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auf Individualverkehr mittels PKW ausgerichtetes Verkehrs- und Städtebaukonzept Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Eine autogerechte Stadt ist eine an den Bedürfnissen des motorisierten Individualverkehrs orientierte Stadt. Das Schlagwort leitet sich vom Titel des 1959 erschienenen Buches Die autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos des Architekten Hans Bernhard Reichow ab, eines entschiedenen Verfechters dieser Idee.
Beim Neu- und Wiederaufbau der Städte nach dem Zweiten Weltkrieg orientierten sich Stadtplaner überwiegend an der das Automobil bevorzugenden Charta von Athen (CIAM) von 1933. Wohnen und Gewerbe wurden damit häufig voneinander getrennt. Fortan wurden auch zahlreiche suburbane Satellitenstädte („Schlafstädte“) geplant.
Nach heutigen Maßstäben wird das Konzept der autogerechten Stadt überwiegend kritisch und nicht als nachhaltig angesehen, von vielen auch als warnendes Beispiel verfehlter, kurzsichtiger Stadtplanung dargestellt.[1][2] Zugleich wird das Konzept in vielen Teilen der Welt weiterverfolgt, besonders bei Großprojekten in stark wachsenden Ballungsräumen.
In der autogerechten Stadt sollten sich alle Planungsmaßnahmen dem ungehinderten Verkehrsfluss des Autos unterordnen, das damit zum neuen Maß aller Dinge wurde. Vor allem sollte dies in Verbindung mit klaren Flächenzuweisungen und einer Nutzungsentmischungen erfolgen. Dies entspricht weitgehend den Forderungen der funktionalistischen Stadtforschung, wie sie etwa in der Charta von Athen formuliert wurden[3]. Das Konzept der autogerechten Stadt wurde in hohem Maße beim Wiederaufbau im Krieg zerstörter westdeutscher Städte realisiert, beispielsweise in Hannover (durch den damaligen Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht), Dortmund, Köln und Kassel, aber auch in kleineren Städten wie Minden und Gießen. Dabei wurden erhebliche Eingriffe in erhaltene Bausubstanz vorgenommen, wobei teilweise Stadtteile ohne Berücksichtigung sozioökonomischer und kultureller Faktoren zerschnitten wurden.
Sinn der Konzeption war es, die aus dem Mittelalter stammenden Städte mit überwiegend engen Straßen und Gassen, die Jahrhunderte vor der Entstehung des Automobils angelegt worden waren, an moderne Mobilitätsbedürfnisse anzupassen, insbesondere um die Erreichbarkeit der Städte für Autofahrer und die Anlieferung von Waren per Lkw sicherzustellen. Wichtige Bestandteile waren mehrstreifige Umgehungsstraßen (Stadtringe, oft unter Ausnutzung von Wallanlagen und ehemaligen Flächen mittelalterlicher Stadtbefestigungen), Fußgängerzonen, Unterführungen für den Fuß- und Radverkehr, Parkhäuser und Parkleitsysteme für die Stadtzentren.
Grundlage ist eine Trennung der Verkehre, um so ungehinderte Verkehrsflüsse zu gewähren. Unterschiedliche Konzepte bestehen u. a. in der Gewichtung von öffentlichem und Individualverkehr. Eine gleichzeitige Förderung bedeutet den Bau/Ausbau mehrstreifiger Straßen und des ÖPNV. Dieses Konzept verfolgten besonders westdeutsche Großstädte durch eine Verlegung von Straßenbahnen unter die Erde mit der auch danach verwirklichten Planung einer Schienenfreien Innenstadt bzw. der Entwicklung von Stadtbahn-Systemen. Die einseitige Bevorzugung des Individualverkehrs heißt folglich, Straßenbahnen und -sofern vorhanden- auch Oberleitungsbusse als Verkehrshindernis zu betrachten und diese sogar teilweise abzuschaffen. Die als Ersatz vorgesehenen Busverbindungen weisen keine oder nur eine geringe Trennung vom Individualverkehr (etwa durch einzelne Busstreifen) auf und sind für Auto-affine Menschen nicht attraktiv.
