenes Publikum an.
Es wurde wieder interessant, neue, zukünftige „Volksbücher“ zu verfassen – so Jeremias Gotthelf mit Uli, der Knecht. Ein Volksbuch (Berlin: Springer, 1846), Marie von Ebner-Eschenbach mit Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte (Berlin: Paetel, 1909). Ironisch gebrochen geht diese Entwicklung fort bis zu Gerhard Branstners Die Bommelanten auf der Reise zum Stern der Beschwingten. Ein utopisches Volksbuch.[8]
Biographien nahmen einen guten Teil der Produktion ein. Es erschien im 19. Jahrhundert zu jedem großen Preußenkönig das memorable Volksbuch. Für Heinrich Pestalozzi hieß der Untertitel „der Held als Menschenbildner und Volkserzieher. Ein Haus- und Volksbuch“ von Ludwig Noack (Leipzig: O. Wigand, 1861). 1870 kam das Volksbuch vom Grafen Bismarck von Wolfgang Bernhardi hinzu. Martin Luther ist unter den Helden des Genres ebenso vertreten wie Andreas Hofer, letzterer mit Andreas Hofer und seine Kampfgenossen. Ein Jugend- und Volksbuch von Hans Schmölzer (Innsbruck: Wagner, 1900).
Die Produktion war überwiegend politisch, wobei Ehrenreich Eichholz mit seinem Schicksale eines Proletariers. Ein Volksbuch (Leipzig, 1846) eine Ausnahme blieb. Volksbüchern haftete eher eine deutschnationale Tendenz an mit Titeln wie Nach Frankreich! Der französische Krieg von 1870 und 1871. Ein Volksbuch mit Illustrationen, von einem Rheinländer (Kreuznach, 1871) oder Unsere Flotte. Ein Volksbuch für Jung und Alt von Kapitän Lutz (Potsdam: A. Stein, 1898).
Die große Menge der selbstbekennenden Volksbücher erschien zwischen 1920 und 1945. Ein Höhepunkt der Produktion lag in den frühen Jahren des „Dritten Reichs“, in denen das Wort Volksbuch für trotzigen Antimodernismus wie dem Bekenntnis zur modernen auf das Volk gerichteten Propaganda stand.
Den Anfang dieser Produktion machte Georg Schott mit dem Buch, das zur ersten Biographie Adolf Hitlers wurde – wieder und wieder aufgelegt: Das Volksbuch vom Hitler (München: K. H. Wiechmann, 1924). Des Ersten Weltkriegs wurde in Volksbüchern gedacht. Der kommende Krieg erhielt 1933 sein erstes Volksbuch mit dem Luftschutz-Handbuch Ernst Dencklers (Berlin: Weber’s Handels- u. Verkehrs-Verl., 1933). Im selben Jahr erschienen Flieger voran! Das deutsche Volksbuch vom Fliegen von Richard Schulz im eigenen Verlag „Deutsches Volksbuch“. Vor Kriegsbeginn kam Das Volksbuch unserer Kolonien von Paul H. Kuntze (Leipzig: Dollheimer, 1938) in den Handel, und in den letzten Kriegstagen erschien noch Hans Friedrich Bluncks Das Volksbuch der Sage vom Reich (Prag/ Berlin/ Leipzig: Noebe, 1944).
Nach dem Zweiten Weltkrieg lag es nahe, das Genre ganz zu meiden oder umzuwerten. Mit pazifistischem Gestus erschien Otto Gollins Welt ohne Krieg. Ein Lese- und Volksbuch für junge Europäer. eingeleitet von Axel Eggebrecht (Düsseldorf: Komer-Verl., 1948). Neutraler fasste der Brockhaus-Verlag den Begriff auf im Der Gesundheits-Brockhaus. Volksbuch vom Menschen und der praktischen Heilkunde, … einer Anleitung zur Ersten Hilfe bei Notfällen sowie einem Modell der inneren Organe (Wiesbaden: E. Brockhaus, 1956). Der Gestus der Erziehung des Volkes durch ihm gemäße, auf sein geringeres Verständnis zugeschnittene Schriften rettete sich nicht in die 1970er Jahre hinein. Man wird das Wort nach seiner wechselvollen Gattungsgeschichte außerhalb des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs (in dem es auf die frühe Neuzeit ausgerichtet bleibt) heute in der Regel nur noch ironisch gebrochen und mit einem subversiven Unterton in Verwendung finden.
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