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Russische Kolonisation

Erschließung oder Eroberung neuer Gebiete durch Moskowien und das russische Zarentum Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Russische Kolonisation
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Die russische Kolonisation war ein Prozess der Erschließung oder Eroberung neuer Gebiete durch das Großfürstentum Moskau und das Zarentum oder Kaiserreich Russland. Sie zeichnete sich im Gegensatz zur Kolonisation der meisten anderen europäischen Kolonialmächte dadurch aus, dass sie nicht auf Gebiete in Übersee abzielte, sondern vor allem auf kontinentale Expansion in angrenzende Gebiete wie Nord- und Zentralasien setzte.[1] Dies ging oft mit Binnenkolonialismus einher. Dies war zum einen durch das jahrhundertelange Fehlen eines vollwertigen Zugangs zu den Weltmeeren bedingt, zum anderen durch das Vorhandensein großer, zum Teil ziemlich dünn besiedelter Landmassen in direkter Nachbarschaft.

Lenin (in Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus) stellt Russland 1914 als zweitgrößte Kolonialmacht hinter dem Vereinigten Königreich und vor weiteren Großmächten wie Frankreich, Deutsches Reich, den Vereinigten Staaten und weiteren Staaten dar.

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Russisches Reich zur Zeit seiner größten Ausdehnung 1815–1860. Die Ausdehnung des russischen Reiches zeigt deutlich die Bedeutung des russischen Kolonialismus.
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Binnenkolonialismus des zaristischen Russlands

Zusammenfassung
Kontext

Seit dem 16. Jahrhundert dehnte sich Russland in sechs Richtungen aus: in Sibirien, in Mitteleuropa, in Skandinavien, in Zentralasien, im Gebiet des Kaukasus und auf dem Balkan.

Sibirien und Amerika

Zu einem Vielvölkerstaat wurde Russland erstmals nach der Eroberung der tatarischen Khanate Kasan und Astrachan in den Jahren 1552 und 1556. Im Jahr 1558 erteilte Zar Iwan IV. dem Kaufmann Anikej Stroganow ein großes Lehen am damaligen östlichen Rand des russischen Siedlungsgebiets, entlang der Flüsse Kama und Tschussowaja (heutige Region Perm, zuvor Khanat Kasan). Die Familie Stroganow nahm die Ländereien mit Gewalt von der lokalen Bevölkerung an sich und besiedelte sie mit russischen Bauern, die von den Stroganows lehensabhängig waren. Unter den Stroganows wurde das Gebiet intensiv wirtschaftlich erschlossen, zudem Forts errichtet und lokale Unruhen mit einer Privatarmee (sogenannte „Druschinas“) unterdrückt. Nach einem Überfall durch das Khanat Sibir unter Kütschüm Khan 1573 auf die Ländereien berechtigte der Zar die Familie Stroganow, Krieg gegen Sibir zu führen, änderte seine Meinung jedoch rasch wieder.[2]

In der Flotte der Stroganows, die Salz auf den Flüssen transportierte, hatte mutmaßlich auch Jermak Timofejewitsch gearbeitet.[3] Der Matrose wurde zum Flusspiraten und laut der „Stroganow-Chronik“, die die Familie Stroganow als treibende Kraft der Kolonisation hervorhebt, von dieser im April 1579 als Kosakenkrieger angeworben.[4] Im Gegensatz zu dieser Darstellung werden die Stroganows in der Yespiov-Chronik nicht erwähnt, Jermak handelt hier eigenständig.[5] Jedenfalls überschritt Jermak mit rund 800 Kriegern den Ural und eroberte 1582 erstmals Kütschüm Khans Hauptstadt Qaschliq. Nach langwierigen Kämpfen zwischen den russischen Kosaken, Tataren und Einheimischen gaben die Russen Qaschliq im Frühjahr 1586 wieder auf.

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Lage von Qaschliq und der ersten russischen Festungen östlich des Urals

Stattdessen setzte man die Taktik fort, systematisch Festungen (Ostrog) an strategischen Stellen und Handelswegen zu errichten. 1586 bauten 300 Russen einen Ostrog bei Tjumen und 1587 bei Tobolsk – die ersten russischen Gründungen östlich des Urals. 1594 folgten Tara weiter östlich und Surgut nördlich am Irtysch. 1598 wurde Werchoturje erbaut, welches an der Tura liegend den Weg über den Ural sichern sollte. In den 1590er Jahren überquerten die Russen den nördlichen Ural in das tiefer gelegene Ob-Becken. 1602 wurde Ketsk am Fluss Ket gegründet, was den Weg zum Fluss Jenissei öffnete. Die Kosaken drangen so immer weiter östlich vor, gründeten Forts und zwangen die indigene Bevölkerung zu Tributzahlungen an den Zaren. Ein großer Antrieb für die Erschließung und die Besiedelung war der Pelzhandel sowie die Freiheit von der Leibeigenschaft.

