Lisa Tetzner wurde 1894 als Tochter eines Arztes in Zittau geboren. Als Folge einer Erkrankung an Keuchhusten im Alter von elf Jahren erlitt sie sekundär eine Kniegelenkentzündung, die zu einer Versteifung ihres linken Knies führte. Sie konnte erst nach etlichen Jahren der Immobilität wieder frei gehen.
Mit 19 Jahren besuchte sie gegen den Willen ihres Vaters und trotz ihres labilen Gesundheitszustandes die Soziale Frauenschule in Berlin, um Polizeiassistentin zu werden. Sie belegte an der Schauspielschule Max Reinhardts Kurse in Sprecherziehung und Stimmbildung und inskribierte an der Berliner Universität bei Emil Milan, der dort Lektor für Vortragskunst war. Emil Milan wurde zu ihrem Mentor und unterstützte auch ihre Neigung zum Volksmärchen. Lisa Tetzner schloss sich der Jugendbewegung an. Den entscheidenden Anstoß für ihren weiteren Lebensweg gab 1917/18 die Begegnung mit dem Verleger Eugen Diederichs. Von ihm erhielt sie nicht nur finanzielle, sondern auch emotionale Unterstützung, sodass er und seine Frau zu regelrechten Ersatzeltern für die junge Lisa Tetzner wurden.[2] Von ihnen ermutigt begann sie, als Märchenerzählerin durch die Dörfer Mittel- und Süddeutschlands (Thüringen, Schwaben und das Rheinland) zu ziehen. Eugen Diederichs brachte auch ihr erstes Buch Vom Märchenerzählen im Volke heraus.
1919 lernte Lisa Tetzner auf einer ihrer Wanderungen in Thüringen den KPD-Politiker und Arbeiterschriftsteller Kurt Kläber kennen. 1921 wurde sie aufgrund einer rechtsseitigen Hüftgelenkentzündung wieder bettlägerig. Die Entzündung heilte zwar wieder aus, führte jedoch zu einer dauernden Versteifung. 1924 heiratete sie Kurt Kläber, der später unter dem Pseudonym Kurt Held unter anderem Die rote Zora und ihre Bande schrieb. 1927 wurde Lisa Tetzner als Leiterin der Kinderstunde an den Berliner Rundfunk berufen und war ab 1932 auch für die Kinderprogramme anderer Rundfunkstationen zuständig. Daneben gab sie umfangreiche Märchensammlungen heraus. Ab 1928 begann sie, eigene Kinderbücher zu schreiben.
1933 emigrierte sie mit ihrem Mann, der wegen seiner politischen Auffassung von den Nationalsozialisten verfolgt wurde, nach Carona (Schweiz) in die Nachbarschaft ihres Freundes Hermann Hesse, wo auch Bert Brecht zeitweise bei ihnen weilte, bevor er nach Dänemark ging. 1936 wurde nach einem Schmähartikel in der SS-Zeitung Das Schwarze Korps ihr im deutschen Herbert Stuffer Verlag bereits erschienenes Buch Was am See geschah verboten, was das Verbot all ihrer Bücher in Deutschland nach sich zog. Ab 1937 arbeitete sie als Dozentin für Sprecherziehung am Kantonalen Lehrerseminar in Basel, wo sie bis 1955 tätig war. 1938 wurde ihr die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt; 1948 erhielt sie das Schweizer Bürgerrecht.
In den 1950er Jahren war Lisa Tetzner eine Förderin der phantastischen Kinderliteratur (vor allem Astrid LindgrensPippi Langstrumpf, 1945), die in Deutschland eher zögernd angenommen wurde. 1951 nahm sie an dem internationalen Kongress „International Understanding through Children’s Books“ teil, der von der von Jella Lepman gegründeten Internationalen Jugendbibliothek organisiert wurde.[3] 1957 übersetzte sie C. S. Lewis’ erstes Narnia-Buch.
2016 wurde im schweizerischen St. Gallen eine Straße nach ihr benannt.[4]
Su – Die Geschichte der sonderbaren zwölf Nächte (1950)
Der kleine Su aus Afrika (1952)
Die schwarze Nuss (1952)
Su und Agaleia (1953)
Das Töpflein mit dem Hulle-Bulle-Bäuchlein (1953)
Wenn ich schön wäre (1956)
Das Mädchen in der Glaskutsche (1957)
Erlebnisse und Abenteuer der Kinder aus Nr. 67
Lisa Tetzners Hauptwerk ist die von 1933 bis 1949 erschienene Serie Erlebnisse und Abenteuer der Kinder aus Nr. 67. Odyssee einer Jugend, die mitunter als wichtigstes deutschsprachiges Kinderbuch des Exils gilt. In ihr wird aus kindlicher Perspektive die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland geschildert.
Manfred Brauneck (Hrsg.): Autorenlexikon deutschsprachiger Literatur des 20. Jahrhunderts. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1984, ISBN 3-499-16302-0.
Walther Killy (Hrsg.): Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Bertelsmann Lexikon Verlag, 1991.
Susanne Koppe: Kurt Kläber – Kurt Held: Bibliographie der Widersprüche? Zum 100. Geburtstag des Autors der „Roten Zora“. Sauerländer, Frankfurt 1997. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Zürich, Jena und Frankfurt 1998, ISBN 3-7941-4330-2.
Bettina Kümmerling-Meibauer: Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. Ein internationales Lexikon. J.B.Metzlar, Stuttgart/Weimar 1999.
Kristina Schulz: Die Schweiz und die literarischen Flüchtlinge (1933–1945). Akademie-Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-05-005640-1 (zugleich: Universität Bern, Habil-Schr., 2011), S. 125–141.
Kaspar H. Spinner: Lisa Tetzner und Kurt Held. Ein ungewöhnliches Schriftstellerehepaar. In: Wolfgang Wangerin (Hrsg.): Der rote Wunderschirm. Kinderbücher der Sammlung Seifert von der Frühaufklärung bis zum Nationalsozialismus. Wallstein-Verlag, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0970-8, S. 361–364.
Tetzner, Lisa. In: Werner Röder, Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,2. Saur, München 1983, S. 1159f.
Aus unserem Leben in die Freiheit. Lisa Tetzner und Kurt Kläber. Leben und Werk. Kuratiert von Wiltrud Apfeld und Cristina Rita Parau. Kulturraum die flora der Stadt Gelsenkirchen. 18. September bis 30. Oktober 2011. Wanderausstellung.[8]
Ausstellung Rote Zora und Schwarze Brüder. Kuratiert von Andrea Franzen. Schweizerisches Nationalmuseum Zürich. 10. Juni bis 12. November 2023.[9]
Lisa Gersdorf, Pauline Lörzer:"Vom Märchenerzählen im Volke". Lisa Tetzner, Thüringen und die Liebe zum Erzählen. In: Thüringische Vereinigung für Volkskunde (Hrsg.): Thüringer Volkskundliche Mitteilungen. Folge 29, Heft 1, 2022, S.3f.