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Reformschrift Martin Luthers Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
An den christlichen Adel deutscher Nation: von des christlichen Standes Besserung (An den Christlichenn Adel deutscher Nation: von des Christlichen standes besserung: D. Martinus Luther.) ist eine Reformschrift Martin Luthers, verfasst in frühneuhochdeutscher Sprache im Jahr 1520. Ihre Bedeutung liegt darin, dass Luther in dieser Schrift eindeutig mit der römisch-katholischen Kirche brach. Er bezeichnete den Papst (konkret: Leo X. aus dem Hause Medici) als Antichrist und formulierte den Grundsatz des Priestertums aller Getauften. Die Zweiteilung der Christenheit in Klerus und Laien wurde damit aufgegeben. Adel und Kaiser, aber auch die städtischen Magistrate und in letzter Konsequenz alle Christen wurden aufgefordert, Reformen der Kirche in die Wege zu leiten. Luther, der kurz davor war, von der Amtskirche als Häretiker ausgeschlossen zu werden, agierte dabei auch als Provokateur: Mit der Adelsschrift „bestätigte er, dass man ihn ausschließen mußte, just in dem Moment, in dem dies geschah.“[1]
Innerhalb weniger Wochen verfasst, erschien die Adelsschrift am 5. August 1520 mit der relativ hohen Auflage von 4000 Exemplaren. In kurzer Folge schlossen sich 14 Nachdrucke an, die außer in Wittenberg auch in Augsburg, Basel, Leipzig, München und Straßburg erschienen. Die damit erreichte Breitenwirkung blieb aber kurzzeitig, weil die weitere Eskalation von Luthers Konflikt mit der Amtskirche das Interesse der Zeitgenossen auf sich zog.
Die Zusammenfassung der Adelsschrift mit dem Traktat Von der Freiheit eines Christenmenschen und der Schrift Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, manchmal auch mit der Schrift Von den guten Werken zu einer Gruppe „reformatorischer Hauptschriften“ stammt nicht von Luther selbst, sondern wurde erst im 19. Jahrhundert vorgenommen.
Ein Brief Luthers an Georg Spalatin erwähnt Anfang Juni 1520 den Plan, eine Schrift an den neu gewählten Kaiser Karl V. und den Adel zu verfassen. Während Luther an der Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation arbeitete, erfuhr er Mitte Juli vom Ausgang seines Ketzerprozesses in Rom, und fast gleichzeitig stellte er den Sermon von dem Neuen Testament fertig, den Grunenberg druckte, während er die Adelsschrift an den aus Leipzig nach Wittenberg zugezogenen Drucker Melchior Lotter vergab. Von einem äußeren Anlass der Adelsschrift ist nichts bekannt, dagegen bildet Luthers belastende Lebenssituation in Erwartung des Ketzerurteils den Hintergrund der Abfassung. Einen Impuls für die scharfe Papstkritik der Adelsschrift verdankte Luther Ulrich von Hutten. Dieser hatte 1517 ein Werk des italienischen Humanisten Lorenzo Valla publiziert, in dem dieser nachwies, dass die Konstantinische Schenkung, eine Urkunde, aus der die weltliche Macht der Päpste begründet wurde, eine Fälschung war. Luther las Huttens Edition dieser Schrift Anfang 1520 und wurde dadurch in seinem Verdacht bestärkt, dass der Papst der Antichrist sei.[2]
Ein weiterer zeitgeschichtlicher Hintergrund ist das Dekret Pastor aeternus gregem von 1516, mit dem das Fünfte Laterankonzil die Pragmatische Sanktion von Bourges aufhob. Von vielen Zeitgenossen und auch von Luther wurde es so interpretiert, als seien die Beschlüsse des Basler Konzils und damit die Erfolge des Konziliarismus von der päpstlichen Partei rückgängig gemacht worden. Dies ist aber, wie der katholische Kirchenhistoriker Bernward Schmidt ausführt, nicht ganz korrekt: Das Fünfte Laterankonzil habe das Rumpfkonzil von Basel gar nicht als legitim anerkannt; damit waren auch die von diesem gefassten Beschlüsse obsolet.[3]
Der Text zeigt Spuren schneller Fertigstellung, so hat der Verfasser ihn nicht mehr abschließend durchkorrigiert. Am 5. August 1520 erschien die erste Auflage in Wittenberg. Die 4000 Exemplare waren nach drei Tagen vergriffen. Insgesamt erschienen fünfzehn Auflagen in deutscher Sprache und zwei Auflagen in Italienisch; der evangelische Kirchenhistoriker Martin H. Jung schätzt die Gesamtauflage auf 68.000 Exemplare.[4] Trotz der flüchtigen Abfassung weist die Adelsschrift sprachlich-stilistische Feinheiten auf wie Klimax, Anaphora und Synonymenketten.[5]
