Loading AI tools
Politikfeld um netzkulturelle, medienpolitische und medienrechtliche Fragen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Netzpolitik (teilweise auch: Digitalpolitik[1]) bezeichnet ein Politikfeld um netzkulturelle, medienpolitische und medienrechtliche Fragen.
Der Begriff Netzpolitik war ursprünglich eine Metapher für die Entwicklungen und Kontroversen, mit denen die global vernetzten digitalen Medientechnologien und ihre Anwendungen sich in gesellschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche und politische Handlungsfelder einschreiben. In der Netzpolitik verbinden sich seit Mitte der 2000er-Jahre zwei Denkschulen: Die ursprünglich aus dem Liberalismus entwickelten Freiheitsrechte in Gestalt der Grundrechte und der Bürgerrechte sowie die aus der Netzkultur entstandenen Vorstellungen eines freien, offenen und selbstbestimmten Internets als eines gesellschaftlichen und politischen Raums.[1] Als Querschnittsmaterie umfasst die Netzpolitik in einem weiteren Sinne alle gesellschaftlichen Bereiche, die von der Digitalisierung betroffen sind. Prägende Begriffe aus der jüngeren Debatte sind beispielsweise die Zukunft der Arbeit einschließlich ihrer sozialpolitischen Auswirkungen („Industrie 4.0“) oder die staatliche und private Überwachung der Internetnutzung („Snowden-Affäre“).
In Deutschland wird im Anschluss an die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestags sowie an die Digitale Agenda 2014–2017 der Bundesregierung und der Europäischen Union zunehmend auch von Digitalpolitik[2] gesprochen. Auch die bundesdeutschen Länder haben seit 2015 nach und nach sogenannte „Digitalisierungsstrategien“ veröffentlicht.[3] Im Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung von 2021 nehmen die Vorhaben zur Digitalpolitik einen großen Raum ein.[4]
Typisch für netzpolitische Themen ist, dass sie wesentlich durch den Stand der digitalen Technik zu einem bestimmten Zeitpunkt bedingt sind und dass die gesellschaftliche Reaktion darauf zu einem großen Teil nicht allein in der Hand des nationalen Gesetzgebers oder sonstiger Behörden nur eines Staates liegt. Netzpolitische Fragen werden in komplexen Prozessen gestaltet. Dabei wirken viele Akteure zusammen: Private und öffentliche Unternehmen, Nichtregierungs- bzw. zivilgesellschaftliche Organisationen und staatliche oder suprastaatliche Träger, aber auch unmittelbar alle Bürger, die Online-Dienste und Plattformen nutzen. Beispiele sind die zentrale Verwaltung des Internets durch die Mitglieder der ICANN oder die Entscheidung einer Benutzerin, lieber einen datenschutzfreundlicheren Anbieter für den eigenen E-Mail-Verkehr auszuwählen.
Grob können drei Bereiche netzpolitischer Themen unterschieden werden:[5]
Zu den politisch relevanten Themen innerhalb der Netzkultur gehören vor allem Datenschutz und Informationsfreiheit sowie die Förderung freier Inhalte. Statt der strafrechtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen bei Filesharing werden innerhalb der Netzkultur in der Regel alternative Modelle wie eine Kulturflatrate gefordert.
Im Jahr 1996 wurde von John Perry Barlow, einem Gründungsmitglied der Electronic Frontier Foundation, als Reaktion auf den „Telecommunications Act of 1996“ in den USA die Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace[6] veröffentlicht. Sie gilt bis heute als eine der einflussreichsten Schriften für eine freie und unabhängige Internetkultur.[7]
Über die Blogosphäre und Medien wie Twitter sind Aktivisten der Netzkultur oft schnell in der Lage sich gegen politische Maßnahmen wie beispielsweise die 2009 von der deutschen Bundesregierung angegangene Sperrung von Webseiten zu organisieren. Die von der Netzaktivistin Franziska Heine eingebrachte e-Petition wurde zur bisher meist unterstützten Online-Petition in Deutschland.[8]
Innerhalb der netzpolitischen Bewegung entstehen häufig Begriffe wie in Deutschland beispielsweise „Stasi 2.0“, der sich auf neue staatliche Überwachungstechnologien bezieht, oder „Internetausdrucker“ als Bezeichnung für Politiker, welche über die Netzkultur betreffende Maßnahmen entscheiden, jedoch selber nur wenig technisches und kulturelles Verständnis dafür aufbringen. Im Rahmen der Debatte um die Internetsperren verbreiteten sich auch Spitznamen wie „Zensursula“ für die Familienministerin Ursula von der Leyen.
