Veni creator spiritus (zu deutsch: „Komm, Schöpfer Geist“) ist ein lateinischer Hymnus aus dem 9. Jahrhundert, der mehrheitlich Rabanus Maurus zugeschrieben wird. Nach einer These Heinrich Lausbergs ist er anlässlich des Aachener Konzils von 809 verfasst worden, um dessen Teilnehmer programmatisch auf den kaiserlichen Auftrag einzustimmen, die theologische Zulässigkeit der Einfügung des Filioque ins große Glaubensbekenntnis nachzuweisen. Als sicher gilt, dass der Hymnus im theologischen Umfeld dieses Konzils entstanden ist.

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Veni creator spiritus
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Allgemeines
Gebrauch: Hymnus
Liturgischer Kalender: Stundengebet (Vesper) in der Pfingstnovene
Textherkunft: Rabanus Maurus
Modus: Achter Ton
Choralbuch: Graduale Romanum (1908), S. 121*
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Der Hymnus zählt zu den wenigen Gebeten in der Liturgie der Westkirche, die sich direkt an den Heiligen Geist wenden. Spätestens seit dem 10. Jahrhundert wird er im Stundengebet als Hymnus der Vesper verwendet, und zwar lange Zeit in der Pfingstoktav, seit dem Wegfall dieser Oktav nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil während der Pfingstnovene. Spätestens seit dem 11. Jahrhundert wird Veni creator spiritus auch bei Synoden, Weihen und Ordinationen gesungen. Auch beim Einzug der Kardinäle ins Konklave wird der Hymnus gesungen.

Textgeschichte

Die Gedichte des Rabanus Maurus wurden zuerst 1617 von Christoph Brouwer nach einer alten Fuldaer Handschrift unter dem Titel Hrabani Mauri, ex Magistro et Fuldensi Abbate Archiepiscopi Moguntini, poemata de diversis veröffentlicht. Diese Handschrift reichte – wie aus anderweitig überlieferten Bruchstücken hervorgeht – als solche bis ins 10. Jahrhundert zurück, ist jedoch heute nicht mehr erhalten, so dass der Brower’sche Abdruck nun die Stelle dieser ältesten Quelle vertritt.

Daneben steht die jüngere Tradition liturgischer Bücher, die den Text teilweise auch mit Melodien überliefern. Wegen der großen Nähe des Hymnus zur Form eines jambischen Quaternars der klassischen lateinischen Metrik sind darüber hinaus an wenigen Stellen immer wieder in humanistischen Sinne kleine „Korrekturen“ vorgenommen worden.

In der Tradition der liturgischen Bücher stehen das Graduale Romanum (und der Liber Usualis), das katholische Gesangbuch Gotteslob (GL 341, 342 und 351), das evangelische Gesangbuch mit Martin Luthers Übertragung (EG 126) und das reformierte Gesangbuch der Schweiz (RG 499, 500).

Text mit Übertragungen

Der Hymnus ist seit dem 12. Jahrhundert immer wieder übersetzt worden. Nach Franz Josef Worstbrock ist er der am häufigsten übersetzte Hymnus des deutschen Mittelalters. Im deutschen Sprachraum sind die heute am weitesten verbreiteten Fassungen neben dem lateinischen Text die Übersetzungen von Martin Luther und Heinrich Bone. In der Lutherschen Version ist allerdings die Reihenfolge der dritten und vierten Strophe vertauscht. Der Hymnus ist unter der Liednummer 341 ins Gotteslob aufgenommen worden. Bei der deutschsprachigen Fassung (Liednummer 342) handelt es sich um eine Kontrafaktur mit einer Übersetzung von Friedrich Dörr.[1]

Weitere Informationen Lateinischer Text (GL 341), Martin Luther (1524) ...
Lateinischer Text (GL 341) Martin Luther (1524) Heinrich Bone (1847)

1. Veni, creator Spiritus,
mentes tuorum visita:
imple superna gratia,
quae tu creasti pectora.

2. Qui diceris Paraclitus,
donum Dei altissimi,
fons vivus, ignis, caritas
et spiritalis unctio.

3. Tu septiformis munere,
dextrae Dei tu digitus,
tu rite promissum Patris
sermone ditans guttura.

4. Accende lumen sensibus,
infunde amorem cordibus,
infirma nostri corporis
virtute firmans perpeti.

5. Hostem repellas longius
pacemque dones protinus;
ductore sic te praevio
vitemus omne noxium.

6. Per te sciamus da Patrem
noscamus atque Filium,
te utriusque Spiritum
credamus omni tempore.

7b. Deo Patri sit gloria
et Filio, qui a mortuis
surrexit, ac Paraclito,
in saeculorum saecula.

1. Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist,
besuch das Herz der Menschen dein,
mit Gnaden sie füll, denn du weißt,
daß sie dein Geschöpfe sein.

2. Denn du bist der Tröster genannt,
des Allerhöchsten Gabe teu’r,
ein geistlich Salb an uns gewandt,
ein lebend Brunn, Lieb und Feu’r.

4. Du bist mit Gaben siebenfalt
der Finger an Gotts rechter Hand;
des Vaters Wort gibst du gar bald
mit Zungen in alle Land.

3. Zünd uns ein Licht an im Verstand,
gib uns ins Herz der Lieb Inbrunst,
das schwach Fleisch in uns, dir bekannt,
erhalt fest dein Kraft und Gunst.

5. Des Feindes List treib von uns fern,
den Fried schaff bei uns deine Gnad,
daß wir deim Leiten folgen gern
und meiden der Seelen Schad.

6. Lehr uns den Vater kennen wohl,
dazu Jesus Christ, seinen Sohn,
daß wir des Glaubens werden voll,
dich, beider Geist, zu verstehn.

7b. Gott Vater sei Lob und dem Sohn,
der von den Toten auferstand;
dem Tröster sei dasselb getan
in Ewigkeit alle Stund.

1. Komm, Schöpfer Geist, kehr bei uns ein,
besuch das Herz der Kinder dein:
Die deine Macht erschaffen hat,
erfülle nun mit deiner Gnad.

2. Der du der Tröster wirst genannt,
vom höchsten Gott ein Gnadenpfand,
du Lebensbrunn, Licht, Lieb und Glut,
der Seele Salbung, höchstes Gut.

3. O Schatz, der siebenfältig ziert,
o Finger Gottes, der uns führt,
Geschenk, vom Vater zugesagt,
du, der die Zungen reden macht.

4. Zünd an in uns des Lichtes Schein,
gieß Liebe in die Herzen ein,
stärk unsres Leibs Gebrechlichkeit
mit deiner Kraft zu jeder Zeit.

5. Treib weit von uns des Feinds Gewalt,
in deinem Frieden uns erhalt,
dass wir, geführt von deinem Licht,
in Sünd und Elend fallen nicht.

6. Gib, dass durch dich den Vater wir
und auch den Sohn erkennen hier
und dass als Geist von beiden dich
wir allzeit glauben festiglich.

7b. Dem Vater Lob im höchsten Thron
und seinem auferstandnen Sohn,
dem Tröster auch sei Lob geweiht
jetzt und in alle Ewigkeit.

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Die letzte Strophe lautete im Rabanus-Text ursprünglich:

7. Praesta hoc, Pater piissime,
Patrique compar unice,
cum Paracleto Spiritu
regnans per omne saeculum.

7. Dies bewirke, liebster Vater,
Und, dem Vater gleich, du Einziger,
Zusammen mit dem Beistand Geist
Herrschend in alle Ewigkeit.

Weitere Übersetzungen stammen unter anderem von Angelus Silesius (1668) und von Johann Wolfgang von Goethe (9. April 1820).[2]

Aufbau des Hymnus nach Heinrich Lausberg

Der Hymnus ist in sieben ambrosianischen Hymnenstrophen verfasst und zeigt strukturell in besonderer Weise eine Verwandtschaft mit dem Hymnus Ave maris stella.[3]

Die erste Strophe bittet als Proömium des ganzen Hymnus um die charismatische Gegenwart des Geistes. Erst nach sechs Strophen, mit der Anrede an den Heiligen Geist, richtet sich die siebente Strophe als Doxologie an die gesamte Dreifaltigkeit.

Das „Corpus“ des Gedichts bilden die Strophen 2 bis 6. Sie gehen von den bereits akzeptierten Bezeichnungen des Heiligen Geistes, nämlich Paraklet, Gabe Gottes, lebendiger Quell usw. aus und münden in die Formulierung „utriusque spiritum“, den theologischen Zielgedanken des Hymnus, nämlich die zu etablierende Lehre, der heilige Geist gehe nicht nur vom Vater aus, sondern als „beider Geist“ auch vom Sohn (Filioque).

„In der Tat läßt sich eine formale ,Preziosität‘ und eine auf das ,Erstpublikum‘ ausgerichtete ,Künstler-Eitelkeit‘ des Dichters nicht verkennen.“

Lausberg: Der Hymnus „Veni Creator Spiritus“, S. 23

Nach dem Ende des Konzils von Aachen war der Höhepunkt der Komposition – credamus in seinem ursprünglichen Sinn der Aufnahme der Filioque-Formulierung ins Credo – nicht mehr nachvollziehbar und wurde entweder im Sinne eines vertieften Glaubensverständnisses (wie bei Luther) oder einer intensivierten Glaubenskraft (wie bei Bone) umgedeutet.