Eine hohe Gewichtung von öffentlichen Verkehren kann den Bau von großflächigen P+R-Anlagen umfassen oder die kommunale Förderung von Verkehrsverbünden und attraktiven Nahverkehrstarifen. Grundüberlegung ist hier, motorisierten Individualverkehr durch einen hohen Prozentanteil des ÖPNV zu vermeiden. Bis heute stellen jedoch besonders kleinere Städte in Deutschland nicht ausreichend Mittel für einen gut ausgebauten ÖPNV bereit oder sind wegen ihrer Finanzlage nicht dazu imstande (diese Situation ist u. a. in der Schweiz anders). Die Bereitstellung von Straßen ist eine Pflichtleistung, ÖPNV erscheint dagegen oft nur als eine ergänzende, geradezu freiwillige, Maßnahme für bestimmte Personengruppen – das Angebot besteht insbesondere in Kleinstädten und in der Schwachverkehrszeit lediglich aus einem Grundfahrplan, besondere Attraktivität ist nicht gefordert.
Autogerecht kann also bedeuten, dass der Individual- bzw. notwendiger Lieferverkehr absoluten Vorrang hat und ÖPNV auf geringem Niveau nebenherläuft. So entstehen im ÖPNV Busnetze mit hohen Taktabständen und Busbahnhöfe mit geringer Nutzung. Es kann beiden Verkehrsarten ein gleicher Schwerpunkt zugemessen werden. In diesem Fall entstehen moderne Straßen und gleichzeitig hochwertige Bahnnetze, die vom übrigen Verkehr getrennt sind; dem Autoverkehr wird jedoch optimale Qualität geboten.
Wichtiger Konzeptbestandteil für die Trennung der Verkehrsströme waren Unter- und Überführungen. Eine der ersten Straßenunterführungen für Fußgänger entstand 1957 am Jahnplatz in Bielefeld, sie wurde damals als richtungsweisend gefeiert. Der U-Bahnhof Kassel Hauptbahnhof war von 1968 bis 2005 in Betrieb als Teil einer dort nicht verwirklichten Unterpflasterstraßenbahn.
Auch Fußgängerbrücken und Unterführungen sind problematisch und werden von der Bevölkerung oft nicht angenommen. Hinzu kommt, dass das Treppensteigen oder Anstiege vielen zu anstrengend und wegen fehlender Barrierefreiheit für Mobilitätseingeschränkte gar nicht möglich ist.
Anfang der 1970er Jahre wurde die autofreundliche Verkehrspolitik der Städte in Deutschland zunehmend skeptischer betrachtet. Kritiker wie Hans Dollinger machten die Dominanz des Automobils für soziale Fehlentwicklungen, etwa die Unfalltoten und die Erlahmung städtischen Lebens, verantwortlich.[4]
Heutzutage wird überwiegend vertreten, dass diese Planungskonzeption zu einseitig war, da sie viele Menschen außer Acht ließ. Insbesondere werden dem Konzept die negativen Auswirkungen des Straßenverkehrs in Innenstädten wie der Beitrag des Straßenverkehrs zu einer hohen Feinstaubbelastung, Lärm und Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern angelastet. Aus Sicht des Gender-Mainstreaming wurde 2008 kritisiert, dass das Leitbild der funktionsgetrennten und autogerechten Stadt bei der Mobilität fast ausschließlich den automobilen Berufsverkehr von mehrheitlich Männern wahrgenommen habe; dabei seien Anforderungen der überwiegend von Frauen geleisteten Versorgungsarbeit und erst recht ihrer Verknüpfung mit der Erwerbsarbeit weitgehend ausgeblendet worden.[5] Aus den gleichen Gesichtspunkten ist eine Benachteiligung von Menschen, die nicht autofahren können – zum Beispiel Kinder, Jugendliche, Menschen mit Behinderung – erkennbar. Diese werden in ihrer Alltagsgestaltung davon abhängig, dass andere sie fahren, oder sind auf das oft unzureichende Angebot öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen. Dies betrifft ebenso Personen, deren Einkommen nicht zum Erwerb eines Autos ausreicht, und erschwert damit die soziale Teilhabe und den Zugang zu Arbeitsstellen im Umkreis.
