Neuronales Korrelat des Bewusstseins
Gehirnaktivitäten, die mit Bewusstseinsprozessen einhergehen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Neuronale Korrelate bewussten Erlebens (englisch neural correlates of consciousness) sind Gehirnaktivitäten, die im Zusammenhang mit Bewusstseinsprozessen beobachtet werden. Die Aufklärung dieser Vorgänge durch neurowissenschaftliche Forschung hat seit ca. 1980 das Verständnis bewussten Erlebens erheblich erweitert.
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Geschichte und Übersicht
Zusammenfassung
Kontext

Bei der Suche nach neuronalen Korrelaten bewussten Erlebens handelt es sich um einen noch relativ jungen Teilbereich der Neurowissenschaften. Allerdings ist die Idee der Entsprechung von Hirnfunktionen und bewussten Prozessen deutlich älter. Franz Josef Gall versuchte schon im ausgehenden 18. Jahrhundert, kognitive Fähigkeiten mit bestimmten Bereichen des Gehirns in Beziehung zu setzen.[1] Galls Phrenologie konnte sich jedoch nicht durchsetzen, da ihr präzise Daten fehlten, die für eine erfolgreiche Beschreibung von Entsprechungen notwendig gewesen wären.
Erste empirische Fortschritte stellten sich durch die neuropsychologische Forschung des 19. Jahrhunderts ein. Paul Broca und Carl Wernicke gelang es, Hirnregionen ausfindig zu machen, die mit bestimmten kognitiven Fähigkeiten in Beziehung standen. Eine große Rolle spielte dabei die Untersuchung von Patienten mit kognitiven Ausfällen aufgrund genau lokalisierbarer Schädigungen des Gehirns. Allerdings waren auch die Methoden der Neurowissenschaft des 19. Jahrhunderts noch zu grob, um Korrelate bestimmter Bewusstseinsprozesse beschreiben zu können. Erhebliche Verbesserungen gab es erst mit der Elektroenzephalografie (EEG) und später den bildgebenden Verfahren. Mit diesen Methoden wurde es möglich, neuronale Aktivität in bestimmten Gehirnregionen aufzuzeichnen. Ein Verfahren, das es erlaubt, Prozesse in ausgewählten Gehirnregionen nichtinvasiv vorübergehend zu verändern, bietet die Transkranielle Magnetstimulation (TMS).
Methoden und Forschungsergebnisse
Zusammenfassung
Kontext
Bewusste und unbewusste Verarbeitungen
Ein wichtiger Gesichtspunkt ist die Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten Verarbeitungen. Kognitionspsychologische Standardtechniken wie das Priming zeigen, dass Wahrnehmung und Gedächtnis in Teilen unbewusst bleiben. Dies hat offensichtliche Konsequenzen für die Neurowissenschaft: Wird einer Person etwa ein Objekt visuell präsentiert, so verarbeitet das Gehirn zahlreiche Informationen über dieses Objekt, doch nur ein Teil dieser Informationen wird der Person bewusst. Für die Suche nach neuronalen Korrelaten bewussten Erlebens ergibt sich somit die Herausforderung, diejenigen neuronalen Verarbeitungsprozesse, die mit bewussten Vorgängen verknüpft sind, von denen zu trennen, die unbewusst ablaufen.
Binokulare Rivalität
Eine klassische Methode bei der Suche nach neuronalen Korrelaten bewussten Erlebens basiert auf dem Phänomen der binokularen Rivalität.[2] Das ist der spontane Wechsel des bewusst wahrgenommenen Gegenstands, wenn man den beiden Augen zwei unterschiedliche Bilder präsentiert, die nicht in ein einheitliches Bild integriert werden können. Ein Beispiel: Man kann dem linken Auge etwa einen roten, vertikalen Balken präsentieren und dem rechten Auge einen grünen, horizontalen Balken. Damit konfrontiert, nimmt die Versuchsperson in abwechselnder Folge einen roten oder einen grünen Balken wahr, nie jedoch beide Bilder zugleich. Zudem kann die Person die bei ihr auftretenden inneren Bildwechsel nicht willentlich kontrollieren.
