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Lehre der psychischen Traumafolgen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Psychotraumatologie ist die Lehre der psychischen Traumafolgen. Sie befasst sich mit der Erforschung und Behandlung der Auswirkungen von traumatischen Ereignissen auf das Erleben und Verhalten von Individuen und sozialen Systemen. Es wird unterschieden zwischen analytischer, familientherapeutisch-systemischer und integrativ-verhaltenstherapeutischer Psychotraumatologie.[1]
Der Begriff Traumatology wurde im Jahr 1990 weltweit das erste Mal in diesem Zusammenhang verwendet und geht zurück auf den Kinderpsychiater Donovan, welcher den bestehenden Begriff der medizinischen Traumatologie auch auf psychische Verletzungen erweitern wollte.[2] Dieser transdisziplinäre Ansatz wurde jedoch von der Wissenschaft nicht übernommen und stattdessen entwickelte sich getrennt von der medizinischen Traumatologie das Gebiet der Psychotraumatologie.
Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden die ersten Methoden zur Behandlung von Traumafolgen. Das Ziel ist, die Symptome entweder zu begrenzen, zu kontrollieren oder im besten Fall aufzulösen, sowie die Integration des Ereignisses in das biographische Gedächtnis.
Traumatische Erlebnisse stellen von alters her eine Grunderfahrung des Menschen dar. In Mythen, religiösen Schriften, literarischen und philosophischen Darstellungen wurden Kriege und Katastrophen und deren seelische Folgen thematisiert. Die aus diesen Ereignissen resultierenden schmerzlichen Verluste und seelischen Erschütterungen führten zu zahlreichen Versuchen, die negativen seelischen Folgen dieser Ereignisse mit intuitiven Methoden zu lindern.
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Psychotraumata setzte ungefähr ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, war jedoch anfangs lediglich das Forschungsgebiet einiger weniger verstreuter Spezialisten. In der heutigen Literatur wird auf Jean-Martin Charcot und seine Erforschung der Hysterie im Paris 1867 hingewiesen. In der modernen Psychotraumatologie werden heute jedoch die Erklärungskonzepte der Gedächtnisstörungen bei traumatisierten Menschen (Dissoziation) von Pierre Janet (1889) als Pionierleistung gewürdigt,[3][4][5][6] die für fast 100 Jahre weitgehend in Vergessenheit gerieten.[7] In der öffentlichen Wahrnehmung wird hingegen meist der Vortrag des Dozenten Sigmund Freud am 21. April 1896 über die Ätiologie der Hysterie als Ursprung der modernen Psychotraumatologie angesehen. In diesem Vortrag beschrieb Freud den Zusammenhang zwischen Hysterie und sexuellem Kindesmissbrauch.[8]
Der wissenschaftliche Diskurs zum Thema der Folgen von Traumatisierungen unterlag einem wechselnden Rhythmus von Wiederentdecken und Verdrängung. Besondere Aktualität erlangte das Thema nach dem Ersten Weltkrieg. Die Traumafolgen wie starkes Zittern wurden damals noch Kriegsneurosen genannt und am Tavistock-Institut erforscht, von Bion wurde dort die Gruppenanalyse entwickelt.
In den 1970er Jahren erfuhr die Traumaforschung und ihr folgend die Traumatherapie einen neuen Aufschwung. Viele Vietnam-Kriegsveteranen zeigten Symptome. Die Traumatisierungen der Überlebenden der Konzentrationslager (Völkermord an den Juden) sowie die Symptome der nachfolgenden Generationen sowohl der Opfern wie der Täter führten zur Entwicklung weiterer Methoden.
Eine bessere Einschätzung der Schäden durch sexuelle Ausbeutung kam aus der Frauenbewegung. Die Themen sexueller Missbrauch, Vergewaltigung und häusliche Gewalt erfuhren erstmals mehr Gewicht. Vergewaltigung in der Ehe wurde unter Strafe gestellt.
Weitere Anstöße kamen aus den psychosozialen Zentren für Flüchtlinge aufgrund der Schädigungen durch Folter, politischer Verfolgung, (Bürger)krieg und Zwangsprostitution.
Seit Mitte der 1990er-Jahre gab es eine rasante Entwicklung im Bereich der Traumaforschung und der Weiterbildung von Psychotherapeuten. Als Begründer der Psychotraumatologie in Deutschland gilt der Psychologe und Psychotherapeut Gottfried Fischer (Mehrdimensionalen Psychodynamischen Traumatherapie).
Das Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie[9] der Bundeswehr widmet sich der Prävention und Behandlung sowie Erforschung von Traumatisierungen als Folge von militärischen Einsätzen.
Die Psychotraumatologie ist interdisziplinär ausgerichtet. Es wird unterschieden zwischen analytischer, familientherapeutisch-systemischer und integrativ-verhaltenstherapeutischer Psychotraumatologie.
