1525 in Memmingen verfasste Menschenrechtserklärung Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Zwölf Artikel (auch: Zwölf Artikel der Bauernschaft, Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben oder 12 Artikel der Bauernschaft) gehören zu den Forderungen, welche die Bauern im Deutschen Bauernkrieg1525 in Memmingen gegenüber dem Schwäbischen Bund erhoben. Sie gelten nach der Magna Carta von 1215 als eine der ersten niedergeschriebenen Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa. Die zu den Zwölf Artikeln führenden Versammlungen werden als „eine Art verfassungsgebende Versammlung“ bezeichnet, „die, wenn auch nur in Grundzügen, die politische Macht bestimmten Institutionen zuschrieb“.[1]
Die Zwölf Artikel waren zudem ein mediengeschichtliches Ereignis, weil sie dank des Buchdrucks rasch und preisgünstig vervielfältig werden konnten und sich weit verbreiteten. Fast alle Aufständischen bezogen sich auf diese Flugschrift.[2]
Am 6. März 1525 trafen sich in Memmingen etwa 50 Vertreter der oberschwäbischen Bauerngruppen (des Baltringer Haufens, des Allgäuer Haufens und des Bodensee-Haufens), um sich über das gemeinsame Auftreten gegenüber dem Schwäbischen Bund zu beraten. Nach schwierigen Verhandlungen verkündeten sie einen Tag später die Christliche Vereinigung der Bauern, auch als oberschwäbische Eidgenossenschaft bezeichnet. Am 15. und am 20. März 1525 trafen sich die Bauern wieder in Memmingen und verabschiedeten nach weiteren Beratungen die Zwölf Artikel und die Bundesordnung.[3]
Diese beiden sind die einzigen der vielen Programme des Bauernkrieges, die gedruckt wurden. Besonders die Zwölf Artikel wurden innerhalb der nächsten zwei Monate mit einer für die damalige Zeit ungeheuren Auflage von insgesamt 25.000 Exemplaren gedruckt und verbreiteten sich im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches. Da die beiden Texte im Laufe des Bauernkrieges nicht weiter entwickelt wurden, spricht der Historiker Peter Blickle von einer „verfassungsgebenden Bauernversammlung“ in Memmingen.[4]
Eine der Originalurkunden der Zwölf Artikel wird im Stadtarchiv Memmingen verwahrt.[5] Nachfolgend eine grobe Übertragung des Texts der Zwölf Artikel in heutiges Deutsch:[6]
Jede Gemeinde soll das Recht haben, ihren Pfarrer zu wählen und ihn zu entsetzen (abzusetzen), wenn er sich ungebührlich verhält. Der Pfarrer soll das Evangelium lauter und klar ohne allen menschlichen Zusatz predigen, da in der Schrift steht, dass wir allein durch den wahren Glauben zu Gott kommen können.
Von dem großen Zehnten sollen die Pfarrer besoldet werden. Ein etwaiger Überschuss soll für die Dorfarmut und die Entrichtung der Kriegssteuer verwandt werden. Der kleine Zehnt soll abgetan (aufgegeben) werden, da er von Menschen erdacht (und nicht biblisch begründet) ist, denn Gott der Herr hat das Vieh dem Menschen frei erschaffen.[7]
Ist der Brauch bisher gewesen, dass man uns für Eigenleute(Leibeigene) gehalten hat, welches zu Erbarmen ist, angesehen, dass uns Christus alle mit seinen kostbarlichen Blutvergießen erlöst und erkauft hat, den Hirten gleich wie den Höchsten, keinen ausgenommen. Darum ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.
Ist es unbrüderlich und dem Wort Gottes nicht gemäß, dass der arme Mann nicht Gewalt hat, Wildbret, Geflügel und Fische zu fangen. Denn als Gott der Herr den Menschen erschuf, hat er ihm Gewalt über alle Tiere, den Vogel in der Luft und den Fisch im Wasser gegeben.
Haben sich die Herrschaften die Hölzer (Wälder) alleine angeeignet. Wenn der arme Mann etwas bedarf, muss er es für das doppelte Geld kaufen. Es sollen daher alle Hölzer, die nicht erkauft sind (gemeint sind ehemalige Gemeindewälder, die sich viele Herrscher angeeignet hatten), der Gemeinde wieder heimfallen (zurückgegeben werden), damit jeder seinen Bedarf an Bau- und Brennholz daraus decken kann.
Soll man der Dienste(Frondienste) wegen, welche von Tag zu Tag vermehrt werden und täglich zunehmen, ein Einsehen haben und uns nicht so sehr belasten, so, wie unsere Eltern gedient haben, allein nach Laut des Wortes Gottes.
Soll die Herrschaft den Bauern die Dienste nicht über das bei der Verleihung festgesetzte Maß hinaus erhöhen. (Eine Anhebung der Fron ohne Vereinbarung war durchaus üblich.)