In der Forschung ist darauf hingewiesen worden, dass sich Luthers Kontakte zur Reichsritterschaft seit dem Frühjahr 1520 intensiviert hatten, außer mit Hutten stand Luther im Kontakt mit Franz von Sickingen und Hans von Taubenheim.[7] Von dieser Seite erreichten ihn Solidaritätsbekundungen, doch ist die Adelsschrift nicht direkt dadurch veranlasst.[8] Die Berührungen zwischen der Ritterschaftsbewegung und Luther und seinem Kreis waren punktuell: in der Kritik an den Zuständen in Rom und am schlechten Leben der Kleriker wusste man sich einig.[9] Im Blick auf die Rolle, die Fürsten später bei der Durchsetzung der Reformation spielten, fällt auf, dass Luther in dieser frühen Programmschrift nicht sie, sondern allgemein den Adel ansprach. Er widmete das Werk einem Kollegen an der Wittenberger Universität, Nikolaus von Amsdorf. Dessen Familie gehörte zum landsässigen Niederadel.[10] Der Niederadel konnte sich von Luthers Adelsschrift mitangesprochen fühlen, da er ja auch Obrigkeit war und Themen wie die Kleiderordnung auch ihn betrafen. Aber Anknüpfungspunkte bot ihm weniger die Adelsschrift als Luthers Traktat von der Freiheit eines Christenmenschen. Die darin zentralen Themen Freiheit und Gewissen berührten direkt das Selbstverständnis dieser Gruppe.[11]
Luther, der sich als Mönch und Doktor der Theologie vorstellt, möchte wie ein Hofnarr Missstände ansprechen. Dieser hatte das Privileg, straflos auch scharfe Kritik vortragen zu dürfen.[4]
Der literarisch uneinheitliche Text lässt sich in drei Hauptteile gliedern:
„Romanisten“ ist eine von mehreren Bezeichnungen Luthers für die Gegenpartei. Er präzisierte in der Adelsschrift, das seien „Bapst, Bischoff, pfaff, munch odder gelereten.“ In diesem frühen Stadium der Auseinandersetzung hat das Wort, ebenso wie „Papisten“, noch keine konfessionelle Bedeutung. Gemeint sind nicht die einfachen Gläubigen, sondern Parteigänger des Papstes, wie etwa Thomas Murner, der auf die Bezeichnung als Romanist auch prompt reagierte.[12]
Luther argumentiert im ersten Hauptteil mit dem Bild eines Mauerrings, wie er für Städte oder Burgen seiner Zeit üblich war. Zugleich spielt er auf die biblische Erzählung von den Mauern von Jericho an, die beim Schall der Posaunen einstürzten (Jos 6). Mit einem dreifachen Schutzwall hätten sich die „Romanisten“ bisher gegenüber Veränderungen abgeschirmt, quasi eingemauert:
Luthers Vorhaben ist es, die drei Mauern zu Fall zu bringen. Die erste Mauer wird beseitigt durch den Grundsatz des Priestertums aller Getauften: „Dan alle Christen seyn wahrhafftigs geystlichs stands ... szo werden wir allesampt durch die tauff zu priestern geweyhet, wie St. Peter i Pet ii sagt...“[13] Daraus folgt die Niederlegung der 2. Mauer: alle Getauften können die Bibel auslegen, und der 3. Mauer: weltliche christliche Obrigkeiten haben das Recht, Konzilien einzuberufen.
Nach dem katholischen Kirchenhistoriker Thomas Prügl war Luther im Kontext der Adelsschrift weniger von Antiklerikalismus, Kritik am Messopfer oder am Sakrament der Priesterweihe motiviert – hier sei es ihm vor allem um das Finanzgebaren der Kurie gegangen, und Luther habe den weltlichen Obrigkeiten mögliche Skrupel nehmen wollen, in die Privilegien des geistlichen Standes einzugreifen.[14]
Luther führte Argumente aus der Bibel, aber auch aus der Kirchen- und Theologiegeschichte an. Wie schon bei der Leipziger Disputation machte er geltend, dass Päpste mehrfach geirrt hätten; das Erste Konzil von Nicäa sei im Jahr 325 nicht vom Papst, sondern vom Kaiser einberufen worden.[15] Eine besondere Rolle in Luthers Argumentation spielt der Kanon Si papa des Decretum Gratiani: Ein Papst könne von niemandem aufgrund moralisch schlechten Handelns und schlechter Lebensweise gerichtet werden, wohl aber, falls er eine Häresie vertrete (nisi a fide devius). Dann war er prinzipiell absetzbar. Luther zitierte zwar den Kanon Si papa, unterschlug aber diese Häresieklausel. Gegen die Auslegungstradition verstand er den Kanon als eine Art Blankoscheck päpstlicher Immunität und lehnte ihn vehement als Teufelswerk ab.[16]
Luthers Reformideen stellen sich in eine lange Tradition. Er knüpfte an die Gravamina der deutschen Nation an, die seit Mitte des 15. Jahrhunderts immer wieder vorgetragen wurden[17] und präsentierte sich dem Leser mit dieser Schrift als Konziliarist. Hatte er während der Leipziger Disputation 1519 Kritik am Konstanzer Konzil geäußert, so stellte er seine Zweifel an der Richtigkeit von Konzilsentscheidungen in der Adelsschrift zurück und erwartete von einem künftigen Konzil Lösungen der drängenden Probleme.
