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Vorrichtung zur anonymen Abgabe von Neugeborenen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Eine Babyklappe, auch Babynest, Babykörbchen, Babyfenster oder Drehlade (italienisch Torno) genannt, ist eine Vorrichtung, mit der Neugeborene anonym bei einer Institution abgegeben werden können. Die Einrichtungen haben das Ziel, Aussetzungen oder Tötungen Neugeborener zu verhindern. Das neugeborene Baby kann durch eine Klappe in ein Wärmebett gelegt werden, wobei die abgebende Person anonym bleibt. Sobald die Klappe geschlossen ist, wird durch ein elektronisches Signal Hilfe herbeigerufen, so dass das Kind versorgt werden kann.
Charakteristisch für das Hilfskonzept der Babyklappen ist, dass sie die Möglichkeit bieten, ein Kind abzugeben, und dabei sowohl für die Gesundheit des Kindes als auch für die Anonymität der Mutter bzw. abgebenden Person Sorge getragen wird. Viele Einrichtungen hinterlegen in der Klappe (meist mehrsprachiges) Informationsmaterial, in dem auf anonyme Beratungsmöglichkeiten hingewiesen wird.
Babyklappen gibt es seit dem 12. Jahrhundert. In verschiedenen Ländern werden seit Beginn des 21. Jahrhunderts aus unterschiedlichen Motivations- und Interessenlagen moderne Babyklappen betrieben. Obwohl Babyklappen helfen können, das Aussetzen oder die Tötung Neugeborener zu verhindern, sind sie in manchen Ländern umstritten.
Sogenannte Findelkinder wurden schon vor Jahrhunderten von Findelhäusern und Waisenhäusern aufgenommen. Eine der ältesten „Babyklappen“ ist noch heute am italienischen[1] Hospital Santo Spirito sichtbar. Papst Innozenz III. ließ gegen Ende des 12. Jahrhunderts als Erster verfügen, dass an den Pforten der (damals besonders in den romanischen Ländern zahlreichen) Findelhäuser sogenannte Drehladen (italienisch Torno) angebracht würden. Die erste Drehlade wurde 1198 im Spital des Heiligen Geistes (Ospedale di Santo Spirito) in Rom errichtet. Im 14. Jahrhundert wurden die Findelhäuser der Santissima Annunziata in Neapel und das Ospedale degli Innocenti in Florenz gestiftet; beide besaßen einen drehbaren Holzzylinder (italienisch Ruota), an dem bis 1875 Säuglinge anonym abgegeben werden konnten.
In Hamburg wurde im dortigen Waisenhaus 1709 eine Drehlade eingerichtet, ausdrücklich zur Verhütung von Kindesmord, die aber aufgrund des großen „Erfolges“ (mehr als 200 abgegebene Kinder in einem Jahr) 1714 wieder geschlossen wurde.[2]
Johann Georg Krünitz beschreibt eine entsprechende Vorrichtung in seiner Oeconomischen Encyklopädie mit diesen Worten:
„An den Findelhäusern wird die Einrichtung gemacht, dass die Kinder in einen gewissen Drehschrank, Rolle oder Walze, Torno genannt, geleget, und dieselbe umgedrehet wird, dass das Kind in das Haus hineinwärts zu liegen kommt. Man zieht alsdenn an der daselbst befindlichen Glocke oder Klingel, und geht davon; da denn das Kind auf dieses gegebene Zeichen sogleich von den dabey wachenden Aufsehern in Empfang genommen wird. Gedachtes Behältnis oder Torno, welches in der Mauer an einer eisernen Spindel befestigt ist; sieht gemeiniglich einem großen Kornscheffel ähnlich, und kann umgedrehet werden, so bald der Deckel davon genommen wird.“
Und an anderer Stelle fügt er hinzu:
„Der Torno an dem Hamburger Findel= und Waisenhause, hat folgende merkwürdige Überschrift:
Auf dass der Kindermord nicht künftig werd verübet,
Der von tyrannscher Hand der Mutter oft geschicht,
Die gleichsam Molochs Wuth ihr Kindlein übergiebet,
Ist dieser Torno hier auf ewig aufgericht. ANNO 1709.“
Auch in Kassel (1764) und Mainz (1811) gab es bereits[3] Vorläufer der Babyklappe. In Mainz war sie in einer Hebammenanstalt, den sogenannten Triller.
