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franco-flämischer Komponist und Sänger Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Alexander Agricola (* um 1446 oder zwischen 1455 und 1460 in Gent; † 15. August 1506 in der Nähe von Valladolid) war ein franko-flämischer Komponist, Sänger und Organist der Renaissance.
Aus Dokumenten des Stadtarchivs Gent geht hervor, dass Alexander Agricola als nichtehelicher Sohn des begüterten Heinric Ackerman und der reichen Geschäftsfrau Lijsbette Naps in Gent geboren wurde.[1] Johann Agricola war wahrscheinlich Alexanders Zwillingsbruder und von 1486 bis 1493 und nochmals 1496 bei der Bruderschaft zu Unsrer Lieben Frau in ’s-Hertogenbosch als Sänger tätig.
Agricolas Geburtsjahr steht nicht zweifelsfrei fest. Bislang war 1446 als Geburtsjahr allgemein anerkannt.[2] Diese Annahme stützt sich auf den Text einer anonymen Motette, Musica quid defles?, überschrieben Epitaphion Alexandri Agricolae Symphonistae regis Castiliae Philippi, die 1538 in der Sammlung Symphoniae iucundae von Georg Rhau veröffentlicht wurde. In diesem musikalischen Nachruf wird als sein Sterbealter iam sexagesimus annus, also „schon im sechzigsten Jahr“ genannt.[3] Neuerdings hat dagegen Joshua Rifkin aus einem Rechnungsbucheintrag der Kathedrale von Cambrai vom 8. März 1476, in dem Agricola als iuvenis, also als „Jüngling“ oder „junger Mann“ bezeichnet wird, geschlossen, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht viel älter als zwanzig Jahre gewesen sein könne, und das Geburtsjahr auf 1455 bis 1460 datiert.[4][5]
Über die frühen Jahre Alexander Agricolas gibt es keine Belege; es wird jedoch angenommen, dass er und sein Bruder Johann bis zu ihrem Stimmbruch Chorknaben an einer Genter Kirche waren, möglicherweise an Sint Nicolas, welcher Lijsbette Naps im Jahr 1467 größere Geldbeträge zukommen ließ.[1]
Lange wurde angenommen, dass Dokumente über einen Alexander Agricola, der zusammen mit Loyset Compère und Gaspar van Weerbeke zu den Sängern der Kapelle des Herzogs von Mailand, Galeazzo Maria Sforza (Regierungszeit 1466–1476) gehört hat, sich auf den Genter Komponisten Agricola beziehen, doch nach neueren Forschungen ist dies nicht der Fall. Auch jener Agricola, der im Jahr 1470 in Florenz geheiratet hat, hat nichts mit dem Komponisten zu tun. Sehr wahrscheinlich ist auch mit dem 1477 in Utrecht erwähnten Magistro Alexandro nostro organiste nicht Agricola gemeint, obwohl dieser nicht nur wegen seiner Gesangskunst, sondern auch wegen seines virtuosen Spiels berühmt war. Es wird angenommen, dass Alexander Agricola sich in der fraglichen Zeit in anderen Ländern des Deutschen Reichs aufgehalten hat, weil einige seiner frühen Werke ausnahmslos in deutscher Überlieferung erscheinen und deutsche Choraltraditionen zitieren.
Gesicherte Daten über Agricola gibt es erst für 1491 bis 1494. Aus einem Brief des französischen Königs Karls VIII. (Regierungszeit 1483–1498) an Piero di Lorenzo de’ Medici vom 25. April 1492 geht hervor, dass Agricola 1491 Mitglied der französischen Hofkapelle war, zusammen mit seinem bedeutenden Kollegen Johannes Ockeghem, im selben Jahr aber ohne Erlaubnis des Königs den Hof wieder verließ, um nach Italien zu gehen.
Im September 1491 weilte Agricola zusammen mit dem Sänger Charles de Launoy in Mantua und ging kurz darauf nach Florenz, wo er durch die Protektion von Piero de’ Medici ab 1. Oktober 1491 Sänger am Dom wurde und damit ein Kollege von Heinrich Isaac. In diesem Amt blieb er bis 30. April 1492, nachdem der französische König in einer dringenden brieflichen Bitte an seinen Dienstherrn seine Rückkehr nach Frankreich verlangt hatte. In Florenz waren um diese Zeit auch die Wirren um Girolamo Savonarola ausgebrochen. Agricola folgte der Bitte nicht sofort, sondern ging für vier Wochen an den Hof König Ferdinands I. nach Neapel; auf Grund des weiteren Drängens von Karl VIII. entließ Ferdinand seinen Sänger Agricola trotz seiner großen Bewunderung für dessen Kunst. Nach kürzeren Aufenthalten in Rom und Florenz im Sommer 1492 kehrte Agricola wieder nach Frankreich zurück und übernahm seinen Dienst bei Hofe im gleichen Jahr. König Ferdinand hatte aber offenbar einen solch hervorragenden Eindruck von Agricola, dass er spätestens ab Februar 1493 durch seinen Botschafter Giovanni Battista Coppola in vermutlich geheimen Verhandlungen mit ihm stand. Angeblich wegen der unruhigen politischen Lage in Neapel scheint Ferdinand aber ab Juni 1493 nicht mehr an Agricola interessiert gewesen zu sein.
