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Reihe religiöser Texte des Judentums Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Sohar (hebräisch הזוהר ספר Sēfer ha-sōhar, zu זֹהַר sohar, deutsch ‚Glanz‘; auch in der Schreibweise, vor allem englisch, Zohar) gilt als das bedeutendste Schriftwerk der Kabbala.[1] Der Name bedeutet „(strahlender) Glanz“ und geht zurück auf biblische Texte bei den Propheten Hesekiel (Ez 1,28 EU; Ez 8,2 EU) und Daniel (Dan 2,31 EU; Dan 12,3 EU).
Das in einem künstlich altertümlichen Aramäisch – wohl, um das Alter der Schrift zu beweisen –,[2] zu geringen Teilen in Hebräisch verfasste Werk der jüdischen Mystik.
Es enthält vor allem Kommentare zu Texten der Tora, dem Hohelied (hebräisch שִׁיר הַשִּׁירִים Šīr ha-Šīrīm), dem Buch Rut, (hebräisch מְגִלַּת רוּת Megillath Ruth) und den Klageliedern Jeremias, (hebräisch אֵיכָה 'êkâ).[3] Literarisch handelt es sich bei den Kommentaren um Schriftexegesen, homiletischen Meditationen, Erzählungen und Dialogen, aber auch Betrachtungen zur mythischen Kosmogonie und mystischen Psychologie.
Dies schließt, zusammenfassend und explizierend formuliert, Diskussionen um das „Wesen Gottes“, „Ursprung und Struktur des Universums“, „Natur der Seele“, „Erlösung“, die Beziehung zwischen „dem menschlichen Ego und dem Dunklen“, um das „wahre Selbst“ zum „Licht Gottes“ und zwischen „universeller Energie“ und dem einzelnen Menschen ein.
In seinem exegetischen Charakter kann der Sohar auch als esoterische Variante zum rabbinischen Midrasch eingeordnet werden. Er wird von einigen Fürsprechern daher auch als Midrasch des Shimon bar Jochai angesehen.[2]
Der Sohar ist eine Sammlung von Texten in zumeist fünf Bänden. Als Autor wird Schimon ben Jochai genannt, ein bedeutender Tannait des zweiten Jahrhunderts, der auch die wichtigste handelnde Person ist und vom Propheten Elija den Auftrag bekommen haben soll, den Sohar zu schreiben.[4] Rabbi Schimon ben Jochai[5] gilt zwar historisch als „Vater der Kabbala“, seine tatsächliche Autorschaft für den Sohar ist jedoch vor allem aus sprachlichen Gründen fraglich, so dass von einem pseudepigraphischen Charakter der Schrift ausgegangen werden muss.
Der Sohar tauchte zuerst gegen Ende des 13. Jh. in Spanien auf (Herausgabe in Teilen zwischen 1280 und 1286). Um seine Herausgabe und Verbreitung hat sich der Kabbalist Mosche ben Schemtow de León verdient gemacht, der bis 1305 in Kastilien, zuletzt in Ávila lebte. Aufgrund literarischer, sprachlicher und quellentheoretischer Beobachtungen wurde de León historisch auch die Autorschaft des Sohar zugeschrieben. Dem Tagebuch des Kabbalisten Isaak ben Samuel aus Akko zufolge soll die Witwe von Mosche de León, Tami Musaphia Heni aus Tihama (um 1250–1305) zugegeben haben, dass der Sohar von ihrem Mann geschrieben worden sei; Isaak aus Akko sprach jedoch nicht selbst mit der Witwe, sondern erzählt aus dritter Hand.[6]
Im Hinblick auf die Entstehungszeit und der literarischen Kontinuität von Texten jüdischer Mystik, und hier dem Sohar[7] im engeren Sinne, bestehen unterschiedliche Ansichten und Intentionen zwischen den jüdischen bzw. kabbalistischen Traditionen und den Ergebnissen der akademischen, wissenschaftlichen Forschung. In der Literaturwissenschaft und Judaistik wird die Ansicht präferiert, der Autor des Sohars sei Mosche de Leon aus dem 13. Jahrhundert gewesen. Hingegen bleibt im orthodoxen Judentum Rabbi Schimon ben Jochai weiterhin der Autor des Sohars.[8]
Einem traditionellen Narrativ folgend, sei der Sohar im zweiten Jahrhundert von Rabbi Schimon ben Jochai geschrieben worden, als er sich mit seinem Sohn Eleasar, dreizehn Jahre in einer Höhle im Norden Israels versteckte.[9] Das Manuskript verschwand dann aus der Geschichte, um ein Jahrtausend später in den Händen von Rabbi Mosche de Leon wieder aufzutauchen.