1811 verordnete Kaiser Napoleon I., dass derartig ausgestattete Findelhäuser in allen französischen Departements errichtet werden sollten. Im Mittelalter wurde die Drehlade oft missbraucht, indem dort kranke Kinder ausgesetzt wurden. Auch Eheleute, die ihr Kind hätten aufziehen können, gaben es dort aus Armut ab. Im Jahre 1906 gab es in Italien noch 464 Drehladen. Die letzten Drehladen sollen 1913 in Toledo, 1939 in Warschau und 1952 in Kuba geschlossen worden sein.[4]
Das neugeborene Baby kann anonym durch eine Klappe oder auch eine Tür in ein Wärmebett gelegt werden. Manche Vorrichtungen lassen sich mit einem Taster öffnen.[5] Das Wärmebett ist konstant mit einer Temperatur von 37 Grad beheizt. Die Öffnung schließt sich, wenn sie nicht per Hand zugedrückt wird, sehr langsam selbstständig. Zum Schutz des Kindes wird die geschlossene Babyklappe verriegelt. In manchen Einrichtungen wird das Helfersystem informiert,[6] wenn die Klappe sich öffnet, in anderen, sobald die Klappe geschlossen ist. Eine Meldung wird mit Verzögerung als stummer Alarm weitergeleitet. Das durch den stummen Alarm benachrichtigte Fachpersonal kann sich nun um das Findelbaby kümmern. Das Baby ist in sicheren Händen und wird umgehend medizinisch versorgt.[7]
In einigen Babyklappen befindet sich ein Formular, auf dem der Name des Neugeborenen eingetragen werden kann. Die Mutter kann Kennwörter und anonyme Erkennungszeichen hinterlassen, welche in versiegelten Umschlägen aufbewahrt werden. Sie sollen eine spätere Identifizierung und Kontaktaufnahme ermöglichen. In manchen Einrichtungen werden die Mütter aufgefordert, einen Hand- oder Fußabdruck des Kindes mittels eines Stempelkissens zu nehmen, um eine Wiedererkennung zu gewährleisten, falls die Mutter später doch noch Kontakt aufnehmen möchte.[5]
Die ersten modernen Babyklappen in Deutschland wurden 2000[8] in Hamburg und Lübeck sowie im September vom Krankenhaus Waldfriede in Berlin als erstem deutschen Krankenhaus,[9][10] 2001 in Karlsruhe und weiteren Städten wieder eingerichtet, da Kindesaussetzung in gewissem Umfang immer noch aktuell ist, wie der Historiker Wolfgang Reinhard vermutet.[2] Sie bestehen aus einem Wärmebett, in das von außen der Säugling hineingelegt werden kann. Mit einer Zeitverzögerung, die der einlegenden Person die Möglichkeit gibt, sich unentdeckt zu entfernen und so ihre Anonymität zu wahren, wird ein stummer Alarm ausgelöst. Der ruft Fachpersonal herbei, das sich um das Findelkind kümmert.
In Hamburg gibt es seit dem Jahr 2000 an drei Stellen Babyklappen. Bis Anfang 2020 wurden dort 56 Kinder hineingelegt, 16 davon wurden später von den Müttern zurückgeholt.[11] Die zweite Stadt in Deutschland mit Babyklappe war Lübeck. Bis August 2024 wurden dort 23 Neugeborene abgelegt,[12][13] eines der Kinder wurde später von den Eltern wieder aufgenommen.
Zwischen 2000 und 2009 sind in Deutschland etwa 80 Babyklappen[14] entstanden. Laut Terre des Hommes wurden 38 Kinder im Jahr 2008 anderswo ausgesetzt, von denen acht lebend gefunden wurden.[15] Bis Ende 2009 wurden an 98 Babyklappen und vergleichbaren Einrichtungen in Deutschland mindestens 209 Kinder abgegeben.[14] Bis Januar 2012 waren es 278 abgelegte Kinder, 652 anonyme Geburten und 43 anonyme Übergaben.[16]
In der Schwangerschaftskonfliktberatung besteht die Möglichkeit, wirtschaftliche Fragen zur Schwangerschaft zu besprechen.