Können viele Güter die Pachtabgabe nicht ertragen. Ehrbare Leute sollen diese Güter besichtigen und die Gült nach Billigkeit neu festsetzen, damit der Bauer seine Arbeit nicht umsonst tue, denn ein jeglicher Tagwerker ist seines Lohnes würdig.
Werden der großen Frevel (Gerichtsbußen) wegen stets neue Satzungen gemacht. Man straft nicht nach Gestalt der Sache, sondern nach Belieben (Erhöhungen von Strafen und Willkür bei der Verurteilung waren üblich). Ist unsere Meinung, uns bei alter geschriebener Strafe zu strafen, darnach die Sache gehandelt ist, und nicht nach Gunst.
Haben etliche sich Wiesen und Äcker, die einer Gemeinde zugehören (Gemeindeland, das ursprünglich allen Mitgliedern zur Verfügung stand), angeeignet. Die wollen wir wieder zu unseren gemeinen Händen nehmen.
Soll der Todfall(eine Art Erbschaftssteuer) ganz und gar abgeschafft werden, und nimmermehr sollen Witwen und Waisen so schändlich wider Gott und Ehre beraubt werden.
Ist unser Beschluss und endliche Meinung, wenn einer oder mehr der hier gestellten Artikel dem Worte Gottes nicht gemäß wären …, von denen wollen wir abstehen, wenn man es uns auf Grund der Schrift erklärt. Wenn man uns schon etliche Artikel jetzt zuließe und es befände sich hernach, dass sie Unrecht wären, so sollen sie von Stund an tot und ab sein. Desgleichen wollen wir uns aber auch vorbehalten haben, wenn man in der Schrift noch mehr Artikel fände, die wider Gott und eine Beschwernis des Nächsten wären.
Auch die Bundesordnung erreichte hohe Auflagen und war wohl vor allem deshalb bei den Bauern populär, weil sie ein Modell für eine kommunale, föderative Gesellschaftsordnung bot. Im Schwarzwald, im Elsass und in Franken lassen sich Bauernschaften nachweisen, die danach organisiert waren.
Auf welche Person die Zwölf Artikel zurückgehen, ist umstritten. Manche Quellen weisen sie dem BauernkanzlerWendel Hipler zu. In der Regel rechnet man sie aber dem MemmingerSebastian Lotzer zu, der möglicherweise zusammen mit dem Reformator Christoph Schappeler schon bestehende Texte erweitert hat. Auch Johann Hüglin wurde als Helfer beim Verfassen der Artikel in Betracht gezogen.[8] Zumindest gehörte seine angebliche Mithilfe zu den Anklagepunkten bei seinem Inquisitionsprozess, in dessen Folge er verbrannt wurde.
Am 16. Februar 1525 begehrten etwa 25 zu Memmingen gehörige Dörfer auf und forderten angesichts ihrer wirtschaftlichen Lage und der allgemeinen politischen Situation beim Rat der Stadt deutliche Verbesserungen. Die Beschwerden wurden in den Memminger Artikeln zusammengefasst. Sie berührten die Leibherrschaft, die Grundherrschaft, Nutzungsrechte am Wald und der Allmende sowie kirchliche Forderungen. Die Bauern wollten Reformen auf breiter Front. Die Stadt ließ einen Ausschuss der Dörfler bilden und rechnete mit einem langen Katalog an spezifischen Forderungen. Sehr unerwartet gaben die Bauern aber eine einheitliche grundsätzliche Erklärung ab, die aus zwölf Artikeln bestand. Viele dieser Forderungen konnten im Rat in der Folge nicht durchgesetzt werden, aber es kann davon ausgegangen werden, dass die Artikel der Memminger Landschaft die Diskussionsgrundlage für die Zwölf Artikel der Oberschwäbischen Eidgenossenschaft vom 20. März 1525 waren.
Es ist gut möglich, dass auch die Forderungen von Joß Fritz, die dieser bei der Bundschuh-Verschwörung 1513 erhoben hatte, die Artikel der Memminger Landschaft und dadurch wiederum die Zwölf Artikel selbst beeinflusst haben.
Die Bauern trugen schwer unter den vielen ihnen auferlegten Lasten und sahen in den Standpunkten Luthers und der Reformation die Bestätigung, dass die meisten davon nach Gottes Willen nicht vorgesehen waren.