Luther schlug vor, den päpstlichen Verwaltungsapparat stark zu reduzieren und besonders den Abfluss von Geldern aus Deutschland nach Rom zu unterbinden. Bei der zu Luthers Zeit weit verbreiteten Überzeugung, keine Nation werde durch das päpstliche Finanzgebaren so belastet wie die deutsche, handelte es sich nach Prügl allerdings um einen „Phantomschmerz“: Frankreich habe den größten Teil des päpstlichen Geldbedarfs gedeckt, an zweiter Stelle Spanien und dann erst das Reich. Für Frankreich und Spanien habe sich das aber durch Lobbyarbeit am päpstlichen Hof in gewisser Weise wieder bezahlt gemacht, während deutsche Lobbyisten dort kaum in Erscheinung traten. So verfestigte sich der Eindruck, von Rom ausgenutzt zu werden.[18]
Einerseits wurde der Papst von Luther als Antichrist identifiziert, andererseits hielt Luther ein Papstamt weiterhin für möglich, wenn der Papst sich vor allem als Beter verstünde.[19]
Die ersten Reaktionen auf An den christlichen Adel kamen aus Luthers klösterlichem Umfeld. Der provokante Ton schockierte; Johannes Lang nannte das Buch eine „Kriegstrompete“.[25] Gegenüber Lang und Wenzeslaus Linck erläuterte Luther Mitte August brieflich, dass er die Schrift in prophetischer Radikalität verfasst habe, ohne Rücksichten zu nehmen.[26]
Literarische Entgegnungen von Luthers Gegnern folgten bald nach der Veröffentlichung der Adelsschrift: zuerst durch Johannes Eck, bald darauf auch durch Thomas Murner und Hieronymus Emser. Eck war gerade mit der Verbreitung der Bulle Exsurge Domine im Reich befasst, als er von der Adelsschrift erfuhr. Er reagierte schnell und relativ pauschal auf Luthers Kirchenkritik. Seine Antwort, die er Anfang Oktober 1520 bei Martin Landsberg in Leipzig drucken ließ, griff sich schon im Titel Luthers Anklage heraus, das Konzil zu Konstanz habe Hus das Geleit gebrochen: Des heiligen Konzils zu Konstanz Entschuldigung, daß ihnen Bruder Martin Luther mit Unwahrheit aufgelegt, sie haben Johannes Hus und Hieronymus von Prag wider Geleit und Eid verbrannt.[27] Luthers Vorwurf sei eine Beleidigung für den deutschen Adel, der das Konzil seinerzeit dominiert habe. In seiner maßlosen Ruhmsucht versuche Luther, die kirchliche Ordnung zu zerstören. Das aber wäre für den angeredeten Adel sehr nachteilig, denn er nutze ja die kirchlichen Institutionen, um seine eigenen Kinder zu versorgen.[28]
Thomas Murner setzte sich detaillierter mit der Adelsschrift auseinander. Seine antilutherischen Schriften veröffentlichte er anonym, ein Konzept, das für ihn freilich nicht aufgehen sollte und ihn selbst seit dem Frühjahr 1521 zur Zielscheibe prolutherischer Polemik machte. Anonym zu schreiben hieß, wie es Lazarus Spengler als Parteigänger Luthers nach der Leipziger Disputation eindrucksvoll vorgemacht hatte, die Meinung der Bevölkerungsmehrheit in Worte zu fassen. Das wollte auch Murner. Als Anonymus schrieb er betont maßvoll, quasi unparteiisch, gab sich als Angehöriger des geistlichen Standes zu erkennen und trat an, um das durch Luther beschädigte Vertrauen zwischen Priestern und Laien wiederherzustellen.[29] Um Weihnachten 1520 ging Murners Gegenschrift in Straßburg in den Druck: An den großmächtigsten und durchlauchtigsten Adel deutscher Nation, daß sie den christlichen Glauben beschützen wider den Zerstörer des Glaubens Christi, Martin Luther.[30] Wie Luther widmete Murner sein Werk dem Kaiser. Er räumte ein, dass Luthers Kritik Teilwahrheiten enthalte. Die Lehre vom Priestertum aller Getauften sei höchst gefährlich, denn damit hebe Luther die Ständeordnung auf. Das könne nicht im Interesse des Adels sein. Murner hatte den Anspruch, Luther auf dessen eigenem Feld, der Bibelauslegung, zu widerlegen.[31]
