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russischer Journalist und Philosoph Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Georgi Walentinowitsch Plechanow (russisch Гео́ргий Валенти́нович Плеха́нов, wiss. Transliteration Georgij Valentinovič Plechanov; * 29. Novemberjul. / 11. Dezember 1856greg. in Gudalowka, heute zur Oblast Lipezk; † 30. Mai 1918 in Terijoki, Finnland, heute Russland) war ein russischer Journalist und Philosoph, der die Erfahrungen des Scheiterns der russischen volksschwärmerischen und sozialrevolutionär-terroristischen Bewegung der Narodniki und den westeuropäischen Marxismus verband.
Plechanow entstammte einer Familie des mittleren russischen Landadels. Seine Kindheit verbrachte er in einer Kadettenanstalt, verließ aber die Petersburger Militärakademie 1873 nach wenigen Monaten. Ein anschließendes Ingenieurstudium führt er nicht zu Ende.[1] Schon in seiner Jugend hatte er sich der revolutionären Bewegung angeschlossen. 1876 war er als zwanzigjähriger Student Redner bei der ersten russischen Arbeiterdemonstration, bei der rote Fahnen gezeigt wurden. Zunächst stand er den Narodniki nahe, distanzierte sich aber bald von deren Terrormethoden. In der Gruppe „Schwarze Umverteilung“ verfolgte er agarsozialistische Ziele. Im Unterschied zu anderen Narodniki verwies der junge Plechanow in seinen ersten theoretischen Schriften auf die Bedeutung der mit der Bauernschaft eng verbundenen städtischen Arbeiter, die wie die Bauern noch an den alten Gemeindeidealen festhielten.[2]
1880 ging Plechanow ins Exil in der Schweiz, wo er bis zur Februarrevolution 1917 blieb. Dort wurde er von der marxistischen Literatur Westeuropas reichlich beeinflusst.
Er wurde der geistige Vater und erste Parteiführer der russischen Sozialdemokratie, an deren Gründung 1883 in Genf er teilnahm. Die Gruppe Befreiung der Arbeit (Oswoboschdenije truda), die von Plechanow, Pawel Borissowitsch Axelrod, Wera Iwanowna Sassulitsch, Lew Grigorjewitsch Deitsch und Wassili Ignatow gegründet wurde, setzte sich zum Ziel, sozialistische Literatur Europas ins Russische zu übersetzen und die Narodniki in Russland zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang schrieb Plechanow eigene theoretische Schriften, in denen er auf die Entwicklung des Kapitalismus in Russland und die führende Rolle der Arbeiterklasse in der Befreiungsbewegung hinwies. Ihm zufolge müsste die russische Arbeiterklasse zuerst den Europäisierungsprozess Russlands, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts von Peter dem Großen eingeleitet wurde, zum Abschluss bringen und um die politische Freiheit kämpfen, bevor sie den Sozialismus anstreben konnte.[3]
Seine Schrift Sozialismus und politischer Kampf (1883) stellte eine völlig neue Konzeption in der Geschichte der russischen sozialistischen Bewegung dar. In dieser Schrift wies Plechanow darauf hin, dass die Dorfbevölkerung wegen der rückständigen Verhältnisse nicht nur weniger als das Industrieproletariat fähig zur politischen Initiative, sondern auch weniger aufnahmebereit für die revolutionären Ideen sei.[4] Deswegen müsse das Industrieproletariat die führende Rolle übernehmen und für die Demokratie und den Sozialismus kämpfen. Um die Macht zu ergreifen, müsste die Arbeiterklasse ihre eigene politische Partei gründen, anstatt ihre Energie hinter den Verschwörungsstrategien der Narodniki zu verbrauchen. Das aber setze eine aufgeklärte Arbeiterklasse voraus. Unter den Bedingungen Russlands, wo es weder eine moderne Wirtschaft noch ein organisiertes Proletariat gab, könnte eine revolutionäre Diktatur der Intelligenz fatale Folgen haben. Sie könnte die Gesellschaft zu einem patriarchalischen und autoritären Kommunismus führen, wobei eine sozialistische Kaste die nationale Produktion leiten würde.[4][5] Die Grundkonzeption dieser Schrift fand ihren Ausdruck in den 1880er Jahren in zwei Programmentwürfen für eine sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands.
