Maveriviricetes ist die Bezeichnung einer 2015 vom International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) eingerichteten Familie von Virophagen, d. h. von Viren die als Satellitenviren ihren zellulären Wirt nur in einer Koinfektion mit einem Helfervirus aus dem Phylum Nucleocytoviricota (NCLDV, Riesenviren) infizieren. Die Maveriviricetes sind wie ihre Helfer dsDNA-Viren und gehören demselben Virenreich Bamfordvirae an.[2][3]
Maveriviricetes | ||||||||||
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Sputnik-Virophage | ||||||||||
Systematik | ||||||||||
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Taxonomische Merkmale | ||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||
Maveriviricetes | ||||||||||
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Virophagen sind eine Untertyp der Satellitenviren. Im Gegensatz zu den für ihre Helfer eher harmlosen klassischen Satellitenviren sind Virophagen für ihre Helferviren in der Regel sehr schädlich und führen zu Auszehrung und schließlich zum „Tod“.[4][A. 1] Da somit beide, die Wirtszelle und das Helfervirus parasitiert werden, bezeichnet man die Wirtszelle auch als zellulären, das Helfervirus als viralen Wirt.[6]
Ursprünglich (ab September 2023) waren alle vom ICTV offiziell bestätigten Virophagen in eine Familie Lavidaviridae innerhalb der Maveriviricetes-Ordnung Priklausovirales klassifiziert, wobei diese Familie die einzige (monotypisch) in der Ordnung Priklausovirales war, die ursprünglich auch die einzige Ordnung in ihrer Klasse Maveriviricetes war (diese beiden Taxa waren vom ICTV 2019 eingerichtet worden).
Mit Stand 30. April 2024 hat das ICTV diese Familie in den Rang einer (Schwester-)Ordnung Lavidavirales erhoben, zusätzlich aber eine Reihe von Virophagen in weitere neue Schwester-Ordnungen gruppiert. Daher entspricht nach dieser Virophagen-Reorganisation die Klasse Maveriviricetes vom Umfang her in etwa der früheren Familie Lavidaviridae.[7][8]
Entdeckungsgeschichte
Der erste Vertreter der Maveriviricetes (und der erste Virophage überhaupt), das Sputnik-Virus, wurde 2008 in einem Pariser Wasserkühlturm vom selben Team gefunden, das auch seinen viralen Wirt Acanthamoeba-polyphaga-Mimivirus (ApMV, offiziell Mimivirus bradfordmassiliense) korrekt als Virus beschrieb – das erste Riesenvirus überhaupt.[10] Seitdem wurden weitere Vertreter der Maveriviricetes gefunden, beispielsweise das marine Mavirus mit seinem viralen Wirt, dem Cafeteria-roenbergensis-Virus (CroV, offiziell Rheavirus sinusmexicani[A. 2]).[11] Das Genom des Mavirus ähnelt dem einiger eukaryotischer Transposons und kann in das Genom des zellulären Wirts eingefügt werden.[12][13]
Bei neueren Expeditionen in mehrere Ozeane zeigte sich, dass Virophagen der Maveriviricetes dort regelmäßig angetroffen werden, so dass diese Organismen offenbar häufiger vorkommen, als zunächst angenommen.
Es gibt inzwischen auch Vorschläge für Virophagen im Phylum Preplasmiviricota, die offenbar nicht zur Klasse Maveriviricetes gehören, wie z. B. „Preplasmiviricota sp. Gezel-14T“.
Genom
Replikationszyklus
Die Virophagen der Maveriviricetes infizieren nur Riesenviren aus dem Phylum Nucleocytoviricota (NCLDV) und sind auch selbst im Vergleich zu gewöhnlichen Satellitenviren sehr groß. Normalerweise initiieren Satellitenviren die Expression und Replikation ihres Genoms im Zellkern der Wirtszelle mit Hilfe ihrer dortigen Maschinerie und geht dann in das Zytoplasma. Dort findet es die Morphogenese-Maschinerie seines Helfervirus, mit der dieses seine Virionen (Virusteilchen) zusammenbaut (Assembly). Diese wird vom Satellitenvirus gekapert, um seine eigenen Nachkommen zu produzieren.
