Karl Burdach, Sohn des früh verstorbenen Leipziger Arztes Daniel Christian Burdach, studierte von 1793 bis 1798 Medizin und Philosophie an der Universität Leipzig. Danach hörte er ein Jahr bei Johann Peter Frank in Wien. Er promovierte 1799 und arbeitete anschließend als praktischer Arzt und Medizinschriftsteller. Er behandelte vorwiegend ärmere Patienten und war auf seine Tantiemen als Autor und Übersetzer angewiesen.
Er habilitierte sich 1798 und wurde zum Privatdozenten ernannt. 1807 wurde Burdach außerordentlicher Professor an der Universität Leipzig. 1811 erhielt er den Lehrstuhl für Anatomie, Physiologie und Gerichtliche Medizin an der deutschsprachigen Kaiserlichen Universität Dorpat im Kaiserreich Russland. In Dorpat galt Burdach als Vertreter der romantischen Naturphilosophie. Er war dabei der Kritik durch die universitäre Orthodoxie ausgesetzt und zugleich für die Studenten interessant, weil das als „modern“ galt. Zu Burdachs bekanntesten Schülern in Dorpat gehören Karl Ernst von Baer, der 1827 die menschliche Eizelle entdecken sollte, und der Embryologe und Paläontologe Christian Heinrich Pander, der 1817 erstmals das wegweisende Keimblattmodell beschrieb.
1814 wechselte Burdach an die Albertus-Universität Königsberg. Hier baute er die 1817 gegründete Königliche Anatomische Anstalt auf. Baer, sein ehemaliger Student, wurde sein Prosektor und leitete ab 1826 die Anstalt. Burdach widmete sich fast ausschließlich der Physiologie. Er schützte die Kränzchen, die sich aus der Allgemeinen Burschenschaft zu lösen begannen. 1818 wurde er als korrespondierendes Mitglied in die Russische Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg aufgenommen.[1]
Der von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling beeinflusste Burdach versuchte einen Mittelweg zwischen Empirie und Naturphilosophie zu gehen. Ein ewiges, „ideelles Princip im Weltganzen“ schafft alles Einzelne der Natur.[2] Den „wissenschaftlichen Materialismus“ lehnte er als „plump“ ab, galt den romantischen Naturphilosophen aber als zu sehr an der Empirie orientiert, musste sich aber zugleich den Vorwurf gefallen lassen, den „Schwindelgeist der Naturphilosophie“ in Königsberg einführen zu wollen.
Burdachs Ehefrau starb 1838, worauf er sich vom wissenschaftlichen Leben zurückzog. Die letzten Jahre arbeitete er an allgemeinen, naturphilosophischen und psychologischen Fragestellungen. Seine Autobiographie konnte er nicht mehr abschließen.
Sein Sohn Ernst Burdach (1801–1876) war ebenfalls Mediziner.
Burdach sah die Physiologie als wichtigste aller Wissenschaften an, weil sie sich mit den Lebensvorgängen und -prinzipien insbesondere des Menschen beschäftigte. Sein sechsbändiges Opus magnumDie Physiologie als Erfahrungswissenschaft (Leipzig 1826–1840) umfasst mit über 3500 Seiten und bekannten Mitarbeitern, neben Karl Ernst von Baer und Christian Heinrich Pander auch Martin Heinrich Rathke, Johannes Peter Müller und Rudolf Wagner, das gesamte physiologische Wissen seiner Zeit. Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei auf embryonalen und entwicklungsbiologischen Vorgängen.
Seine anatomisch-morphologischen Vorstellungen entwickelte Burdach in einer Grundsatzrede zur Eröffnung der Anatomischen Anstalt in Königsberg: Ueber die Aufgabe der Morphologie (1817). Die Anatomie sollte sowohl zweckfreie Wissenschaft sein und zugleich dem Nutzen der Patienten dienen. Burdach war ein „master of neuroanatomy“,[3] seine bedeutendsten anatomischen Leistungen liegen auf dem Gebiete der Anatomie des Gehirns. Sein wichtigstes Werk ist dabei das dreibändige Vom Baue und Leben des Gehirns (Leipzig 1819–1826). Anatomische Strukturen des Zentralnervensystems, die seinen Namen tragen, sind der Burdach-Kern und der Burdach-Strang.
