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deutscher lutherisch-pietistischer Theologe, Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf und Pottendorf (* 26. Mai 1700 in Dresden; † 9. Mai 1760 in Herrnhut, Oberlausitz, Sachsen) war ein deutscher lutherisch-pietistischer autodidaktischer[1] Theologe, Reichsgraf, 1727 Gründer und Bischof der Herrnhuter Brüdergemeine (auch Brüder-Unität, lateinisch: Unitas fratrum, tschechisch: Jednota Bratrská), Mitbegründer einer weltweiten Missionsarbeit, Sozialreformer, Prediger sowie Dichter zahlreicher Kirchenlieder.[2]
Zinzendorf war der Sohn von Georg Ludwig (Reichs-)Graf von Zinzendorf und Pottendorf (1662–1700) und Charlotte Justine Freiin von Gersdorff (1675–1763). Zinzendorfs Vater starb wenige Wochen[3] nach der Geburt Nikolaus Ludwigs; fortan lebte dieser in Großhennersdorf in der Oberlausitz bei seiner frommen Großmutter Henriette Katharina von Gersdorff, geborene von Friesen. Seine verwitwete Mutter heiratete 1704 den preußischen Generalmajor Dubislav Gneomar von Natzmer.[4]
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf besuchte von 1710 bis 1715 das Pädagogium der Franckeschen Stiftungen in Halle, wo er sehr im Sinne des Pietismus ausgebildet wurde. Gerade August Hermann Francke selbst hatte großen Einfluss auf ihn. Die kürzlich gegründeten Missionsgesellschaften Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts (SPG, gegründet 1701) und die Dänisch-Halleschen Mission (gegründet 1706) bestärkten ihn, dass er eigentlich Missionar werden wollte, und er gründete etwa 1715 mit Friedrich von Wattenwyl den Senfkorn-Orden (Sammlung von Liebhabern Jesu).[5]
Aus familiären Gründen – seine Vorfahren waren Militärführer und Regierungsbeamte gewesen – studierte Zinzendorf von 1716 bis 1719 an der Universität Wittenberg Rechtswissenschaft. Von 1719 bis 1720 unternahm er eine Kavalierstour in die Niederlande und nach Frankreich. Dort gewann er die Freundschaft von Menschen anderer Konfession, darunter Kardinal Louis-Antoine de Noailles, mit dem er in brieflichem Kontakt blieb,[1] und erlebte die Möglichkeit einer die Konfessionen übergreifenden Einheit unter Christen. Von 1721 bis 1732 war er Hof- und Justizrat in Diensten Augusts des Starken in Dresden. Im September 1730 kam Graf Zinzendorf nach Berleburg und gründete dort eine philadelphische Versammlung in Form der Herrnhutischen Bewegung. Diese Gruppe konnte sich allerdings nur kurz behaupten.[6][7]
Nach der Aufnahme von Glaubensflüchtlingen aus Mähren, Nachkommen der alten Böhmischen Brüder, konnte am 17. Juni 1722 die Brüder-Unität erneuert werden.[8] Diese Gemeinschaft gründete außerhalb von Berthelsdorf, das unterhalb des Hutberges gelegen ist, die Siedlung Herrnhut. Daraufhin fällte der Zimmermann Christian David einen ersten Baum, und die Gemeinschaft errichtete damit unter seiner Führung das erste Haus der Siedlung. Zinzendorf ließ dort 1725 bis 1727 ein auch als Herrschaftshaus bezeichnetes Schloss errichten, das er bezog, sowie 1730 bis 1746 den Vogtshof, der ab 1756 als Sitz der Schirmvogtei (des Direktoriums) der Brüder-Unität diente.
