Loading AI tools
Überblick über die Wissenschaft und Technik in der DDR Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Wissenschaft und Technik in der DDR unterlagen den ideologischen Vorgaben des Staates und damit der SED, die sich selbst einem wissenschaftlichen Sozialismus verpflichtete. Dies betraf die Schwerpunkte der Forschung und den Umgang mit den Ergebnissen in den Hochschulen und in der Industrie.
Der marxistische Fortschrittsglaube gab der Entwicklung von Wissenschaft und Technik vor, die Produktivkräfte zu steigern und die erforderlichen Ressourcen für den Sozialismus zu liefern.[1] Walter Ulbrichts Parole „Chemie bringt Brot – Wohlstand – Schönheit“[2] drückte das Vertrauen in die „Chemisierung“ von Produktion und Landwirtschaft 1958 einprägsam aus. Eine weitere Aufgabe war das Hervorbringen einer „technischen Intelligenz aus den Reihen der Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten Schichten“ (II. Parteikonferenz der SED 1952). Entsprechend stiegen die allgemeinen Studenten- (von 31.000 auf etwa 100.000) und Dozentenzahlen bis 1960 stark an, besonders im naturwissenschaftlich-technischen Bereich.[3] 1964 erhob die SED die Wissenschaft neben Kapital, Arbeit und Boden zur „vierten Produktivkraft“ der „wissenschaftlich-technischen Revolution“ (WTR). Die Ideologie beinhaltete die Vorstellung, dass die Schaffenskraft der Werktätigen zusammen mit dem kreativen Einsatz von Wissenschaft und Technik durch die Intelligenzler das Leben bis zum Kommunismus verbessern werde (Technikoptimismus). Der Forschungsrat der DDR übte die politische Aufsicht aus. Im Zentralkomitee der SED war unter dem für Kultur und Bildung zuständigen Sekretär Kurt Hager der Abteilungsleiter Johannes Hörnig von 1955 bis 1989 für den Bereich Wissenschaft zuständig.
Dieser Vorstellung standen ungünstige Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler und Ingenieure entgegen: eine im Vergleich immer schlechtere wirtschaftliche Situation als in der Bundesrepublik, schlechte Bezahlung, ein Akademikermangel und die Ost-West-Konkurrenz. Die Gesellschaftswissenschaften unterlagen in der DDR dem ideologischen Diktat des herrschenden Marxismus-Leninismus, dessen Inhalte auch in den Naturwissenschaften bestätigt werden sollten. Jürgen Kocka[4] und Detlef Pollack[5] betonen, der Anspruch der DDR-Obrigkeit auf allumfassende politische Steuerung sei gerade im Bereich der Forschung nicht durchzusetzen gewesen. So ermöglichten wirtschaftliche Vorgaben und persönliche Zugänge auch unkonventionellen Wissenschaftlern wie Werner Hartmann und Manfred von Ardenne zeitweise größere Freiräume. Manfred von Ardenne hat in Dresden das mit knapp 500 Mitarbeitern bedeutendste private Forschungsinstitut im gesamten Ostblock[4] aufgebaut. Den ideologischen Vorgaben stand auch eine hohe Praxis- und Anwendungsorientierung[4] der Forschung entgegen.
Die Finanzierung der Hochschulen und Forschungsinstitute erfolgte durch den Staat. Um jedoch die praktische Anwendung zu verbessern, wurden Forschungsprojekte auch in hohem Maße durch die staatlichen Industriekombinate gefördert, die mit Instituten der Akademie der Wissenschaften der DDR kooperierten. 1976 entstanden Akademie-Industrie-Komplexe, beispielsweise für Arzneimittelforschung zwischen dem Institut für Wirkstofforschung und dem VEB Berlin-Chemie. Auch Hochschulen sollten mit der Industrie kooperieren und durch sie finanziert werden, was die Entstehung von „Haushochschulen“ großer Kombinate begünstigte.[6]
Eigenständige Industrieforschung wurde mit erheblichem Personaleinsatz in den großen Kombinaten betrieben. Zentren moderner Hochtechnologie waren zum Beispiel das Kombinat Mikroelektronik Erfurt, das Kombinat Carl Zeiss Jena und das Kombinat Robotron mit Schwerpunkt Dresden, die sich aber immer an der staatlichen Planung orientieren mussten.