Bei den Virophagen der Klasse Maveriviricetes wird angenommen, dass die ihre Replikation vollständig in der Virusfabrik des viralen Wirts stattfindet und daher vom Expressions- und Replikationskomplex dieses Riesenvirus abhängt.[9] Wenn die Wirtszelle nur vom Riesenvirus infiziert wird, baut dieses eine im Zytoplasma eine Virusfabrik (VF) auf, um sich zu replizieren und neue Virionen zu erzeugen. Die Wirtszelle wird am Ende seines Replikationszyklus gewöhnlich lysiert, d. h. unter Freisetzung der Virus-Nachkommenschaft zum Platzen gebracht und so zerstört – Abbildung Teil (A), links.
Wenn die Wirtszelle mit einem Riesenvirus und einem Virophagen koinfiziert ist, parasitiert letzterer in der dieser Virusfabrik des Riesenvirus. Die Anwesenheit von Virophagen kann die Infektiosität des Riesenvirus daher ernsthaft beeinträchtigen, indem sie seine Replikationseffizienz verringert und damit indirekt das Überleben der Wirtszelle erhöht – Abbildung Teil (B), mittig.
Ein Sonderfall ist, wenn das Genom des Riesenvirus von einem Provirophagen parasitiert wird. Dies ist ein Virophage, der sich in das Genom seines Helfervirus integriert hat – man beachte, dass sowohl die Virophagen (als Mitglieder der Maveriviricetes oder zumindest des Phylums Preplasmiviricota), als auch die Helferviren (als Riesenviren Mitglieder der Nucleocytoviricota) dsDNA-Viren sind. Der Provirophage wird während der Replikation des Riesenvirus exprimiert. Der Virophage wird dann in der Virusfabrik des Riesenvirus produziert und hemmt die Replikation des Riesenvirus, wodurch wieder das Überleben der Wirtszelle erhöht wird – Abbildung Teil (C), rechts.[9]
Phylogenie
Phylogenie der Maveriviricetes (damals noch Lavidaviridae) nach Meriem Bekliz, Philippe Colson, Bernard La Scola (2016):[14]
Maveriviricetes |
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⁕ = „Lake Mendota Virophage Candidate Genus 1“[15]
Die phylogenetischen Beziehungen der obigen Vertreter und Kandidaten sind oft noch in Diskussion. Weitere Vorschläge für Systematiken finden sich beispielsweise bei:
Systematik
Systematik nach International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) (Stand 30. April 2024), ergänzt um Stämme sowie Vorschläge (in Anführungszeichen) – wo nicht anders angegeben nach der Taxonomie des National Center for Biotechnology Information (NCBI)[20] (Stand 29. September 2023):
Klasse Maveriviricetes
- Ordnung Divpevirales
- Ordnung Lavidavirales
- Ordnung Mividavirales
- Familie Sputniviroviridae
- Gattung Sputnikvirus (ehemals Virophagen-Cluster 1)[22]
- Spezies Sputnikvirus mimiviri (früher Mimivirus-dependent virus Sputnik, Sputnik-Virus)
- Spezies Sputnikvirus zamilonense (früher Mimivirus-dependent virus Zamilon, Zamilon-Virus)
- Stamm Zamilon Virophage(N) (alias Zamilon Virophage 1, Zamilon, Zamilon 1)
- Stamm Zamilon Virophage 2 (alias Zamilon 2)[14]
- Spezies „Miers Valley soil virophage“ (MVSV)[A. 6][22][28]
- Gattung Sputnikvirus (ehemals Virophagen-Cluster 1)[22]
- Familie Sputniviroviridae
- Ordnung Priklausovirales
- Familie Burtonviroviridae
- Familie Dishuiviroviridae
- Gattung Essdubovirus
- Spezies Essdubovirus chlorellae
- Stamm Chlorella virophage isolate SW01, CV-SW01(N) – Fundort Dishui Lake[31]
- Spezies Essdubovirus chlorellae
- Gattung Essdubovirus
- Familie Gulliviroviridae
- Gattung Invirovirus
- Spezies Invirovirus crochense (früher Lavidaviridae sp. isolate IMG_VR_1276)
- Stamm Lake Croche Virophage IMG_VR_1276 (LCV-IMG_VR_1276)