Burdach ist 1808 in den Bund der Freimaurer aufgenommen worden. Er war Mitglied der Loge Minerva zu den drei Palmen in Leipzig und später der Loge Zu den drei Kronen in Königsberg, deren Meister vom Stuhl er zwischen 1834 und 1841 war.[5]
Allgemein-medizinische und pharmazeutische Schriften und Sammelwerke
Anatomische Untersuchungen: bezogen auf Naturwissenschaft und Heilkunst. Hartmann, Leipzig 1814.
Dissertatio de primis momentis formationis foetus. Königsberg 1814.
als Hrsg. mit Alexander Crichton und Joseph Rehmann: Russische Sammlung für Naturwissenschaft und Heilkunst. 2 Bände. Hartmann, Riga/Leipzig 1816–1817.
Ueber die Aufgabe der Morphologie. Dyk, Leipzig 1817 (Vortrag).
Bemerkungen über den Mechanismus der Herzklappen. In: Berichte von der Königlichen Anatomischen Anstalt zu Königsberg. Nr. 3, 1820.
Ansichten des Elektro-Magnetismus. In: Berichte von der Königlichen Anatomischen Anstalt zu Königsberg. Nr. 5, 1822.
Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft. 6 Bände. Voß, Leipzig 1826–1840 (mit Beiträgen von Karl Ernst von Baer, Heinrich Rathke, Christian Heinrich Pander, Johannes Müller und Rudolph Wagner); 2. Auflage 1835–1840.
Handbuch der neuesten in- und ausländischen Literatur der gesammten Naturwissenschaften und der Medicin und Chirurgie. Perthes, Gotha 1828.
Ueber Psychologie als Naturwissenschaft. In: Heckers Annalen. 1828 (Vortrag).
Die Zeitrechnung des menschlichen Lebens. Voß, Leipzig 1829, (Vortrag).
Historisch-statistische Studien über die Cholera-Epidemie vom Jahre 1831. Königsberg 1832.
Kurt Feremutsch: Organ der Seele. Beiträge zur Geschichte der romantischen Medizin nach den Werken Karl Friedrich Burdachs. In: Monatschrift für Psychiatrie und Neurologie. Band 125, 1953, S.371–385.
Werner E. Gerabek: Burdach, Karl Friedrich. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 221–222.
Arthur William Meyer: Human Generation. Conclusions on Burdach, Döllinger and von Baer. Stanford CA / London 1956.
Alfred Meyer: Karl Friedrich Burdach and his Place in the History of Neuroanatomy. In: Journal of Neurology, Neurosurgery and Psychiatry. Band 33, 1970, S.553–561.
A. Chazanov: Карл Бэр и Карл-Фридрих Бурдах. In: Folia Baeriana. Band 2, 1976, S.39–45.
Olaf Breidbach: Karl Friedrich Burdach. In: Thomas Bach, Olaf Breidbach (Hrsg.): Naturphilosophie nach Schelling. Frommann, Holzboog 2005, ISBN 3-7728-2255-X, S. 73–106.
Michael Hagner: Karl Friedrich Burdach. In: Deutsche biographische Enzyklopädie. Band 2. Saur, München 1995, S. 233–234.
Thomas Schmuck: Baltische Genesis. Die Grundlegung der modernen Embryologie im 19. Jahrhundert. Aachen 2009 (= Relationes. Band 2) (zu Burdach S.40–59, kommentierte Burdach-Bibliographie S.248–256).
Vgl. seine Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig 1800, § 195, S. 62:
„Die Erscheinungen an dem lebenden Menschen koͤnnen sich beziehen auf seinen Koͤrper oder auf seinen Geist, die erstern auf seine Form, oder seine Mischung, oder seine eigenthuͤmlichen Kraͤfte. Diese Kenntnisse koͤnnen unter dem Namen der Biologie oder Lehenslehre [sic!] des Menschen begriffen werden.“ (https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/burdach_propaedeutik_1800/?p=80&hl=Biologie). Vgl.
Thomas Junker: Geschichte der Biologie. Beck, München 2004, S. 8.
Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Dieter A. Binder: Internationales Freimaurerlexikon. Überarbeitete und erweiterte Neuauflage der Ausgabe von 1932, München 2003, ISBN 3-7766-2161-3.