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Das Gesetzgebungsverfahren nimmt in Belgien verschiedene Formen an, abhängig davon ob es sich um ein „Gesetz“ des föderalen Parlamentes oder um ein „Dekret“ der Gemeinschaften und Regionen bzw. um eine „Ordonnanz“ der Region Brüssel-Hauptstadt handelt. Wird ein Gesetz vom föderalen Parlament, das heißt von der Abgeordnetenkammer und gegebenenfalls dem Senat, verabschiedet, sind drei verschiedene Gesetzgebungsverfahren möglich. Alle Gesetze, Dekrete und Ordonnanzen unterliegen der Verfassungskontrolle des Verfassungsgerichtshofes.
Die legislativen Rechtstexte des föderalen Parlamentes werden „Gesetze“ genannt. Betrachtet man die Anwesenheits- und Mehrheitsbedingungen („Quorum“), muss zwischen zwei Arten föderalen Gesetzen unterschieden werden:
Handelt das föderale Parlament in seiner Funktion als Verfassungsgeber und will es die Verfassung abändern oder neu nummerieren, gelten ebenfalls besondere Regeln.[3]
Je nachdem, wie man ein Gesetz einreichen will, macht man folgenden Unterschied:
Die Gesetzgebungsverfahren im föderalen Parlament sind – bis auf das Einkammerverfahren – für die Abgeordnetenkammer und den Senat die gleiche. Die Verfassung sieht genau vor, in welchen Fällen dieses oder jenes Verfahren benutzt werden muss. Jeder Gesetzesentwurf oder -vorschlag erwähnt in seinem ersten Artikel, welches Verfahren anwendbar ist.[5] Es ist aber auch möglich, dass es zu sogenannten „gemischten Verfahren“ kommt, da ein Gesetzesentwurf oder -vorschlag Artikel enthält, die mittels verschiedener Verfahren verabschiedet werden müssen. Diese Texte werden dann in zwei Entwürfen eingereicht.
Das Einkammerverfahren ist allein in der Abgeordnetenkammer möglich. Der Senat wird nicht in die Prozedur einbezogen. Es ist das einfachste parlamentarische Verfahren.
Dieses Verfahren kann nur in den Fällen verwendet werden, die in Artikel 74 der Verfassung erschöpfend aufgelistet sind:
Die Prozedur läuft wie folgt ab:
Beim verpflichtenden Zweikammerverfahren muss ein Gesetzesentwurf oder -vorschlag sowohl von der Abgeordnetenkammer als auch vom Senat verabschiedet werden.
Vor der Staatsreform von 1993 wurden alle Gesetze so verabschiedet, doch heute gilt diese Prozedur nur für die in Artikel 77 der Verfassung vorgesehenen Fälle:
Die Prozedur zur Verabschiedung eines Gesetzes im verpflichtenden Zweikammerverfahren kann in acht Schritte zusammengefasst werden (genauere Details für die ersten drei und die letzten zwei Punkte werden im Abschnitt zum Einkammerverfahren beschrieben):
Beim nicht verpflichtenden (oder „optionalen“) Zweikammerverfahren entscheidet die Abgeordnetenkammer während der Senat „nur“ die Rolle einer „Beratungs- und Überlegungskammer“ übernimmt. Der Senat kann Gesetzesentwürfe oder -vorschläge der Kammer innerhalb gewisser Fristen „annehmen“ (das heißt beraten und abstimmen) und Abänderungen vorschlagen. Das letzte Wort behält jedoch immer die Abgeordnetenkammer.
Das in Artikel 78 der Verfassung erwähnte nicht verpflichtende Zweikammerverfahren ist seit der Staatsreform von 1993 die Standardprozedur für die Verabschiedung von Gesetzen. Sie greift jedes Mal, wenn die Verfassung weder ein Einkammer- noch verpflichtendes Zweikammerverfahren vorsieht (siehe oben). Sie ist somit die am meisten benutzte Prozedur zur Verabschiedung von föderalen Gesetzestexten.
