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Gesetz in Nazideutschland Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (nichtamtlich auch Erbgesundheitsgesetz, GzVeN) vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S. 529) war ein deutsches Sterilisationsgesetz. Es trat zum 1. Januar 1934 in Kraft. Das Gesetz diente im NS-Staat der sogenannten Rassenhygiene durch „Unfruchtbarmachung“ vermeintlicher „Erbkranker“ und Alkoholiker. Die Sterilisationsverfahren wurden durch Gutachten von sogenannten Erbgesundheitsgerichten legalisiert. Die Sterilisation wurde auf Antrag (des Betroffenen, überwiegend maßgeblich[1] aber des beamteten Arztes oder „für die Insassen einer Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalt oder einer Strafanstalt“ des Anstaltsleiters) durchgeführt, über den Erbgesundheitsgerichte entschieden, die einem Amtsgericht angegliedert waren. Dadurch wurde die eugenische Zwangssterilisation legalisiert.
Basisdaten | |
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Titel: | Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses |
Kurztitel: | [Erbgesundheitsgesetz] (nicht amtl.) |
Abkürzung: | [GzVeN] oder [EGG] (nicht amtl.) |
Art: | Gesetz der Reichsregierung (Art. 1 G vom 24. März 1933) |
Geltungsbereich: | Deutsches Reich |
Rechtsmaterie: | Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht |
Erlassen am: | 14. Juli 1933 (RGBl. I S. 529) |
Inkrafttreten am: | 1. Januar 1934 |
Letzte Änderung durch: | 4. Februar 1936 (RGBl. I S. 119) |
Inkrafttreten der letzten Änderung: |
27. Februar 1936 (Art. 3 Satz 2 Ermächtigungsgesetz) |
Außerkrafttreten: | teilweise durch Besatzungsrecht/Landesgesetze, KastrG, die Regelungen über Schwangerschaftsabbruch bei medizinischer Indikation durch 5. StRG am 22. Juni 1974 |
Weblink: | 100(0) Schlüsseldokumente zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert |
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten. |
Andererseits verbot § 14 Sterilisationen ohne medizinische Indikation (also zwecks Familienplanung); sie wurden zunächst als schwere Körperverletzung, von 1943 bis 1945 nach § 226b[2] StGB bestraft.
Das Gesetz basierte auf einem bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme geplanten Entwurf, welcher 1932 vom preußischen Gesundheitsamt unter Federführung von Eugenikern wie Hermann Muckermann, Arthur Ostermann, dem zweiten Direktor des Berliner Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie, Richard Goldschmidt, und anderen ausgearbeitet wurde. Der Entwurf enthielt Sterilisationen auf freiwilliger Basis; allerdings erfuhr dieser Punkt bei den Beratungen Kritik seitens des Gesundheitsexperten der sozialdemokratischen Fraktion im preußischen Parlament Benno Chajes, welcher mit Hinweis auf Gesetzgebung in einigen Bundesstaaten der USA und dem Schweizer Kanton Waadt Zwangssterilisation für bestimmte Fälle vorschlug. Außerdem forderte er, neben der eugenischen und medizinischen auch soziale Indikationen in den Entwurf einzuführen.[3] Obwohl dieser Gesetzesvorschlag breite Unterstützung erhielt, wurde er auch auf Grund des politischen Chaos infolge der Absetzung der preußischen Regierung nicht mehr Gesetz.
Im Gegensatz zu diesem frühen Gesetzentwurf, welcher Sterilisation auf freiwilliger Basis vorsah, war das unter den Nationalsozialisten beschlossene Gesetz in mehreren Punkten verschärft; so war nun die Möglichkeit der Zwangssterilisation gegeben,[4][5] die von Amtsärzten oder Anstaltsleitern der „Kranken-, Heil-, Pflege- oder Strafanstalten“ beantragt werden konnte (§ 3).
Das Gesetz wurde am 14. Juli 1933 verabschiedet. Der regierungsamtliche Gesetzeskommentar einschließlich zweier fachchirurgischer Beiträge erschien 1934 im J.F. Lehmanns Verlag, München: Arthur Gütt, Ernst Rüdin, Falk Ruttke: „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933“.
Die erste Änderung des Sterilisationsgesetzes, das „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 26. Juni 1935 (RGBl. I S. 773), erlaubte einerseits die sogenannte „freiwillige“ Kastration von Männern, „um sie von einem entarteten Geschlechtstrieb zu befreien“ (gemeint waren Homosexuelle und Sexualstraftäter), definierte zugleich die „Entfernung der Keimdrüsen“ oder „Entkeimung“ geschlechterneutral und führte damit auch die Kastration (beidseitige Eierstockentfernung) an Frauen ein.[6]
Andererseits wurde das Sterilisationsgesetz zu einem Abtreibungsgesetz erweitert. Bei Abtreibungen aus rassenhygienischen Gründen oder bei medizinischer Indikation wurde Straffreiheit zugesichert und bei „erbkranken“ Schwangeren die Sterilisation mit Abtreibung gekoppelt, d. h., nur wenn eine Zwangssterilisation beschlossen worden war, fand bis einschließlich zum 6. Monat auch eine eugenische Abtreibung statt. Dies betraf „erbgesunde“ Frauen nicht, die von einem „erbkranken“ Mann schwanger waren.[7] Zunächst verlangte das Gesetz die Einwilligung der Schwangeren, allerdings hieß es in der „Vierten Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 18. Juli 1935, dass der Eingriff auch bei Einwilligung „des gesetzlichen Vertreters oder des Pflegers“ vorgenommen werden könne, wenn der Frau „die Bedeutung der Maßnahme nicht verständlich gemacht werden“ konnte.[8]
Das Gesetz gab eine Liste der Krankheiten vor, die als „Erbkrankheiten“ angesehen wurden.
„Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:
- angeborenem Schwachsinn,
- Schizophrenie,
- zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein,
- erblicher Fallsucht,
- erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea),
- erblicher Blindheit,
- erblicher Taubheit,
- schwerer erblicher körperlicher Mißbildung.“
Ferner könne unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leide.
Die Zahl der Sterilisationsanträge sank nach 1936. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden die Sterilisationen am 31. August 1939 durch eine Verordnung beschränkt. Nach einem Anstieg im Jahr 1940 nahm die Zahl der Sterilisationsanträge bis 1944 kontinuierlich ab. Angesichts des „totalen Kriegseinsatzes“ wurde der Geschäftsbetrieb der Erbgesundheitsobergerichte zum 1. Dezember 1944 eingestellt. In der Provinz Brandenburg wurden die Aufgaben der Erbgesundheitsgerichte per Verordnung des Reichsjustizministeriums vom Erbgesundheitsgericht Berlin übernommen.[10]
Bis Mai 1945 wurden zwischen 300.000 und 400.000 Menschen nach einem entsprechenden Urteil der Erbgesundheitsgerichte in regionalen Krankenhäusern zwangssterilisiert. Bei über der Hälfte der Betroffenen war als Grund „Schwachsinn“ angegeben.[11] Insgesamt kamen durch Anwendung des Gesetzes 5000 bis 6000 Frauen und ungefähr 600 Männer durch Komplikationen während der medizinischen Prozedur um, viele litten außerdem an gesundheitlichen Folgeschäden.[12][1][8]
Das GzVeN wurde nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 wie ein Großteil der in der Zeit des Nationalsozialismus erlassenen Gesetze nicht durch die Kontrollratsgesetze aufgehoben und galt fort. Im Kontrollratsdirektorat sprach sich der Chef der Rechtsabteilung der US-amerikanischen Militärregierung Charles H. Fahy für eine vorläufige Suspendierung des Gesetzes aus, bis eine Anwendung eventuell wieder im öffentlichen Interesse liege. Einige Länder trafen daraufhin eigene Regelungen:
Die sowjetische Militäradministration befahl in der SBZ am 8. Januar 1946 die Aufhebung des Gesetzes. Die britische Besatzung erließ am 28. Juli 1947 eine Verordnung über die Wiederaufnahme von Erbgesundheitsverfahren. Allerdings gab es keine Erbgesundheitsgerichte mehr, sodass das Gesetz nicht mehr praktisch angewandt wurde.
Nach 1949 galt das Gesetz in Teilen auch in der neugegründeten Bundesrepublik Deutschland fort, während es in der Deutschen Demokratischen Republik aufgehoben blieb. Soweit Vorschriften des GzVeN dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland widersprachen (Artikel 123 Abs. 1 GG), endete deren Gültigkeit mit dem Inkrafttreten desselben.[13]
Seit Beginn der 1950er Jahre kam es aus der Ärzteschaft und Justiz der Bundesrepublik zu Forderungen für eine neue Einführung und Regelung von eugenischen Zwangssterilisationen, die sich aber nicht durchsetzen ließen.
Die Bundesregierung erklärte am 7. Februar 1957 vor dem Deutschen Bundestag:
„Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 ist kein typisch nationalsozialistisches Gesetz, denn auch in demokratisch regierten Ländern – z. B. Schweden, Dänemark, Finnland und in einigen Staaten der USA – bestehen ähnliche Gesetze; das Bundesentschädigungsgesetz gewährt aber grundsätzlich Entschädigungsleistungen nur an Verfolgte des NS-Regimes und in wenigen Ausnahmefällen an Geschädigte, die durch besonders schwere Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze Schäden erlitten haben.“[14]
Mit dieser Einschätzung waren die Opfer des Gesetzes nicht berechtigt zum Erhalt von Entschädigungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz.
Der Bundesgerichtshof entschied 1964, dass zwecks Familienplanung vorgenommene Sterilisationen nicht wie von 1933 bis 1943 als schwere Körperverletzung strafbar sind, da die Aufhebung des § 226 b StGB durch den Alliierten Kontrollrat die Wiederanwendbarkeit der älteren Vorschrift auf freiwillige Sterilisationen ausschließe (Az. 5 StR 78/64).
Noch gültige Vorschriften des GzVeN über Maßnahmen mit Einwilligung des Betroffenen wurden durch Artikel 8 Nr. 1 des Gesetzes vom 18. Juni 1974 (BGBl. I S. 1297) aufgehoben.[13]
Im Jahre 1988 ächtete der Bundestag die auf Grundlage des GzVeN durchgeführten Zwangssterilisierungen. Im Beschluss heißt es:[15]
Am 25. August 1998 verabschiedete der Bundestag das "Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte. Damit hob er die von den Erbgesundheitsgerichten auf Grundlage des GzVeN erlassenen rechtskräftigen Beschlüsse zur Sterilisierung auf.[12]
2007 wurde das GzVeN „in seiner Ausgestaltung und Anwendung“ vom Deutschen Bundestag als „nationalsozialistisches Unrecht“ geächtet.[13][16] Die Opfer des GzVeN werden jedoch bis zum heutigen Tage nicht als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt und haben so keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz.[17][18]
Gesetzblätter:
Literatur:
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