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Begriff aus dem Rechtswesen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Glaubwürdigkeit eines Zeugen spielt im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung eine Rolle. Ihre Beurteilung gehört zu den Kernaufgaben des Richters, wobei die Erkenntnisse der Vernehmungspsychologie zu beachten sind. Glaubwürdigkeit resultiert aus den Merkmalen:
In der Regel ist die Beurteilung der Glaubwürdigkeit Sache des Tatrichters. In Ausnahmefällen kann der Richter jedoch verpflichtet sein, ein Glaubwürdigkeitsgutachten einzuholen.[2][3]
Gegenstand der Aussagepsychologie ist nicht die allgemeine Glaubwürdigkeit eines Zeugen im Sinne einer Persönlichkeitseigenschaft, sondern die Beurteilung einer konkreten Aussage innerhalb eines spezifischen Kontexts.[4] Dabei befasst sich die Aussagepsychologie mit der Beurteilung der Aussagetüchtigkeit, der Glaubwürdigkeit spezifischer Zeugenaussagen sowie möglicher Fehlerquellen.
Die Glaubhaftigkeit im weiteren Sinne ist das Ergebnis der Beurteilung, ob die auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Aussagen zutreffen. Vier potenzielle Fehlerquellen müssen berücksichtigt werden: Die Wahrnehmung des Sachverhalts, die Speicherung unter Berücksichtigung der jeweiligen Bewusstseinslage, die Wiedergabequalität (Aussagetüchtigkeit) und der Wahrheitsgehalt der Aussage in sich (Glaubhaftigkeit im engeren Sinne).[5]
Die Glaubhaftigkeit im engeren Sinne wird im Regelfall durch den Richter festgestellt; dazu bedient er sich eines Sachverständigen und geht folgendermaßen vor: Es wird zunächst davon ausgegangen, die Aussage sei unwahr (Nullhypothese).[6] Diese Hypothese wird anhand folgender Positivindizien überprüft:[7]
Eine bewusste Lüge ist aus dem gespeicherten Allgemeinwissen konstruiert. Die Lügensignale ergeben sich aus dem Umkehrschluss der Realitätskriterien: [8]
Die moderne Glaubwürdigkeitslehre wurde, basierend auf den Untersuchungen Arntzens[9] zur Vernehmungspsychologie, im Wesentlichen von Rolf Bender und Armin Nack[10] entwickelt. Sie beruht auf Verhaltensanalyse, insbesondere aber auf Aussageanalyse.
Die Körpersprache wird auf zehn Warnsymptome und vier Wahrheitszeichen hin beobachtet, deren Aussagekraft zwar nicht frei von Zweifeln ist, die dennoch vorsichtige Aufmerksamkeit verdienen.
Die Warnsymptome sind: Schwitzen, Farbwechsel im Gesicht, trockener Mund, erhöhter Puls, Atemnot, Vermeidung des Blickkontaktes, Veränderung der Stimmlage, nervöses oder verschmitztes Lächeln, Starrheit und verräterische Gesten wie häufige Selbstkontakte mit der Hand im Gesicht, vermehrte seitliche Körperbewegungen auf dem Stuhl, Händezucken, Händeringen, Händereiben, Händezupfen, Fingertrommeln, verkrampfte Hände und Kopfsenken.
Als Wahrheitszeichen werden angegeben: gleichbleibend natürliche Körpersprache im Übergang zwischen unverfänglichen Themen und den entscheidungsrelevanten Fragen, gefühlsmäßiger Nachklang des Erlebnisses, unwillkürliche Kopfbewegungen (Kopfnicken, Kopfschütteln) der sich unbeobachtet glaubenden, weil zu dem Zeitpunkt nicht vernommenen Auskunftsperson und schließlich vorauseilende Körpersprache, bei der Bewegungen das noch nicht in die Lautsprache Umgesetzte vorwegnehmen.