Die Prozedur zur Verabschiedung eines Gesetzes im nicht verpflichtenden Zweikammerverfahren kann in elf Schritte zusammengefasst werden (genauere Details für die ersten drei und die letzten zwei Punkte werden im Abschnitt zum Einkammerverfahren beschrieben):[16]
Ein Senator kann ebenfalls – auch wenn dies seltener vorkommt – einen Gesetzesvorschlag im nicht verpflichtenden Zweikammerverfahren einreichen. Hier wird wie im verpflichtenden Zweikammerverfahren der Vorschlag im Senat eingereicht. Dieser berät dann über den Vorschlag, stimmt über ihn ab und leitet ihn an die Abgeordnetenkammer weiter. Binnen einer Frist von 60 Tagen billigt diese den Vorschlag, der zum Entwurf wurde, oder lehnt ihn ab. Schlägt die Kammer Abänderungen vor, werden diese wieder dem Senat vorgelegt, der über sie berät. Schlägt auch der Senat neue Abänderungen vor, wird wiederum über diese in der Abgeordnetenkammer beraten und sie definitiv gebilligt oder abgelehnt. Auch hier behält die Kammer also das letzte Wort. Danach wird der Gesetzestext vom König sanktioniert und ausgefertigt (Schritt 10).[17]
Die eventuell aufkommenden Zuständigkeitsprobleme zwischen den beiden Kammern (Abgeordnetenkammer und Senat) werden laut Artikel 82 der Verfassung in einem „parlamentarischen Konzertierungsausschuss“ geregelt. Dieser setzt sich aus ebenso vielen Mitgliedern der Abgeordnetenkammer wie des Senats zusammen und untersucht, ob dieser oder jener Gesetzesvorschlag oder -entwurf tatsächlich mit dem vorgeschlagenen Verfahren angenommen werden kann. Der Ausschuss kann die beim nicht verpflichtenden Zweikammerverfahren festgelegten Fristen im gegenseitigen Einvernehmen verlängern. Alle anderen Entscheidungen werden mittels einfacher Mehrheit in beiden Vertretergruppen getroffen oder, falls nicht anders möglich, mittels einer Zweidrittelmehrheit insgesamt.
Die legislativen Rechtstexte der Flämischen Gemeinschaft, der Französischen Gemeinschaft, der Deutschsprachigen Gemeinschaft, der Flämischen Region und der Wallonischen Region werden „Dekrete“ genannt. Die legislativen Rechtstexte der Region Brüssel-Hauptstadt werden „Ordonnanzen“ genannt.
In der Normenhierarchie sind Gesetze und Dekrete gleichzusetzen. Im Prinzip haben auch Ordonnanzen denselben Wert. Sie unterscheiden sich jedoch maßgebend von den Dekreten dadurch, dass sie der Kontrolle der gewöhnlichen Gerichte und Gerichtshöfe unterliegen, die die Anwendung einer Ordonnanz verweigern können, wenn diese die Bestimmungen des Sondergesetzes über die Brüsseler Institutionen verletzt.[18] Normalerweise ist diese Befugnis der judikativen Macht nur auf Erlasse und Verfügungen (der Exekutive) begrenzt.[19] Die gewöhnlichen Gerichte und Gerichtshöfe kontrollieren somit die Verfassungsmäßigkeit der Ordonnanzen „parallel“ zum Verfassungsgerichtshof, der alle Gesetze, Dekrete und auch Ordonnanzen wegen Verfassungswidrigkeit für nichtig erklären kann (siehe unten).
Die Parlamente der oben erwähnten Gliedstaaten bestehen allesamt nur aus einer Kammer. In den Gemeinschaften und Regionen wird im Prinzip mutatis mutandis dasselbe Verfahren wie das föderale Einkammerverfahren der Abgeordnetenkammer (siehe oben) benutzt.[20] Abweichungen sind jedoch möglich, da einerseits jedes Parlament seine eigene Geschäftsordnung verabschiedet[21] und andererseits die Gliedstaaten, mit Ausnahme der Deutschsprachigen Gemeinschaft und der Region Brüssel-Hauptstadt, über die „konstitutive Autonomie“ verfügen, welche ihnen erlaubt, grundlegende Entscheidungen bezüglich ihrer Organisation selbst zu treffen.