In seinen weiteren theoretischen Schriften wies er wiederholt auf den kapitalistischen Fortschritt in Russland hin, der zwangsläufig eine starke Arbeiterbewegung verursachen werde. In seiner Schrift Unsere Meinungsverschiedenheiten (1885) kritisierte er scharf die Narodniki und zeigte statistisch, dass die unumkehrbaren kapitalistischen Wirtschaftsverhältnisse die Dorfgemeinde zum Untergang führen würden. Er riet, so schnell wie möglich eine revolutionäre Arbeiterpartei aufzubauen.[6][7] Die Arbeiterpartei könnte sich für ihn nur in engem Zusammenhang mit dem internationalen Sozialismus entwickeln. Er nahm mit anderen russischen Sozialisten am Gründungskongress der Zweiten Internationale in Paris teil, wo er gegen die Narodniki erklärte: „Die revolutionäre Bewegung wird in Russland als Arbeiterbewegung triumphieren, oder sie wird nie triumphieren.“[8]
Der zweite Teil der Unsere Meinungsverschiedenheiten trug den Titel Zur Geschichte der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung. An diesem Werk wurde nach Wladimir Iljitsch Lenin „eine Generation russischer Marxisten erzogen“. Plechanow wies in diesem Buch darauf hin, dass Russland den Weg der kapitalistischen Entwicklung nicht mehr verlassen könne, den es mit der Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 betreten habe. Die Dorfgemeinde, die Karl Marx unter Umständen als den „Stützpunkt der sozialen Wiedergeburt Russlands“ also zu einer Möglichkeit des Sozialismus sah, müsse also Plechanow zufolge durch den Kapitalismus zerstört werden. Wer das Land befreien konnte, waren nicht die Bauern, sondern die Arbeiterbewegung im Bündnis mit anderen revolutionären Sozialschichten.
International wurde Plechanow durch seine Arbeiten zum historischen Materialismus bekannt.
Er war namentlich für Wladimir Iljitsch Lenin, dem er 1895 in Genf erstmals begegnete, theoretische Vater- und Freund-Figur, bis sie sich 1900 in Genf zerstritten. Dabei ging es um die Gründung der Zeitschrift Iskra (Искра – Der Funke), die das Zentralorgan der Partei werden sollte. Plechanow hätte die Zeitung, auch um selber stärker Einfluss nehmen zu können, gerne in Genf angesiedelt, doch Lenin und Alexander Potressow setzten durch, dass Verlagsort zunächst München wurde. Lenin notierte später enttäuscht, Plechanow habe sie wie „dumme Jungen“ behandelt und zu „Sklaven“ machen wollen. Für ihn war Plechanow seitdem ein „gestürzter Götze“.[9] Nach Veröffentlichung von Lenins Schrift Was tun? 1902, in der er die führende Rolle der revolutionären Intelligenz in der Arbeiterbewegung und das Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ erläutert hatte, warf Plechanow ihm vor, er gebe damit einen Kerngedanken des Historischen Materialismus auf, nämlich dass das Sein das Bewusstsein bestimme, das Klassenbewusstsein also aus der materiellen Lebenssituation der Arbeiter erwachse.[10]
Auf dem zweiten Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR), der 1903 in Brüssel und London stattfand, herrschte Einigkeit, dass nach den historischen Gesetzmäßigkeiten, an die man glaubte, zunächst eine bürgerliche Revolution Kapitalismus und Demokratie in Russland einführen würde, erst danach könne die proletarische Revolution den Sozialismus bringen. Plechanow sprach sich aber dagegen aus, aus dem allgemeinen Wahlrecht „einen Fetisch zu machen“. Gegebenenfalls sollte sich die Partei also über ein für sie ungünstiges Wahlergebnis hinwegsetzen.[11] An der Frage der Parteiorganisation spaltete sich die Partei in zwei Flügel: Lenins Bolschewiki setzten das Kaderprinzip durch, die eher gemäßigten Menschewiki blieben in der Minderheit. Plechanow stellte sich dabei zunächst auf die Seite Lenins. 1904 stellte er aber an das Zentralkomitee der SDAPR den Antrag, Lenin „wegen bonapartistischer Tendenzen“ auszuschließen, was den Bruch zwischen beiden endgültig besiegelte. In der Folgezeit versuchte er mitunter seine Reputation als „Vater des russischen Marxismus“ zum Ausgleich zwischen den Parteiflügeln zu nutzen. Zunehmend verlagerte er seine Aktivitäten auf literarische und wissenschaftliche Arbeiten.[12] 1912 wurde er mit den anderen Menschewiki aus der SDAPR ausgeschlossen. Während des Ersten Weltkriegs befürwortete er die zaristischen Kriegsziele.[13] In der Februarrevolution 1917 und der Zeit der Doppelherrschaft blieb er politisch einflusslos. Nach Ausbruch der Oktoberrevolution musste er vor den Bolschewiki nach Finnland ausweichen, wo er einige Monate später an Tuberkulose starb.
Zusammen mit Axelrod gehörte Plechanow zu den ersten Kritikern des so genannten Ökonomismus:
„Wir lehnen uns nicht gegen die Agitation aus ökonomischen Anlässen auf, sondern gegen die Agitatoren, die die wirtschaftlichen Zusammenstöße zwischen Arbeitern und Unternehmern nicht wahrzunehmen wissen, um das politische Bewußtsein des Proletariats zu entwickeln.“[14]
Nach Plechanow benannt worden sind unter anderem die Russische Plechanow-Wirtschaftsuniversität in Moskau, eine Bergbau-Hochschule in St. Petersburg und das Flusskreuzfahrtschiff "G. W. Plechanow".
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