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(oft mittels Seilzügen oder mechanisch bedientes) Glockenspiel Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Ein Carillon (/kaʁi'jɔ̃/; niederländisch beiaard) oder Turmglockenspiel ist ein spielbares, großes Glockenspiel, das sich typischerweise in einem Turm oder einem eigens errichteten Bauwerk befindet. Es besteht aus chromatisch oder diatonisch gestimmten Glocken, die mit einer Klaviatur von einem Spieler (Carilloneur, früher auch Glockenist)[1] oder mechanisch (etwa mit einer Walze oder durch elektronische Steuerung) gespielt werden können. Die konzertante Spielbarkeit unterscheidet es von der Spieluhrform des Glockenspiels, seine Größe und die Art der Glocken vom Orchesterröhrenglockenspiel.
In den Niederlanden gibt es den größten Bestand an Glockenspielen weltweit: insgesamt 806 Glockenspiele (davon 158 Carillons nach WCF-Standard). Auch in Belgien hat fast jede Stadt ein Carillon.
Carillon ist die französische Bezeichnung für ein „Turmglockenspiel“. Der Ausdruck bezeichnet auch das in Kapellen und Orchestern gespielte Metallstabglockenspiel und Musikstücke, die für das Glockenspiel bestimmt sind. Der Name ist von „quatrillionem“ abgeleitet, dem rhythmischen Anschlag von vier Glocken, wie er bereits im 14. Jahrhundert vom Turmwächter angewandt wurde.
Seinen Ursprung hat das Carillon in Belgien, den Niederlanden und Nordfrankreich. Das erste gestimmte Carillon wurde 1652 von Pieter und François Hemony gegossen und in Zutphen aufgebaut. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts geriet diese Kunst in Vergessenheit. Erst im späten 19. Jahrhundert wurde die fast vergessene Kunst des Carillonspiels wiederentdeckt. Einen großen Beitrag leistete der belgische Carillonneur (niederländisch: beiaardier) Jef Denyn aus Mechelen, der dort 1922 die Koninklijke Beiaardschool (Königliche Carillonschule) gründete.[2] Sie entwickelte sich zu einer international renommierten Ausbildungsstätte,[3] die die belgische Tradition des Carillonspiels bis heute prägt.[4] Das von dieser Schule ausgehende Programm zur Erhaltung und Weitergabe der Carillon-Kultur wurde 2014 von der UNESCO in ihr Register guter Praxisbeispiele der Erhaltung immateriellen Kulturerbes aufgenommen.[5]
1953 wurde in Amersfoort die Nederlandse Beiaardschool (Niederländische Carillonschule) gegründet.[6] 1935 gab es in den Niederlanden 60 Carillons, 1965 waren es 120 und 1978 bereits gut 200.[7]
Die World Carillon Federation (WCF) verlangt von einem klassischen Carillon, dass es über mindestens 23 Glocken (chromatisch über zwei Oktaven) verfügt und die Glocken direkt von einem Spieltisch aus mechanisch mit Seilzügen angeschlagen werden können.
Bei modernen Instrumenten kann der Impuls auf den Klöppel auch elektrisch (Elektromagnet) oder pneumatisch (Luftdruck) übertragen werden. Voraussetzung ist, dass auch hier die Klöppel dynamisch (laut und leise) gespielt werden können. Der Spieltisch ist meist mit Stocktasten versehen, manchmal auch mit einer Klaviatur.[8]
„Glockenspiel“ ist ein Überbegriff, der zum Beispiel auch tragbare und von Hand angeschlagene Instrumente umfasst.
Gespielte Stücke können auch gespeichert und später automatisch wiedergegeben werden, beispielsweise mechanisch-traditionell mit dem Welte-System oder über eine Computersteuerung.
Die Klöppel der Glocken oder außerhalb der Glocke angeordnete, federnd gelagerte Hämmer sind mit Zugdrähten und Kipphebeln mit den Tasten des Spieltisches verbunden und werden mechanisch von dem Carilloneur gespielt. Der Spieltisch eines Carillons ist dem einer Orgel ähnlich. Er besteht aus einem Rahmenwerk, in dem die Stöcke für das Manual und die Tasten des Pedals eingebaut sind. Die Stöcke des Manuals sind wie Klaviertasten angeordnet. Die Abstände zwischen den einzelnen Stöcken sind mit 58 mm jedoch wesentlich größer als bei einem Klavier.[9]
Da für das Anschlagen der Glocken eine große Kraft erforderlich ist, wird das Manual eines Carillons normalerweise mit der Faust gespielt, genauer gesagt mit dem mittleren Glied des kleinen Fingers. Die größeren Glocken können zudem nicht nur per Manual, sondern zusätzlich mit den Füßen per Pedal gespielt werden. Bei manchen Carillons können die größten Glocken nur per Pedal gespielt werden.
