Die Thermoproteota (früher auch Crenarchaeota genannt; veraltet: Eozyten, wissenschaftlich: Eocyta) sind ein Phylum (Stamm bzw. Abteilung) einzelliger Lebewesen aus der Domäne der Archaeen (Archaea). Früher wurden die Thermoproteota ausschließlich für Extremophile gehalten (d.h. entweder (extrem) thermophil bzw. thermoacidophil oder psychrophil), jedoch zeigten weitere Untersuchungen, dass die Thermoproteota zu den häufigsten Archaea im Meer gehören.[1] Diese Gruppe wird als mesophile, „marine Gruppe I“ bezeichnet.
Schnelle Fakten Systematik, Wissenschaftlicher Name ...
Thermoproteota
Sulfolobus, infiziert mit dem Sulfolobus-Virus STSV1 (ICTV: Sulfolobus spindle-shaped virus 1). Maßstab = 1μm.
Innerhalb der Thermoproteota findet man Organismen, die an extreme Umweltbedingungen angepasst und in Bereichen mit sehr hoher oder sehr niedriger Temperatur zu finden sind. Viele Vertreter leben im arktischen Plankton, wo sie bei Temperaturen oft unter 0°C überleben. Diese Psychrophilen bzw. Kryophilen sind jedoch erst vereinzelt unter Laborbedingungen kultiviert worden. Eine andere Gruppe innerhalb der Thermoproteota lebt unter hyperthermischen Bedingungen, also bei Temperaturen von 80–110°C, Pyrolobus fumarii lebt sogar bei 113°C und überlebt auch einstündiges Autoklavieren. Viele der Thermoproteota wie z.B. Sulfolobus acidocaldarius tolerieren auch hohe Säurekonzentrationen (pH-Werte von 1–2) und sind damit thermoacidophil.
Einer der bestcharakterisierten Organismen der Thermoproteota ist Sulfolobus solfataricus (heute in eine andere Gattung transferiert, nun Saccharolobus solfataricus). Ursprünglich wurde dieser Organismus aus schwefelhaltigen heißen Quellen in Italien isoliert und wächst bei 80°C und einem pH-Wert von 2–4.[2]
Da in ihrem Lebensraum oft kein organisches Substrat vorhanden ist, leben viele von der Fixierung von Schwefel, Kohlenstoffdioxid oder Wasserstoff. Andere können jedoch auch organisches Material verstoffwechseln. Bei der Kohlenstoffdioxidassimilation verwenden sie entweder den 3-Hydroxypropionat/4-Hydroxybutyratzyklus (z.B. Sulfolobus) oder den Dicarboxylat/4-Hydroxybutyratzyklus (z.B. Desulfurococcales oder Thermoproteales).[3]
Eine Reihe von Viren parasitiert Vertreter der Thermoproteota (oder ist zumindest mit diesen assoziiert), darunter zwei Familien der Ligamenvirales (Rudiviridae und Lipothrixviridae) und zwei Familien der Juravirales (Yangangviridae und Yanlukaviridae).
Der Name Thermoproteota leitet sich ab von der Typusgattung Thermoproteus und damit von altgriechischΘέρμηthermē, deutsch ‚Hitze‘ und dem griechischen Meeresgott ΠρωτεύςPrōteús, der – nach der Mythologie – verschiedene Formen annehmen konnte. Die Endung ‚-ota‘ kennzeichnet Stämme (Abteilungen bzw. Phyla).
Die alte Bezeichnung Crenarchaeota stammt von altgriechischκρήνηςcrenos, deutsch ‚Ursprung‘ oder ‚Quelle‘, der Mittelteil verweist auf Archaeen, die Endung wieder auf ein Phylum: Es ist also ein Phylum urtümlich erscheinender Archaeen gemeint.
Die Bezeichnung Eocyta stammt von altgriechischἝωςHéōs, deutsch ‚Morgenröte‘ – im Sinn von Frühzeit (der Erde) – und κύτοςkýtos, deutsch ‚Gefäß‘, meint also Zellen der Urzeit.
In den Jahren um 2017 fanden sich anhand gefundener Genome Hinweise auf eine Reihe weiterer Organismen und Linien, die mit den Thermoprotei [Crenarchaeota s.a.] verwandt sind. Zunächst wurden gefunden:
jetzt: Klasse „CandidatusKorarchaeia“ Rinkeetal. 2021 in Themoproteota
Viele ursprünglich als Phyla angesehene Kladen gelten inzwischen als Klassen innerhalb der Thermoproteota. Da die bisherigen Namen mit der Endung ‚-ota‘ für Phyla stehen, gelten diese Bezeichner formal als Synonyme von ‚Thermoproteota‘ (Phylum).