Bei der Suche nach neuronalen Korrelaten bewussten Erlebens kann man sich dieses Phänomen zunutze machen, indem man untersucht, welche Änderungen des neuronalen Geschehens im Moment des Umschlags des Wahrnehmungsbildes stattfinden. Wichtige Experimente zu diesem Thema wurden insbesondere von Nikos Logothetis durchgeführt.[3] Die Ergebnisse zeigten, dass viele Elemente der neuronalen Verarbeitung während des Wahrnehmungsumschwungs unverändert blieben. Nicht nur, dass die Stimulation der Retina bei den verschiedenen Wahrnehmungszuständen gleich blieb, sogar in weiten Teilen des visuellen Cortex zeigte sich während des Wahrnehmungsumschwungs keine Veränderung. Vielmehr schienen dort noch die Informationen über die beiden präsentierten Bilder vorhanden zu sein. Anders sah es allerdings in Teilen des Temporallappens aus, wo ein Wechsel in der neuronalen Aktivität tatsächlich mit dem Wechsel des subjektiv wahrgenommenen Bildes korrelierte.
Theorien
Zusammenfassung
Kontext
Bindungsproblem
Eine einflussreiche Theorie wird etwa von Francis Crick und Christof Koch vertreten und basiert auf Ideen, die im Kontext des Bindungsproblems formuliert worden sind. Das Bindungsproblem entsteht durch die Frage, wie es dem Gehirn gelingt, vielfältige sensorische Informationen zu einheitlichen Wahrnehmungen zu verbinden. Experimente und theoretische Überlegungen führten zu der Erkenntnis, dass das Gehirn auf Informationen in Form verteilter Repräsentationen zugreifen muss. Zwar mag es zunächst plausibel klingen, dass das Gehirn ein Objekt mittels eines spezifischen Neurons repräsentiert: Wäre ein solches „Großmutterneuron“ aktiv, so wäre das entsprechende Objekt (etwa die Großmutter) vom Gehirn repräsentiert – ansonsten nicht. Eine derartige Form der Repräsentation kann jedoch nicht durchgängig realisiert sein. Die Menge möglicher Kombinationen von Merkmalen führt dazu, dass Menschen nahezu unbegrenzt viele verschiedene Objekte wahrnehmen können. Bei einer derartigen kombinatorischen Explosion kann nicht für jedes Objekt ein spezielles Neuron bereitgehalten werden.
Durch verteilte Repräsentationen würde das Gehirn selbst eine kombinatorische Explosion erzeugen. Verschiedene Neuronen würden nicht mehr Objekte, sondern Merkmale repräsentieren. Diese Merkmale könnten miteinander kombiniert und so ein etwa visuell wahrgenommenes Objekt repräsentiert werden. Nun stellt sich allerdings die Frage, wie das Gehirn registriert, welche Merkmale in einem Objekt miteinander verknüpft sind. Besonders drängend ist dieses Problem, wenn – wie im Alltag üblich – mehrere Objekte zugleich wahrgenommen werden. Man nehme an, dass das Gehirn die unterschiedlichen Merkmale der verschiedenen Objekte durch verteilte Repräsentationen speichert. Wie kommt es nun zu einer korrekten Verknüpfung der Merkmale und zu einer einheitlichen Wahrnehmung? Diese Frage bezeichnet man als „Bindungsproblem“. Der Neuroinformatiker Christoph von der Malsburg entwickelte Anfang der 1980er Jahre einen Lösungsvorschlag für das Bindungsproblem: Das Gehirn könne die Merkmale verknüpfen, indem die repräsentierenden Neuronen durch synchrones Feuern einen vorübergehenden Verbund bildeten.[4] Diese Hypothese erregte einige Jahre später internationale Aufmerksamkeit, nachdem die Forschergruppe um Wolf Singer sie experimentell hatte stützen können.[5]