Die des Öfteren stattfindenden Demonstrationen unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ gehören zu den politischen Großveranstaltungen, die auch außerhalb des virtuellen Raums ein starkes Mobilisierungspotential innerhalb der Netzkultur besitzen.
In den Jahren 1999 und 2000 sorgte der sogenannte Toywar für Aufsehen, bei dem Internetaktivisten eine Kampagne vorwiegend über das Internet und andere Massenmedien gegen den Spielwarenhändler eToys führten.[9] Während der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2000 (Al Gore vs. G.W. Bush) hat Ubermorgen auf der Plattform 'Vote-Auction' Wahlstimmen angekauft und verkauft und dadurch eine globale Debatte über Demokratie und Kapitalismus (Bringing Capitalism and Democracy closer together, Kampagnenslogan) und „fehlendes Recht“ ausgelöst[10][11]. Das Kollektiv Anonymous erhielt 2008 weltweite Aufmerksamkeit durch das „Projekt Chanology“, einen internationalen Protest gegen Scientology.
Zwar ist in Teilen der netzpolitischen Szene zu beobachten, dass Gesichtspunkte wie Technik, Recht oder Persönlichkeitsschutz im Vordergrund stehen, die als vermeintlich klassen- und geschlechtsneutral diskutiert werden. Spätestens seit den 1990er Jahren gibt es aber auch Bewegungen, die den geschlechts- oder klassenspezifischen Charakter jeder Netzpolitik betonen.
Mit dem erscheinen des Textes „Ein Manifest für Cyborgs“ von Donna Haraway Mitte der 1980er Jahre und dem Aufkommen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, formte sich der Begriff Cyberfeminismus. In seiner Folge entstanden cyberfeministische Bewegungen und davon abgeleitet, praktische Politikansätze. Dabei wird die Informations- und Kommunikationstechnik nicht als geschlechtsneutral verstanden, sondern gerade auf einen subversiven Umgang mit maskulinen Identitäten hin untersucht. Dazu gehört auch die Möglichkeit, netzpolitisch neue Subjektivitäten zu entwickeln, inklusive neuer Gender-Rollen.[12][13]
Eine Zusammenfassung cyberfeministischer Debatten und Theorieansätze der 1980er und 1990er Jahre findet sich in Francesca Schmidts Buch Netzpolitik. Eine feministische Einführung, in welchem die Autorin „einen neuen Gesellschaftsvertrag des Digitalen“ entwirft und anhand der Themen „Digitale Gewalt“ und „Überwachung versus Privatheit“ aufzeigt, wie eine digitale Welt aussehen könnte, die unter dem Zeichen der Geschlechtergerechtigkeit steht.[14]
Heute wird für politische und aktivistische Schnittstellen zwischen Feminismus und Technologie vermehrt der Begriff Technofeminismus oder im deutschsprachigen Raum auch Netzfeminismus verwendet.
Anhänger politischer Organisationen wie dem Chaos Computer Club, dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung oder von Digitalcourage (ehemals FoeBuD) fühlen sich zu großen Teilen in der Netzkultur beheimatet. Als politische Plattform trägt das Blog Netzpolitik.org eine zentrale Rolle. Die Piratenparteien verstehen sich als Parteien der Netzkultur. Der Verein Digitale Gesellschaft wurde 2010 gegründet. Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Fragen der Online-Überwachung, des Datenschutzes und des Strafprozessrechts mit Blick auf netzpolitische Themen.
Darüber hinaus beschäftigen sich zahlreiche weitere zivilgesellschaftliche Organisationen mit netzpolitischen Fragen, aufgrund des Querschnittscharakters der Digitalisierung auch solche, die sich in erster Linie ganz anderen Anliegen widmen, so beispielsweise wenn in der Bildungspolitik über freie Lehr- und Lernmittel gehandelt wird, die digital erstellt und online unter einer freien Lizenz verteilt werden (sogenannte Open Educational Resources, OER).