Luther aber war nicht erbaut über die Aufstände der Bauern und deren Berufung auf ihn. Möglicherweise sah er darin schädliche Folgen für die Sache der Reformation. Er wandte sich an die Bauernschaft und ermahnte sie zum Frieden.[9] Auch an die Herren schrieb er:
„Sie haben zwölf Artikel aufgestellt, unter denen einige so gerecht sind, daß sie euch vor Gott und der Welt zur Schande gereichen. Doch sie sind fast alle auf ihren Nutzen und ihnen zugut abgestellt und nicht aufs beste ausgearbeitet. […] Nun ist’s ja auf die Dauer unerträglich, die Leute so zu besteuern und zu schinden.“
In den folgenden drei Jahrhunderten der Frühen Neuzeit begehrten die Bauern kaum noch auf. Erst mit der Revolution 1848/49 konnten in den Zwölf Artikeln von 1525 genannte Ziele durchgesetzt werden.
Peter Blickle: Nochmals zur Entstehung der Zwölf Artikel. In: Ders. (Hrsg.): Bauer, Reich, Reformation. (= Festschrift für Günther Franz zum 80. Geburtstag). Ulmer, Stuttgart 1982, ISBN 3-8001-3057-2, S. 286–308.
Peter Blickle: Die Revolution von 1525. 4., durchgesehene und bibliografisch erweiterte Auflage. Oldenbourg, München 2004, ISBN 978-3-486-44264-9.
Peter Blickle: Die Geschichte der Stadt Memmingen. Band 1: Von den Anfängen bis zum Ende der Reichsstadt. Theiss, Stuttgart 1997, ISBN 3-8062-1315-1.
Heinrich Böhmer: Die Entstehung der zwölf Artikel der Bauern von 1525. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte. Neue Folge, 14. Jahrgang. Stuttgart 1910, S. 1–14 (Digitalisat) und S. 97–118 (Digitalisat).
Martin Brecht: Der theologische Hintergrund der Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben von 1525. Christoph Schappelers und Sebastian Lotzers Beitrag zum Bauernkrieg. In: Heiko A. Obermann (Hrsg.): Deutscher Bauernkrieg 1525 (= Zeitschrift für Kirchengeschichte. Band 85, Heft 2). Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1974, ISSN0044-2925, S. 30–64 (178–208).
Görge K. Hasselhoff, David von Mayenburg (Hrsg.): Die Zwölf Artikel von 1525 und das „Göttliche Recht“ der Bauern – rechtshistorische und theologische Dimensionen. Ergon, Würzburg 2012, ISBN 978-3-89913-914-3.
David von Mayenburg:Gemeiner Mann und Gemeines Recht. Die zwölf Artikel und das Recht des ländlichen Raums im Zeitalter des Bauernkriegs. In: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. 1. Auflage. Band311. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2017, ISBN 978-3-465-04333-1 (zugl. Habilitationsschrift, Universität Bonn, 2012).
Heide Ruszat-Ewig: Die 12 Bauernartikel. Flugschrift aus dem Jahr 1525. Historischer Verein Memmingen, Memmingen 2018, ISBN 978-3-946241-10-2.
Günter Vogler: Der revolutionäre Gehalt und die räumliche Verbreitung der oberschwäbischen Zwölf Artikel. In: Peter Blickle (Hrsg.): Revolte und Revolution in Europa. (= Historische Zeitschrift. Neue Folge, Beiheft 4). Oldenbourg, München 1975, DNB760044139, S. 206–231.
Ernst Walder: Der politische Gehalt der Zwölf Artikel der deutschen Bauernschaft von 1525. In: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte. Band 12. Lang, Bern 1954, ISSN0080-7222, S. 5–22.
Die Zwölf Artikel und die Revolution des gemeinen Mannes.In:Memmingen.de.Abgerufen am 6.Dezember 2022. Die Darstellung auf der Website der Stadt Memmingen stützt sich auf die Festrede von Johannes Rau bei der Memminger Gedenkfeier zur 475. Wiederkehr des Abfassung der Zwölf Artikel. – Peter Blickle: Die Geschichte der Stadt Memmingen, von den Anfängen bis zum Ende der Reichsstadtzeit. S. 393 ff.; Zwölf Artikel und Bundesordnung der Bauern, Flugschrift „An die versamlung gemayner pawerschafft“, Stadtarchiv Memmingen, Materialien zur Memminger Stadtgeschichte, Reihe A, Heft 2, S. 1 und 3 ff.; Unterallgäu und Memmingen, Edition Bayern, Haus der Bayerischen Geschichte, 2010, S. 60; Memminger Stadtrecht, Satzung der Stadt Memmingen über den Memminger Freiheitspreis 1525, Präambel.
Den vollständigen Wortlaut nach dem Faksimile findet man in: David von Mayenburg:Gemeiner Mann und Gemeines Recht. Die zwölf Artikel und das Recht des ländlichen Raums im Zeitalter des Bauernkriegs. In: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. 1. Auflage. Band311. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2017, ISBN 978-3-465-04333-1, S.365–372 (zugl. Habilitationsschrift, Universität Bonn, 2012).