Regina Ullmann wurde als zweite Tochter des jüdisch-österreichischen Stickerei-Kaufmanns Richard Ullmann (1842–1889) und seiner deutschen Ehefrau Hedwig Ullmann (1859–1938) geboren. Die Familie war im vorarlbergischen Hohenems heimatberechtigt. Anscheinend war die Tochter ein hochsensibles und zugleich schwerfälliges Kind mit Sprach- und Schreibhemmungen, so dass sie zunächst nicht in die Volksschule aufgenommen wurde. In einem St.Galler Privatinstitut erhielt sie dann die erhoffte Förderung, um ab 1896 die Primar- und Sekundarschule zu absolvieren.
1902 zogen sie und ihre Mutter nach München. Sie arbeitete zeitweise an der Bayerischen Staatsbibliothek und besuchte mit der Mutter Kurse für Literatur und Kunstgeschichte. Und sie fand Zugang zu bekannten Dichtern wie Ina Seidel, Hans Carossa, Ludwig Derleth und Rainer Maria Rilke. Ab 1908 führte sie einen Briefwechsel mit Rilke, der später zu ihrem Mentor und Förderer wurde und dem sie dann 1912 zum ersten Mal begegnete.
Im Januar 1906 hatte Regina Ullmann in Wien ihre nichteheliche Tochter Gerda geboren. Sie stammte aus einer Beziehung mit dem ÖkonomenHanns Dorn. Am 18. Juli 1908 wurde in München ihre zweite nichteheliche Tochter Camilla (1908–2000) geboren. Der Vater des Kindes war der PsychoanalytikerOtto Gross.[1] Die Mutter musste beide Kinder bei Pflegeeltern aufwachsen lassen. 1911 konvertierte sie in Altötting zur katholischen Kirche. Sie galt seither als eigenwillige, christlich orientierte Erzählerin. Charakteristisch für ihre Werke sind ihre „fromme“ Zuneigung zu den kleinen Dingen und den einfachen Menschen wie auch ihr behutsamer, detailtreuer Schreibstil.
Unverheiratet, ohne erlernten Beruf, zeitweise an schweren Depressionen leidend, an ihrer eigenen Mutter hängend, wurde sie – von ihren Lesungen abgesehen – erst mit ihrem (ersten) Erzählband Die Landstraße allmählich bekannt. Dank der Vermittlung durch Rilke erhielt sie die nötigen finanziellen Zuwendungen, zuerst von ihrem Verleger Anton Kippenberg, später von Schweizer Mäzenen und katholischen Hilfswerken. Um 1920 lernte sie weitere Dichterkollegen kennen: Thomas Mann, Robert Musil, Max Pulver und Albert Steffen, dann 1923 Carl Jacob Burckhardt.
1936 musste sie, aus dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller ausgeschlossen, Deutschland verlassen und kehrte über mehrere Stationen in der Schweiz, in Österreich und Italien 1938 nach St. Gallen zurück. Dort lebte sie bis kurz vor ihrem Tod in einem katholischen Pflegeheim. 1950 erhielt sie das Schweizer Bürgerrecht.
Nach dem Krieg erfuhr Regina Ullmann eine gewisse Anerkennung als Schriftstellerin: 1949 wurde sie als außerordentliches Mitglied in die Bayerische Akademie der Schönen Künste aufgenommen. Im selben Jahr erschien ein Beitrag zu ihr und ihrem Werk von Olga Brand in der Publikation der Schweizer Büchergilde Gutenberg über Schweizer Dichterinnen, 1954 ein Eintrag im Lexikon der Frau sowie von ihren Freunden ein Buch zum 70. Geburtstag. Ihre Heimatstadt St. Gallen verlieh ihr im selben Jahr den Kulturpreis. Seit 1955 war sie Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Ihre letzten Lebensmonate verbrachte Ullmann unter der Obhut ihrer Tochter Camilla. Sie starb am Dreikönigstag 1961 im bayrischen Ebersberg und wurde in Feldkirchen bei München begraben.
Originalausgaben
Die Feldpredigt. Dramatische Dichtung. Demuth, Frankfurt am Main 1907 (1916: Insel-Bücherei 178/1)
Von der Erde des Lebens. Dichtungen in Prosa (mit einem Geleitwort von Rainer Maria Rilke). Frauen-Verlag, München/Leipzig 1910.
Gedichte. Insel, Leipzig 1919.
Die Landstraße. Erzählungen. Insel, Leipzig 1921.
Die Barockkirche von einer Votivtafel herab gelesen und ausführlich berichtet, zugleich mit etlichen Volkserzählungen. Grethlein/Seldwyla, Zürich 1925.
Der Traum von dem Engel. Erzählung. In: Der Zwiebelfisch. Zeitschrift über Bücher, Kunst und Kultur (hg. v. Wolfgang von Weber), 20. Jahrgang, Heft 2, Sonderbeilage. Hans von Weber Verlag, München 1927.
Vier Erzählungen. Enthält: Das Telegramm, Modenwarengeschäft der Frau Laura Nägeli, Der verlorene Kreuzer, Von einem Aussätzigen. In einer Auflage von 150 nummerierten Abzügen mit der Hand auf Zanders-Bütten gedruckt. Rupprecht-Presse (Band 48), München 1930.