Aus der Gemeinde der Böhmischen Brüder in Herrnhut, die 1727 auf etwa 300 Personen angewachsen war, erwuchs die kirchlich eigenständige Brüdergemeine. Sie zog weitere Pietisten, Separatisten und Schwenkfeldianer an.[9] Am 13. August 1727 kam es im Rahmen einer Abendmahlsfeier in der lutherischen Kirche in Berthelsdorf[10] zur Gründung der Herrnhuter Brüdergemeine durch einen Buß- und Versöhnungsakt des Pfarrers Johann Andreas Rothe, Zinzendorfs und der ganzen Gemeinde. Zinzendorf erarbeitete danach eine Gemeindeordnung für die Brüdergemeine. Die Wochentage begannen mit einer Morgenandacht und endeten mit einer Singstunde, am Sonntag gab es den Gemeindegottesdienst. Zudem wurden neue liturgische Formen wie Liebesmahle, Fußwaschungen, Stundengebete und Nachtwachen eingeführt. Frauen erhielten wichtige Aufgaben und Stellungen als Lehrerinnen und Aufseherinnen von ihm zugeteilt. Von 1731 an wurden auch die sogenannten Herrnhuter Losungen herausgegeben – durch Losverfahren ermittelte Bibelverse als Leitgedanken für jeden Tag, die erstmals am 4. Mai 1728 gezogen wurden. Die Losungen werden bis zur Gegenwart jährlich neu – in viele Sprachen übersetzt – herausgegeben.[11]
1731 brachte Zinzendorf einen westindischen Sklaven von Kopenhagen nach Herrnhut. Seine Berichte von St. Thomas motivierten die Gemeinde zur Missionsarbeit. So begann 1732 die Missionsarbeit der Brüdergemeine mit den Missionaren Johann Leonhard Dober und David Nitschmann. Sie reisten nach St. Thomas und waren bereit, selber Sklaven zu werden. 1735 begann die Missionsarbeit in Nordamerika unter Indianern in Georgia und im südamerikanischen Suriname; 1737 unter den Khoikhoi in Südafrika sowie an der Goldküste; 1754 in Jamaika. In seinen Missionsinstruktionen für die Herrnhuter gab er dem persönlichen Gespräch mit Nichtchristen den Vorzug gegenüber der öffentlichen Verkündigung des Evangeliums.[12]
1732 wurde Zinzendorf erstmals aus Sachsen verbannt, weil er dem Kaiser seine Untertanen aus Böhmen entfremdet und ihnen zur Flucht verholfen habe. 1733 besuchte er deswegen Württemberg, er begegnete Friedrich Christoph Oetinger und Johann Albrecht Bengel auf der Suche nach einem neuen Zuhause für seine Gemeinschaft. 1734 wurde Zinzendorf als lutherischer Theologe ordiniert. Die Rechtgläubigkeitsprüfung erfolgte in Stralsund, die erste Predigt danach in der Stadtkirche St. Marien und die Ernennung zum Kandidaten und freien Prediger in Tübingen.[13] 1736 kam es zur erneuten Verbannung Zinzendorfs aus Sachsen (und ein weiteres Mal 1738), da seine Brüdergemeine der lutherischen Orthodoxie zu selbständig geworden war und als Bedrohung der einheitlichen Landeskirche angesehen wurde. Er ging in die südliche Wetterau und gründete dort die Gemeinden Marienborn in der Grafschaft Ysenburg-Büdingen-Meerholz, auf der Burg Ronneburg[14] (beide 1736) und den Herrnhaag (1738). 1737 wurde er durch den reformierten Hofprediger Daniel Ernst Jablonski in Berlin, der zugleich Bischof der polnischen Brüder-Unität war, zum Brüderbischof ordiniert. Die polnische Unität war durch Sukzession mit der alten böhmisch-mährischen verbunden, deren eigene Bischofssukzession über Johann Amos Comenius hinaus nicht fortgesetzt werden konnte.