Ein zwiespältiges Bild bot das Niveau der Forschung. Zwar konnte die DDR auf einem stark mathematisch-naturwissenschaftlich orientierten Schulsystem aufbauen und hochqualifizierte Studenten und Nachwuchswissenschaftler ausbilden, doch für die Spitzenforschung im Weltmaßstab fehlten die Mittel und der ungehinderte Zugang zu den Publikationen und Fachkongressen der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft. Die Zusammenarbeit innerhalb des Ostblocks konnte dies kaum ersetzen. Kein Forscher der DDR erhielt einen Nobelpreis.
Nur teilweise konnte die systematisch betriebene Wirtschaftsspionage durch die Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) Ersatz beschaffen, wo es einen eigenen „Sektor Wissenschaft und Technik“ gab. Einen Einblick in den Umfang der Aktivitäten gewann der Westen bereits durch den Überläufer Werner Stiller 1979. Der Technologiediebstahl betraf besonders militärisch relevante Bereiche, in denen westlichen Firmen eine Ausfuhr in die DDR verboten war (CoCom). Langjährige Erfolge hatte das MfS bei den Firmen Standard Elektrik Lorenz, IBM und Siemens. Die jährliche Ersparnis wird auf bis zu 300 Millionen DM geschätzt.[7]
Zum Symbol der gescheiterten Wissenschaftspolitik der SED wurde die Computerentwicklung, die Planungschef Gerhard Schürer als Schlüsselbranche in den 1980er-Jahren stark vorantrieb. Die äußerst kostenintensive Entwicklung leistungsfähiger Chips blieb hinter den westlichen Konkurrenten weit zurück,[8] noch mehr die praxisrelevante Massenproduktion bei Robotron. Schürer musste sich heftiger Kritik von Günter Mittag wegen Vernachlässigung aller anderen Bereiche erwehren, obwohl strittige Themen im Politbüro der SED nicht diskutiert wurden.[9]
Die Akademie der Wissenschaften der DDR organisierte etwa ein Drittel der technischen Forschung und war die führende Institution. Mehrere (Zentral-)Institute forschten auf verschiedenen Feldern, so das Zentralinstitut für Kernforschung seit 1956 in Dresden-Rossendorf oder das Zentralinstitut für Schweißtechnik unter dem erfolgreichen Erfinder Werner Gilde in Halle (Saale) seit 1952. 1955 existierten sieben Technische Hochschulen, von denen drei später zur Technischen Universität erhoben wurden, zwei Landwirtschaftliche Hochschulen, eine Hochschule für Ökonomie in Berlin und seit 1969 zehn Ingenieurhochschulen, die aus älteren Ingenieurschulen hervorgingen. In ihnen lehrten 6100 Dozenten. Dazu kamen noch die mathematischen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und technischen Fakultäten der sechs Universitäten (Berlin, Greifswald, Halle-Wittenberg, Jena, Leipzig und Rostock).[10]
Wichtige technische Hochschulen und Universitäten waren:
Bergakademie Freiberg, Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, Hochschule für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft Bernburg, Hochschule für Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften Meißen, Hochschule für Seefahrt Warnemünde-Wustrow, Hochschule für Verkehrswesen Dresden, Technische Hochschule für Bauwesen Cottbus, Technische Hochschule Ilmenau, Technische Hochschule Köthen, Technische Hochschule Leipzig, Technische Hochschule Leuna-Merseburg, Technische Hochschule Wismar, Technische Hochschule Zittau, Technische Hochschule Zwickau, Technische Universität Dresden, Technische Universität Karl-Marx-Stadt, Technische Universität Magdeburg[11]