Seit 1999 wird in Deutschland von den kirchlichen und freien Trägern der Schwangeren-, Kinder- und Jugendhilfe sowie von Krankenhäusern die Möglichkeit zur anonymen Kindesabgabe angeboten. Es gibt vier verschiedene Modelle für die anonyme Abgabe eines Säuglings: die anonyme Kindesabgabe an einen anderen Menschen, die Babyklappe, die anonyme Geburt und die vertrauliche Geburt. In allen Fällen wird das Kind zunächst Pflegeeltern zugeführt.[17]
Nach § 16 des Personenstandsgesetzes (PStG) muss die Geburt eines Kindes innerhalb einer Woche dem Standesamt angezeigt werden, wobei stets der Name der Mutter anzugeben ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PStG). Die Verletzung der Anzeigepflicht stellt grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit dar und kann auch den Straftatbestand der Personenstandsfälschung in der Form der Personenstandsunterdrückung nach § 169 StGB erfüllen. Anzeigepflichtig nach § 17 PStG sind neben Mutter und Vater alle Personen, die bei der Entbindung zugegen waren. Strafbarkeit kann ebenfalls nach § 170 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) vorliegen und entfällt erst bei Adoption.[18][19] Ob die Tat durch den rechtfertigenden Notstand gemäß StGB gerechtfertigt ist, ist umstritten.[20] (siehe: Anonyme Geburt#Deutschland)
Bisher sind mehrere Anläufe gescheitert, eine gesetzliche Regelung für den Umgang mit Babyklappen und den dort abgelegten Kindern zu erreichen. Hinderungsgründe für die angestrebte Regelung waren familien- und verfassungsrechtliche Bedenken, die das Persönlichkeitsrecht der anonym abgegebenen Kinder bedroht sahen, denn es ist ein Grundrecht eines jeden Kindes, seine wahre Herkunft zu erfahren. Aus diesem Grund fordern einige Parteien, die Babyklappen zu schließen und stattdessen nach anderen Lösungen zu suchen.[21]
Anbieter von Babyklappen möchten durch anonyme Kindesannahme Kindesaussetzung oder -tötung vermeiden. Eine Kausalität ist jedoch bisher nicht nachgewiesen.[17][22] Aus medizinischer Sicht gibt es in vielen Fällen keine Warnsignale, die auf eine bevorstehende Kindstötung hinweisen. Das erschwert das Finden von alternativen Gegenmaßnahmen, um das Leben der Neugeborenen zu retten. Das Fehlen von Warnsignalen ist daher ein Grund, warum Babyklappen als mögliche lebensrettende Maßnahme in Betracht gezogen werden.[23] Meist verdrängen Frauen, die später ihr Kind töten oder aussetzen, die Schwangerschaft und geraten in Panik.[24]
Ende November 2009 empfahl der Deutsche Ethikrat, die bestehenden Angebote von Babyklappen und zur anonymen Geburt aufzugeben.[25] Sie seien „ethisch und rechtlich sehr problematisch“, da sie insbesondere das Recht des Kindes, seine Herkunft zu erfahren, verletzten. Erfahrungen legten zudem nahe, dass Frauen, bei denen die Gefahr bestehe, dass sie ihr Neugeborenes töten oder aussetzen, durch die Angebote oft nicht erreicht werden. Die öffentlichen Stellen der Kinder- und Jugendhilfe sowie freie Träger stellten „ein umfangreiches Angebot an wirksamen Hilfestellungen für Frauen selbst in extremen Notlagen bereit“, bei denen dem Kind seine Herkunft nicht unbekannt bleibe. Der Rat empfiehlt, diese Angebote auszuweiten und stärker darüber zu informieren. Weitere Maßnahmen werden gefordert.[25]