Die Annahme, durch das technische Hilfsmittel eines Polygraphentests (Lügendetektor) körperliche Reaktionen bei einer Befragung so festhalten und auswerten zu können, dass damit der Wahrheitsgehalt von Antworten gemessen werden könne, hat sich als zu technikgläubig erwiesen. Ein Polygraphentest ist daher jedenfalls in Deutschland kein zulässiges Beweismittel.[11]
Das heute von der Aussagepsychologie in den Vordergrund gerückte Prüfverfahren ist die an Inhalt und Struktur der Aussage ausgerichtete Aussageanalyse. Bender/Nack haben einen Kriterienkatalog entwickelt, der zum einen Realitätskriterien einer Aussage systematisiert und zum andern sogenannten Lügensignale zusammenstellt. Inzwischen ist man jedoch dazu übergegangen, Letztere als Warnsignale zu bezeichnen.
Detailkriterium: möglichst spontan in die Schilderung einfließende Details machen das Ereignis farbig und einfühlbar und stützen nicht nur das zentrale Beweisthema ab.
Individualitätskriterium: Die Aussage erhält ein unverwechselbares Gepräge von der Persönlichkeit und dem Sprachstil gerade der Auskunftsperson. Im Rahmen dieser zentralen inhaltlichen Kriterien spielen noch vielfältige Merkmale eine Rolle. Zu nennen sind:
Wichtig ist bei all den genannten Realitätsmerkmalen, dass sie auch in Aussagen anzutreffen sind, bei denen ein einmal gehabtes Erlebnis nur im Hinblick auf Zeit, Ort oder beteiligte Personen verändert wird (gewollte Verlagerung). Um diese Möglichkeit auszuschließen, bietet sich ein Verflechtungskriterium genanntes Prüfkriterium an, das immer dann erfüllt ist, wenn die Gesamtaussage vielfältige Verflechtungen in zeitlicher, örtlicher und personeller Hinsicht aufweist.
Strukturgleichheitskriterium mit Gleichgewichtsmerkmal und Tempomerkmal: Die Struktur der Aussage bleibt gleich, unter inhaltlichen Gesichtspunkten (Detailreichtum, Individualität, Verflechtung), unter sprachlichen Gesichtspunkten (Sprachfluss, Satzbau, Ausdrucksweise), unter situativen Gesichtspunkten (Körpersprache, gefühlsmäßige Begleitung), Gleichgewichtsmerkmal: Bei den für dieselbe Partei günstigen und ungünstigen Teilen der Aussage wird ein gleich gutes Gedächtnis, die gleiche Detailliertheit der Schilderung und die gleiche gefühlsmäßige Beteiligung offenbart. Tempomerkmal: Farbige Details fließen spontan und zwanglos schon in den Bericht ein, weitere Einzelheiten werden im Verhör prompt nachgeschoben.
Nichtsteuerungskriterium mit Umkehrungsmerkmal und logischem Stützmerkmal; Nichtsteuerungskriterium: Impulsive und assoziative, wenig chronologisch oder nach anderen Gesichtspunkten geordnete nicht bewusst auf eine bestimmte Überzeugung des Vernehmenden zielende Aussage. Umkehrungsmerkmal: Nicht chronologisch geordnete, sondern geradezu umgekehrt immer wieder von rückwärts her aufgerollte Aussage. Logisches Stützmerkmal: Die Auskunftsperson beschreibt ein zunächst sowohl ihr als auch dem Vernehmenden unerklärliches Geschehen, das nach Abschluss der Bekundung nachträglich eine Erklärung aufgrund anderweitiger Informationen findet.
Homogenitätskriterium mit dem gegenseitigen Bestätigungsmerkmal und dem Nichtwiderspruchsmerkmal. Homogenitätskriterium: Die verschiedenen Details einer Aussage fügen sich trotz verschiedenartiger Anknüpfungspunkte zu einem stimmigen einheitlichen Ganzen zusammen, insbesondere dann, wenn die Aussageweise ungesteuert oder gar sprunghaft ist. Gegenseitiges Bestätigungsmerkmal: Verschiedene – insbesondere voneinander entfernt liegende – Teile der Aussage bestätigen sich gegenseitig. Nicht-Widerspruchsmerkmal: Der Zeuge verwickelt sich nicht in Widersprüche, obwohl seine Aussage umfangreich und das Verhör gründlich ist, insbesondere, wenn die Aussage ungesteuert oder sprunghaft ist.