Ende des 17. Jahrhunderts wurde mit China der Vertrag von Nertschinsk geschlossen, der die Grenzen der Einflussgebiete zweier Staaten am Amur festlegte. Im Laufe des 18. Jahrhunderts brachte Russland ganz Sibirien bis zur Beringstraße unter Kontrolle und begann mit der Ausdehnung auf dem nordamerikanischen Kontinent (Alaska, Fort Ross). In den 1860er Jahren entledigte sich Russland aus Sorge vor Überdehnung der amerikanischen Besitzungen (Verkauf von Alaska), erweiterte jedoch seinen Einfluss im Fernen Osten auf Kosten Chinas (Vertrag von Aigun). Weiteres russisches Vordringen in die Mandschurei und die Gründung von Häfen Port Arthur und Dalian lösten Spannungen mit Japan aus und führten nach dem Krieg von 1904/05 zum Verlust des Einflusses in Korea und der Mandschurei.

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Territoriale Expansion Russlands in Europa und Asien ab 1689

Balkan und Kaukasus

Vor der Eingliederung ins Russische Reich waren die Gebiete zwischen der Nord-Ukraine und dem Asowschen Meer lange zwischen Polen-Litauen, dem Osmanischen Reich und dem Russischen Reich umkämpft gewesen. Dazu kamen die regelmäßigen Überfälle der Tataren des Krimkhanats und der Nogaier-Horde. Deshalb waren diese Steppengebiete trotz ihrer fruchtbaren Schwarzerde nur dünn besiedelt und trugen den Namen „Wildes Feld“.

1764 drängte Russland das Osmanische Reich und dessen Vasallenstaat Krimkhanat zurück; das Gebiet kam zu Russland und wurde Neurussland genannt. Die breitangelegte Erschließung des Gebietes wurde von Fürst Grigori Potjomkin organisiert. Das Land wurde an russische Adelige verteilt, die Kolonisten aus Zentralrussland mitbrachten und zusätzlich ausländische Kolonisten anwarben, überwiegend Deutsche, Serben und Griechen. Die Anzahl der Leibeigenen war geringer als in anderen Gebieten.[6]

Im Frieden von Küçük Kaynarca 1774 erreichte Russland neben der Schwächung des Krimkhanates auch die Rolle als Schutzmacht der orthodoxen Christen im Osmanischen Reich. Diesen Status nutzte Russland in den nächsten Jahrzehnten, sich auf Kosten des Osmanischen Reiches am Schwarzen Meer auszudehnen. Erklärtes Ziel war die Eroberung der „Meerengen“, der Dardanellen und des Bosporus mit der Stadt Konstantinopel. Zunächst ging es im Nordkaukasus nur um eine befestigte Verbindungsstraße ins transkaukasische Georgien, die Georgische Heerstraße. Deshalb wurden 1774 die beiden an diese Straße grenzenden Fürstentümer der Kabardiner annektiert. Daraus entwickelte sich schrittweise der beinahe 50-jährige Kaukasuskrieg (1817–1864), an dessen Ende Russland den Nordkaukasus erobert hatte. In der Folge verschob sich der Fokus der russischen Expansion auf Zentralasien.

Nach dem verlorenen Krimkrieg 1856 machte sich Russland den Panslawismus zu eigen, um seinen Einfluss in Mitteleuropa und auf dem Balkan zu stärken; ein Vordenker war Nikolai Danilewski. Russland fand in Serbien einen Verbündeten für seine panslawistischen Pläne und unterstützte die Aufstände der slawischen Völker auf dem Balkan, was zur Balkankrise und schließlich zum Russisch-Türkischen Krieg (1877–1878) führte: Bulgarien wurde unabhängig vom Osmanischen Reich, doch konnte sich Russland auf dem Berliner Kongress nicht mit seiner Vision eines Groß-Bulgarien durchsetzen, das bis an die Adria reichen sollte.

Zentralasien

Russland hatte ab dem 16. Jahrhundert an seinen südöstlichen Grenzen vom Kaspischen Meer bis zum Altaigebirge eine lange Linie von Kosakensiedlungen errichtet, die die Kasachen an Einfällen in das Wolgagebiet und Westsibirien hindern sollten.[7] Die Kasachen brachen aber häufig durch die russischen Linien und griffen Siedlungen an.