Da mit dem Phänomen des synchronen Feuerns das Entstehen einheitlicher Wahrnehmung erklärt werden sollte, lag es nahe, es auch für bewusstes Erleben in Betracht zu ziehen.[6] Die Annahme konnte auch experimentell bestätigt werden.[7]
Neuroanatomische Theorien

Eine wichtige Region ist der Thalamus, eine Teilstruktur des Zwischenhirns. Schon Wilder Penfield erklärte 1937: „Alle Teile des Gehirns können in den normalen bewussten Prozess eingebunden sein, doch das unerlässliche Substrat des Bewusstseins liegt vermutlich außerhalb der Großhirnrinde – im Zwischenhirn.“[8] Auch wenn viele Elemente von Penfields Bewusstseinstheorie heute als veraltet gelten, spielt das Zwischenhirn – und im Besonderen der Thalamus – weiterhin eine große Rolle bei der Suche nach neuronalen Korrelaten bewussten Erlebens. Joseph Bogen etwa schlug vor, dass Bewusstsein mit Aktivität in und um die unspezifischen Thalamuskerne korreliert sei.[9] Auch Gerald Edelman und Giulio Tononi betonen in ihrer Theorie die Rolle des Thalamus.[10] Allerdings ist nach ihrer Ansicht spezifische Aktivität im Thalamus alleine nicht hinreichend für bewusstes Erleben. Es habe vielmehr zwei zentrale Eigenschaften: 1) Die verschiedenen Merkmale des Erlebten werden als Einheit aufgefasst. Die Eigenschaft des Bewussten des Erlebten lässt sich nicht in Teilkomponenten aufspalten. 2) Bewusstes Erleben ist in dem Sinne differenziert, dass es möglich ist, extrem viele, sehr verschiedene Elemente in einem kurzen Zeitraum zu erleben. Nach Edelman und Tononi muss eine adäquate neurowissenschaftliche Theorie diese Eigenschaften berücksichtigen. Es sollten neurophysiologische Prozesse ausfindig gemacht werden, die sich sowohl durch vereinheitlichende Integration als auch durch Differenziertheit auszeichnen. Edelman und Tononi gehen daher von rekursiven neuronalen Prozessen aus, deren Aktivierung durch Schleifenbahnen („reentrant loops“) läuft. Der Thalamus spielt bei diesen Schleifen eine zentrale Rolle. Die Autoren vertreten dabei einen eher holistischen Ansatz. Sie erwarten demnach, dass sich keine eng umgrenzten Neuronenverbände finden lassen, die als neuronales Korrelat bewussten Erlebens gelten können. Vielmehr komme es immer auf eine sehr umfassende Aktivität in weiten Teilen des Gehirns an.

Erfolge bei der Suche nach neuronalen Korrelaten ergeben sich insbesondere wegen der modularen Arbeitsweise des Gehirns: Es lassen sich Regionen im Gehirn ausmachen, die selektiv bei bestimmten bewussten Erlebnissen aktiv werden. Beispiele sind die Fusiform Face Area, die bei Gesichtswahrnehmungen aktiv wird,[11] und die Parahippocampal Place Area, die auf Häuser und visuelle Szenen anspricht.[12] Noch genauere Kenntnisse über den aktuellen Wahrnehmungszustand kann man durch Messung der Aktivität einzelner Neuronen erreichen. So wurden Neuronen im medialen Teil des Temporallappens gefunden, die selektiv auf Bilder vom Gesicht einer bestimmten prominenten Person ansprachen.[13]
Unterbrechung bewussten Erlebens in Narkose und Schlaf
Zusammenfassung
Kontext
Das Verschwinden und die Wiederkehr bewussten Erlebens während des Schlafs und der Narkose bieten tiefe Einsichten in die neurophysiologischen Bedingungen bewusster Zustände.[14] Dabei zeigte sich, dass es nicht einige wenige, sondern eine Vielzahl von Stellen im Gehirn gibt, die bei einer Narkose an der Auslösung von Bewusstlosigkeit beteiligt sein können. Der Prozess ist abhängig vom Narkosemittel, seiner Dosierung, vom Alter und vom Zustand des Patienten.
