Lagerhaus für Naturalsteuern Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als Zehntscheune oder Zehntscheuer wurde ein Lagerhaus zur Annahme und Aufbewahrung der Naturalsteuer (Zehnt) bezeichnet.[1] In Bayern wird häufig der Begriff Zehntstadel verwendet. In Luxemburg spricht man von Zéintscheier[2] oder Zéngtscheier.[3]
Häufig handelt es sich um Klosterscheunen, die ursprünglich im Eigenbetrieb der Klöster oder durch Grangien gebraucht wurden. Das Wort „Grangie“ leitet sich indirekt von lateinischgrangarium (Getreidespeicher) ab. Auch herrschaftliche Domänen und adlige Güter bedienten sich derartiger Scheunen.
Zehnt- und Klosterscheunen gab es bereits im Frühmittelalter. Frühe Beispiele findet man auf dem Klosterplan der Fürstabtei St. Gallen im frühen 9. Jahrhundert. Die dreischiffige Scheune wurde erst im 12. oder 13. Jahrhundert entwickelt. Zu ihren Vorläufern gehören die eisenzeitliche Halle, die hochmittelalterliche Fest- und Markthalle sowie das römische horreum.
Dafür ließen die Zehntherren an geeigneten Stellen, wo man die Naturalabgaben am besten und sichersten einsammeln und aufbewahren konnte – in oder bei ihrer Burg, auf einem ihnen gehörigen Gut, Zehnthof oder Pfleghof, in einem zehntpflichtigen Ort, in einer nahen Stadt – spezielle große Scheunen erbauen. Vielfach waren sie nach oder sogar vor der Kirche die größten Bauwerke des Orts, nicht nur weil sie erhebliche Mengen an verschiedenen Naturalabgaben aufnehmen mussten, sondern auch weil sie den Herrschaftsanspruch der Zehntherren vor Ort dokumentierten. In ihrer architektonischen Vielfalt spiegeln Zehntscheunen regionale und epochale Unterschiede in Baustil und -material wider, ebenso wie die unterschiedliche Wirtschaftskraft ihrer Bauherren.
Erhaltene Zehntscheuern stehen inzwischen häufig unter Denkmalschutz. Sofern sie weiterhin unter öffentlicher Trägerschaft stehen, wurde die Nutzung wenn möglich an heutige Bedürfnisse angepasst. Auf diese Weise wurden sie zu Kultur- und Gemeindezentren, Museen und Versammlungsorten.
Zehntscheunen oder Grangien gab es hauptsächlich in Mitteleuropa. In Skandinavien, Schottland oder Irland sowie in Italien oder Spanien sind sie unbekannt. In einigen wenigen Orten Spaniens existierten allerdings städtische Lagerhäuser (pósitos) zur Versorgung der Armen oder für Notzeiten.
Mehrere noch erhaltene ehemalige Zehntscheuern befinden sich heute in Privatbesitz und werden als Veranstaltungsorte, Restaurants, Verkaufsstellen etc. genutzt. Andere stehen in öffentlichem Eigentum und werden heute für kulturelle Zwecke (Theater, Museum, Bibliothek) genutzt; wieder andere wurden zu Wohnhäusern umgebaut. Beispiele:
Malcolm Kirk: The Barn. Silent Spaces, London 1994.
Otto S. Knottnerus: 'Haubarg, Barghaus, Bargscheune und ihre mittelalterlichen Vorläufer: Materialien zur Vorgeschichte der Gulfscheune', in: Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 32 (2008), S. 105–125.
J.-R. Trochet, Maisons paysannes en France et leur environnement, XVe-XXe siècles, Paris 2007.
Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forste, Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V. (Hrsg.): Bauernhäuser in Bayern. Dokumentation. Band 7: Helmut Gebhard, Hans Frei (Hrsg.): Schwaben. Ries, Mittelschwaben, Allgäu. Hugendubel, Kreuzlingen u. a. 1999, ISBN 3-89631-369-X, S. 386.
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