Im beginnenden Zeitalter des Imperialismus dehnte Russland sein Einflussgebiet auf Turkestan aus. Nach Auflösung der Kleinen Horde 1822 und der Mittleren Horde 1824 wurde die kasachische Unabhängigkeit untergraben. In der Steppe wurden Grenzposten errichtet. Es folgten zunächst erfolglose Expeditionen gegen das Khanat Chiwa. In den 1840er Jahren wurden die Stützpunkte in die Steppe vorgeschoben und das Khanat Kokand bedroht.[8] 1853 wurde Kasalinsk (heute Qasaly) erreicht, ein Jahr später Alma-Ata gegründet. Durch den Krimkrieg kam es zu einer Unterbrechung des Vordringens.

1864 wurden Dschambul (heute Taras), Jassy und Tschimkent (heute Schymkent) erobert. Die Russen erreichten den Fluss Tschu und umgaben die Kasachensteppe mit einem Ring von Forts. 1867 wurden die neu gewonnenen Gebiete als „Oblast Turkestan“ einem Militärgouverneur unterstellt[9], anschließend Chudschand und Samarkand erobert.

Skandinavien

Anmerkung: Hier steht die Expansion Russlands im Vordergrund, nicht die Kolonisation.

Im Großen Nordischen Krieg (1700–1721) wurde Finnland russisch besetzt (1714–1721). Nach Abschluss des Friedens von Nystad endete zwar die Besetzung Finnlands, aber auch die bisherige Großmachtstellung Schwedens. In einem weiteren russisch-schwedischen Krieg, dem sogenannten Krieg der Hüte (1741–1743), wurde Finnland erneut besetzt, und im anschließenden Frieden wurde die russische Westgrenze bis an den Fluss Kymijoki vorgeschoben.

Während der Napoleonischen Kriege verbündete sich Russland mit Frankreich gegen Großbritannien und das mit diesem verbündete Schweden. 1808 griff Russland Schweden an und begann damit den Finnischen Krieg, als dessen Resultat Schweden im Vertrag von Fredrikshamn 1809 weite Gebiete an Russland abtreten musste: Den heutigen Süden Finnlands, die Ålandinseln sowie Teile Lapplands und Västerbottens. Aus diesen und den bereits 1721 und 1743 eroberten Gebieten wurde das Großfürstentum Finnland gebildet, das Teil des Russischen Reiches war, aber eine weitgehende politische Autonomie genoss.

Einem erstarkten finnischen Nationalbewusstsein traten ab dem Ende des 19. Jahrhunderts russische Bestrebungen einer Zentralisierung des Reiches und einer Russifizierung der zu diesem gehörenden Gebiete entgegen. Das sogenannte Februarmanifest des Zaren Nikolaus II. von 1899 schränkte die autonomen Rechte Finnlands spürbar ein. Dies hatte einen zähen politischen Konflikt zur Folge, zu dessen Zuspitzungen die Ermordung des Generalgouverneurs Nikolai Bobrikow 1904 und im Zusammenhang mit der Russischen Revolution 1905, ein umfassender Generalstreik im Herbst 1905 gehörten. Infolge des Generalstreiks sagte Nikolaus die Wiederherstellung der Autonomie sowie die Schaffung einer nichtständischen Volksvertretung zu.

Mitteleuropa

Anmerkung: Hier steht die Expansion Russlands im Vordergrund, nicht die Kolonisation.

Polen-Litauen war lange Zeit der starke Nachbar im Westen Russlands, stürzte aber im 17. und 18. Jahrhundert in eine dauerhafte Krise und geriet unter russischen Einfluss. Sichtbar wurde dieser bei der Wahl 1764 in Anwesenheit von 20.000 russischen Soldaten. Schließlich wurde bis 1795 Polens innere Schwäche von seinen Nachbarn ausgenutzt und das Land in drei Teilungen Polens von der Karte getilgt. Russland erhielt den größten Teil, u. a. Litauen, Belarus und große Teile der Ukraine. Durch die Französische Revolution und die Kriege Napoleons kam es zu weiteren Grenzänderungen, die nur kurz Bestand hatten, bis schließlich auf dem Wiener Kongress 1815 das sogenannte Kongresspolen als Königreich Polen in Personalunion mit dem Russischen Kaiserreich verbunden wurde. Zuerst genoss dieses Staatswesen weitgehende Autonomie.

