Loading AI tools
deutscher Schriftsteller Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Eckhard Henscheid (geboren 14. September 1941 in Amberg) ist ein deutscher Schriftsteller und Satiriker. Henscheid gehört zu den Mitgliedern der Neuen Frankfurter Schule um die Satiremagazine pardon und Titanic.
Ursprünglich wollte Henscheid nach dem Abitur an der Oberrealschule Amberg (heute Gregor-Mendel-Gymnasium) Musiklehrer werden.[1] Er studierte dann aber in München Germanistik und Publizistik. Er schloss mit einer Magisterarbeit über Gottfried Keller ab und arbeitete anschließend als Journalist in Regensburg und als Redakteur in Frankfurt am Main.[2] Ab 1971 lebte er als freier Schriftsteller in Frankfurt am Main, Amberg und Arosa (Schweiz). Heute lebt er mit seiner Frau in Amberg (Oberpfalz).[3]
Im Juli 1970 nahm Henscheid – damals Mitglied der SPD – an der „Besetzung“ des Springerhochhauses in Berlin teil. Die „Besetzung“ ereignete sich im Rahmen einer satirischen Aktion der pardon-Redaktion, der Henscheid damals angehörte. Die Besetzung war als Protest gedacht „wider die Volksverhetzung durch die Bild-Zeitung“.[1]
In den frühen 1990er-Jahren hatte Henscheid gerichtliche Auseinandersetzungen in Fragen der Kunstfreiheit mit der Unternehmensberaterin Gertrud Höhler und René Böll, dem Sohn des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll. Henscheid hatte Heinrich Böll zuvor in einer Rezension unter anderem als „steindumm“ und „korrupt“ bezeichnet, über eine Werbeaktion Höhlers für American Express hatte er einen Artikel namens Sie muss verrückt sein in konkret veröffentlicht. In beiden Fällen unterlag Henscheid, der sich auf die Meinungsfreiheit berief, schließlich vor Gericht.[4] Das Bundesverfassungsgericht wies eine Beschwerde gegen ein vorheriges Urteil eines Landgerichtes zurück mit der Begründung, Henscheids Böll-Rezension sei eine Schmähkritik und damit nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.[5]
Im Juni 2000 übernahm Henscheid die Heidelberger Poetik-Dozentur 2000. Im Mittelpunkt der Vorlesungen stand das Komische in der Literatur.[6] Des Weiteren war er Gastdozent in Klagenfurt (2001) und in Göttingen (2007).
Im Jahr 2004 unternahm Henscheid zusammen mit Egon Bahr, dem Schriftsteller Jürgen Roth und weiteren Gästen auf Einladung der damaligen Präsidenten Wladimir Putin und Johannes Rau eine Wolgareise. Austausch mit Künstlern, Musikern, Dozenten und Wissenschaftlern sowie kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte und Workshops in den Sparten Musik, Literatur und Theater standen auf dem Programm.[7]
Henscheid ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur.[8]
Charakteristisch für Henscheids Werk ist – weit über seinen Kampf gegen das „Dummdeutsche“ in jeder Form hinaus – die Vielzahl der von ihm gepflegten Gattungen und Genres. Seine Arbeiten umfassen Erzählungen, Romane, Idyllen, Märchen, Satiren, Essays, Lyrik, Nonsens-Dichtung, Polemiken und Glossen, Literatur-, Kunst- und Musikkritik. Dabei verknüpft er eigenständige sprachliche Virtuosität mit Motiven aus der Romantik und dem gesellschaftskritischen Impetus der Frankfurter Schule.
Henscheids Romane (die Trilogie des laufenden Schwachsinns und Dolce Madonna Bionda), die Idylle Maria Schnee und etliche Erzählungen zeigen Männer in Phasen des psychischen Zerfalls beziehungsweise des Verfallenseins an eine fixe Idee. Henscheids Zentralfiguren widmen sich der Beobachtung bis hin zum Voyeurismus und zur Idolatrie. Das defekte Roman-Subjekt bewegt sich in einer gleichfalls dysfunktionalen, verrückten Außenwelt. Der Romancier Henscheid verarbeitete häufig tagesaktuelle Themen. Hierdurch wurde seine Epik leicht als Satire verstanden. Insbesondere mit seiner Kohl-Biografie vermochte er die Realsatire zum literarischen Kunstwerk zu steigern.
Die Trilogie des laufenden Schwachsinns (bestehend aus Die Vollidioten, Geht in Ordnung – Sowieso – – Genau – – –, Die Mätresse des Bischofs) arbeitet mit Ich-Erzählern, doch auch danach bleibt eine sehr bewusste Erzählposition bestehen, etwa in der Syntax des in Echtzeit gedachten Satzes in Maria Schnee: Der Leser tritt in den Kopf der Zentralfigur ein. Henscheid montiert – meist verdeckt – Literatur- und Opernzitate in seine Texte ein. So erweist er insbesondere Fjodor M. Dostojewski und Franz Kafka die Reverenz auch und gerade als Humoristen. Zu Henscheids geschätzten Schriftstellern zählt Italo Svevo. Während er aus Prinzip die Annahme von Preisen ablehnte, machte er u. a. (s. u.) beim Italo-Svevo-Preis eine Ausnahme.
Manchen gelten Henscheids Erzählungen und Romane als entschiedene formale Neuerungen; so dem Literaturkritiker Gustav Seibt, wenn er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die „unvergleichliche Leistung des Humors“ würdigt und von der „Henscheidschen Wende in der deutschen Nachkriegsliteratur“[1] spricht. Andere akzentuieren mehr des Autors Neuerungen im schriftstellerischen Klein- und Nebengewerbe: „Das deutsche Feuilleton nach 1980 hat an ihm und mit ihm das Schreiben gelernt.“[9] Der Tübinger Literaturprofessor Gert Ueding, der Henscheid 1987 im Zusammenhang des Klagenfurter Erzählerwettbewerbs und Henscheids Übernahme eines Jurorenamts als „Klamaukschriftsteller“[1] bezeichnet hatte, will es 2009 „so nicht gesagt“[1] haben. Henscheid: „Es stimmt ja auch gar nicht, ich bin mehr ein Klimbim- oder auch Krawallschriftsteller.“[1] Vor allem manche Kollegen sehen das anders. Der Verlag Zweitausendeins zitiert im Rahmen der Henscheid-Werkausgabe drei Schriftsteller: Brigitte Kronauer zur Romantrilogie (1973–78): „Mir war auf Anhieb klar, dass es sich für mich um das große Romanwerk nach dem Zweiten Weltkrieg handelt.“[1] Martin Mosebach: „Henscheid ist ein Erdteil.“[10] Für Martin Walser ist Maria Schnee das Erzählwerk „mit dem größten mir bekannt gewordenen Atomgewicht“.[1]
Immer wieder hat sich Henscheid aus einstmals enger redaktioneller Mitarbeit zurückgezogen, so zum Beispiel 1996 von der FAZ, ab 1975 von pardon, zeitweise von der Titanic. Im Februar 1999 gab Henscheid aufgrund von Differenzen mit Chefredakteur Hermann L. Gremliza seine langjährige Mitarbeit bei der Zeitschrift konkret auf. Vorausgegangen waren Meinungsverschiedenheiten in der Walser-Bubis-Kontroverse[11] und generell über den Inhalt des Begriffs „Antisemitismus“, den konkret Henscheid zugeschrieben hatte. Henscheid hat zweimal der Wochenzeitung Junge Freiheit Interviews gegeben.[12] Das erste davon ging ein in die Textsammlung des Buchs Der Streit um Martin Walser, in dem Walser gegen den Vorwurf des Antisemitismus im Zusammenhang mit dem Roman Tod eines Kritikers verteidigt wird. 2006 unterzeichnete er den von der Zeitung initiierten „Appell für die Pressefreiheit“ gegen den Ausschluss der Jungen Freiheit von der Leipziger Buchmesse.[13]
2009 wurde Henscheid der bayerische Jean-Paul-Preis verliehen[14] – „für sein literarisches Lebenswerk […] und nicht für seine publizistischen Scharmützel“, wie der bayerische Kunstminister Wolfgang Heubisch bei der Preisverleihung betonte. Ein polemischer Artikel gegen Angela Merkel, den Henscheid kurz zuvor in der Jungen Freiheit publiziert hatte,[15] hatte für Aufsehen gesorgt, und bis auf eine Ausnahme blieben sämtliche Juroren, die auf Druck des Ministeriums später durch andere ersetzt wurden, der Preisverleihung fern.[16]
Ein für Frühjahr 2012 vorgesehener und bereits fertiggestellter autobiografischer Band Denkwürdigkeiten – Aus meinem Leben wurde wegen Unstimmigkeiten mit dem Rowohlt Berlin Verlag einvernehmlich zurückgezogen. Die Autobiografie erschien 2013 bei Schöffling & Co.
Eckhard Henscheids Debüt- und Frankfurtroman Die Vollidioten aus dem Jahr 1973 wurde für die fünfte Staffel der Veranstaltungsreihe Frankfurt liest ein Buch ausgewählt, die mit ca. 70 Veranstaltungen vom 31. März bis zum 13. April 2014 im Frankfurter Raum stattfand.
Seit dem 3. Juli 2014 ist Eckhard Henscheid der vermeintlich erste und einzige lebende deutsche Autor, nach dem ein Lokal benannt ist, das „Henscheid“ in der Mainkurstraße 27 im Frankfurter Stadtteil Bornheim.
Zum 80. Geburtstag würdigte die Süddeutsche Zeitung: "Henscheid hat sich schon längst in seine Heimat, das seelenvolle Amberg, zurückgezogen, er publiziert nur noch wenig, und seine Physiognomie verwittert zunehmend ins Fragende. Aber längst liegt eine Werkausgabe vor, die neben den großen Romanen all die vielen Interventionen des Tages versammelt, ein "groß Geström von Sprache" (Dante/Borchardt). Diese Sprache zeigt sich, je mehr ihre oft zufälligen und beiläufigen Anlässe vermodern, in ihrer spielerischen, tief lustigen, tief rührenden Klanggestalt. Das Grobe fällt ab, das Zarte dauert."[3]
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.
Every time you click a link to Wikipedia, Wiktionary or Wikiquote in your browser's search results, it will show the modern Wikiwand interface.
Wikiwand extension is a five stars, simple, with minimum permission required to keep your browsing private, safe and transparent.