Frühe Nennungen und Geschichte
Vor dem 19. Jahrhundert waren reinsortige bzw. streng reglementierte Weine selten und in Südtirol nicht nachgewiesen, d. h. meist waren Weine ein gemischter Satz (verschiedene Sorten zusammen im Weinberg) die sich nach Ertrag, Erlös, Grundgeschmack und auch Moden richteten. Die frühen Nennungen sind somit nicht erwiesenermaßen mit den modernen Sorten übereinstimmend, da, wenn nicht die Herkunft, dann oft markante Merkmale im Anbau (Rebe, Erziehung, Traube) oder des Weines (Geschmack) für die Namenswahl entscheidend scheinen (Siehe Bozner Weine, Traminer bzw. Muskateller).
- Vernatsch: 1370 erlaubt Karl IV. in Prag neben „Vernatschia“ nur die Einfuhr von vier anderen teuren Weinen. 1490 als „Vernetzer“ von einem süddeutschen Kloster als bessere Südtiroler Sorte genannt. Um 1600 erwähnt Marx S. v. Wolkenstein den Vernatsch und den Trollinger. 1644 listet Christoph A. Lindner am Anreiterhof in Moritzing‚ edler vernätsch, schwarz vernätsch, schwarze schlaven. In der frühen Neuzeit war Vernatscher als Sacklwein eine Südtiroler Nachahmung eines Süßweines aus Brescia, der offenbar vorwiegend aus weißen Sorten hergestellt wurde. Die eigenständige Sorte Weißvernatsch (Vernaccia bianca) war bis ins 19. Jahrhundert im Etschtal südlich von Bozen verbreitet.[1] Die Umstellung auf die heute klassische Maischegärung führte laut Quellen im 16. und 17. Jahrhundert zur vermehrten Fokussierung im Anbau auf roten Vernatsch und Gschlafene. U.a. die kurzzeitige Herrschaft Bayerns um 1810 führte zu gesteigerter Nachfrage aus Süddeutschland, sodass der ertragreiche Vernatsch immer mehr bevorzugt wurde. Nach der Reblausinvasion ab 1901 und dem Ersten Weltkrieg waren große Neuanpflanzungen notwendig. Die starke Nachfrage aus dem D-A-CH-Raum nach dem Zweiten Weltkrieg, haben dann zur Dominanz der Sorte mit bis zu 70 % der Weinmenge zu Ende des 20. Jahrhunderts in Südtirol beigetragen. Die DOC-Bestimmungen ab 1971 und die Qualitätsausrichtung haben dann innerhalb von wenigen Jahrzehnten zu einer Halbierung der eingekellerten Mengen geführt. Im neuen Jahrtausend reduziert sich die Menge weiterhin durch die Umstellung in den Weinbergen auf andere Rebsorten. Bekannte mögliche Namensherkünfte bzw. Ähnlichkeiten sind ‚Vernaccia‘ (ursprünglich Ligurischer Weißwein, Orte in Toskana und Sardinien), Vernazza, Verna (lat. in die Sklaverei geboren), Vernacula (lat. einheimische Sorte).
- Schiava: Im zentralen und östlichen norditalischen Raum seit dem Mittelalter erwähnt, z. B. in notariellen Urkunden unter der Langobardenherrschaft seit dem 11. Jahrhundert als ‚vineis sclavis‘, 1195 in Brescia und später als häufigster Sorten-Name im Veneto-Lombardischen Raum. Belegt bzw. vermutet ist ein früherer Anbau im Veneto, weiten Teilen der Lombardei und in Teilen Friauls. Genannte mögliche Namensherkünfte bzw. Ähnlichkeiten sind die Erziehungsform (Sklave), die Herkunft (Slawen, Schlavonia/Slavonia in Ostkroatien), ‚Gschlafene‘ (ähnliche säurearme alte Südtiroler Sorte seit 1320 erwähnt).
- Trollinger: ab dem Mittelalter im deutschsprachigen Raum nördlich der Alpen bis in die Pfalz für Weine aus Tirol gebräuchlich, z. B. in Württemberg in Zollordnungen von ca. 1560 und 1661. Aus verschiedenen Quellhinweisen wird eine Anpflanzung in größeren Mengen in Württemberg ab dem 16. oder spätestens 17. Jahrhundert angenommen.
Sorten und Hauptsynonyme
Von der Vernatschrebe sind mehrere Sorten bekannt. Ampelographisch gibt es seit dem 19. Jahrhundert drei allgemein anerkannte moderne Hauptsorten, die sich je nach Standort und diesbezüglichen Klonen evtl. mit Mutationen auch erkennbar unterscheiden.
- Großvernatsch, italienisch ‚Schiava Grossa‘ und in Württemberg bzw. Deutschland Trollinger (Rebsorte). Die Sorte ist aufgrund der ausführlichen Klonforschung und guten Qualitäten heute dominant; früher war offenbar das Burggrafenamt (Meraner Raum) das Hauptverbreitungsgebiet. ‚Edelvernatsch‘ wird modern als Name für Weine aus vorwiegend dieser Sorte verwendet. Der ‚Tschaggelevernatsch‘ wird als Mutations-Selektion mit kleineren Traubengrößen meist auch dieser Sorte zugerechnet.