- Spezies Invirovirus crochense (früher Lavidaviridae sp. isolate IMG_VR_1276)
- Gattung Invirovirus
- Familie Omnilimnoviroviridae
- Kladen ohne nähere Zuordnung[18][25]
- Klade (Gattung?) „Virophagen-Cluster 2“[22]
- Spezies „Yellowstone-Lake-Virophage 1“ (engl. „Yellowstone Lake virophage 1“, YSLV1)(G)[A. 7][29][22][30][15][33][28]
- Spezies „Yellowstone-Lake-Virophage 2“ (engl. „Yellowstone Lake virophage 2“, YSLV2)(G)[A. 7][29][22][30][15][33][28]
- ?Spezies „Yellowstone-Lake-Virophage 3“ (engl. „Yellowstone Lake virophage 3“, YSLV3)(G)[A. 7][29][22][30][33][28] (siehe unten)
- Spezies „Yellowstone-Lake-Virophage 4“ (engl. „Yellowstone Lake virophage 4“, YSLV4)[A. 7][29][22][30][15][33][28][A. 9]
- Spezies „Organic-Lake-Virophage“ (engl. „Organic Lake virophage“, OLV),(N,G)[A. 10][34]
- Gattung „Lake Mendota Virophage Candidate Genus 1“[15]
- Gattung „Lake Mendota Virophage Candidate Genus 2“[15]
- Gattung „Lake Mendota Virophage Candidate Genus 3“[15]
- Klade (Gattung?) „Virophagen-Cluster 2“[22]
- Vorschläge ohne jede nähere Zuweisung[18][25]
- Spezies „Chrysochromulina parva virophage Curly“,(N) parasitiert CeV-BQ2, offiziell Tethysvirus ontarioense, Mesomimiviridae, Fundort: Ontariosee[36][37]
- Spezies „Chrysochromulina parva virophage Larry“,(N) parasitiert CeV-BQ2, offiziell Tethysvirus ontarioense, Mesomimiviridae, Fundort: Ontariosee[36][37]
- Spezies „Chrysochromulina parva virophage Moe“,(N) parasitiert CeV-BQ2, offiziell Tethysvirus ontarioense, Mesomimiviridae, Fundort: Ontariosee[36][37]
- Spezies „Dishui-Lake-Virophage 2“ (engl. „Dishui Lake virophage 2“,(N) DSLV2)[A. 11][16][35]
- Spezies „Dishui-Lake-Virophage 3“ (engl. „Dishui Lake virophage 3“,(N) DSLV3)[A. 11][16][35]
- Spezies „Dishui-Lake-Virophage 4“ (engl. „Dishui Lake virophage 4“,(N) DSLV4)[A. 11][16][35]
- Spezies „Dishui-Lake-Virophage 5“ (engl. „Dishui Lake virophage 5“,(N) DSLV5)[A. 11][16][35]
- Spezies „Dishui-Lake-Virophage 6“ (engl. „Dishui Lake virophage 6“,(N) DSLV6)[A. 11][16][35]
- Spezies „Dishui-Lake-Virophage 7“ (engl. „Dishui Lake virophage 7“,(N) DSLV7)[A. 11][16][35]
- Spezies „Dishui-Lake-Virophage 8“ (engl. „Dishui Lake virophage 8“,(N) DSLV8)[A. 11][16][35]
- Spezies „Guarani virophage“(N)[A. 13][18][25][38] (neben dem Wildtyp gibt es eine Tupanvirus-Mutante[40])[39]
- Spezies „Sissi virophage Algeria-2016“,(N)[A. 14][18]
- Spezies „Yellowstone-Lake-Virophage 6“ (engl. „Yellowstone Lake virophage 6“,(N,G) YSLV6)[A. 7][29][30]
- Spezies „Yellowstone-Lake-Virophage 7“ (engl. „Yellowstone Lake virophage 7“,(N,G) YSLV7)[A. 7][29][30]
- Spezies „Virophage Lake Mendota 2001693“[A. 12][15]
- Spezies „Virophage Lake Mendota 1002202“[A. 12][15]
- Spezies „Virophage Lake Mendota 10001349“[A. 12][15]
- Spezies „Virophage Lake Mendota 402“[A. 12][15]
- Spezies „Cryoconite virophage“(G)[41]
- TBH 10005622, TBH 10005660, TBH 10002641, TBH 10002729[A. 16][15]
- TBE 1001871, TBE 1001087, TBE 1000887, TBE 1002136[A. 16][15]
- Loki’s Castle Virophage contig 852[A. 17][19]
- Loki’s Castle Virophage contig 1368[A. 17][19]
Etymologie
- Maveriviricetes setzt sich zusammen aus Maverick eine andere Bezeichnung für Polinton, und ist gleichzeitig ein Hinweis auf die enthaltene Gattung Mavirus, die viele Merkmale mit den großen, virusähnlichen Transposons der Maverick- alias Polinton-Superfamilie gemeinsam haben; versehen mit dem Suffix Virusklassen.[43]
- Divpevirales ist ein Kofferwort aus Divergent penton proteins, versehen mit dem Suffix für Virusordnungen.[8]