Aus zwei Briefen von Bernardo Dovizi da Bibbiena an Piero de’ Medici wird jedoch erkennbar, dass sich Alexander Agricola zusammen mit Johannes Ghiselin im Februar und März 1494 erneut am Hof in Neapel aufhielt; dies erfolgte wohl auf Initiative von Ferdinands Nachfolger Alfons II. (Regierungszeit 1494–1495). Zu einer Anstellung kam es jedoch nicht. Offenbar kehrte Agricola wieder nach Frankreich zurück und blieb dort bis nach dem Tod des Königs im Jahr 1498. Am 6. August 1500 wurde er als Kantor (chapelain et chantre) am burgundischen Hof Philipps des Schönen (Regierungszeit 1493–1506) angestellt und blieb in dieser Stellung bis zu seinem Tod. Diese Hofkapelle galt als das führende Ensemble in Europa; ihm gehörten zu dieser Zeit auch die Komponisten Pierre de la Rue und Nicolas Liégeois (um 1480–1533) an. Agricolas bevorzugte Stellung ergibt sich auch daraus, dass er 1501 als Präbendar (Inhaber einer Pfründe) in Gorkum (heute Gorinchem) und Valenciennes verzeichnet war.
Weil damals die Treffen der Herrscher und deren Einzüge in die Städte auch musikalische Großereignisse waren, wurde der Herzog auf seinen Reisen stets von seiner Hofkapelle begleitet. So kam Agricola im Gefolge des Herzogs im November 1500 nach Luxemburg und war auch auf dessen erster Reise nach Spanien vom 4. November 1501 bis zum 8. November 1503 mit dabei, ebenso auf der zweiten Spanienreise per Schiff ab 10. Januar 1506. Höhepunkte der ersten Reise waren der Einzug in Paris am 25. November 1501, bei dem wahrscheinlich die Motette Gaude prole regia von Loyset Compère erklang, außerdem der Einzug des burgundischen Herrscherpaares bei Ferdinand von Aragonien und Isabella von Kastilien in Toledo im Mai 1502, die Besuche in Madrid, Guadalajara und Sigüenza, im Februar 1503 die Begegnung mit den Mauren von Saragossa und der Aufenthalt bei den Mysterienspielen von Perpignan, im März 1503 das Treffen mit dem französischen König in Lyon und am 11. April die Begegnung Philipps mit seiner Schwester Margarete, die mit Philibert von Savoyen verheiratet war. Es folgte die Reise ins Deutsche Reich, wo der Herzog am 13. September 1503 in Seefeld in Tirol seinen Vater Maximilian I. traf.
Auf der zweiten Spanienreise, die ab Mitte Januar 1506 auf dem Seeweg stattfand, trieb ein Sturm einen Teil der Flotte, auch das Schiff der Musiker, nach Falmouth ab; die Flotte landete erst am 27. April 1506 in A Coruña. Philipp der Schöne zog mit seinem Hof für den Sommer nach Valladolid und später nach Burgos, wo er im September 1506 einem Fieber erlag. Alexander Agricola starb bereits am 15. August des gleichen Jahres in der Nähe von Valladolid, möglicherweise an der gleichen fiebrigen Erkrankung.
Alexander Agricola gehört mit Josquin Desprez, Jacob Obrecht und Heinrich Isaac zu den bedeutendsten Komponisten seiner Generation, hebt sich aber stilistisch deutlich von ihnen ab. Seine figurenreichen und melodisch bewegten Linien sind kaum von einem glättenden italienischen Einfluss berührt. Sein kraftvoller und ausladender Stil ist der Tradition Ockeghems verpflichtet und zeigt eine Vorliebe für weitgespannte Melodiebögen und einen hoch differenzierten Rhythmus (Tempokontraste, Synkopenketten, asymmetrische Figurenfolgen). Sein Erfindungsreichtum drückt sich auch im Unerwarteten und Phantasievollen aus, nicht nur dort, wo er mit entlehnten Stimmen arbeitet und diese mit ungewöhnlicher Freiheit in Chanson-Messen und Carmina einsetzt, sondern auch in Cantus-firmus-freien Messen, Motetten und Chansons. Seine sich frei bewegenden Stimmen ergänzen sich meistens zu vollem Klang. In einigen Messen werden weltliche Tenor-Melodien verwendet, die mit größter Freiheit abgewandelt werden (z. B. in der Messe „Malheur me bat“). Imitatorische Sätze finden sich vorzugsweise in seinen Motetten.
Gesamtausgabe: Alexander Agricola. Opera omnia, herausgegeben von E. L. Lerner, fünf Bände, ohne Ortsangabe, 1961–1970 (= Corpus Mensurabilis Musicae, Rom und Antwerpen ab 1947, Nr. 22, Band I bis V).
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