Erst nachdem die Piratenpartei mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit zu netzpolitischen Fragen einen regen Zulauf erhalten hatten, wurden bei den größeren Parteien Arbeitskreise und ihnen nahestehende Organisationen gegründet, in Deutschland etwa D64 (SPD), Cnetz (CDU), CSUnet (CSU) oder LOAD (FDP).[15] LOAD ist als eingetragener Verein seit 2014 überparteilich tätig und hat Vorstandsmitglieder, die bei FDP, Piraten und Grünen aktiv sind.
Die grünen Netzpolitiker führen das Blog „GrünDigital“.[15][16] Seit 2014 gibt es außerdem den eingetragenen Verein netzbegrünung.[17] Bei der Linken gibt es netzpolitische Arbeitsgemeinschaften auf Landes- und Bundesebene.[18]
Im Jahr 2017 wurde auf Initiative der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt die Durchführung regelmäßiger bundesweiter netzpolitischer Aktionstage durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Politische Bildung Online beschlossen. Durch die Aktionstage und ihre Einzelveranstaltungen sollten Themenbereiche der netzpolitischen Bildung stärker in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückt und eine Diskussion mit und in der Zivilgesellschaft darüber angeregt werden, wie Demokratie auch in digitalen Räumen bewahrt und gefördert werden kann. Im Juni 2018 fanden die ersten bundesweiten Aktionstage „Netzpolitik & Demokratie“ statt. Diese wurden von der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt aus koordiniert und beinhalteten insgesamt circa 100 Einzelveranstaltungen. Seitdem finden die Aktionstage regelmäßig statt.[19]
In Österreich sind mehrere netzpolitische Organisationen aktiv. Dazu gehören etwa die Erfas des Chaos Computer Clubs, namentlich der Chaos Computerclub Wien und der Chaostreff Salzburg.[20] Zu europapolitischen Themen wie der Netzneutralität engagiert sich insbesondere die Grundrechtsorganisation epicenter.works. Am ersten Donnerstag im Monat veranstalten Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen seit 3. Dezember 2015 den Netzpolitischen Abend.[21] Als Datenschützer ist besonders Maximilian Schrems hervorgetreten, der mit NOYB eine eigene Nichtregierungsorganisation gegründet hat und insbesondere gegen Datenschutzverstöße von großen Internetplattformen vorgeht.
In der Schweiz gibt es seit 2011 die Digitale Gesellschaft als gemeinnützige Organisation, die sich mit digitalen Rechten beschäftigt. Sie ist unabhängig von dem Verein gleichen Namens, der in Deutschland aktiv ist.
Viele der netzpolitischen Organisationen in Europa innerhalb und außerhalb der Europäischen Union sind Mitglied der Dachorganisation EDRi. In Frankreich gibt es die Nichtregierungsorganisation La Quadrature du Net.
Eine bekannte netzpolitische Organisation in den USA ist die Electronic Frontier Foundation (EFF), der beispielsweise der Kryptologe und IT-Sicherheitsberater Bruce Schneier angehört.
Zu den bekannten Netzaktivisten zählen unter anderem der Gründer des GNU-Projekts Richard Stallman, der Whistleblower Edward Snowden, in Deutschland die Bürgerrechtlerin Bettina Winsemann, die Blogger Markus Beckedahl und Andre Meister von netzpolitik.org, die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann, der Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch, der Soziologe Andreas Kemper, der US-amerikanische Medienrechtler Tim Wu, die feministische Netzaktivistin und Politikerin der Linken Anke Domscheit-Berg, der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, die ehrenamtlichen Sprecher des Chaos Computer Clubs Constanze Kurz und Frank Rieger, die ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland Marina Weisband, der frühere Abgeordnete der Piratenpartei im Europäischen Parlament Felix Reda oder die Künstler Rena Tangens und padeluun.
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.
Every time you click a link to Wikipedia, Wiktionary or Wikiquote in your browser's search results, it will show the modern Wikiwand interface.
Wikiwand extension is a five stars, simple, with minimum permission required to keep your browsing private, safe and transparent.