- Lavidavirales ist ein Kofferwort aus englisch large virus-dependent or -associated viruses, versehen mit dem Suffix für Virusordnungen.[3][8]
- Mividavirales ist ein Kofferwort aus Mimivirus dependent or associated, versehen mit dem Suffix für Virusordnungen.[8]
- Priklausovirales kommt von litauisch priklausomas, englisch dependent, deutsch ‚abhängig‘, auch ‚süchtig‘ – eine Anspielung auf die enthaltene Familie Lavidaviridae aus von den verwandten Riesenviren abhängigen Virophagen, versehen mit dem Suffix für Virusordnungen.[43]
- Dishuiviroviridae ist benannt nach dem Dishui-See, dem Wort Virophage und dem Suffix für Virusfamilien.[8]
- Omnilimnoviroviridae setzt sich aus den Präfixen lateinisch omni (‚alles‘, ‚überall‘) und limno (Limnosphäre) zusammen, was auf eine Verbindung zu Süßwasserumgebungen hinweist.[8]
- Gulliviroviridae verweist auf Lemuel Gulliver, der Hauptfigur von „Gullivers Reisen“, da Virophagen im Vergleich zu anderen Virophagen (und erst recht gewöhnlichen Satellitenviren) als „riesig“ angesehen werden, auch wenn sie im Vergleich zu den mit ihnen weitläufig verwandten Riesenviren immer noch relativ klein sind.[8]
- Burtonviroviridae ist benannt nach Mary Burton, der Frau von Lemuel Gulliver in „Gullivers Reisen“, da diese Gruppe am engsten mit den großen Virophagen der Gulliviroviridae verwandt ist.[8]
Anmerkungen
- Aus diesem Grund werden Virophagen im Spanischen (wie Bakteriophagen) auch schonmal als virus caníbales ‚Kannibalenviren‘ bezeichnet.[5]
- CroV infiziert Cafeteria burkhardae
- Fundort von ACM: Ace Lake, Ostantarktis
- RNV parasitiert Sambavirus
- Sputnik argentum parasitiert „Mimivirus argentum“[26]
- MSV-Fundort: Miers Valley, hyperarider Wüstenboden
- YSLV1-7 parasitieren mutmaßlich das „Yellowstone Lake Giant Virus“ (YLGV, YSLGV) alias „Yellowstone Lake Phycodnavirus“ (YSLPV) oder „Yellowstone Lake Mimivirus“, Fundort: Yellowstone Lake
- Fundort von QLV ist der Qinghai-See
- OLV parasitiert „Organic Lake Phycodnavirus“ (OLPV, Mesomimiviridae), Fundort: Organic Lake
- Die DSL-Virophagen parasitieren offenbar Phycodnaviridae (Dishui Lake phycodnaviruses, DSLPVs) und Mimiviridae (sic!, Dishui Lake large alga viruses, DSLLAVs, daher ist Mimiwiridae wohl s. l. zu verstehen und es handelt sich vermutlich um Algen-infizierende Imitervirales), Fundort Dishui Lake
- Fundort der Mendota-Virophagen ist der Lake Mendota
- Fundort des Guarani-Virophagen ist der Pampulha-See, Belo Horizonte. Der Viriophage steht in keiner Beziehung zu den Subtypen Guarani P1 virus und Guarani P1 virus des Vacciniavirus (Familie Poxviridae).
- Der Sissi-Virophage parasitiert Sissivirus („Pithoviridae“), Fundort: Algerien
- Der Kryokonit-Virophage CY1_24_6609 wurde im Kryokonit von Gletschern in Grönland bei Kangerlussuaq gefunden.
- Die TBE-Virophagen (englisch TBE Virophages, mit Trout Bog epilimnion, TBE) und die TBH-Virophagen (engl. TBH Virophages, mit Trout Bog hypolimnion, TBH) sind nicht-taxonomische Klassifizierungen für Virophagen, die in den Oberflächenschichten (Epilimnion) bzw. in den Tiefen (Hypolimnion) des Moorsees Trout Bog Lake, Wisconsin, gefunden wurden (Roux et al., 2017).
- Die Sputnik-artigen Contigs der mutmaßlichen Loki’s Castle Virophages stammen aus dem Gebiet des Schwarzen Rauchers Lokis Schloss. Diese hier werden im Text ausdrücklich als (putative) virophages bezeichnet, Abkürzung *nicht* LCV, das ist Loki’s castle virus(es)
Einzelnachweise
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