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deutscher Arzt, Naturforscher und Zoologe (1780-1857) Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Martin Hinrich Carl Lichtenstein, selten auch Heinrich oder Karl (* 10. Januar 1780 in Hamburg; † in der Nacht vom 2. September auf den 3. September[1] 1857 auf See zwischen Korsör und Kiel, beerdigt in Kiel) war ein deutscher Mediziner, Zoologe und Forschungsreisender in Südafrika. Er war erster Professor für Zoologie an der Universität Berlin, Gründer des Berliner Zoologischen Gartens und gilt mit 44 Jahren Amtszeit als eigentlicher Gründer des Berliner Museums für Naturkunde. Er war außerdem Briefpartner und Freund Adelbert von Chamissos, Carl Maria von Webers und Alexander von Humboldts und bestimmte das wissenschaftliche und kulturelle Leben Berlins in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgeblich mit.
Lichtenstein war vielseitig und hatte zahlreiche Funktionen inne. Er war:[2]
Martin Hinrich Lichtenstein wurde als Sohn des Zoologen und Bibliothekars Anton August Heinrich Lichtenstein in Hamburg geboren. Die von ihm bevorzugt verwendete Namensform „Hinrich“ sollte auf seine hanseatische Herkunft verweisen. Vorfahren waren im 17. Jahrhundert zum Protestantismus übergetretene Juden. Lichtenstein ging im Hamburger Johanneum zur Schule, wo der Vater Lehrer und Rektor war und Karl August Varnhagen von Ense sein Kommilitone, studierte ab 1799 in Jena und Helmstedt Medizin und promovierte am 26. April 1802 zum Dr. med. Die folgende Monate verbrachte Lichtenstein in Braunschweig, um sich auf Südafrika vorzubereiten. Unterstützt wurde er dabei vom Entomologen Johann Christian Ludwig Hellwig, dessen Schüler, dem Zoologen Johann Karl Wilhelm Illiger, und dem Botaniker Johann Centurius von Hoffmannsegg, alle am dortigen Collegium Carolinum tätig.
Von Ende 1802 bis Anfang 1806, über drei Jahre, erforschte Lichtenstein Südafrika, anfangs als Arzt und als Hauslehrer des Sohnes des Gouverneurs der Kapkolonie Jan Willem Janssens. Insgesamt unternahm er fünf größere Reisen weit über die Grenzen der damaligen niederländischen Kapkolonie hinaus. Mit der britischen Invasion Anfang 1806 endete sein Aufenthalt. Auf der Hin- bzw. Rückfahrt besuchte er auch Teneriffa bzw. St. Helena. Sein zweibändiges, unvollendetes Werk Reisen durch das südliche Africa 1811/1812 beschrieb erstmals wissenschaftlich in deutscher Sprache Südafrika, seine Natur und Völkerschaften, wurde ein Publikumserfolg und machte Lichtenstein berühmt.[3] Für Alexander von Humboldt und Goethe (denn er 1808 in Weimar besuchte) wurde er damit Auskunftsgeber zu Südafrika, er selbst verdiente daran die große Summe von 5.000 Talern.
Lichtenstein wurde auf Vorschlag von Johann Gottlieb Fichte 1811 der erste Professor auf dem neu errichteten Lehrstuhl für Zoologie an der Universität zu Berlin, zu deren Rektor er in den Jahren 1820/21, 1826/27 und 1840/41 ernannt wurde. In seinen Vorlesungen bildete er mehrere Generationen von Naturwissenschaftlern heran, darunter Ernst Haeckel. Zu seinen Hörern gehörten aber auch Felix Mendelssohn Bartholdy und Arthur Schopenhauer.