Die Klade, die diese Archaeen-Gruppen zusammen mit den Crenarchaeota s.s. (d.h. den Thermoprotei) bilden, wurde vorläufig als „TACK-Supergruppe“ bezeichnet, benannt nach den Anfangsbuchstaben der Mitglieder (mit ihren ursprünglichen Bezeichnungen): ‚Thaum-‘, ‚Aig-‘, ‚Cren-‘ und ‚Kor-‘. Später wurden noch weitere Mitglieder dieser Klade entdeckt, darunter:[A. 1]
„Ca. Bathyarchaeota“ Mengetal. 2014
jetzt: Klasse „CandidatusBathyarchaeia“ in Themoproteota
Auch diese wurden daher sicher in die TACK-Supergruppe klassifiziert, wenn nicht sogar in das Phylum Thermoproteota (im letzteren Fall nähert sich das Phylum Thermoproteota vom immer mehr TACK an).
Für weitere verwandte Taxa wurde zudem eine eigene Supergruppe Asgard als Schwestertaxon von TACK vorgeschlagen.
Für die beiden Supergruppen[15] TACK und Asgard wurde als umfassende taxonomische Einheit der Name „Proteoarchaea“[16] (früher „Proteoarchaeota“[12]) vorgeschlagen.
In der LPSN wird die mit (+) kgekennzeichnete Klade als Ordnung Thermoproteales geführt; die GTDB-Ordnungen Thermofilales und Thermoproteales entsprechen dort den Familien Thermofilaceae und Thermoproteaceae.
Die in den 1980er Jahren von James Lake vorgeschlagene Eozyten-Hypothese legt nahe, dass sich die Eukaryoten (Zellen mit komplexem Aufbau und Vielzeller wie Pflanzen, Pilze und Tiere, insbesondere auch der Mensch) aus den prokaryotischen Eocyten (ein alter Name für Crenarchaeota) entwickelten.[18][19]
Die V-Typ ATPase der Eukaryoten ähnelt der A-Typ ATP-Synthase der Archaeen – eine Tatsache, die einen Ursprung der Eukaryonten unter den Archaeen nahelegt.
Die Ähnlichkeiten zu den bei Bakterien, Chloroplasten und Mitochondrien anzutreffenden F-Typ ATP-Synthasen sind dagegen weitaus geringer (das ausnahmsweise Auftreten des F-Typs bei einigen Archaeenlinien und des A-Typs bei einigen Bakterienlinien wird als Folge horizontalen Gentransfers angesehen).[20]
Proteasom genannte Proteinkomplexe haben offenbar bei dem Thermoproteota-Mitglied Sulfolobus acidocaldarius in der Zellteilung die gleiche Funktion wie bei Eukaryoten.[21]
Ein Hinweis auf eine enge Beziehung zwischen Thermoproteota und Eukaryoten ist das Vorhandensein eines Homologs der RNA-Polymerase-UntereinheitRbp-8[22] in Vertretern der Thermoproteota, die aber nicht in Archaeen des (Super-)Phylums Euryarchaeota zu finden ist.[23]
Schon mit der Entdeckung weiterer den (ursprünglich entdeckten) Thermoprotei nahestehenden Archaeengruppen innerhalb der Supergruppe TACK wurde spekuliert, ob diese den Eukaryoten vielleicht noch näher stehen könnten.
Tatsächlich wurden in der TACK-Schwestergruppe Asgard Archaeen (Hodarchaeales[24]) gefunden, die den Eukaryoten noch wesentlich näher stehen; möglicherweise sind die Eukaryoten sogar aus diesen Umgebung hervorgegangen.[25][26]
Diese Ergebnisse konkretisieren die Aussage der Endosymbiontentheorie bzgl. der Herkunft des letzten gemeinsamen Vorfahren der Eukaryoten (Last Eukaryotic Common Ancestor, LECA), auch wenn die Verwandtschaftsbeziehungen immer noch im Detail diskutiert werden.[17][27]
Eine im Herbst 2020 veröffentlichte Studie legt anhand von umfangreichen Genomanlysen tatsächlich nahe, dass – obwohl bisher noch keine primär amitochondrialen Eukaryoten gefunden wurden – die Vorfahren der Eukaryonten aus der Verwandtschaft der Asgard-Archaeen zuerst ihr komplexes Genom mit den zugehörigen Strukturen, und danach die Mitochondrien (oder Vorläufer davon) erworben haben.[28]
Anfang 2022 veröffentlichten Akıl etalMetagenom-Analysen aus dem Sediment einer heißen Quelle („Unteres Culex-Becken“, engl. Lower Culex Basin[29]) im Yellowstone-Nationalpark (USA).