Aufgrund der Maße der Tasten können pro Hand nur ein bis maximal drei Töne mit Intervallen bis zu einer Quinte gespielt werden. Um beispielsweise zwei Töne gleichzeitig mit einer Hand zu spielen, wird die Hand geöffnet und die Stöcke werden mit Daumen und Zeigefinger heruntergedrückt.
Die Glocken beim Carillon sind nicht mit einer Dämpfung versehen, so dass vor allem die tiefen Glocken sehr lange nachklingen. Somit ist es auch nicht mehr möglich, den Klang einer einmal angeschlagenen Glocke noch zu beeinflussen, bis diese ausgeklungen ist. Des Weiteren klingen die großen Glocken wesentlich lauter und länger als die kleineren Glocken. Zudem ist der Teilton der kleinen Terz deutlich hörbar, was bei lang nachschwingenden Tönen schnell zu Dissonanzen führen kann. Somit erfordert das Carillonspiel eine sehr stark wechselnde Dynamik, die durch die Anschlagstärke der Stöcke reguliert wird, um Dissonanzen zu minimieren.
Carilloneur | Glockenspiel | Leben |
---|---|---|
Jacob van Eyck | Utrecht | 1590–1657 |
Hans Uwe Hielscher | Wiesbaden | * 1945 |
Thomas Jörg Frank | Wiesbaden | * 1972 |
David Kellner | Stockholm | 1670–1748 |
Ulrich Leykam | Düsseldorf | * 1948 |
Reinhard Raue | Geldern | 1953–2006 |
Wilhelm Ritter | Kassel
Aschaffenburg Berlin |
1950–2018 |
Staf Nees | Mechelen | 1901–1965 |
Frank Steijns | ||
Martin Stephan | Halle | * 1952 |
René Vanstreels |
Standort | Ort | Zahl der Glocken | Masse aller Glocken | Inbetriebnahme | Gießer |
---|---|---|---|---|---|
Roter Turm | Halle (Saale) | 76 | 54.980 kg | 1993 | Schilling, Apolda Karlsruher Glockengießerei |
Carillon im Tiergarten | Berlin | 68 | 48.000 kg | 1987 | Eijsbouts |
Mariahilfkirche[10] | München-Au | 65 | 22.000 kg | 2012 | Eijsbouts |
St. Joseph | Bonn-Beuel | 62 | 10.200 kg | 1960 | Schilling, Heidelberg |
Französischer Dom | Berlin | 60 | 29.000 kg | 1987 | Feingusswerk Pößneck / Neustadt a.d. Orla |
Bartholomäusturm | Erfurt | 60 | 13.600 kg | 1979/1992 | Schilling, Apolda |
Parochialkirche | Berlin | 52 | 8.600 kg | 2016 | Petit & Fritsen, Eijsbouts |
ehemalige St.-Nikolai-Kirche | Hamburg | 51 | 13.000 kg | 1993 | Eijsbouts |
Neubaukirche | Würzburg | 51 | 3.600 kg | 2005 | Petit & Fritsen |
Kieler Kloster | Kiel | 50 | 4.085 kg | 1999/2005 | A. Bachert, Karlsruhe; Perner, Passau |
Carillon im Olympiapark | München | 50 | 3.600 kg | 1972 2007 abgebaut, eingelagert |
Eijsbouts |
Stiftskirche | Herrenberg | 50 | 2.510 kg | 2012 | Eijsbouts |
Marktkirche | Wiesbaden | 49 | 11.071 kg | 1986 | Eijsbouts, (1986), Gebr. Rincker, Sinn (1962), Andreas Hamm, Frankenthal (1862) |
Pfarrkirche Unsere Liebe Frau | Eppingen | 49 | 3.983 kg | 1986 | Karlsruher Glockengießerei |
Krankenhaus Henriettenstiftung | Hannover | 49 | 2.600 kg | 1960 | Schilling, Heidelberg |
Marktturm des Rathauses | Aachen | 49 | 2.500 kg | 1979 | Eijsbouts |
Gustav-Adolf-Stabkirche | Hahnenklee | 49 | 2.000 kg | 2002/2005 | Schilling, Heidelberg Perner, Passau |