Eine der Folgen von Funktionsentmischung in der autogerechten Stadt ist eine strenge Regulierung des Verkehrs, in der – theoretisch – alles Verhalten mit Verkehrsschildern, Markierungen und getrennten Verkehrsflächen vorgegeben wird. Dies wird von Kritikern als Entmündigung der Bevölkerung gesehen und für fehlende Rücksichtnahme auf andere Verkehrsteilnehmer verantwortlich gemacht.
Als Gegenkonzept wurde von einigen Stadt- und Verkehrsplanern sowie Verkehrssoziologen die autofreie Stadt propagiert. Zum autofreien Wohnen gibt es viele Versuche, die sich bisher meist auf bestimmte Stadtteile beschränkt wie in Freiburg-Vauban.
Als ein weiteres Gegenkonzept hat sich das Shared-Space-Konzept entwickelt, das ein weniger reguliertes Nebeneinander von motorisiertem und nicht-motorisiertem Verkehr – und Stadtleben im Generellen – ermöglichen soll. Ein Beispiel für die „menschenzentrierte“ Stadtentwicklung stellen auch die verwandten Superblocks dar.[6]
Der Neue Urbanismus ist ein übergreifendes Thema in der Entwicklung heutiger Stadtbilder, die gezielt von den Leitlinien der autogerechten Stadt abrückt. Nach dem Erkennen der strukturellen Fehler der vor allem seit der Moderne und der Charta von Athen entstandenen aufgelockerten Siedlungen (bzw. Trabantenstädte) mit Funktionstrennung und überdimensionierten Verkehrsachsen kommt es seit den 1980er Jahren mit dieser Urbanismusbewegung (die u. a. mit Team 10 ihren Anfang nahm) zur Wiederentdeckung der Blockrandbebauung und Mischnutzung von Quartieren und damit städtischer Dichte. Demnach unterstütze diese früher durch die Siedlungsplaner beklagte urbane Bebauungsart die Vorzüge städtischen Lebens in Verbindung mit gesunder sozialer und wirtschaftlicher Durchmischung und einer erheblichen Einsparung von Ressourcen (Anfahrtswege, Heizkosten, Infrastrukturkosten usw.) gegenüber den verschwenderischen Siedlungen.[7]
Georges Pompidou, französischer Staatspräsident von 1969 bis zu seinem Tod 1974, trieb die Modernisierung Frankreichs entschieden voran. Wiederholt rief er seine Landsleute auf, nicht in Sentimentalität zu verharren. Mit zunehmender Industrialisierung verlagerten sich viele Arbeitsplätze weg von der Landwirtschaft in die Industrie. Pompidou förderte insbesondere die Autoindustrie und den privaten Verkehr. In diesem Sinne wurden in vielen Städten Stadtviertel großteils abgebrochen, um Platz für Schnellstraßen zu schaffen.[8]
Anfang der 1960er Jahre beauftragte die britische Regierung eine Kommission unter Vorsitz von Colin Buchanan, eine Bilanz der bisherigen Stadtverkehrsplanung aufzustellen und Vorschläge für neue Planungskonzepte zu entwickeln. Der in Deutschland stark rezipierte Buchanan-Report Traffic in towns von 1963 enthält weiterentwickelte Konzepte. Buchanan unterschied als einer der Ersten zwischen dem notwendigen Autoverkehr (Wirtschafts- und Geschäftsverkehr) und dem beliebigen Autoverkehr. Da ein Großteil der Verkehrsprobleme seiner Meinung nach aus der extremen Zunahme des beliebigen Verkehrs resultiert, solle dieser konsequent begrenzt werden. Weiterhin machte er den Vorschlag einer umfeldabhängigen Kapazitäts- und Geschwindigkeitsbegrenzung. Für schützenswerte Bereiche („Environment-Zonen“) schlug er drastische Restriktionen vor. Die Qualität des Straßenraumes für Fußgänger und Aufenthalt solle hier absoluten Vorrang haben. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Sachverständigenkommission des deutschen Bundestages 1965.[9]
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