Im Sohar finden sich Hinweise auf historische Ereignisse (wie die Kreuzzüge in Sohar II, 32a und III, 212b), hebräische Rechtschreibkonventionen (z. B. Sohar I 24b, III 65a), spanische Wörter (z. B. Esnoga für ‚Synagoge‘) und Namen von Rabbinern (z. B. Rav Hamnuna Sava, Rav Yeva Sava, R' Hezkiah bar Rav usw.), die alle aus der Zeit nach Rabbi Schimon ben Jochai zu stammen scheinen.[10] Daniel C. Matt Übersetzer und Editor des Sohar in das Englische verwies darauf, dass die Aramäische Sprache etliche erfundene Wörter aufweist und gelegentlich ein spanischer Begriff oder Hinweise auf mittelalterliche Ereignisse oder Persönlichkeiten zeigt.[11]
Der Verfasser der zentralen Abhandlung des Sohar schuf ein Aramäisch, das nur im Sohar aufzufinden ist. So wurden neue Worte und grammatische Formen erschaffen. Weitere Beispiele sind der Anachronismus der im Sohar gemeinsam auftretenden Personen, die geschriebenen hebräischen Vokalzeichen, die verwendete Begrifflichkeit gibt Hinweise auf die Einflüsse der mittelalterlichen jüdischen Philosophie, das Aramäisch kann als ein Kunstprodukt verstanden werden, mit etlichen eigenwilligen Neologismen.[12] Offen bleibt in der wissenschaftlichen Diskussion, inwieweit Rabbi Mosche de Leon, auf ältere im zur Verfügung stehende Texte zurückgegriffen hat.[13]
Nach Joseph Dan[14] schrieb der Autor oder Redaktor das Werk den rabbinischen Gelehrten der Antike zu, um damit eine Erzählhandlung zu erschaffen, die sich in einer anderen Zeit und einem anderen Ort zu getragen haben soll.
Nach seinen eigenen Worten hat der Sohar zum Ziel, Jisrael durch und aus dem Exil zu helfen.[15]
Der Sohar versucht das Wesen Gottes zu erfassen und dieses dem Menschen mitzuteilen. Da Gott verborgen ist, kann dies nur in höchst spekulativer und kontemplativer, nicht in beschreibender oder lehrhafter Form geschehen. Dabei steht immer die Auslegung der Tora, als wesentliches religiöses Fundament, im Vordergrund. Der Sohar erkennt für die biblische Exegese vier Stufen des Verständnisses, vom unmittelbar Wörtlichen zum Mystischen:[16]
Die Anfangsbuchstaben dieser vier hebräischen Wörter bilden den Begriff PaRDeS (‚Obstgarten‘, verwandt mit dem deutschen Wort Paradies), wodurch der Sinn des Schriftstudiums angedeutet wird als Gang durch einen blühenden Garten. Dieser Gang wird auch interpretiert als geistiger Gang durch die verschiedenen Hallen des jüdischen Tempels.
Der Sohar nimmt die kabbalistischen Vorstellungen der zehn Sefirot auf als Sphären der Manifestation Gottes. Als letzter Ausdruck göttlichen Seins wird darüber das Unendliche (hebr. En Sof) erkannt. Aus dem En Sof hat sich das Sein wie aus einem einzigen Punkt zu den vielen Erscheinungen der Welt ausgefächert.
In der Ethik vertritt der Sohar als höchsten Wert die tätige Liebe zu Gott (hebr. דְבֵקוּת Debekut), die sich auch in der sozialen Hinwendung zum Mitmenschen äußert. Daneben vertritt der Sohar ein starkes Armutsideal. Der gerechte Mensch (hebr. Tzaddik) ist sowohl ein Tora-Gelehrter und Gottsucher, als auch der Wohltäter, der seine eigenen Bedürfnisse hinter die Sorge für den Nächsten radikal zurückstellt.