Aufgrund dieser Analysen kodiert die Odinarchaeota-Spezies Candidaus Odinarchaeota archaeon LCB_4,[30][31] vorhergesagt für zwei prokaryotische FtsZ-Zellteilungsproteine sowie für ein weiteres, OdinTubulin genanntes Protein. Dieses zeigt Homologie sowohl zu eukaryotischenTubulinen, als auch (weniger stark) zu Ftsz-Proteinen und wird daher von den Autoren als eine Übergangsform zwischen den FtsZ-Proteinen und den Tubulinen angesehen.[32] Im November 2022 wurde bekannt, dass die Odinarchaeota darüber hinaus ein Protein OdinAK besitzen, das mit der Adenylat-Kinase AK6 des Menschen verwandt ist.[33]
Im Juli 2023 wurden dann von Laura Eme etal. die Hodarchaeales unter den Heimdallarchaeen als nächste Verwandte der Eukaryoten unter den bis dato bekannten Archaeen identifiziert.[24]
Eine Reihe von früher als Taxa im Rang eines Phylums klassifizierten Kladen des TACK-Superphylums wurden inzwischen herabgestuft und als Klassen den Thermoproteota zugeordnet, wobei die Namensendungen entsprechend angepasst wurden. Die ursprünglichen Bezeichner mit der Endung ‚-ota‘ gelten daher formal als Synonyme der Thermoproteota. Beispiele sind:
Referenzstamm ist nach LPSN „Cenporiarchaeum stylissum S13“ [Thaumarchaeota archaeon S13], weitere Stämme sind S14 und S15. In der GTDB wird die Spezies als Cenarchaeum sp003724275 bezeichnet und damit der Nitrosopumilaceae-Gattung „Ca. Cenarchaeum“ zugeordnet. Damit wären Cenarchaeum und Cenoporarchaeum synonym. In der LPSN ist Cenporiarchaeum incertae sedis innerhalb der Thermoproteota
Die Nitrosocaldales werden in der GTDB mit den Nitrososphaerales synonymisiert und gehören damit den Nitrososphaeria an (in der LPSN sind sie Thermoproteota incertae sedis).
Die NCBI-Taxonomie betrachtet Sulfosphaerellus als ein Synonym von Acidianus, die LPSN sieht Sulfosphaerellus als Sulfolobaceae ohne Familienzuordnung.
In der NCBI-Taxonomie gehört diese Gattung zum TACK-Phylum Nitrososphaerota; diese Klade wird in der LPSN als Klasse Nitrososphaeria bezeichnet. In Frage käme aber auch die GRDB-Klasse „Nitrososphaeria_A“.
Die Bezeichnung ‚Bakterien‘ ist nicht ganz korrekt, bei den betrachteten Mikroben handelt es sich um Archaeen oder (nach Ansicht mancher Forscher) jedenfalls von den Bakterien verschiedene Proto-Eukaryonten.
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Laura Eme, Daniel Tamarit, Eva F. Cáceres, Courtney W. Stairs, Valerie De Anda, Max E. Schön, Kiley W. Seitz, Nina Dombrowski, William H. Lewis, Felix Homa, Jimmy H. Saw, Jonathan Lombard, Takuro Nunoura, Wen-Jun Li, Zheng-Shuang Hua, Lin-Xing Chen, Jillian F. Banfield, Emily St. John, Anna-Louise Reysenbach, Matthew B. Stott, Andreas Schramm, Kasper U. Kjeldsen, Andreas P. Teske, Brett J. Baker, Thijs J. G. Ettema: Inference and reconstruction of the heimdallarchaeial ancestry of eukaryotes. In: Nature, Band 618, S.992–999; doi:10.1038/s41586-023-06186-2. Dazu:
Katarzyna Zaremba-Niedzwiedzka, Eva F. Cáceres, Jimmy H. Saw, Disa Bäckström, Lina Juzokaite, Emmelien Vancaester, Kiley W. Seitz, Karthik Anantharaman, Piotr Starnawski, Kasper U. Kjeldsen, Matthew B. Stott, Takuro Nunoura, Jillian F. Banfield, Andreas Schramm, Brett J. Baker, Anja Spang, Thijs J.G. Ettema: Asgard archaea illuminate the origin of eukaryotic cellular complexity. In: Nature Band 541, 19. Januar 2017, S.353–358; doi:10.1038/nature21031 (englisch).
Bram Henneman: Histone-DNA assemblies in archaea: shaping the genome on the edge of life. Leiden University Repository, 4. Dezember 2019; hdl:1887/81191. Hier: Kapitel 1: Introduction (englisch). Siehe Fig.1.1.
Julian Vosseberg, Jolien J.E. van Hooff, Marina Marcet-Houben, Anne van Vlimmeren, Leny M. van Wijk, Toni Gabaldón, Berend Snel: Timing the origin of eukaryotic cellular complexity with ancient duplications. In: Nature Ecology & Evolution, Band 5, 26. Oktober 2020, S.92–100; doi:10.1038/s41559-020-01320-z. Dazu:
Apoorv Verma, Emma Åberg-Zingmark, Tobias Sparrman, Ameeq Ul Mushtaq, Per Rogne, Christin Grundström, Ronnie Berntsson, Uwe H. Sauer, Lars Backman, Kwangho Nam, Elisabeth Sauer-Eriksson, Magnus Wolf-Watz: Insights into the evolution of enzymatic specificity and catalysis: From Asgard archaea to human adenylate kinases. In: Science Advances, Band 8, Nr.44, eabm4089, 4. November 2022; doi:10.1126/sciadv.abm4089, PMID 36332013, PMC9635829 (freier Volltext). Dazu: