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Buch von Umberto Eco Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Baudolino ist der Titel eines historischen Romans von Umberto Eco, der 2000 unter demselben Titel im italienischen Original und 2001 in der Übersetzung von Burkhart Kroeber erschienen ist. Er erzählt im Stil eines Schelmenromans die Lebensgeschichte eines piemontesischen Bauernjungen aus der Gegend von Alessandria, der anno 1154 als etwa Dreizehnjähriger von dem Stauferkaiser Friedrich I. Barbarossa adoptiert und an dessen Hof erzogen wurde, nach einem Studium in Paris zum Berater des Kaisers in italienischen Dingen aufstieg, 1189 mit dessen Heer zum Dritten Kreuzzug aufbrach, nach abenteuerlichen Reisen in den fernen Osten anno 1204 die Plünderung von Konstantinopel durch die Kreuzritter des Vierten Kreuzzugs miterlebte und einige Jahre später irgendwo im Orient verschollen sein soll.
Der Roman beginnt mit einem selbstverfassten Bericht des jungen Baudolino über seine erste Begegnung mit Barbarossa: Es muss während dessen erster Romfahrt 1154 gewesen sein, der noch ungekrönte Kaiser hatte sich im Wald und Nebel der westlichen Poebene verirrt, bat den Bauernjungen um Hilfe und wurde, nachdem er die Nacht in der Hütte von Baudolinos Vater verbracht hatte, am nächsten Tag von dem Jungen zu seinem Heer zurückgeführt. Der Text reproduziert den von Baudolino eigenhändig niedergeschriebenen Bericht, den er am kaiserlichen Hofe in Regensburg „Anno Domini MCLV“ (1155) unter der Überschrift „Chronik des Baudolino aus dem Geschlecht der Aulari“ verfasst hat. Da er gerade erst Lesen und Schreiben gelernt hat und in seiner heimatlichen Mundart zu schreiben versucht, ist sein Bericht in einer zunächst gewöhnungsbedürftigen, dann aber sich als sehr plastisch und farbig erweisenden Sprache und Orthographie geschrieben.
Nach dieser sehr persönlichen Einleitung wird das Leben Baudolinos zwar in der dritten Person und in heutiger Sprache erzählt, aber so, wie er selbst es im April 1204 als bereits über Sechzigjähriger in Konstantinopel dem byzantinischen Historiker und hohen Beamten Niketas Choniates erzählt, den er aus den Händen marodierender fränkischer Kreuzfahrer gerettet und in Sicherheit gebracht hat.[1] Während er dem Byzantiner sein Leben erzählt und mit ihm darüber und allgemein über den Lauf der Welt spricht, sehen sie von einem sicheren Ort aus zu, wie die prächtige Stadt am Bosporus drei Tage lang brennt und geplündert wird. Am vierten Tag wagen sie es, ihr Versteck zu verlassen, und ziehen verkleidet gemeinsam mit anderen Flüchtlingen in die Stadt Selymbria am Marmarameer. Dort beendet Baudolino die Erzählung seines Lebens. Sie lässt sich inhaltlich und perspektivisch in zwei Teile zerlegen:[2]
Schon als zwölf- bis dreizehnjähriger Bauernjunge hat Baudolino den deutschen Kaiser, der sich im Nebel der Poebene verirrt hatte, mit einem Lügenmärchen beeindruckt: San Baudolino, der Ortsheilige jener Gegend, habe ihm die Einnahme der nahe gelegenen Stadt Tortona durch Kaiser Barbarossa prophezeit. Friedrich ist von dem Jungen angetan und nimmt ihn mit zur Kaiserkrönung nach Rom. Danach kümmert sich Bischof Otto von Freising in Regensburg um Baudolinos Erziehung[3], wobei er den ohnehin mit ausgeprägter Fabulierlust Gesegneten lehrt, es sei ein gutes Werk, um der höheren Wahrheit willen „falsch zu bezeugen, was du für richtig hältst“.[4] Auf dem Sterbebett mahnt er ihn, stets an das Reich des Priesterkönigs Johannes im fernen Osten zu denken und nach ihm zu suchen. Denn: „Nur wenn man danach sucht, wird man das Banner der Christenheit über Byzanz und Jerusalem hinaustragen können.“[4]
Baudolino nimmt sich den Rat zu Herzen, geht jedoch vorerst zum Studium nach Paris und lernt dort erste Freunde kennen: einen Rittersohn aus Köln, von dem alle nur als „der Poet“ sprechen, einen rothaarigen Levantiner namens Abdul, der schöne provençalische Lieder zur Laute singt, einen fahrenden Scholaren namens Boron, einen für die bretonischen Ritter- und Feengeschichten schwärmenden Franzosen namens Kyot und den jüdischen Rabbi Solomon.[5] Mit ihnen trainiert er sein Talent zum Erfinden von Lügengeschichten, wozu sie wiederholt Haschisch konsumieren, sprich: den berauschenden „grünen Honig“, den Abdul bei den Assassinen kennengelernt hat.