Zinzendorf war beeindruckt vom Eifer und der Tüchtigkeit des späteren Adoptivsohns von Friedrich von Wattenwyl, Johannes von Watteville, und er setzte ihn ab 1741 als Gehilfe, persönlicher Sekretär und Vertreter bei seinen Abwesenheiten in Herrnhut ein.[15] In den folgenden Jahren lebte Zinzendorf in den hessischen Brüdergemeinen und unternahm vor allem Reisen als Prediger in das russische Ostseegouvernement Livland und nach England, Nordamerika, auf die Westindischen Inseln und Saint Thomas. Im Jahre 1747 wurde ihm die Rückkehr nach Sachsen gestattet, und 1749 erreichte er für die Herrnhuter Brüdergemeine die Freiheit der Verkündigung und die Tolerierung der Gemeinde als eine der sächsischen Landeskirche verbundene Gemeinschaft. Von 1750 an lebte Zinzendorf meistens in London. Im August 1751 hielt er sich für eine Woche bei Friedrich von Wattenwyl in Montmirail auf.[16] Ab 1755 lebte er in Berthelsdorf.
Von London aus sandte Zinzendorf erregte Strafbriefe nach Herrnhaag, in „denen er drohte, zwanzig bis dreißig Menschen bis aufs Blut peitschen zu lassen“,[17][18] und berief seinen Sohn Renatus von Zinzendorf nach England. Zinzendorf war über die Entwicklungen in Herrnhaag zutiefst erbost und ermahnte seinen Sohn umzukehren.
Zinzendorf war immer umstritten, besonders in den letzten 20 Jahren seines Lebens. Es begleiteten ihn eine große Menge Streitschriften, die ihm Häresie, Oberflächlichkeit, Falschheit, Tyrannei, Unanständigkeit und Geldgier vorwarfen.[19][20][21] Während des Höhepunkts des Schriftenkrieges griff Zinzendorf 1749 selbst seine Gegner an, durch die in Form einer Erklärung der Gemeinde anonyme Schrift Der Evangelisch-Mährischen Kirchen-Diener Abgenöthigte Gewissens-Rüge.[22] Als allgemeine apologetische Biographie entstand später aus dem Gemeinde-Vorstand Spangenbergs Leben des Herrn Nicolaus Ludwig Zinzendorf, Barby 1772–1775.[23]
Nach Zinzendorfs Tod übernahm die Brüdergemeine 1764 Schloss und Gut Herrnhut, nachdem einige ihrer Mitglieder bereits 1737 nach Böhmisch-Rixdorf im heutigen Berliner Bezirk Neukölln umgesiedelt waren.
Ahnentafel Nikolaus Ludwig von Zinzendorfs[24] | ||||||||
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Ururgroßeltern | Johann Joachim von Zinzendorf (1570–1626) ⚭ 1595 Marie Judith von Liechtenstein (1575–1621) |
Christoph Wilhelm von Zelking († 1631) ⚭ 1596 Esther von Hardegg auf Glatz und im Marchlande († 1614) |
Bartholomäus von Dietrichstein (1579–1635) ⚭ Elisabeth von Fränking († 1635) |
Franz Khevenhüller zu Aichelberg (1562–1607) ⚭ 1590 Crescentia von Stubenberg (* 1575) |
Friedrich von Gersdorff († 1606) ⚭ 1603 Margarethe von Metzradt |
Melchior von Loeben († 1636) ⚭ Martha von Kosel (1579–1637) |
Heinrich von Friesen (1578–1659) ⚭ 1601 Katharina von Einsiedel (1585–1667) |
Otto von Raben (1607–1631) ⚭ Eva von Wackerbarth (1608–1632) |
Urgroßeltern | Otto Heinrich von Zinzendorf (1605–1655) ⚭ 1628 Anna Apollonia von Zelking (1603–1646) |
Christian von Dietrichstein (1610–1681) ⚭ 1636 Maria Elisabeth Khevenhüller zu Aichelberg (1608–1676) |
Nicolaus von Gersdorff († 1631) ⚭ Anna Maria von Loeben (1595–1654) |
Carl von Friesen (1619–1686) ⚭ 1645 Justine Sophie von Raben (1619–1691) | ||||
Großeltern | Maximilian Erasmus von Zinzendorf (1633–1672) ⚭ 1659 Anna Amalia von Dietrichstein (1638–1696) |
Nicolaus von Gersdorff (1629–1702) ⚭ 1672 Henriette Katharina von Friesen (1648–1726) | ||||||
Eltern | Georg Ludwig von Zinzendorf (1662–1700) ⚭ 1699 Charlotte Justine von Gersdorff (1675–1763) | |||||||
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf |
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf heiratete am 7. September 1722 in Ebersdorf Erdmuthe Dorothea Gräfin Reuß zu Ebersdorf, Tochter von Heinrich X. Graf Reuß zu Ebersdorf und Erdmuthe Benigna zu Solms-Laubach. Bereits im Mai des gleichen Jahres erwarb er von seiner Großmutter das Rittergut Mittelberthelsdorf in der Oberlausitz, wo er von 1722 bis 1724 das Schloss Berthelsdorf barock umbauen ließ. 1732 überließ Zinzendorf das Schloss Berthelsdorf seiner Frau als Wohnsitz.
