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angeblicher Jesuit und protestantischer Schriftsteller Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Johann Cambilhon, auch Johannes Cambilhom (englisch John Camilton; * um 1576 vielleicht in Innsbruck; † nach 1611) war ein deutscher Jesuit aus Graz, der Protestant wurde und als Schriftsteller in Augsburg wirkte.
Johann Cambilhon wurde im 19. Jahrhundert – vermutlich weil London einer seiner Publikationsorte war – für einen Engländer gehalten,[1] bezeichnete aber selbst Deutschland als sein „Vatterland“ (patria).[2] Sein Vater soll nach zeitgenössischen Recherchen, die in Augsburg angestellt wurden, ein „nicht unbegüteter Organist“ gewesen sein, der bis 1564 In Innsbruck, danach in Graz wirkte.[3] Die Herkunft des ungewöhnlichen Zunamens „Cambilhon“ ist bisher unerklärt.[4] Ein Johannes Combilhonus (Jean Combillon) Paterniacensis (= aus Payerne im Kanton Waadt)[5] immatrikulierte sich 1597 in Basel.
Nach eigenen Angaben[6] wurde er nach dem Tod seiner katholischen Eltern dem Jesuitenorden in Prag in „Zucht und Disciplin“ übergeben. Er konnte Lateinisch und Griechisch.[7] Im Prager Jesuitenkolleg (Clementinum) seien ihm bereits 1602 nach der Lektüre eines Berichtes über das Regensburger Religionsgespräch von 1601 erste Zweifel „an der Päbstischen Religion“ gekommen. Cambilhon will nach der Prager Zeit zwei Jahre im Jesuitenkolleg in Wien und schließlich bis zu seiner Konversion anderthalb Jahre im Jesuitenkolleg in Graz verbracht haben.
Johann Cambilhon trat im März 1608 in Augsburg als ehemaliger Jesuit und Exulant aus Graz in der Steiermark auf. Aus dem Orden sei er im Alter von 32 Jahren ausgetreten; Augsburg, die Stadt, die ihm als erste Asyl gewährte, verglich er mit dem biblischen Zufluchtsort Zoar (Gen 19,20-22 EU).[7] Er übergab ein versiegeltes Empfehlungsschreiben „einer Weltlichen“ bzw. „Politischen Person“ an das Augsburger Geistliche Ministerium.[8] Das Schreiben vom Oktober 1607 wurde von Thomas Wismer, dem Hauspfleger des Wolf Sigmund von Eggenberg, verfasst.[9]
Cambilhon bekämpfte den Jesuitenorden, den er verlassen hatte, in verschiedenen Schriften. Eine erste lateinisch verfasste Schrift Explicatio causarum et circumstantiarum an das Augsburger Presbyterium (Pfarrerkollegium) von 1608 wurde offenbar schnell handschriftlich verbreitet, aber nicht gedruckt. Im selben Jahr verfasste er in Augsburg De Studiis Jesuitarum Abstrusioribus, Relatio. Darin behauptete Cambilhon, in den Kellern unter der Jesuitenkirche in Graz würden Ordensangehörige gefoltert, Teufel angebetet und Schätze gehortet. In der Prager Niederlassung der Jesuiten habe er ein umfangreiches Waffenlager gesehen. Ein ähnliches gebe es auch in Krakau. Der französische Jesuitenpater Pierre Coton (1564–1626) habe den evangelischen König Heinrich IV. von Navarra (1553–1610) mit „zauberischen Künsten“ auf die katholische Seite gezogen.
Zu seinem eigenen Schutz wurde Cambilhon im April 1608 durch einen vom Augsburger Geistlichen Ministerium beauftragten Begleiter über Ulm, wo er eine finanzielle Unterstützung erhielt, an „ein sicher gewahrsam Orth“ nach Stuttgart gebracht.[10] Mit den Augsburger Pfarrern Melchior Volcius (1562–1625)[11] und Jakob Rulich d. J. (1559–1612)[12] stand er noch einige Zeit in brieflicher Verbindung.
Nach Cambilhons Weggang aus Augsburg erschien die Schrift De Studiis Jesuitarum Abstrusioribus, Relatio noch im selben Jahr 1608 erstmals im Druck. Ihr beigebunden waren die Elegie In parricidas Jesuitas Carmen des französischen Historikers und Staatsmanns Jacques-Auguste de Thou (1553–1617), in der der Tod der hugenottischen Königin Jeanne d’Albret (1528–1572) den Jesuiten angelastet wird, und zwei Texte des Humanisten Adrien Turnèbe (1512–1565).
Der Jesuit Jakob Gretser (1562–1625), Professor der Moral in Ingolstadt, der selbst 1601 an dem von Cambilhon erwähnten Regensburger Religionsgespräch teilgenommen hatte, verfasste Gegenschriften in neulateinischer Sprache, die von Conrad Vetter (1548–1622) ins Deutsche übersetzt wurden. Er bestritt, dass Cambilhon tatsächlich dem Orden angehört habe. Gretser bezog sich in seiner Kritik auch stark auf das ungedruckte Manuskript Explicatio causarum et circumstantiarum, von dem ihm eine Abschrift vorlag. Cambilhons Schrift bezeichnete Gretser als anonymes „Famos-Libell“ oder Pasquill, das nach dem Reichsrecht (Artikel 110 der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V.) mit der Todesstrafe geahndet werden müsse. Cambilhon wurde in dem sogenannten „cambilhonischen Streit der Jesuiten und Augsburger Prädikanten“ publizistisch unter anderem von Melchior Volcius unterstützt.