1813 wurde Lichtenstein nach dem vorzeitigen Tuberkulosetod des erst 37-jährigen Karl Illiger zum eigentlichen Gründer des Zoologischen Museums in Berlin, den Vorgänger des heutigen Museum für Naturkunde. 44 Jahre lang leitete er das Museum, das sich damals noch im Prinz-Heinrich-Bau unter den Linden (heutige Humboldt-Universität) befand und wo Lichtenstein mit seiner Familie „unter seinen ausgestopften Löwen und Tigern“[4] auch lebte. In den fast 50 Jahren seiner Leitung wurde das Museum zu einer der bedeutendsten naturkundlichen Sammlungen der Welt; besonders die Vogelsammlung war berühmt.[5]
Gemeinsam mit Alexander von Humboldt organisierte Lichtenstein im September 1828 die 7. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Berlin mit ca. 400 Teilnehmern aus ganz Europa, zu der Humboldt am 18. September auch die Eröffnungsrede hielt. Felix Mendelssohn Bartholdy komponierte dafür eigens eine „Natur-Kantate“.[6]
Lichtenstein war auch Initiator und erster Direktor des Zoologischen Garten Berlins[7] und überredete 1841 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, nicht nur ein Darlehen, sondern auch einen Teil des Geländes seiner Fasanerie am Berliner Tiergarten für die Errichtung des Zoos unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Dazu verfasste Lichtenstein bereits 1840 ein Memorandum an den König (der Text ist seit 1877 verloren), Alexander von Humboldt legte es König Friedrich Wilhelm IV. vor, der mit einer daraufhin erlassenen „Allerhöchsten Kabinettsordre vom 31. Januar 1841“ die Gründung des Zoologischen Gartens genehmigte.
Lichtenstein unterhielt über Jahrzehnte hinweg ein Netzwerk von Sammlern und Wissenschaftlern, um die zoologischen Sammlungen zu vermehren. Seine Forschungsschwerpunkte waren Säugetiere und Vögel, er unterhielt ausgedehnte Beziehungen mit renommierten Ornithologen wie mit dem „Vogelpastor“ Christian Ludwig Brehm in Renthendorf, mit Johann Friedrich Naumann in Ziebigk, dem „Vater der deutschen Ornithologie“, und mit Coenraad Jacob Temminck in Leiden. Er unterstützte organisatorisch und finanziell zahlreiche Wissenschaftler bei Forschungs- und Sammelreisen und sicherte deren Sammlungen für Berlin. Zahlreiche Doubletten, oder was er dafür hielt, verkaufte er wieder, was auch dem niedrigen Budget der preußischen Museen geschuldet war, ihm aber bereits zu Lebzeiten und später Kritik einbrachte, etwa von Temminck oder Erwin Stresemann. Insbesondere förderte Lichtenstein:
Lichtenstein war von 1813 bis 1857 Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften sowie 1818–1857 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Seit 1811 war er auch Mitglied der renommierten Gesetzlosen Gesellschaft zu Berlin. 1816 trat er dem Montagsklub in Berlin bei und war dort seit 1851 bis zu seinem Tode der 10. Senior.[8]
Lichtenstein unternahm zur Vermehrung der Sammlungen zahlreiche Reisen durch ganz Europa, weswegen ihn Goethe im Tagebuch „Lichtenstein der Reisende“[9] nannte. Lichtenstein starb auch auf einer Reise, die er gemeinsam mit seiner Frau Victoire unternommen hatte: auf der Rückreise von Schweden erlitt er unerwartet in der Nacht vom 2. auf den 3. September 1857 an Bord eines Schiffes einen tödlichen Schlaganfall. Er wurde am 5.9. in Kiel bestattet. „Lichtensteins Tod hat mich überrascht und betrübt“, schrieb Humboldt an Eduard Buschmann. Christian Ludwig Brehm hielt einige Monate später lakonisch fest: „Die ganze alte Garde der Ornithologen, mich, den unglücklichsten unter ihnen, ausgenommen, hat die Sichel des Todes gemäht.“[10]
Lichtenstein war musikalisch sehr begabt. „In seiner frühesten Jugend erhielt er Musikunterricht von Carl Philipp Emanuel Bach, der den Knaben auf den Schooß nahm, weil dieser zu klein war, bequem die Tasten zu erreichen.“[11] Er sang Bass, als Mitglied der Sing-Akademie zu Berlin wirkte er als Stimmvorsteher und damit Mitglied des Vorstandes unter den Direktoren Carl Friedrich Zelter und Carl Friedrich Rungenhagen. Am 28. April 1812 wurde er in die auf 24 Männer begrenzte Zeltersche Liedertafel aufgenommen, die aus den Reihen der Sing-Akademie gebildet wurde.[12] Dort übte Lichtenstein von 1813 bis 1818 das Amt des Tafelmeisters aus. Zum 50. Jahrestag der Gründung der Sing-Akademie zu Berlin verfasste er 1841 eine umfassende Festschrift.