Nach dem Studium nimmt Baudolino seine Freunde mit an den Hof des Kaisers, wo er zu einem Ministerialen des Reiches ernannt wird. Als solcher – und als begabter Lügner – nimmt er Einfluss auf den Verlauf der Weltgeschichte: Er begleitet den Kaiser auf dessen Feldzügen nach Italien, dient ihm als gewiefter Unterhändler in den Auseinandersetzungen mit den lombardischen Städten, erlebt die Gründung der Stadt Alessandria mit[6] und später die Schlacht von Legnano[7], beschafft nützliche Reliquien – so etwa die Gebeine der Heiligen Drei Könige, deren Überführung nach Köln anno 1164 er zusammen mit seinen Freunden organisiert – und tut alles, um die Macht und das Ansehen seines Adoptivvaters zu vergrößern.
So erfinden die Freunde in Anlehnung an die Begegnung des Seefahrers Sindbad mit dem Prinzen von Sarandip einen Brief des angeblich über Indien herrschenden Priesterkönigs Johannes an Kaiser Friedrich, der dessen Autorität in der Auseinandersetzung mit dem Papst stärken soll, womit sie jedoch eine formidable politische Fälschergeschichte auslösen. Denn noch bevor sie den Brief wirklich abschicken, kopiert ihn ein griechischer Spion namens Zosimos, ändert ihn ein wenig um und adressiert ihn an Kaiser Manuel von Byzanz, aber später taucht der Brief, diesmal an Papst Alexander III. gerichtet, offenbar auch in Rom auf. In den nur leicht verschiedenen, dem jeweiligen Adressaten angepassten Versionen wird stets ausführlich von der großen Macht und dem juwelenstrotzenden Reichtum jenes fernen Landes im Osten berichtet.[8] Als Geschenk des morgenländischen Priesterkönigs an den abendländischen Kaiser hatte Baudolino den Heiligen Gral vorgesehen[9], unter dem man sich damals zumeist einen besonders kostbaren Kelch vorstellte, aus welchem Jesus beim letzten Abendmahl getrunken haben sollte. Doch statt eines goldenen und juwelenbesetzten Kelches präsentiert Baudolino, als er dann etwas vorweisen muss, die hölzerne Trinkschale seines Vaters als „den“ Heiligen Gral (denn das Trinkgefäß des einfachen Zimmermannssohnes Jesus könne ja nicht aus Gold und Juwelen bestanden haben, sondern müsse „schlicht, schmucklos, arm wie Unser Herr Jesus Christus“ gewesen sein[10]). Und die Operation gelingt ihm, denn wie Niketas in einem früheren Gespräch über Reliquien bemerkt hat: „Es ist der Glaube, der sie echt macht, nicht sie den Glauben“.[11]
Weder der Gral noch Baudolino können jedoch verhindern, dass Barbarossa, als er 1189 zum Dritten Kreuzzug aufbricht, unterwegs in Kilikien beim Schwimmen in dem Flüsschen Saleph stirbt. In Baudolinos Erinnerungen liest sich Barbarossas Tod allerdings ganz anders als in den Geschichtsbüchern, und der mysteriöse Badeunfall seines geliebten Adoptivvaters wird ihn noch lange beschäftigen und erst gegen Ende seiner Geschichte eine (mögliche) Erklärung finden.