Eine deutsche Pionierin der Psychotraumatologie und Traumatherapie ist Luise Reddemann, auf die die Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (PITT, 1985) zurückgeht.[10]
International bedeutend ist die 1980 durch Watkins & Watkins (John Watkins und Helen Watkins) entwickelte Ego-State-Therapie.[11] Diese Methode wurde inzwischen von ihrem Schüler Woltemade Hartmann, sowie von dessen Schülern Jochen Peichl und Kai Fritzsche weiterentwickelt.
Bei einer einmaligen Traumatisierung im Erwachsenenalter hat sich die 1988 von Francine Shapiro entwickelte Methode EMDR[12] bewährt.
Die schonende Traumatherapie ist schulenübergreifend verwendbar und ermöglicht individuell angepasste Interventionen.[13] EMDR als alleinige Methode wird nicht empfohlen, da diese Behandlung zur Aktivierung von Introjekten führen kann und dies dann einer fachlichen Ausbildung bedarf. Ein Ausbildung in EMDR reicht da nicht aus und es kann zu Retraumatisierungen kommen.
Ein Psychotrauma ist eine seelische Verletzung, die auf einzelne oder mehrere Ereignisse zurückgeht, bei denen im Zustand von extremer Angst und Hilflosigkeit die Verarbeitungsmöglichkeiten des Individuums überfordert waren. Dies kann bei Betroffenen zum Krankheitsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Seit 1980 wird die Störung mit der Aufnahme in die 3. Version des Diagnostischen und Statistischen Manuals psychischer Störungen (DSM) diagnostiziert.
Die drei diagnostischen Kriterien sind:
Unter Intrusionen fallen auch sogenannte Flashbacks, bei welchen es noch Jahre nach dem Ereignis zu einem erinnerten Wiedererleben der traumatischen Situation kommen kann. Auch in Träumen kann sich die intrusive Symptomatik widerspiegeln. Die Vermeidung ist dadurch gekennzeichnet, dass die traumatisierte Person Dinge, Situationen, Themen und Gefühle, die an das Trauma erinnern, bewusst und unbewusst vermeidet. Die psychovegetative Übererregung wie starke Angst, Beklemmung und Schreckhaftigkeit zusammen mit körperlichen Symptomen gehören zum Symptomenkomplex Hyperarousal. Bei den häufigeren komplexen Posttraumatischen Belastungsstörungen kommen Affektregulationsstörungen, negative Selbstwahrnehmung und Beziehungsstörungen hinzu.[14]
In der Resilienzforschung wird untersucht, welche persönlichen Schutzfaktoren und Fähigkeiten eine Bewältigung extremer Ereignisse erleichtert. Jedoch bleibt klar, dass bestimmte Ereignisse für beinahe jeden Menschen eine Bedrohung und Überforderung darstellen, die auch bei bester seelischer Gesundheit kaum symptomlos verarbeitet werden können. Die persönlichen Vorbedingungen beeinflussen sowohl die Symptomatik als auch Verlauf und Prognose erheblich.
Die These, dass traumatisierte Menschen eine von anderen psychologischen Störungsbildern deutlich verschiedene Dynamik und Physiologie aufweisen, ist bis dato wissenschaftlich nicht ausreichend belegt. Demgegenüber stehen die seit 30 Jahren erfolgten Veröffentlichungen der Fachtherapeuten mit Fallgeschichten, Darstellung der Methoden, Erfolge und entsprechendem Angebot an Aus- und Weiterbildungen.
Kritik an den Methoden der Psychotraumatologie kommt aus der empirischen Psychologie. So konnten Auffassungen der Psychotraumatologie zu einem speziellen Traumagedächtnis, Verdrängung, Amnesie durch Dissoziation, oder Flashbacks in kontrollierten Studien nicht nachgewiesen werden.[15][16] Nach dem Gedächtnis- und Aussagepsychologen Max Steller ist die Psychotraumatologie eine missionarische Ideologie, die sich gegen Einflüsse von außen abkapselt und deshalb für die Kritik aus der empirischen Psychologie nicht erreichbar sei. Die Psychotraumatologie unterliege einem Zirkelschluss, wenn das Trauma als Hauptkriterium der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung erst während der Therapie erschlossen wird.[17] Auch die Behauptung der Richtigkeit der Methode durch klinische Erfahrung unter Anwendung dieser Methode sei ein Zirkelschluss.[18]
Die Diagnose- und Therapiemethoden der Psychotraumatologie stehen im Verdacht, falsche Erinnerungen erzeugen zu können. Im Rahmen von Zeugen- oder Opferaussagen in Gerichtsverhandlungen kann dies von großer Tragweite sein.[19]
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