Vom Brot der Stillen. Erzählungen, 2 Bände. Rentsch, Erlenbach-Zürich 1932.
Der Apfel in der Kirche und andere Geschichten. Herder, Freiburg im Breisgau 1934.
Der Engelskranz. Erzählungen. Benziger, Einsiedeln/Köln 1942.
Madonna auf Glas und andere Geschichten. Benziger, Einsiedeln/Köln 1944.
Erinnerungen an Rilke. Briefe des Dichters und die Genfer Ansprache von Carl Jacob Burckhardt für Regina Ullmann. Tschudy, St. Gallen 1945.
Der ehrliche Dieb und andere Geschichten. Gute Schriften, Basel 1946.
Von einem alten Wirtshausschild. Erzählungen. Benziger, Einsiedeln/Zürich 1949.
Vergeltung durch Engel und andere Erzählungen, hg. v. Ellen Delp. Mit den Äusserungen Rainer Maria Rilkes und einem Vorwort von Regina Ullmann. Alber, Freiburg/München 1952.
Die schwarze Kerze. Erzählungen. Benziger, Einsiedeln/Zürich 1954.
Gesammelte Werke. 2 Bände, zusammengestellt von Regina Ullmann und Ellen Delp. Benziger, Einsiedeln/Zürich 1960.
Neuere Ausgaben
Kleine Galerie. Eine Auswahl aus ihren Erzählungen. Mit einer Einführung in Leben und Werk von Elisabeth Antkowiak. St. Benno, Leipzig o. J. (1975).
Erzählungen, Prosastücke, Gedichte. 2 Bände, zusammengestellt von Regina Ullmann und Ellen Delp. Neu hg. v. Friedhelm Kemp. Kösel, München 1978.
Ausgewählte Erzählungen. Hg. v. Friedhelm Kemp. Suhrkamp (BS 651), Frankfurt am Main 1979.
Goldener Griffel. Und andere Erzählungen. Schumacher-Gebler, München 1984, ISBN 3-920856-42-2.
Die Landstraße. Erzählungen. Mit einem Nachwort von Peter Hamm. Nagel & Kimche, Zürich 2007, ISBN 3-312-00401-2.
Girgel und Lisette. Fragment eines unveröffentlichten Hirtenromans. In: JUNI. Magazin für Literatur und Kultur, Heft Nr. 51/52, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8498-1157-0, S. 195–219.
Briefwechsel
Rainer Maria Rilke: Briefwechsel mit Regina Ullmann und Ellen Delp. Hrsg. Walter Simon. Insel, Frankfurt am Main 1987.
Olga Brand in: Stilles Wirken. Schweizer Dichterinnen.Büchergilde Gutenberg, Zürich 1949.
Regina Ullmann zum siebzigsten Geburtstag. Tschudy, St. Gallen 1954.
Eintrag im Lexikon der Frau, Band 2, Sp. 1504f (Foto vor Sp. 1441). Encyclios, Zürich 1954.
Don Steve Stephens: Regina Ullmann: Biography, literary reception, interpretation, Austin, Univ. of Texas, Phil. Diss. v. Dec. 1980.
Ullmann, Regina. In: Werner Röder; Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,2. Saur, München 1983, S. 1181.
Barbara Binder u.a. In: Helvetische Steckbriefe. 47 Schriftsteller aus der deutschen Schweiz seit 1800. Bearbeitet vom Zürcher Seminar für Literaturkritik mit Werner Weber, Artemis, Zürich/München 1981, S. 272–277.
Friedhelm Kemp: Nachwort. In: Friedrich Kemp (Hrsg.): Regina Ullmann: Ausgewählte Erzählungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997 (2. Auflage).
Christine Kanz: Geschlechterdifferenzen in Literatur und Psychoanalyse. Lou Andreas-Salomé, Margarete Susman, Franziska zu Reventlow und Regina Ullman im Dialog mit Sigmund Freud und Otto Gross. In: Raimund Dehmlow und Gottfried Heuer (Hrsg.): 1. Internationaler Otto Gross Kongress. Bauhaus-Archiv, Berlin 1999. LiteraturWissenschaft.de u. Laurentius, Marburg/Hannover 2000, S. 142–166.
Walter Fähnders: Girgel und Lisette. Regina Ullmanns Hirtenroman. In: JUNI. Magazin für Literatur und Kultur, Heft Nr. 51/52, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8498-1157-0, S. 187–194.
Kristina Kargl: „In das Nichts gewürfelt ist meine ganze Welt“. Ein Porträt der Autorin Regina Ullmann zum 125. Geburtstag im Jahr 2009. In: Gabriele von Bassermann-Jordan, Waldemar Fromm, Wolfram Göbel und Kristina Kargl (Hrsg.): Frauen der Boheme 1890–1920, ausgewählte Beiträge zur Ausstellung „Frei leben!“. Allitera Verlag, München 2022, ISBN 978-3-96233-341-6, S. 181–195.