Die mit einem Poisson-Prozess beschriebenen seltenen Ereignisse besitzen aber typischerweise ein großes Risiko (als Produkt aus Kosten und Wahrscheinlichkeit). Daher werden damit oft im Versicherungswesen zum Beispiel Störfälle an komplexen Industrieanlagen, Flutkatastrophen, Flugzeugabstürze usw. modelliert.
Die Verteilung der Zuwächse hat einen Parameter λ, dieser wird als Intensität des Prozesses bezeichnet, da pro Zeitspanne genau λ Sprünge erwartet werden (Erwartungswert der Poisson-Verteilung ist ebenfalls λ). Die Höhe jedes Sprunges ist eins, die Zeiten zwischen den Sprüngen sind exponentialverteilt. Der Poisson-Prozess ist also ein diskreter Prozess in stetiger (d.h. kontinuierlicher) Zeit.
Ein Poisson-Punktprozess ist ein zufälliges Maß, genauer gesagt ein Punktprozess, mit einem s-endlichen Intensitätsmaß auf einem beliebigen Maßraum , der folgende Bedingungen erfüllt:
Für jede messbare Menge ist die Zufallsvariable Poisson-verteilt mit Parameter . Das heißt, es gilt für alle .
Für jede beliebige Anzahl an paarweise disjunkten Mengen sind die Zufallsvariablen unabhängig.[1]
Für einen Poisson-Punktprozess wird auch die Kurzschreibweise verwendet. Handelt es sich um einen homogenen (auch: stationären) Poisson-Punktprozess, so schreibt man auch , wobei damit das -fache Lebesgue-Maß gemeint ist. Für das Intensitätsmaß gilt .
Poisson-Punktprozesse können auf beliebigen Räumen betrachtet werden. Häufig interessiert man sich für den Raum oder für die positive reelle Achse . Insbesondere wenn man von einem Poisson-Punktprozess auf der reellen Achse spricht, nennt man die zweite Eigenschaft auch unabhängige Inkremente.
Die Terminologie ist leider nicht einheitlich. Manche Autoren sprechen vom Poisson-Prozess und meinen damit den Poisson-Punktprozess, andere wiederum meinen mit Poisson-Prozess den Poisson-Zählprozess, also . Letzteres zählt die Anzahl der Punkte des Poisson-Punktprozesses bis zum Zeitpunkt .
Ein homogener Poisson-Prozess ist ein Markow-Prozess in stetiger Zeit mit diskretem Zustandsraum. Die Q-Matrix ist .
Der Zeitraum zwischen zwei Zuwächsen, also für , ist exponentialverteilt mit dem Parameter . Die Wartezeit auf den nächsten Sprung ist also gedächtnislos, d.h., die Restwartezeit auf den nächsten Sprung ist unabhängig von der bisherigen Wartezeit. Daraus folgt, dass auch hier das Wartezeitparadoxon gilt.
Demnach ist die Wartezeit bis zum -ten Sprung gammaverteilt mit Parametern und . Man sieht das deutlich, wenn man als schreibt.
Ist ein Poisson-Prozess und , so ist für wieder ein Poisson-Prozess, d.h., die Zuwächse homogener Poisson-Prozesse sind stationär. Ein homogener Poisson-Prozess ist also ein spezieller Lévy-Prozess.
Für die quadratische Variation gilt , da der stetige Martingalanteil verschwindet und alle Sprünge die Höhe 1 haben.
Da der Pfad des Prozesses monoton steigt, ist ein Submartingal bezüglich seiner natürlichen Filtrierung.
Falls man einen stochastischen Prozess hat, der die drei definierenden Eigenschaften erfüllt, so existiert eine Version des Prozesses mit càdlàg-Pfaden, also ein Poisson-Prozess.
heißt kompensierter Poisson-Prozess und ist ein Martingal bezüglich seiner natürlichen Filtrierung.
Es gilt der Abbildungsatz, das heißt, ein Poisson-Punktprozess mit Intensität bildet unter einer messbaren Abbildung wieder einen Poisson-Punktprozess mit der Intensität .[1]
In der obigen Definition wird die Poisson-Verteilung vorausgesetzt, sie lässt sich aber auch aus grundlegenden Eigenschaften eines stochastischen Prozesses (Poissonsche Annahmen) ableiten. Wenn diese Eigenschaften einem Geschehen in guter Näherung zugeordnet werden können, wird die Ereignishäufigkeit Poisson-verteilt sein. Poisson veröffentlichte 1837 seine Gedanken zu dieser Verteilung zusammen mit seiner Wahrscheinlichkeitstheorie in dem Werk „Recherches sur la probabilité des jugements en matières criminelles et en matière civile“ („Untersuchungen zur Wahrscheinlichkeit von Urteilen in Straf- und Zivilsachen“).
Man betrachtet ein Raum- oder Zeitkontinuum , in dem zählbare Ereignisse mit konstanter mittlerer Anzahl pro Einheitsintervall stattfinden (ein Bernoulli-Experiment wird sehr oft, sozusagen an jedem Punkt des Kontinuums durchgeführt). Nun richtet man den Blick auf ein genügend kleines Kontinuumsintervall , das je nach Experiment einen Bereich, ein Zeitintervall, eine abgegrenzte Strecke, Fläche oder Volumen darstellen kann. Was sich dort ereignet, bestimmt die globale Verteilung auf dem Kontinuum.