Wichtige Produkte, Gebiete, Ereignisse, Entdeckungen, Entwicklungen, Ergebnisse im wissenschaftlich-technischen Bereich der DDR waren (einschließlich der Vorläufe in der sowjetischen Besatzungszone):
Alle Unternehmen des Fahrzeugbaus in der DDR waren im Industrieverband Fahrzeugbau zusammengefasst, der ab Ende der 1960er Jahre in mehrere Kombinate (u. a. IFA-Kombinat Nutzfahrzeuge, VEB IFA-Kombinat PKW, VEB IFA-Kombinat für Zweiradfahrzeuge) gegliedert war, in denen die einzelnen Produktionsstätten/Volkseigenen Betriebe zusammengefasst wurden. Wichtige Erzeugnisse waren:
Bau von Traktoren, Landmaschinen, Erntefahrzeugen, Mähdreschern und Baumaschinen
Bau von Handelsschiffen, Fahrgastschiffen, Fischlogger, Militärschiffen, Fang- und Verarbeitungsschiffen und Schiffsmotoren
Die DDR besaß etwa 5000 Militär- und Zivilflugzeuge und Hubschrauber. Sie waren im Besitz der staatlichen Interflug beziehungsweise ihres Vorläufers Deutsche Lufthansa. Sie wurden genutzt von der NVA, GST, Volkspolizei und der Flugzeugindustrie der DDR.
Die direkte Rüstungsindustrie der DDR bestand 1989 aus 74 Unternehmen mit überwiegender oder anteiliger Rüstungsproduktion, in denen rund 42.000 Arbeitnehmer tätig waren. Dazu kam noch eine Anzahl Zulieferbetriebe, so dass insgesamt etwa 130 Betriebe und Betriebsteile (Finalproduzenten und Zulieferer) mit der Produktion militärischer Güter sowie etwa 285 Betriebe und Betriebsteile (darunter 25 spezielle Instandsetzungsbetriebe) mit der Instandsetzung von militärischen Gütern beauftragt waren und etwa 100.000 Arbeitnehmer beschäftigten.[12] Viele der rein staatlichen DDR-Rüstungsunternehmen waren fast gänzlich ohne ein ziviles „Standbein“ auf Produktion und Instandsetzung von Rüstungsgütern spezialisiert.
Alle Unternehmen der Rüstungsindustrie verfügten über (im RGW Vergleich) moderne Betriebsstätten mit hochproduktiven Technologien und Ausrüstungen. Die in den Unternehmen beschäftigten Arbeiter und Ingenieure besaßen eine hohe Qualifikation und ein ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein. Die Rüstungsunternehmen waren als selbstständige Betriebe oder Betriebsteile in die Kombinate eingeordnet, mit Ausnahme des Kombinates Spezialtechnik Dresden, das nur Rüstungsunternehmen umfasste. Dementsprechend unterstanden sie der Wirtschaftsleitung der Industrieministerien und der Staatlichen Plankommission der DDR. Sie waren damit (anders als etwa in der Volksrepublik China) von der Armee deutlich getrennt. Die Initiative zu Rüstungsprojekten kam von entsprechenden Gremien in der SED. Der Anteil der Rüstungsproduktion an der industriellen Warenproduktion der Kombinate war je nach Erzeugnispalette unterschiedlich. Den größten Anteil Rüstungsproduktion hatten 1986 folgende Kombinate:[12]
Das produzierte Gesamtvolumen an wehrtechnischen Gütern und Dienstleistungen betrug 1989 insgesamt 3,7 Milliarden Mark, davon wurde Wehrtechnik in einem Wertvolumen von 1,4 Milliarden Mark exportiert. Hauptabnehmer war die Sowjetunion.
Mit Gewehren der Serie Kalaschnikow aus dem VEB Geräte- und Werkzeugbau Wiesa (GWB) in Wiesa wurden auch verschiedene Länder außerhalb des Warschauer Paktes beliefert. Es gab zudem Exporte in das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet (NSW). So wurden im GWB in erheblichem Umfang Devisen erwirtschaftet und sogar Handfeuerwaffen für den Export gegen Devisen, wie bspw. die Wieger-Waffenfamilie entwickelt.