In einigen überlieferten Fassungen ist die ursprüngliche siebente Strophe entfallen oder durch eine dichterisch kaum noch mit dem Rest des Hymnus verknüpfte Doxologie ersetzt worden.

Nach Lausberg liegen den einzelnen Strophen in gelehrten Anspielungen und ohne dass die jeweiligen Begriffe selbst genannt würden[4] die sieben Gaben des Heiligen Geistes zugrunde, jedoch nicht in der Reihenfolge, wie sie bei Jes 11,2–3 VUL genannt werden, sondern in umgekehrter Ordnung, die seit Augustinus als die für den Menschen besonders geeignete „pädagogische“ Abfolge gilt.[5] Für Lausberg ergibt sich folgende Zuordnung:

Weitere Informationen Strophe, Gabe ...
StropheGabelateinischErklärung
1Gottesfurchttimor DominiZwischen den Worten imple superna gratia der ersten Strophe und der Wortkombination adimple eos Spiritu timoris tui aus dem Firmritus für Kinder im römischen Rituale besteht eine sprachliche Verwandtschaft. Zudem impliziert der Begriff creator (Schöpfer) in der ersten Strohe die Haltung der Gottesfurcht von Seiten des Geschöpfs. Nicht zuletzt steht die erste Strophe des Hymnus ähnlich isoliert wie die Gabe der Gottesfurcht in Bezug auf die übrigen sechs Gaben.[6]
2FrömmigkeitpietasDie Anrufung des Heiligen Geistes durch „consolatorische“ Namen verweist auf die Gabe der Frömmigkeit, die sowohl als „Barmherzigkeit Christi“ als auch als „Frömmigkeit des Menschen gegenüber Gott“ zu verstehen ist.[7]
3WissenschaftscientiaDie Gabe der Wissenschaft ist der Sprachengabe zugeordnet, die in der dritten Strophe durch sermone ditans guttura angesprochen wird.[8]
4StärkefortitudoDie Gabe der Stärke steht als Heilmittel gegen die in der vierten Strophe genannten infirmitas (Schwäche) des Menschen.[9]
5RatconsiliumDie fünfte Strophe „bittet den heiligen Geist um den gegen die malitia wirkenden Spiritus consilii“, d. h. die Gabe des Rates.[10]
6VerstandintellectusGemäß der sechsten Strophe erkennt der Gläubige durch den Heiligen Geist den Vater und den Sohn. Dies wiederum ist die eigentliche Funktion der Gabe des Verstandes.[11]
7WeisheitsapientiaDie siebte Strophe als Beschreibung der eschatologischen Gottesschau entspricht der Gabe der Weisheit, die im irdischen Leben als Streben nach dem Endziel wirkt, im Erreichen des Endziels aber die Gabe des intellectus zur Vollendung bringt.[12]
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Vertonungen

Gregorianischer Gesang (lateinisch, erste Strophe)

Die älteste gregorianische Melodie (im achten Kirchenton) ist um das Jahr 1000 aus Kempten überliefert.

Vokalwerke

Orgelbearbeitungen

Sonstige musikalische Bearbeitungen

Rezeption

Der Titel des Hymnus bildet das Schlusswort des Stuttgarter Schuldbekenntnisses, das im Herbst 1945 um den neuen Geist für die evangelischen Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg bittet.[18]

Siehe auch

Literatur

in der Reihenfolge des Erscheinens

  • Heinrich Lausberg: Der Hymnus „Veni Creator Spiritus“. Westdeutscher Verlag, Opladen 1979, ISBN 3-531-05078-8.
  • Hartmut Köhler: Veni creator spiritus. Zur Geschichte und Kontrafaktur eines Hymnus. In: Henning Krauss (Hrsg.): Mittelalterstudien. Erich Köhler zum Gedenken. Heidelberg 1984, S. 133–146.
  • Gabriele Obst: Veni creator spiritus! Die Bitte um den Heiligen Geist als Einführung in die Theologie Karl Barths. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1998, ISBN 3-579-02021-8.
  • Stefan K. Langenbahn: Veni, Creator Spiritus. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 10. Herder, Freiburg im Breisgau 2001, Sp. 591–592.
  • Raniero Cantalamessa: Komm, Schöpfer Geist. Betrachtungen zum Hymnus Veni Creator Spiritus. 3. Auflage. Herder, Freiburg i. B. 2007, ISBN 978-3-451-29161-6.
  • Yan Suarsana: Der Hymnus „Veni creator spiritus“ in zwei mittelalterlichen Übersetzungen. Eine quellen- und sprachkritische Untersuchung. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 47 (2008), ISSN 0075-2681, S. 151–170, JSTOR:24237588.
Commons: Veni Creator Spiritus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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