Nach Friedrichs Tod beschließt Baudolino, nicht umzukehren, sondern mit seinen Freunden und Getreuen weiter nach Osten zu ziehen, um das Reich des Priesters Johannes zu finden. Diese Expedition führt die Gruppe in ferne Weltgegenden, die von allerlei kuriosen Menschen- und Monsterwesen bewohnt sind – ein phantastischer, teils komischer, teils anrührender, teils dramatischer Streifzug durch die mittelalterliche Mythologie der Fabelwesen. Dabei bedienen sich die Reisenden der Weltkarte des Kosmas Indikopleustes, der eine flache Erde annahm. Nach einer endlosen Reise durch Steppen und Wüsten, die sie unter anderem durch das Land der weisen Gymnosophisten führt, welche in paradiesischer Nacktheit leben, und durch das stets und immer stockdunkle Land Abkasia, wo der fieberkranke Abdul wieder zu singen beginnt, aber danach die Begegnung mit einer Mantikore nicht überlebt, gelangen sie endlich zu dem steinernen Fluss Sambation, hinter dem angeblich die zehn verlorenen Stämme Israels leben und der nur am Sabbat überquert werden kann, weil er dann stillsteht, aber am Sabbat darf ihn auch Rabbi Solomon nicht überqueren, was jedoch für den einfallsreichen Baudolino kein Problem ist.
Schließlich erreichen sie die Stadt Pndapetzim zu Füßen eines Gebirges, hinter dem das Reich des Priesters Johannes liegen soll. In dieser Stadt, die aus zahlreichen spitzen Felsenkegeln mit bienenwabenartigen Höhlenhäusern besteht, ähnlich der Stadt Göreme in Kappadokien, werden die Reisenden lange aufgehalten, sie schließen Freundschaft mit einem hilfsbereiten Skiapoden (Einfüßler) namens Gavagai[12], der ihnen das multikulturelle Völkergewimmel erklärt, das dort in schönster Eintracht, aber theologischer Zwietracht zusammenlebt, Baudolino führt lange Gespräche mit dem „Diakon Johannes“, der als Stellvertreter des Priesters Johannes über Pndapetzim herrscht (sich jedoch als ein leprakranker Jüngling erweist, der ähnlich phantastische Vorstellungen vom Leben im Abendland hat wie die Abendländer vom Leben im Morgenland), und am Ende verliebt sich Baudolino sogar unsterblich in eine feenhafte Jungfrau mit Einhorn namens Hypatia, die ihn nicht nur in eine für ihn ganz neue Art von Liebe, sondern auch in die Grundzüge der gnostischen Weltsicht und Gottesvorstellung einführt.
Da aber droht der Stadt ein Angriff der berüchtigten Weißen Hunnen, Baudolino und seine Freunde helfen den Einwohnern, sich zu wehren, und organisieren die Verteidigung, angeführt von dem kampferprobten Poeten, doch vergebens, die theologische Zwietracht der Pndapetzimer überwiegt, und die Hunnen überrollen die Stadt. Von Baudolinos Gruppe können nur er selbst, der Poet und vier weitere entkommen. Sie werden von Kynokephalen entführt und jahrelang auf der Burg des Assassinenführers Raschid ad-Din Sinan festgehalten, der hier Aloadin genannt wird. Schließlich können sie, getragen von drei riesigen Vögeln Roch, in einem Zug über Wüsten, Steppen, Wälder und Berge zurück nach Konstantinopel fliegen.
Dort sind inzwischen die Kreuzfahrer eingetroffen und belagern die Stadt, Baudolino und seine restlichen Freunde erleben die wirren Monate vor der Eroberung Konstantinopels im April 1204, nutzen die anarchische Lage, um Geschäfte mit falschen Reliquien zu machen: So bringen sie etwa das Leichentuch des leprakranken Diakons Johannes als Grabtuch Jesu Christi unter die Leute. Dabei geraten sie in Streit und Konflikt miteinander, und so kommt es am Ende zu einem regelrechten Showdown in den Katakomben von Konstantinopel. Unmittelbar danach trifft der geschockte Baudolino in der von plündernder Soldateska wimmelnden Hagia Sophia auf Niketas, befreit ihn aus den Händen der Kreuzritter und flieht schließlich mit ihm nach Selymbria.