Um 1980 beliefen sich die Rüstungslieferungen an afrikanische Länder auf etwa 200 Millionen Mark jährlich. Darüber hinaus wurden auch Reparaturen von Jagdflugzeugen (VEB Flugzeugwerft Dresden, heute Elbe Flugzeugwerke GmbH) für befreundete Länder durchgeführt, wie für den Iran und den Irak während des gegeneinander geführtes Kriegs.
Das Gesamtvolumen entsprach etwa einem Prozent der industriellen Warenproduktion der gesamten DDR. Die Hauptleistungen umfassten die Instandsetzung und Modernisierung sowjetischer Wehrtechnik sowie die Produktion von Wehrtechnik auf Basis sowjetischer Lizenzen und eigener Entwicklungen für die Nationale Volksarmee sowie für die Armeen der Warschauer Vertragsstaaten. Die DDR führte 86 Prozent aller Instandsetzungen an militärischen Gütern für die eigenen bewaffneten Kräfte durch.
Haupterzeugnisse und Leistungen lagen insbesondere bei:
Ein zentrales Forschungs- und Wirtschaftsprogramm, das die DDR sogar überdauerte, war das Mikroelektronikprogramm im Süden der DDR. Ab 1977 wurden in diesem damals vor allem militärisch orientierten Programm zum Aufbau einer eigenen Mikroelektronikindustrie bis 1990 etwa 15 Milliarden DDR-Mark investiert. Die Sowjetunion nahm die Rüstungsprodukte ab Mitte der 1980er Jahre nicht mehr ab (s. u.). Eine Umstellung auf rein zivile Produktion misslang wegen der boykottbedingten mangelnden Verfügbarkeit westlicher Basistechnologien zunächst. (Mittlerweile sind aber Nachfolgefirmen und Neuansiedlungen im sogenannten Silicon Saxony recht erfolgreich.)
Im Gefolge des Nato-Doppelbeschlusses von Dezember 1979 und der 1983 vom US-Präsidenten Ronald Reagan verkündeten Strategic Defense Initiative (SDI) wurden auch die Rüstungsanstrengungen in der DDR intensiviert, wobei man sich auf die Militärelektronik konzentrierte. Ein Politbürobeschluss vom 24. Mai 1983 plante die militärische Produktionsanteile des Kombinates Carl Zeiss Jena von 15,7 Prozent im Jahr 1983 auf 28 Prozent im Jahr 1990 zu steigern. Kernvorhaben waren die Entwicklung und Produktion eines Zielsuchkopfes für Luft-Luft-Raketen, eines optoelektronischen Zielsuchkopfes für Seezielraketen und Fernerkundungssysteme für den Krieg im Weltraum. Die Militarisierung der Mikroelektronik betraf den ganzen Industriebereich. Bis 1990 war annähernd eine Verdreifachung der militärischen Exporte gegenüber 1981/85 vorgesehen, was durch die Wahl Michail Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU am 11. März 1985 nicht mehr zum Tragen kam. Durch dessen Abrüstungspolitik verlor die Rüstungsindustrie der DDR schlagartig ihren größten Abnehmer, die Sowjetunion, wie auch die dagegen eingetauschten Rohstoffe. Bereits Mitte 1986 ließ der Generaldirektor vom Carl-Zeiss Jena Wolfgang Biermann auf persönliche Weisung Honeckers eine Konzeption zur faktischen Einstellung der Militärprojekte erarbeiten, eine Umstellung auf zivile Produktion führte wegen des zu hohen Anteils von Eigenproduktionen mikroelektronischer Bauelemente (1989 um 70 Prozent, Bundesrepublik rund 40 Prozent) zu absurden Kostenstrukturen, die zum faktischen Staatsbankrott der DDR Ende der 1980er Jahre beitrugen.
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.
Every time you click a link to Wikipedia, Wiktionary or Wikiquote in your browser's search results, it will show the modern Wikiwand interface.
Wikiwand extension is a five stars, simple, with minimum permission required to keep your browsing private, safe and transparent.