Er war enger Freund von Carl Maria von Weber. Für die Uraufführung des Freischütz 1821 vermittelte er für die Wolfschluchtszene einen ausgestopften und präparierten Adler. Nach dessen Tod vermittelte er 1826 zusammen mit dem Bankier Wilhelm Beer für die Witwe Caroline von Weber den Verkauf der Partitur des Oberon an den Berliner Musikverleger Adolf Martin Schlesinger. Als Vormund zusammen mit Carl Theodor Winkler beteiligte er sich an der Erziehung von Webers verwaisten Söhnen Max Maria und Alexander.[13][14]
Im Jahr 1838 wurde er vom Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten zum Vorsitzenden des neu gegründeten Musikalischen Sachverständigenvereins berufen. Dieses Gremium hatte eine gutachterliche Funktion und wurde auf Verlangen der Preußischen Gerichte tätig. Insbesondere sollten die Sachverständigen entscheiden, ob eine Komposition, die sich an ein bereits veröffentlichtes Werk anlehnt, als eine „eigentümliche“ Komposition erlaubt oder als Nachdruck verboten sein sollte.[15]
Lichtenstein heiratete am 1. Juni 1815 Victoire Hotho (1795–1866). Sie hatten vier gemeinsame Kinder, drei Söhne und eine Tochter, Marie Lichtenstein, verh. Hoffmeister. Diese war klavierbegabt, ein Patenkind von Carl Maria von Weber und Klavierlehrerin von Ernst Rudorff. Lichtensteins Witwe Victoire starb am 7. Oktober 1866 in Königsberg an Cholera.
Aufgrund seiner Verdienste wurde Lichtenstein zum Dr. phil. h.c. sowie 1829 zum „Geheimen Medizinalrat“ ernannt. Zu seinem 50-jährigen Doktorjubiläum wurde 1852 in der Zoologischen Sammlung eine Lichtenstein-Büste von Albert Wolff, einem Schüler Christian Daniel Rauchs aufgestellt. Alexander von Humboldt hielt die ehrende Rede, die auch gedruckt wurde,[16] Lichtenstein selbst war „aus Bescheidenheit“ nicht anwesend, sondern auf Reisen. Die Büste schmückt heute den zentralen Sauriersaal des Museums für Naturkunde.
Lichtenstein zu Ehren wurden u. a. 1825 von Temminck das Wellenflughuhn (Pterocles lichtensteinii) und 1849 von Wilhelm Peters die südafrikanische Lichtenstein-Antilope (Alcelaphus lichtensteinii) benannt.[17] Chamisso und Diederich Franz Leonhard von Schlechtendal widmeten ihm 1826 die Doldenblütlergattung Lichtensteinia aus Südafrika. 1867 wurde die zum Zoologischen Garten führende Lichtensteinallee[18] (danach auch die Lichtensteinbrücke) in Berlin-Tiergarten nach ihm benannt. Die Unterart eines von Lichtenstein 1823 beschriebenen Zwergaras (Diopsittaca nobilis cumanensis) aus Amazonien trägt heute ebenfalls den Namen „Lichtensteins Zwergara“.
Der gläubige Protestant und politisch konservative Lichtenstein wusste um seine jüdischen Vorfahren, betrieb Ahnenforschung und begann seine Familienstammtafel im Jahr 1835 mit „Arnold, Sohn eines getauften jüdischen Rabbi“, gestorben 1690.[19] In der Zeit des Nationalsozialismus führte das 1939 zu einer Anfrage des Museums für Naturkunde an die Hansestadt Hamburg über die „Deutschblütigkeit“ Lichtensteins. Das Antwortschreiben der hamburgischen Gemeindeverwaltung vom 23.6.1939 konstantierte zwar, dass sein Urururgroßvater Jude gewesen sei, er selbst aufgrund der seither stattgehabten Vermischung „nach den Nürnberger Gesetzen als deutschblütig“ zu gelten habe. Eine Beseitigung der Lichtensteinbüste oder Umbenennungen entfielen damit.[20]
„Will man glücklich sein, so muß man das Leben mit Allem was drin ist wie Naturerscheinungen betrachten, die vorüber gehen und an deren keiner man seinen Glauben, sein Glück, seine Existenz hängen darf (...). Man kan lieben, glauben, vertrauen und Vertrauen und Liebe erwerben, doch frei bleiben, vor Allem wenn man einen solchen innersten Rückhalt hat, wie die Kunst oder die Wissenschaft.“
Lichtenstein an Carl Maria von Weber, 7.11.1812.[21]
Als Herausgeber
Von Lichtensteins umfangreicher Korrespondenz sind bisher nur drei größere Briefwechsel veröffentlicht worden, nämlich jene mit Weber, Naumann und Humboldt, die alle mehrheitlich Briefe an Lichtenstein und nur wenige von ihm enthalten:
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