Der Sohar ist laut Johann Maier, verglichen mit dem „vergleichsweise klar formulierte[n] und geradezu didaktisch aufgebaute[n] Hauptwerk“ Josef Gikatillas Scha’are Orah, weniger durchorganisiert und sprachlich und inhaltlich weit schwieriger, gehört aber noch zu den Texten, die „vergleichsweise verständlich geschrieben sind und auch in Übersetzung noch verständlich bleiben, was für kabbalistische Literatur ansonsten durchaus nicht selbstverständlich ist“.[17] Nach Bernhard J. Bamberger ist der Sohar „das Werk eines Genies, aber er ist schwierig zu charakterisieren. Sein Inhalt reicht vom Erhabenen zum Grotesken, vom Tiefen zum Einfältigen und einfach Unverständlichen. Er enthält brilliant-originelle Interpretationen der Schrift, wunderbare Formulierungen und Gleichnisse sowie phantastische Mythen. In dieser oder jener Form behandelt er alle Probleme und Interessen der Kabbala.“[18]
Der Gesamtbestand der Vielzahl der Abhandlungen die den Sohar konstituieren wurde erstmalig 1558 und 1560 in drei Bänden in Mantua gedruckt. Es folgte eine elfbändige Ausgabe zwischenzeitlich 1559 in Cremona.[19]
Schon bald nach seiner Entstehung hat der Sohar eine außergewöhnliche Bedeutung zuerst unter Kabbalisten, dann auch im Judentum allgemein gewonnen, wobei jedoch die übrigen kabbalistischen Schriften „in den Hintergrund gedrängt“ wurden und teils verloren gingen.[20] Seine Verbreitung nahm insbesondere nach der Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) stark zu. Vor allem für die chassidische Tradition im osteuropäischen Judentum erlangte der Sohar geradezu kanonisches Ansehen.
Auch unter christlichen Gelehrten hat der Sohar einige Resonanz hervorgerufen, insbesondere in der Neuzeit durch die lateinische Übersetzung im zweiten Teil von Christian Knorr von Rosenroths Kabbala denudata.[2] Die spekulative Kraft seiner Sprache hat sogar dazu geführt, thematische Verbindungslinien zur christlichen Lehre zu ziehen bis hin zu Ähnlichkeiten im Wesen des dreifaltigen Gottes. Andererseits wird auch der Sohar Elemente eines esoterischen Christentums im Südeuropa des 12. Jhdts. integriert haben, so dass eine klare Bewertung von Ursachen und Wirkungen schwerfällt. Grundsätzlich zeigen sich in mystischen Traditionen die stärksten und fruchtbarsten Verbindungen zwischen den Religionen.
Die modernen Übersetzungen (Stand 1995) decken nicht die Gesamtheit des Sohar ab und „lassen sehr zu wünschen übrig“. Am besten steht es laut Maier mit englischen Übertragungen, „während die französische von de Pauly kaum brauchbar ist“.[2] Jean de Paulys verfälschte Sohar-Übersetzung und die darauf zurückgehenden Fehler in Arthur Edward Waites The Secret Doctrine in Israel hatte auch Gershom Scholem kritisiert.[21]
Nach Joseph Dan[22] handelt es sich um eine Vielzahl von Abhandlungen die den Textkorpus konstituieren, hier eine Übersicht:
Ein weiterer späterer Autor der in Stil und Sprache von de Leon schrieb, fügte zu Beginn des 14. Jahrhunderts zwei weitere Werke hinzu:
Ein fünfter Band der zu den Abhandlungen ist der:
Die fünf Bände des Sohar bestehen also genauer aus folgenden Teilen:
Gelehrte wie Gershom Scholem und Isaiah Tishby hatten im Sohar anders als in der lurianischen Kabbala keine messianische Thematik gefunden. Yehuda Liebes hingegen meinte, in den Idrot messianische Ereignisse erkennen zu können.[25] Gängig war es bis dahin, den erzählerischen Rahmen mit Berichten über die Treffen von zehn Mystikern und ihren Austausch über die Geheimlehren der Kabbala als Mittel für das Zusammenbinden der homiletischen Midraschim und Einzeltraditionen zu sehen.[26] Liebes legte jedoch dar, dass die in die Idra Rabba und Idra Sutta eingeflochtenen Reden nicht bedeutender waren als die Erzählung selbst.[27] Die neuere Forschung, wie jene von Ronit Meros, geht davon aus, dass die Entstehung des Gesamt-Sohar sich auf den Zeitraum von 1370 bis 1410 erstreckte und die Arbeit von literarischen Lehrer- und Schüler-Generationen sich in fünf unterscheidbaren „Schichten“[28] niederschlug. Davon die letzte, die „epische Schicht“, unterwarf die Gesamtredaktion des Sohar zum Schluss ebenso wie die anderen literarischen Gattungen der vollständigen Form eines Midrasch und entledigte sie damit ihrer Originaldynamik und Struktur insgesamt. Der Weg zum Verständnis führt daher nach Meroz über ein Separieren der Schichten und der Betrachtung im Einzelnen.[29] Eine derartige Schicht lässt sich bilden, indem alle in sich abgeschlossenen, homiletische Midraschim enthaltende Erzählungen herausgefischt werden, in denen die Helden der Zehnergruppe um Schimon ben Jochai angehören.[27] Wiederum zusammengesetzt, ergeben diese „Szenen“ ein „Messianisches Epos“, ein Drama mit folgenden drei Akten:
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