In Anwendung von Art. 137 der Verfassung wurden das Parlament der Flämischen Gemeinschaft und das Parlament der Flämischen Region faktisch zu einem einzigen Parlament, dem „Flämischen Parlament“, zusammengeführt. Da die flämischen Gemeinschaftsabgeordneten, die im zweisprachigen Gebiet Brüssel-Hauptstadt gewählt wurden, nicht an Abstimmungen bezüglich regionaler Angelegenheiten teilnehmen dürfen, muss jedes flämische Dekret angeben, ob es sich auf eine gemeinschaftliche oder eine regionale Zuständigkeit bezieht.[22]
Die Verabschiedung der Dekrete und Ordonnanzen benötigt prinzipiell eine absolute Mehrheit. In gewissen Fällen erfordert die Verfassung jedoch die Verabschiedung eines „Sonderdekretes“, welches dann eine Zweidrittelmehrheit im jeweiligen Parlament benötigt. Dies gilt in den folgenden Fällen:
Die Dekrete und Ordonnanzen werden in niederländischer und französischer Sprache veröffentlicht. Ausnahmen hierzu bilden die Deutschsprachige Gemeinschaft und die Wallonische Region, die ihre Dekrete ebenfalls in deutscher Sprache veröffentlichen müssen.[27]
Ist ein Gesetz, ein Dekret oder eine Ordonnanz einmal in Kraft getreten, gehört sie zur belgischen Rechtsordnung. Trotzdem macht sie dies nicht unanfechtbar.
Der Verfassungsgerichtshof kann alle Rechtstexte mit legislativem Charakter (Gesetze, Dekrete und Ordonnanzen) auf ihre Konformität zur Verfassung überprüfen. Diese Kontrolle kann auf zwei Ebenen stattfinden:
Der Verfassungsgerichtshof kann auf zwei Wegen angehalten werden, eine Kontrolle der Verfassungskonformität durchzuführen; durch eine bei ihm eingereichte Nichtigkeitsklage,[31] oder durch eine „präjudizielle Frage“ seitens eines Justizorgans.[32]
Eine Klage auf Nichtigerklärung kann sowohl durch die Regierungen und Parlamente des Föderalstaats und der Gliedstaaten als auch durch natürliche oder juristische Personen privater oder öffentlicher Natur eingereicht werden. Die letztgenannten müssen dabei jedoch ein „Interesse“ nachweisen können. Die Klage muss innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Veröffentlichung der Rechtsnorm im Staatsblatt erfolgen.
Erachtet der Verfassungsgerichtshof ein Gesetz, ein Dekret oder eine Ordonnanz als verfassungswidrig, wird der Rechtstext für nichtig erklärt. Dies hat zur Folge, dass die Norm (oder einige ihrer Bestimmungen) ab der Veröffentlichung des Urteils im Staatsrat aus der belgischen Rechtsordnung verschwindet.[33] Dies geschieht in der Regel mit Rückwirkung, wobei der Verfassungsgerichtshof Ausnahmen vorsehen kann.
Die „präjudizielle Frage“ ist ein Verfahren, das den gewöhnlichen Gerichten und Gerichtshöfen und auch dem Kassationshof und dem Staatsrat die Möglichkeit bietet (oder sie gegebenenfalls dazu zwingt), bei aufkommenden Fragen über die Verfassungsmäßigkeit gewisser Regeltexte, die in casu angewandt werden müssen, den Verfassungsgerichtshof zu befragen. Der Verfassungsgerichtshof gibt dann eine bindende Auslegung der Verfassung und befindet darüber, ob die betroffene Gesetzgebung in der vom fragenden Richter („a quo“ Richter) vorgeschlagenen Interpretation gegen die Verfassung verstößt oder nicht. Das Verfahren ist somit vergleichbar mit dem europäischen Vorabentscheidungsverfahren, bei dem der Europäische Gerichtshof auf Nachfrage eines nationalen Gerichtshofs die „richtige“ Auslegung des EU-Rechts vorgibt.
Wird eine solche präjudizielle Frage gestellt, wird bis zur Antwort des Verfassungsgerichtshofes das Verfahren vor dem fragenden Richter ausgesetzt. Verkündet der Verfassungsgerichtshof, dass das Gesetz, das Dekret oder die Ordonnanz in der vorgeschlagenen Interpretation verfassungswidrig ist, dann muss der Richter diese Norm beim weiteren Verlauf des Gerichtsverfahrens unberücksichtigt lassen.[34] Dies gilt ebenfalls für alle Berufungsverfahren in der gleichen Sache und für andere Streitsachen, die dieselbe Ausgangssituation vorweisen. Der Rechtstext selbst bleibt jedoch bestehen und verschwindet nicht aus der Rechtsordnung. Nach der Urteilsverkündung startet aber eine sechsmonatige Frist, in der eine Nichtigkeitsklage gegen die Rechtsnorm eingereicht werden kann (siehe oben).
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