Ein gewisser Magister Johann Pfeiffer von Altzen (Alzey)[13] berichtet 1610 im Vorwort zu Nova novorum Jesuitica, er habe seinen „guten Freund“ Cambilhon auf einer Rückreise aus Frankreich und Italien durch Graz dort nicht mehr angetroffen, aber in Augsburg wiedergefunden und ihm zugesagt, das „neue“ Manuskript in Druck zu geben. Es handelt sich bei dem Werk Nova novorum Jesuitica allerdings lediglich um eine wenig veränderte Überarbeitung von De Studiis Jesuitarum Abstrusioribus, Relatio, das wie diese am Ende das Datum Augsburg, 21. März 1608 trägt. Bei „Johann Pfeiffer“[14] könnte es sich um ein Pseudonym Cambilhons oder eines Raubdruckers handeln, der Druck erschien im reußischen Gera.
Auch bei dem ersten Teil des Buches Von Der Jesuiten Gott vnd jrer Geistlichkeit handelt es sich um eine Überarbeitung von De Studiis Jesuitarum Abstrusioribus, Relatio. Dieses Buch wurde 1611 von „Leo de Dromna“[15] zusammengestellt bzw. übersetzt und erschien ebenfalls in Gera. Das Pseudonym wird meist mit dem Theologieprofessor und 1619/20 als Rektor der Universität Leipzig amtierenden Christoph Wilhelm Walpurger (1579–1631) identifiziert.[16]
Cambilhons Buch De Studiis Jesuitarum Abstrusioribus, Relatio war schon bis 1610 mehrfach nachgedruckt und aus dem Lateinischen ins Deutsche (zweimal), Englische und Französische übersetzt worden. Es wurde in der Folgezeit vielfach als Materialsammlung in Auseinandersetzungen um den Jesuitenorden wieder abgedruckt. Der sächsische, aus Schluckenau (Šluknov) in der Herrschaft Tetschen vertriebene Pfarrer Balthasar Marschner (1599–1669)[17] bezog sich 1630 in einer antikatholischen Streitschrift auf „Johan Cambilhom“.[18] Der Anwalt und radikale Puritaner William Prynne (1600–1669) zitierte das Buch in seiner Auseinandersetzung mit Erzbischof William Laud.[19] Große Verbreitung erfuhr es durch die Aufnahme in die Historia Jesuitica von Rudolf Hospinian und Ludwig Lucius. Besonders in England erlebte die Schrift bis in das 18. Jahrhundert hinein zahlreiche Nachdrucke.
Bei den Prager Unruhen 1611 zwischen dem sogenannten Passauer Kriegsvolk und Truppen der böhmischen Stände kursierten aufgrund der Vorwürfe Cambilhons Gerüchte, im Keller des Jesuitenkollegs in Prag (Clementinum) seien Waffen und Sprengstoff gefunden worden.[20] Die Behauptung wurde auch von der in Frankfurt am Main erscheinenden Zeitschrift Mercurius Gallobelgicus – einem der ältesten Periodika Deutschlands – kolportiert.[21] Von den Jesuiten wurde der Vorwurf zurückgewiesen: Nach ihren Angaben soll eine Untersuchung stattgefunden haben. Kaiserliche Amtleute und selbst die Anführer der böhmischen „Utraquisten“ (Protestanten) Heinrich Matthias von Thurn (1567–1640), Leonhard Colonna von Fels (1565–1620)[22] und Johann von Bubna (1570–1636) hätten die Haltlosigkeit der Vorwürfe bestätigt.[23][24]
In einer Auseinandersetzung mit Friedrich Nicolai (1733–1811), dem Hauptvertreter der Berliner Aufklärung, warf Johann August von Starck (1741–1816) diesem 1787 vor, in seinem Kampf gegen die Jesuiten eine „alte Legende aus dem … Cambilfon entlehnt“ zu haben.[25] Die entstellte Form „Cambilfon“ statt „Cambilhon“ ist dabei wahrscheinlich eine absichtliche Kombination (Kofferwort) der Namen Campe und Bilfinger als typische Aufklärernamen.[26] Der Streit von Starck und Nicolai um Cambilfon[27] wurde von Wilhelm Ludwig Wekhrlin (1739–1792) in seiner Zeitschrift Hyperboreische Briefe spöttisch kommentiert.[28]
Zu den 1795/96 aufgedeckten Fälschungen von William Henry Ireland (1775–1835) gehörte auch eine Ausgabe der englischen Ausgabe A Discouerie of the most secret and subtile practises of the Iesuites „John Camilton’s“ von 1610 mit einem angeblichen handschriftlichen Besitzeintrag und antikatholischen Randbemerkungen von William Shakespeare (1564–1616).[29]
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