Nur ein kleiner Teil der Gehirnregionen, die durch Narkosen beeinflusst werden, sind auch an Schlaf und Aufwachen beteiligt. Die Wirkung der Narkosemittel erfolgt zwar primär biochemisch an den Membranen der Nervenzellen, im Endeffekt ist sie jedoch elektrophysiologisch durch eine massive Änderung der EEG-Wellen. Hierdurch werden die natürlichen oszillatorischen Verbindungen (Konnektivität) im Gehirn an entscheidenden Stellen unterbrochen, mit der Folge des Zusammenbruchs der Integration von Information, die für bewusstes Erleben notwendig ist.

Ein viel zitiertes Beispiel für die Wirkungsweise von Narkosemitteln ist Propofol. Es verstärkt die Hemmung von Nervensignalen an GABAA-Rezeptoren. Dadurch entsteht eine Verschiebung der Stärke der EEG-Alphawellen vom hinteren zum vorderen Cortex.[15][14] Außerdem ist der Übergang zum Bewusstseinsverlust begleitet von einer funktionellen Fragmentierung von Gehirnprozessen.[16][17][18] Aufgrund dieser Zusammenhänge wurde bereits 2011 in einer einflussreichen Übersichtsarbeit die Auffassung vertreten, dass der Status der Narkose weniger geheimnisvoll sei als allgemein geglaubt werde.[19]
Siehe auch
- Für umfassende Informationen und Links auf themennahe Artikel, siehe: Portal:Geist und Gehirn.
- Für die interdisziplinäre Forschung zum Thema „Bewusstsein“ siehe: Kognitionswissenschaft
- Für die moralphilosophischen Probleme der Bewusstseinsforschung, siehe: Neuroethik
- Zur Empfindung einer bewussten Entscheidung nach unbewusster Vorarbeit des Gehirns: William Grey Walter; Bereitschaftspotential; Libet-Experiment; Experimente zur Willensfreiheit
Literatur
- Thomas Metzinger: Neural Correlates of Consciousness: Empirical and Conceptual Questions, MIT Press, Cambridge, Mass, 2000, ISBN 0-262-13370-9.
- Bernard Baars, William Banks, James Newman: Essential sources in the scientific study of consciousness, MIT Press, Cambridge, Mass, 2003, ISBN 0-262-52302-7.
- Steven Laureys, Giulio Tononi (Hrsg.): The Neurology of Consciousness. Cognitive Neuroscience and Neuropathology, Academic Press, 2009, ISBN 9780080921020.
- Frith, Christopher D.: Wie unser Gehirn die Welt erschafft, Springer Spektrum, Berlin Heidelberg 2010, ISBN 978-3-642-41038-3.
- C. Koch, M. Massimini, M. Boly, G. Tononi: Neural correlates of consciousness: progress and problems. In: Nature reviews. Neuroscience. Band 17, Nummer 5, Mai 2016, S. 307–321, doi:10.1038/nrn.2016.22, PMID 27094080 (Review), PDF.
- Morten Overgaard, Jesper Mogensen, Asger Kirkeby-Hinrup (Hrsg.): Beyond Neural Correlates of Consciousness, Routledge, 2020, ISBN 9781351793490.
- C. D. Frith: The neural basis of consciousness. In: Psychological medicine. Band 51, Nummer 4, März 2021, S. 550–562, doi:10.1017/S0033291719002204, PMID 31481140 (Review), PDF.
Weblinks
- Wayne Wu: The Neuroscience of Consciousness. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Bibliographie zu neuronalen Korrelaten, zusammengestellt von David Chalmers
- Neural correlates of consciousness auf Scholarpedia (englisch)
Anmerkungen
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