Im Januar 1521 hatte der Sekretär und Hofkaplan Georgs von Sachsen, Hieronymus Emser, seine Entgegnung Luthers fertiggestellt. Sie wurde ebenfalls von Landsberg in Leipzig gedruckt: An den Stier zu Wittenberg.[32] Emser verfasste eine Art Kommentar zur Adelsschrift, deren Reformpunkte er der Reihe nach abarbeitete. Schwerpunkte sind: die Widerlegung der These vom Priestertum aller Getauften, die Begründung des Papsttums und des Weihepriestertums sowie der Unterscheidung von geistlicher und weltlicher Gewalt. Das päpstliche Lehramt sei unverzichtbar; die Beseitigung von Missständen in der Kirche sei Aufgabe eines Konzils. Luther wolle nicht reformieren, sondern die Kirche zerstören. Er habe vor, selbst Bischof der häretischen Böhmen zu werden.[31]
Just als Luther seine Adelsschrift in den Druck gab, musste Ulrich von Hutten aus Mainz fliehen, wo ihm als Verfasser antirömischer Pamphlete ein Strafverfahren drohte. Franz von Sickingen gewährte ihm im September 1520 auf der Ebernburg bei Kreuznach Asyl. Von hier aus verfolgten Hutten und Sickingen Luthers Auftreten auf dem Reichstag im nahen Worms. Als potentielle Führer einer nationalen Opposition wurden die beiden von der kaiserlichen Diplomatie kontaktiert. Hutten trat gegen ein Jahresgehalt formell in kaiserlichen Dienst, den er aber nach dem Wormser Edikt quittierte. Nach einem „Pfaffenkrieg im Raubritterstil“ auf eigene Faust schloss er sich wieder an Sickingen an und deutete die Trierer Fehde als Schlag gegen kirchliche Tyrannei und Vorbereitung einer Reichsreform. Sickingens Niederlage machte solche Pläne gegenstandslos. Der schwerkranke Hutten floh in die Schweiz, wo er starb.[33] Luther hatte seit September 1520 die antirömische Radikalisierung Huttens beobachtet; eine Distanzierung von Huttens Gewaltoption erfolgte erst verzögert (vor dem 16. Januar 1521) in einem verlorenen Brief Luthers an Hutten. Die Adelsschrift ist in dieser Hinsicht uneindeutig, es gibt sowohl Empfehlungen der Gewaltlosigkeit wie auch eine Befürwortung „‚handgreifliche[r]‘ Maßnahmen“.[34]
Der evangelische Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann bezeichnet die Adelsschrift als „Manifest der Reformation“, hier und nicht schon mit dem Thesenanschlag von 1517 sei von Luther ein Entwurf zur Neugestaltung von Kirche und Gesellschaft vorgelegt worden. Allerdings war diese Schrift des Jahres 1520 nicht so etwas wie die Blaupause für den späteren Aufbau evangelisch-lutherischer Kirchen. Die Adelsschrift biete in ihrer Offenheit und Unbestimmtheit Anknüpfungspunkte für unterschiedliche Reformationstypen: „städtische oder bäuerliche Gemeindereformationen; Ratsreformationen; ritterschaftliche Reformationen; territorialfürstliche und Königsreformationen (in Skandinavien oder England).“[1] Der Grundsatz vom Priestertum aller Getauften habe im Spektrum der evangelischen Kirchen immer wieder Neuaufbrüche angeregt (Beispiele: Synodalverfassung, Frauenordination) und bleibe zugleich ein Störfaktor im ökumenischen Gespräch mit römisch-katholischen Theologen.[1]
Als die BILD-Zeitung nach der Wahl Benedikts XVI. am 20. April 2005 titelte: „Wir sind Papst!“, stellte Robert Leicht fest, dass damit (unbewusst) Luthers Adelsschrift zitiert werde: „denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, daß es schon zum Priester, Bischof oder Papst geweihet sei…“.[35]
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