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sprachlicher Ausdruck von Hass zur Herabsetzung und Verunglimpfung von Personen oder Personengruppen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Hassrede, Lehnübersetzung von englisch hate speech, bezeichnet sprachliche Ausdrucksweisen von Hass mit dem Ziel der Herabsetzung und Verunglimpfung bestimmter Personen oder Personengruppen.[1] Vor allem in den Vereinigten Staaten wird die Bezeichnung hate speech in juristischen, politischen und soziologischen Diskursen verwendet. Im deutschsprachigen Raum fallen Ausdrucksweisen, die zum Hass aufstacheln, unter die Gesetzgebung zur Volksverhetzung (Deutschland) oder Verhetzung (Österreich) oder die Rassismus-Strafnorm (Schweiz: Artikel 261bis StGB). Zu Hassrede zählt auch die Benutzung von Ethnophaulismen.
Laut dem Sprachphilosophen und Politikwissenschaftler Paul Sailer-Wlasits stellt Hassrede „kein neues Phänomen, sondern nur ein neues Symptom“[2] dar. Seit über 30 Jahren forscht Sailer-Wlasits u. a. zu Sprache und Gewalt, Hassrede und Verbalradikalismus und gilt damit als Pionier der hate speech-Forschung im deutschsprachigen Raum. Er veröffentlichte 2002 die Abhandlung Vom Wort zur Tat: Politische Sprache und Gewalt[3] und legte 2012 mit dem Buch Verbalradikalismus. Kritische Geistesgeschichte eines soziopolitisch-sprachphilosophischen Phänomens[4] eine erste Globalgeschichte der Hassrede vor. Darin analysiert er den Weg von der Sprachgewalt zur Gewalt durch Sprache und betont den qualitativen Sprung von latentem zu sprachlich manifestem Hass. Diese Kulturgeschichte der Hassrede führt von den frühesten Texten des Alten Testaments über die gewaltvolle Rhetorik der griechischen und römischen Antike zur Hasssprache während der christlichen Kreuzzüge sowie des Kolonialismus. Den negativen Höhepunkt der Hassrede verortet Sailer-Wlasits im 20. Jahrhundert, mit den politischen Entgleisungen totalitärer Sprachpraxis und demagogischer Beherrschung der Massen während der NS-Diktatur und des Stalinismus.[5] In seinem 2022, wenige Monate nach der russischen Invasion der Ukraine, erschienenen Traktat Lüge, Hass, Krieg: Zur Diskursgeschichte eines Paktes[6] hebt er erneut die Vorbereiter- und Beschleunigerfunktion von versprachlichtem Hass hervor, die bis hin zur tödlichen Kriegsdynamik reichen kann. Sailer-Wlasits definiert Verbalradikalismus u. a. als „Sprachethik des Negativen“ und Hassrede als „Faktizität negativer Sprachmoral“.[7]
Nach Forsa-Studien im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen hat die Wahrnehmung von Hassrede und Hasskommentaren im Internet seit 2016 zugenommen. 2018 gaben 78 % der Befragten an, schon einmal Hassrede oder Hasskommentare im Internet gesehen zu haben, zum Beispiel auf Webseiten, in Blogs, in sozialen Netzwerken oder in Internetforen. Die Zahl derer, die angaben, selbst Hasskommentare zu verfassen, liegt seit Jahren unverändert bei etwa 1 %.[8] Laut einer Studie der Universität Potsdam berichteten im Jahr 2018 rund 54 % der befragten Jugendlichen, Hate Speech online gesehen zu haben, 11 % gaben an, selbst Hasskommentare verfasst zu haben und 17 % berichteten, Opfer von Hate Speech gewesen zu sein.[9]
Laut Zeit Online zeigte eine Untersuchung des Institute for Strategic Dialogue von Diskussionen unter Facebook-Beiträgen der Online-Ausgaben von Bild, Focus, Kronen Zeitung, Spiegel, Welt sowie tagesschau.de und der ZDF-Nachrichtensendung heute, dass 25 % der Likes bei Hasskommentaren auf Facebook auf nur 1 % der Profile zurückzuführen waren.[8]
In Deutschland trat Ende 2017 das „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“, kurz Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft. Mitte Juni 2018 untersuchte die Polizei Wohnungen von 29 Verdächtigen im gesamten Bundesgebiet. Ihnen wurden strafbare Hasskommentare wie antisemitische Beschimpfungen, fremdenfeindliche Volksverhetzungen oder öffentliche Aufforderungen zu Straftaten vorgeworfen.[8] Nach Angaben des BKA ließen sich von den 2018 gezählten rund 1500 strafbaren Hasskommentaren 77 % dem rechtsextremen Spektrum zuordnen.[10]