Wiederholungskriterien sind das Konstanzkriterium und das Erweiterungskriterium mit dem Lückenfüllungsmerkmal und dem wechselseitigen Ergänzungsmerkmal. Sie kommen in Betracht, wenn ein Zeuge bei unterschiedlichen Gelegenheiten zu einem bestimmten Erlebnis gehört wird. Konstanzkriterium: Der vom Zeugen als zentral erlebte Handlungskern wird inhaltlich im Wesentlichen gleich wiedergegeben, während die für ihn unwesentlichen Details Veränderungen unterliegen. Erweiterungskriterium: Der Zeuge ist bereit und in der Lage, seinen vorhergehenden Bericht erheblich zu erweitern. Lückenfüllungsmerkmal: Bei der wiederholten Aussage fließen spontan neue Details ein, die sich organisch in das bisher Gesagte einfügen. Wechselseitiges Ergänzungsmerkmal: Verschiedene Zeugen bekunden unterschiedliche Details.
Die erlogene Aussage ist gekennzeichnet durch das Fehlen der soeben angeführten Realitätskriterien und dadurch, dass sie wenigstens einige Merkmale aus den drei Gruppen der Lügensignale: den Verlegenheitssignalen, den Übertreibungssignalen und den Signalen mangelnder Kompetenz aufweist.
Verlegenheitssignale sind das Zurückhaltungssignal mit dem Verweigerungssymptom, dem Verarmungssymptom und dem Fluchtsymptom, das Freud’sche Signal mit dem Versprechersymptom, dem Nicht-Nicht-Symptom und dem Unklarheitssymptom und schließlich das Unterwürfigkeitssignal.
Übertreibungssignale sind das Bestimmtheitssignal mit dem Genauigkeitssymptom und dem Stereotypiesymptom, das Dreistigkeitssignal mit dem Vorwegverteidigungssymptom und dem Entrüstungssymptom und schließlich das Begründungssignal.
Signale mangelnder Kompetenz sind das Kargheitssignal mit dem Abstraktheitssymptom, dem Glattheitssymptom und dem Zielsymptom und das Strukturbruchsignal.
Richter entwickeln zwar eine bestimmte Menschenkenntnis, sind üblicherweise jedoch nicht ausreichend geschult, um Rhetoriktechniken und Fehlschlüsse in ausreichendem Maße erkennen zu können. Zudem unterliegt auch der Richter, wie alle Menschen, kognitiven Verzerrungen und Fehlschlüssen. Hiervon sind selbst Höchstrichter nicht ausgeschlossen.[12] Hinzu können Verzerrungen und Fehlschlüsse kommen, welche im Gesetz kodifiziert oder in Präzedenzfällen verankert sind.
“Emotional truths woven by lawyers in the court of law are apparently more important than the truths of actual events. I have grown to fear for those whose innocence became trapped within the legal system.”
„Emotionale Wahrheiten, welche von Anwälten im Gericht des Gesetzes fabriziert werden, sind scheinbar wichtiger als die Wahrheiten der tatsächlichen Ereignisse. Ich habe Angst um jene entwickelt, deren Unschuld im Rechtssystem gefangen wurde.“
Zudem gilt die Anekdotische Evidenz oft als wichtigste Beweislast, obwohl sie aus wissenschaftlicher Sicht die schwächste Beweislast besitzt.
“No matter what eyewitness testimony is in the court of law, it is the lowest form of evidence in the court of science.”
„Was auch immer die Zeugenaussage vor dem Gericht des Gesetzes ist; es ist die schwächste Form von Beweis im Gericht der Wissenschaft.“
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