Mit dem Aufkommen des russischen Nationalismus wurde durch die zaristische Verwaltung versucht, diese Autonomie einzuschränken. 1830 brach in Warschau der Novemberaufstand aus, in dem die Polen versuchten, die russische Fremdherrschaft abzuschütteln, und wurde 1831 von der russischen Armee niedergeschlagen. In Folge wurde die polnische Bevölkerung einer verstärkten Russifizierung ausgesetzt, die sich nach dem zweiten gescheiterten Aufstand, dem Januaraufstand von 1863, weiter verstärkte: Die Bezeichnung Polen wurde verboten und das Land durch die russische Obrigkeit als Weichselland bezeichnet.

Überblick über die Gebiete in Europa und Asien

Weitere Informationen Ehemalige binnenkoloniale Territorien und Einflusssphären, Besitzung ...

Weiterhin:

  • Xinjiang im Nordwesten Chinas, 1871–1911 russische Einflusszone
  • Ili, ein kleiner Teil von Xinjiang, 1871–1881 als Kuldscha-Distrikt Teil des Russischen Kaiserreiches
  • Tannu Tuwa erklärt sich 1911, in Folge der Ablösung der Mongolei von China, zur eigenständigen Republik Urjanchai und wird 1914 Teil Russlands
  • Lüshunkou, 1898–1904 wurde die Stadt Lüshun zusammen mit der Halbinsel Liaodong von China an Russland verpachtet. Die Russen nannten die Stadt Port Arthur
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Überseeische Kolonie Russisch-Amerika mit Alaska

Schon 1741 wurde Alaska durch die russische Bering-Tschirikow-Expedition (wieder)entdeckt. Die Russländisch-Amerikanische Kompagnie erhielt 1799 von Zar Paul I. das Monopol für den Pelzhandel in Russisch-Amerika. Obwohl bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts zahlreiche spanische, britische, französische und amerikanische Expeditions- und Handelsschiffe entlang der Küsten Alaskas segelten, blieb das Land bis 1867 bei Russland. In diesem Jahr kauften die Vereinigten Staaten Alaska für 7,2 Millionen US-Dollar von Russland.

Im Zuge der territorialen Erweiterung Russisch-Amerikas gab es Bestrebungen Russlands, sich weiter südlich im klimatisch günstigeren Kalifornien festzusetzen. So wurde 1812 rund 80 Kilometer nördlich San Franciscos das Fort Ross als der Versuch der Errichtung einer Ernährungsbasis für den Norden aufgebaut. Wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit wurde es jedoch 1841 an den Schweizer Johann August Sutter verkauft.

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Territorien außerhalb des zusammenhängenden Festlands

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Russische Territorien von Korfu bis nach Kalifornien

Korfu und ionische Inseln

Nach der Zerschlagung der Republik Venedig durch Napoleon wurden die ionischen Inseln (seither Griechenland), 1798 russisches Protektorat, dies bestand auf Korfu am längsten (1808).

Jever

Jever und Umland (Niedersachsen, Deutschland) waren keine kolonialen Erwerbungen, sondern 1793 Erbe Katharinas II. 1818 trat Russland das Gebiet an Oldenburg ab.

Port Arthur

Port Arthur, seither Stadtteil von Dalian, Volksrepublik China, war von 1898 an russisches Pachtgebiet und Flottenstützpunkt am Gelben Meer. Russland verzichtete auf Port Arthur 1905 infolge des Russisch-Japanischen Kriegs durch den Vertrag von Portsmouth.

Kauaʻi

1816 schloss der in russischen Diensten stehende Deutsche Georg Anton Schäffer eigenmächtig, aber im Namen der russischen Krone, einen Protektoratsvertrag über die Hawaii-Insel Kauaʻi mit dem hawaiischen Unter-König Kaumualii ab. Dieser Vertrag wurde allerdings vom Zaren abgelehnt und Schäffer 1817, auch auf Druck US-amerikanischer und britischer Geschäftsleute, die als königliche Berater fungierten, zum Verlassen von Hawaii gezwungen. Das dortige russische Fort wurde aufgegeben.

Sachsen

Das Generalgouvernement Sachsen stand vom 21. Oktober 1813 bis zum 10. November 1814 unter russischer Militärverwaltung. Generalgouverneur war Fürst Repnin-Wolkonski.[10] Sachsen war jedoch keine russische Kolonie im engeren Sinne.

Sagallo

Bei Sagallo im heutigen Dschibuti versuchte 1889 der Kosake Nikolai Aschinow einen Ausgangspunkt für eine russische Kolonisation in Afrika zu schaffen („Russisch-Somaliland“). Französische Ansprüche und die Zurückhaltung des russischen Zaren vereitelten dieses Vorhaben.

Literatur

Einzelnachweise

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