Manche Kritiker sehen das Babyklappenkonzept als gescheitert an und bemängeln, dass die Zahl der ausgesetzten Kinder trotz der Einführung von Babyklappen und weiteren Angeboten zur anonymen Geburt nicht zurückgegangen sei. Die Tötung eines Neugeborenen folge einer anderen Psychodynamik als die geplante Aussetzung eines Kindes in der Klappe oder seine anonyme Geburt in einer Klinik. Babyklappen würden stattdessen von Eltern benutzt, die ihr Kind ansonsten regulär zur Adoption freigegeben hätten. Babyklappen und Einrichtungen zur anonymen Geburt ermöglichten „diesem Personenkreis, sich der elterlichen Verantwortung auf einfachste Weise zu entziehen“.[26]
In Österreich wurde die erste Babyklappe im Herbst 2000 in Wien eröffnet.[27] Derzeit gibt es Babyklappen in Wien, St. Pölten, Wiener Neustadt, Klagenfurt, St. Veit an der Glan, Villach, Wolfsberg, Graz, Salzburg, Hallein, Lienz, Linz, Wels, Vöcklabruck, Ried und Bregenz. Mit zwei- bis dreimal im Jahr werden sie wesentlich seltener genutzt als anonyme Entbindungen, die 30- bis 40-mal im Jahr vorkommen.[28][29]
In der Schweiz wurde das erste Babyfenster 2001 beim Spital Einsiedeln eröffnet.[30] Bis Februar 2012 wurden acht Kinder dort abgegeben.[31] Im Juni 2012 eröffnete das Spital Davos ein Babyfenster,[32] im Juni 2013 das Kantonsspital Olten[33] und im November 2013 das Lindenhofspital in Bern.[34] Im Jahr 2014 eröffneten auch das Spital Zollikerberg im Kanton Zürich und das Spital «San Giovanni» in Bellinzona ein Babyfenster.[35][36]
In der Schweiz gibt es acht Babyfenster, sechs werden von der Schweizerischen Hilfe für Mutter und Kind (SHMK) finanziert, einer Stiftung, die gegen Abtreibungen eintritt.[37][38] Die SHMK kommt auch für die Folgekosten auf, die durch eine Kindsabgabe entstehen. Die Kosten betragen pro Fall zwischen 10.000 und 20.000 Schweizer Franken und entstehen vor allem in der Zeit der Platzierung des Kindes bei Pflegeeltern bis zum Vollzug der Adoption.
Seit 2015 gibt es eine Babyklappe in Basel und seit 2016 gibt es in Sitten die achte Babyklappe der Schweiz.[39] Von 2001 bis 2019 wurden 24 Babys abgegeben.[40]
Ein Großteil der Schweizer Bevölkerung sieht Babyfenster als sinnvoll an (> 90 % im Jahr 2016).[41] Laut der Stiftung Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind korreliert in der Schweiz die Abnahme der tot aufgefundenen und ausgesetzten Neugeborenen mit der Zunahme der an Babyfenstern abgegebenen Neugeborenen.[42]
Der Bundesrat stellt 2016 fest, dass die Gesamtzahl der Fälle, in denen Mütter ihre Identität verheimlichen seit Einführung der Babyfenster nicht angestiegen sind. Er ist der Ansicht, dass ein Verbot von Babyfenstern dazu führen könnte, dass eine Mutter in einer Notsituation ihr Kind im Versteckten aussetzt und dieses in der Folge nicht rechtzeitig einer medizinischen Betreuung zugeführt werden kann. Um dies zu verhindern, sind die negativen Aspekte des Babyfensters (Verletzung des Anspruches auf Kenntnis der Abstammung und der Meldepflicht) aus Sicht des Bundesrates in Kauf zu nehmen. Die Rettung des Lebens eines Kindes wiegt nach Ansicht des Bundesrats die Verletzung seines Anspruchs auf Kenntnis der Abstammung bei Weitem auf.[43]
Neben möglichen medizinischen Gefahren für Mutter und Kind vor, während und nach einer unbetreuten Geburt kann die Babyklappe für den Säugling Risiken durch technisches Versagen bergen.[53][54]
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