St.-Martins-Kirche | Illertissen | 49 | 1.500 kg | 2006 | Eijsbouts |
Alter Rathausturm | Köln | 48 | 12.500 kg | 1958 | Eijsbouts |
Turm des Neuen Rathauses | Chemnitz | 48 | 5.200 kg | 1978 | Schilling Apolda |
Schloss Johannisburg | Aschaffenburg | 48 | 2.100 kg | 1969 | Eijsbouts |
Stadtpfarrkirche | Geisa | 48 | 2.003 kg | 2002 | Eijsbouts |
Protestantische Stiftskirche | Kaiserslautern | 47 | 10.000 kg | 2009 | Bachert, Karlsruhe |
Rathaus | Magdeburg | 47 | 6.000 kg | 1974 | Schilling, Apolda |
Alte Nikolaikirche | Frankfurt am Main | 47 | 3.500 kg | 1957/1959/1994 | F. W. Schilling, Heidelberg Eijsbouts |
Karlskirche | Kassel | 47 | 2.750 kg | 1957/1989 | F. W. Schilling, Heidelberg Karlsruher Glockengießerei |
St. Aldegundis | Emmerich am Rhein | 43 | 7.000 kg | 2000 | Petit & Fritsen |
Christianskirche | Hamburg-Ottensen | 42 | 5.400 kg | 1938 | Schilling, Apolda |
Nikolaikirche | Berlin | 41 | 1.400 kg | 1987 | Schilling, Guss in Waren |
Kornmarktkirche | Mühlhausen | 41 | 1991 | Schilling, Apolda | |
Altes Schulhaus | Markt Weilbach | 39 | 2.032 kg | 2006/2016 | Bachert |
St. Marien | Lübeck | 37 | 16.760 kg | 1908 (32) / 2019 (5) | Schilling, Apolda; Rincker, Sinn |
Annakirche | Düren | 37 | 3.500 kg | 1964 | Petit & Fritsen |
Rathausturm | Melle | 37 | 1.767 kg | 2010 | Eijsbouts |
Museum für Zeit – Pfälzisches Turmuhrenmuseum | Rockenhausen | 37 | 2014 | Eijsbouts | |
Rathaus | Gera | 37 | 1.024 kg | 1988 | Feingusswerk Pößneck / Neustadt an der Orla |
Kleine Stiftskirche | Wechselburg | 36 | 980 kg | 1988 | Pößneck |
Fünfgiebelhaus am Universitätsplatz | Rostock | 32 | 500 kg | 1986 | Schilling; VEB Waren |
Kath. Pfarrkirche | Schirgiswalde | 29 | 1991 | Schilling, Apolda | |
Rathaus | Heidelberg | 26 | 800 kg | 1961 | Schilling, Heidelberg |
Carillon am Schlachtermarkt | Schwerin | 26 | 330 kg | 1991 | Schilling; Waren |
Park Bergfried | Saalfeld | 25 | 8.500 kg | 1924: Glocken 1986: Carillon |
Ulrich-AG, Apolda; Schilling, Apolda |
Altes Rathaus | Offenburg | 25 | 400 kg | 1989 | Pößneck |
Ehrenhain | Potsdam | 24 | 400 kg | 1987 | Schilling; VEB Waren |
Kirche Erscheinung des Herrn | Altenburg | 24 | 300 kg | 1982 | Schilling, Apolda |
St.-Johannis-Kirche[11] | Lößnitz im Erzgebirge | 23 | 2.400 kg | 1939 | Schilling in Apolda |
Carillon (Bad Godesberg) Stadtpark | Bad Godesberg | 23 | 1979 | Eijsbouts | |
Dreifaltigkeitskirche | Worms | 23 | 1956/2015 | Gebr. Rincker, Sinn |
Mobile Carillons in Deutschland
Mit 98 Glocken hat das Kloster von Mafra in Portugal das größte Glockenspiel. Mit 55 Tonnen Gesamtgewicht hat der Rote Turm in Halle (Saale) das schwerste Glockenspiel. Welches das älteste Glockenspiel ist, lässt sich nicht sagen, da Glockenspiele oft nicht als Ganzes gebaut, sondern nach und nach entstanden sind. Die älteste Glocke in einem Glockenspiel stammt aus dem 15. Jahrhundert.
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