Nachdem Baudolino seine Lebensgeschichte zu Ende erzählt hat, wird ihm endlich klar, wie sein Adoptivvater Friedrich Barbarossa wirklich gestorben ist: Entsetzt über seine eigene Rolle bei diesem Tod, zieht er sich in ein Leben als Säulenheiliger zurück, verbringt ein gutes Jahr als büßender Einsiedler und weiser Ratgeber auf einer Eremitensäule am Stadtrand von Selymbria, steigt dann herab und macht sich, aus Sehnsucht nach seiner geliebten Hypatia, erneut auf den Weg in den fernen Osten. „Niketas sah ihn in der Ferne entschwinden, die Hand noch winkend erhoben, doch ohne sich noch einmal umzudrehen, unbeirrt unterwegs zum Reich des Priesters Johannes.“[13]
Stilistisch ist Baudolino – Ecos vierter Roman und der erste, mit dem er nach Der Name der Rose ins Mittelalter zurückkehrt – das Gegenteil seines fünf Jahre zuvor erschienenen Barockromans Die Insel des vorigen Tages: Im lockeren Plauderton erzählt er die Lebensgeschichte eines charmant schlitzohrigen Lügners, dem es allein durch seine blühende Phantasie und seine nie erlahmende Überredungsgabe gelingt, die Großen der Welt zu beeinflussen – und das hieß zu seiner Zeit immerhin den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches! Dabei werden mit leichter Hand und ganz nebenbei eine Reihe von Fragen beantwortet, die in der „offiziellen“ Geschichtsschreibung des Mittelalters bisher als ungeklärt gelten und wohl auch nie endgültig geklärt werden können. Zum Beispiel die Hintergründe der Heiligsprechung Karls des Großen oder die Frage, wie eigentlich die Gebeine der Heiligen Drei Könige, 1162 in Mailand gefunden, als solche identifiziert werden konnten und so, wie sie heute im Kölner Dom liegen, dorthin gekommen sind. Oder die Frage, wer den angeblichen Brief des Priesterkönigs Johannes an Manuel I. Komnenos verfasst hat, der seinerzeit in Europa großes Aufsehen erregte und allerlei wilde Spekulationen auslöste. In Ecos Roman erfährt man nun, dass und wie es der begabte Lügner Baudolino war, der all dies und noch vieles andere in die Wege geleitet hatte. So kann man in einem gewissen Sinn sagen, dass hier endlich alle offenen Fragen der Geschichtsschreibung des 12. Jahrhunderts beantwortet werden, sogar die des Todes von Barbarossa.
Brechung traditioneller Motive aus dem Historien- und Abenteuerroman
Eco durchsetzt den Roman mit postmoderner Ironie in verschiedenen Formen:
Auch bei diesem vierten Roman von Eco, wie bereits bei seinem fünf Jahre zuvor erschienenen dritten, Die Insel des vorigen Tages, war die Kritik im deutschsprachigen Raum gespalten: Von harschen Verrissen, die den Roman als stofflich total überladen und literarisch mangelhaft verarbeitet kritisieren („diesem Spiel ist seine Prosa nicht gewachsen“[14]) oder gar als „ein Werk des Kalküls und der kalten Berechnung“, denn hier „schimmert unter dem mittelalterlichen Kostüm der Armani-Anzug des ausgefuchsten Medien- und Presseagenten aus der Welt Berlusconis hervor“[15], über schwankende Urteile („Leseerlebnis“, „herrliche Kapitel“, aber insgesamt „zu dick“[16]) bis zu positiven Bewertungen als „sinnenpralles Panorama des Mittelalters“[17] „mit farbenprächtigen Mittelalterszenarien“, einer „atmosphärisch bezwingende[n] Gründungsgeschichte Alessandrias“ und einem „vergnüglichen Reisebericht“[18] oder schließlich als „auch eine philosophische Elegie“.[19] Verlegerisch war der Roman fast so erfolgreich wie Ecos erster Roman Der Name der Rose.
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