Die drei Poissonschen Annahmen lauten:
Innerhalb des Intervalls gibt es höchstens ein Ereignis (Seltenheit).
Die Wahrscheinlichkeit, ein Ereignis im Intervall zu finden, ist proportional zur Länge des Intervalls . Da konstant ist, ist es damit auch unabhängig von .
Das Eintreten eines Ereignisses im Intervall wird nicht beeinflusst von Ereignissen, die in der Vorgeschichte stattgefunden haben (Geschichtslosigkeit).
Mit Annahme 1 und 2 ist die Wahrscheinlichkeit, ein Ereignis im Intervall zu finden, gegeben als
sowie die Wahrscheinlichkeit, dass in kein Ereignis auftritt, durch
Nach Annahme 3 ist die Wahrscheinlichkeit eines ereignisfreien Intervalls unabhängig vom Auftreten irgendwelcher Ereignisse im Bereich davor. So berechnet man die Wahrscheinlichkeit für kein Ereignis bis zum Punkt zu
unter der Anfangsbedingung. Ebenso findet man die Wahrscheinlichkeit für Ereignisse bis zum Punkt
Jedes angehängte Intervall darf nach Annahme 1 nur entweder kein oder ein Ereignis enthalten. Die entsprechende Differentialgleichung hat die Lösung
Identifiziert man nun in diesem Ausdruck, der die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Ereignissen im Kontinuumsbereich beschreibt, die Parameter mit und mit , stimmt er mit der Formel der Poisson-Verteilung überein. Die Zahl ergibt sich in vielen Aufgabenstellungen als Produkt einer Rate (Anzahl von Ereignissen pro Einheitsintervall) und einem Vielfachen des Einheitsintervalls.
als zusammengesetzter Poisson-Prozess bezeichnet. ist dann zusammengesetzt Poisson-Verteilt. Wie der ursprüngliche Poisson-Prozess ist auch ein Sprungprozess unabhängiger Zuwächse und exponential()-verteilter Abstände zwischen den Sprüngen mit Sprunghöhen, die nach verteilt sind. Gilt f.s., so erhält man wieder einen Poisson-Prozess.
Sind und zwei Sprungstellen des inhomogenen Poisson-Prozesses, dann ist exponentialverteilt mit dem Parameter 1.
Ein inhomogener Poisson-Prozess mit stochastischer Intensitätsfunktion heißt doppelt stochastischer Poisson-Prozess oder nach dem englischen Mathematiker David Cox auch Cox-Prozess. Betrachtet man eine bestimmte Realisierung von , verhält sich ein Cox-Prozess wie ein inhomogener Poisson-Prozess. Für den Erwartungswert von gilt
.
Allgemein:
Zählung von gleichverteilten Ereignissen pro Flächen-, Raum- oder Zeitmaß (z.B. Anzahl der Regentropfen auf einer Straße; Anzahl der Sterne in einem Volumen V ist ein dreidimensionaler Poisson-Prozess)
Bestimmung der Häufigkeit seltener Ereignisse wie Versicherungsfälle, Zerfallsprozesse, Reparaturaufträge oder der Zahl der Tore in einem Fußballspiel (s. das Fußballbuch von Metin Tolan)
Bediensysteme:
die zufällige Anzahl von Telefonanrufen pro Zeitspanne
die zufällige Anzahl der Kunden an einem Schalter pro Zeitspanne
die Zeitpunkte, in denen Anforderungen (Personen, Jobs, Telefonanrufe, Heap, …) bei einem Bediener (Bank, Server, Telefonzentrale, Speicherverwaltung, …) eingehen
Fehler, Ausfälle, Qualitätskontrolle:
die zufällige Anzahl von nichtkeimenden Samenkörnern aus einer Packung
die Orte, an denen ein Faden Noppen hat
Anzahl der Pixelfehler auf einem LCD
Anzahl der Schlaglöcher auf einer Landstraße
Anzahl der Druckfehler in einem Buch
Anzahl der Unfälle pro Zeitspanne an einer Kreuzung
die Zeitpunkte von Großschäden einer Versicherung. In der Finanz- und Schadensversicherungsmathematik wird das Auftreten von zu deckenden Schäden üblicherweise durch einen zusammengesetzten Poisson-Prozess beschrieben, bei dem die einzelnen, unabhängig voneinander auftretenden Schäden nach Y verteilt sind. Versieht man diesen Schadensprozess dann noch mit einem deterministischen, negativen Drift (Versicherungsbeiträge), so erhält man den Vermögensprozess des Versicherungsunternehmens, auch Risikoprozess genannt. Dem schließen sich Fragestellungen an wie: Wie wahrscheinlich ist es, dass der Vermögensprozess einen gewissen Schwellwert x, das heißt die Rücklagen der Versicherung, überschreitet und damit einen Konkurs erleidet (sogenanntes Ruin-Problem)? Wie stark muss der negative Drift beziehungsweise der Beitragssatz sein, um die Wahrscheinlichkeit eines Konkurses (sog. Ruinwahrscheinlichkeit) unter eine vorgegebene Schwelle zu drücken?
Modelle für Kurse von Aktien, wobei auch Sprünge erlaubt sind. Hierfür werden zwar oft Lévy-Prozesse verwendet, aber da unendliche Aktivität oft schwer zu messen ist, werden auch zusammengesetzte Poissonprozesse verwendet.
Kreditrisikomodelle helfen CDS, -Spreads und andere Kreditderivate zu bewerten und modellieren.