Mit seiner ersten Frau hatte er zwölf Kinder[25]:
Nach dem Tod seiner ersten Frau Erdmuthe Dorothea von Zinzendorf am 19. Juni 1756, zu der er nach seiner Rückkehr 1747 nur noch sehr wenig Kontakt gehabt hatte, heiratete Zinzendorf am 27. Juni 1757 in aller Stille seine enge Mitarbeiterin und Reisebegleiterin Anna Nitschmann (1715–1760).[27] Johann Leonhard Dober traute sie auf Schloss Berthelsdorf, aber seine neue Frau behielt ihren Namen und blieb im Haus der Ledigen Schwestern wohnen. Erst im November 1758 gaben sie ihre Eheschließung offiziell bekannt. Die Verliebtheit und das Verhältnis zu Anna Nitschmann hatte er vor dem Tod seiner ersten Ehefrau geheim gehalten.[18][28]
Zinzendorf hatte Einfluss auf zahlreiche Theologen und Dichter wie John Wesley, Gotthold Ephraim Lessing, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder und Friedrich Schleiermacher; im 20. Jahrhundert bezeichnete ihn Karl Barth als „erste[n] echten … Ökumeniker“.[1]
Am bekanntesten dürfte sein Tischgebet sein:
„Komm Herr Jesus, sei Du unser Gast
und segne, was Du uns bescheret hast.
Amen.“
Zinzendorf hat etwa 2000 Kirchenlieder gedichtet. Manche von ihnen werden heute noch gesungen, darunter besonders das Lied Jesu, geh voran. Dem dichterisch musikalischen Werk Zinzendorfs haben Musikproduzenten wie Jochen Rieger und Gerhard Schnitter Konzeptproduktionen gewidmet wie Jesu, geh voran, 1989 bei Gerth Medien mit dem Schulte & Gerth Studiochor, und Herz und Herz vereint zusammen, 2002 im Hänssler Verlag mit dem Solistenensemble. Auf der Website für das deutsche Volkslied findet sich eine beachtliche Auswahl seiner Liederdichtungen. Von seinen Liedern wurden etliche in verschiedene, vor allem evangelische Kirchengesangbücher aufgenommen. Erwähnenswert sind das Evangelische Kirchengesangbuch Bremen, das Gesangbuch für die evangelische Kirche im Großherzogtum Hessen (1893), das Gesangbuch für die evangelisch-reformierte Kirche der deutschen Schweiz (1915 und 1998), das Liederbuch der deutschen christlichen Mannesjugend (1923), das Liederbuch für evangelische Vereine (1930), das Evangelische Kirchengesangbuch für Württemberg (1953), das Gesangbuch für Mennoniten (1956), die Reichslieder im Gemeinschaftsliederbuch (1931, 1962 und 1965), das Evangelische Gesangbuch (1996), das Neuapostolische Gesangbuch, Jugendliederbücher, Schulliederbücher, Sonntagsschulliederbücher, Volksliederbücher u. a. m.[29]
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