Laut dem deutschen Historiker Gerd Schwerhoff kann Blasphemie (Gotteslästerung) als spezielle Form der Hassrede gesehen werden. Eine wichtige Funktion in religiösen Zusammenhängen habe Schmähung nicht nur zwischen verschiedenen Religionsgruppen, sondern auch innerhalb religiöser Gemeinschaften, und zwar sowohl zur Abgrenzung nach außen als auch innerhalb der eigenen Gemeinschaft. Aber Abgrenzung durch Blasphemie sei nicht nur identitätsstiftend, sondern wurde auch bereits im Mittelalter und der frühen Neuzeit mit einer aufwendigen Gesetzgebung mitunter sehr differenziert geahndet. Später entwickelte sich dann das Fluchen als Alltagsvariante der eigentlichen Gotteslästerung. Wie jede Form der Hassrede hat auch die Blasphemie die direkte Beleidigung und Ehrverletzung des Gegenübers zum Ziel. Je geringer die Bedeutung und Präsenz von Religion in einer Gesellschaft sei, desto geringer die Aufregung, die durch Blasphemie ausgelöst werden könne. Wer jedoch – im Namen der Meinungsfreiheit – herabsetze, was anderen heilig ist, müsse damit rechnen, heftige Reaktionen auszulösen. Dabei könne der Schritt zur Hasskriminalität nicht weit sein, wie unter anderem der Streit um die Mohammed-Karikaturen und insbesondere die darauf folgenden Anschläge auf Charlie Hebdo gezeigt hätten. In modernen, multikulturellen Gesellschaften seien die Grenzen zwischen Spott und Beleidigung fließend, wobei diese Form der Schmähung durchaus das Potenzial habe, der Nährboden für extreme Gewalt zu werden.[11][12]
Eine konsequente Einschränkung dagegen ist die Entwicklung einer spezifischen Regelung für die Leugnung des Holocaust oder anderer Völkermorde. Unterschiede gibt es insbesondere innerhalb der Europäischen Union: Während Frankreich, Österreich und Deutschland hohe Hindernisse gegen Hate Speech errichtet haben, sind in Großbritannien und Ungarn viele Formen des Hate Speech geschützt.[13][14]
Die römisch-katholische Kirche sanktioniert Hassreden und -predigten von Kirchenmitgliedern unter bestimmten, im kanonischen Recht festgelegten Umständen mit Kirchenstrafen.[15]
Für die Opfer von Hassrede gibt es in Deutschland verschiedene rechtliche Möglichkeiten mit strafrechtlichen oder mit privatrechtlichen Vorgehensweisen.
Eine andere Möglichkeit, um gegen rechtswidriges Verhalten im Internet vorzugehen, bietet das Jugendschutzgesetz, welches eine „Indizierung von Telemedien“[20] herbeizieht, wenn diese „‚unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende‘“[20] Inhalte aufzeigen (§ 18, Absatz 1 JuSchG). Der § 20, Absatz 4 JMSTV verweist auf „Untersagungs- und Sperrverfügungen gegen Telemedien“.[20]
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG-E) von 2017 beabsichtigt eine stärkere Intermediärshaftung. Die Betreiber eines sozialen Netzwerkes werden unter entsprechender Bußgeldandrohung (§ 4, Absatz 1, Nummern 2-6 NetzDG-E) verpflichtet, „ein Beschwerdemanagement als ‚wirksames und transparentes Verfahren‘ für den Umgang mit Beschwerden von Nutzenden zu schaffen (§ 3 NetzDG-E)“.[20] Dies soll versichern, „dass ‚offensichtlich‘ rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden (§ 3, Absatz 2 Nr. 2 NetzDG-E) und weitere strafbare Inhalte binnen sieben Tagen (§ 3, Absatz 2 Nr. 3 NetzDG-E), jeweils nach Eingang der Beschwerde, entfernt werden“.[20]
In einem Experiment wurden in allen Bundesländern 16 Korrespondenten engagiert, die am 3. August 2021 um 17 Uhr in ihrer örtlichen Polizeiwache dieselben sieben Hasskommentare (davon 3 auf Facebook) zur Anzeige vorlegten. Mehrere Polizeiwachen identifizierten den Tatverdächtigen und übergaben ihn an die Staatsanwaltschaft. Welches Bundesland mit den Ermittlungen am schnellsten war, ließ sich nicht klar nachvollziehen, aber es gab erhebliche Unterschiede.[21]
Der Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verpflichtet die Mitgliedstaaten, bestimmte vorsätzliche Handlungen unter Strafe zu stellen. Darunter fällt unter anderem die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen eine nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe.[22]
In der juristischen Bewertung gibt es zwischen Staaten wesentliche Unterschiede. In den Vereinigten Staaten werden freie Meinungsäußerungen geschützt, die nicht tatsächlich einen Aufruf zu Gewalt darstellen. Die Kriterien sind dabei streng ausgelegt: Selbst eine Rede, die Gewalt rechtfertigt oder rassistische Beleidigungen enthält, wird weitgehend geschützt, wenn nicht beweisbar ist, dass es zu „unmittelbarer Gewaltausübung“ kommen wird. Allerdings haben viele private US-amerikanische Institutionen, insbesondere Universitäten, eigene, strengere Richtlinien gegen hate speech in ihrem Bereich erlassen. Vorschriften öffentlicher Universitäten, welche entsprechende Verhaltensweisen verbieten sollten, wurden jedoch durch US-amerikanische Gerichte immer wieder eingeschränkt.[23]
Im März 2022 beschloss das Unternehmen Meta Platforms im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine, Hassrede bzw. Aufrufe zur Gewalt gegen russische Soldaten auf den Plattformen Instagram und Facebook für Nutzer in der Ukraine, Russland, Polen, Lettland, Litauen, Estland und Ungarn zu erlauben.[24]
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