- Mittervernatsch bzw. ‚Kleinvernatsch‘, italienisch ‚Schiava Gentile‘.[2] Aufgrund der geringeren Qualität im modernen Weinausbau und der kaum betriebenen Klonforschung wird die Sorte bei Neuanpflanzungen wenig verwendet, früher offenbar im Überetsch und Bozen dominant und durch Ampelographen und Önologen als wertvollste Sorte angesehen, wohl wegen der geringeren Erträge.
- Grauvernatsch, italienisch ‚Schiava Grigia‘ und im Trentino ‚Cenerina‘ wird als komplett eigene Sorte angesehen, auch wenn morphologisch und bei Aromen und Tanninen Ähnlichkeiten zu den anderen Vernatschsorten bestehen. Aufgrund des schwierigen Anbaus, u. a. Stiellähme und unreif bleibende Beeren, existieren kaum mehr größere Weinberge vorwiegend aus dieser Sorte, sodass mit diesem Namen etikettierte Weine meist ein gemischter Satz sind. Die Sorte wird als früher typisch für die St. Magdalener Zone angesehen und soll historisch mit ausschlaggebend für den hohen Ruf dieses Weines innerhalb der Vernatschweine sein.
- Im gemischten Satz bzw. als Verschnittpartner von Bedeutung sind in modernen Zeiten vorwiegend Lagrein und in geringem Maße Blauburgunder. Die DOC-Bestimmungen erlauben bis zu 15 % andere rote Südtiroler DOC-Sorten, während St. Magdalener heute bis zu 5 % Lagrein verwendet, sind die anderen Lagenabfüllungen (Kalterersee, Meraner Hügel u. a.) meist reine Vernatschweine. Ausnahmen bilden Selektionen und meist teurere Nischenweine die teils keine der klassische Vernatsch-Bezeichnungen am Etikett führen. Historisch im 18. und 19. Jahrhundert relevant sind die Sorten Gschlafene (im Trentino ‚Rossara‘, laut internationalem Weinregister ident mit Schiava Lombarda und Varenzasca), Edelschwarze (Negrara, Schwarzwälsche, Salzen, Carbonera, Zottelwälsche, Schwarzhottler), Malvasier, Teroldego, Marzemino, Buchholzer Vernatsch und verschiedene weitere verschollene Sorten u. a. auch Weiße wie der Blaterle.
Moderne Erbgutuntersuchungen und Vergleiche
Genetisch teilen Großvernatsch sowie Mittervernatsch etwa die Hälfte des Erbguts. Grauvernatsch teilt ungefähr die Hälfte des Erbguts mit Mittervernatsch.[3] Somit wäre die Bezeichnung dieser drei Sorten als Familie zutreffend, auch wenn Hierarchie und Stammbaum nicht aufgelöst werden können und eine Eltern/Kind/Geschwister-Beziehung von Ampelographen in Frage gestellt wird, bzw. von anderen Rebgenetikforschern in Vergleichs-Studien nicht gelistet wurde. Zusammen mit dem Teroldego ist Mittervernatsch als genetischer Elternteil vom Lagrein und Marzemino anerkannt.[4][5] Von frühen DNA-Analysen von Pinot, Teroldego und Lagrein[6] bis hin zu neueren Studien, konnte keine Abstammung oder Geschwisterbeziehung der Vernatschfamilie mit den heute noch vorhandenen alten europäischen Sorten wie z. B. auch Savagnin nachgewiesen werden. Eine lange Vermehrungskultur und damit Alter der Vernatschsorten bzw. von dessen Ursorten scheint wahrscheinlich. Eventuell kann die Untersuchung von Traubenkernen aus dem frühen Mittelalter und römischer Zeit in der Zukunft hier neue Erkenntnisse bringen.
Die in Südtirol bzw. im zentralen Norditalien angebauten modernen Vernatschsorten sind nicht zu verwechseln mit folgenden eigenständigen modernen Rebsorten: Vernaccia (verschiedene Weiß- und Rotweinsorten in Italien), Schiava Lombarda (rote Sorte in der Lombardei, früher in Südtirol als Gschlafene und im Trentino als Rossara im Anbau).
Kolportiert und angenommen ist die Herkunft bzw. Abstammung aus dem Illyrischen Balkan oder Pannonia und ursprünglich u. a. von der Vitis vinifera orientalis. Gestützt wird die Namensherkunft von Schiava im Ansatz durch eine Untersuchung zur genetischen Ähnlichkeit von Schiava Lombarda (Gschlafene) mit Ribolla gialla und Heunisch (Gouais blanc), die auf eine gemeinsame Stammsorte und Herkunft in Ostmitteleuropa hinweist.[7]
Die Nutzung als Weinrebensorte der modernen Vernatschsorten hat seit den 1990er Jahren konstant abgenommen. Siehe Anbau bei der Rebsorte Großvernatsch (Trollinger, Schiava Grossa) in Norditalien, bzw. dem Trollingerwein in Württemberg.
Die Bezeichnung Kalterersee hatte 1978 noch 2545 ha und ist im Jahr 2018 auf 373 ha eingetragene Rebflächen geschrumpft, das St. Magdalener-Gebiet hat sich im selben Zeitraum um etwas mehr als die Hälfte auf 178 ha im Jahr 2018 verkleinert, ähnlich der Meraner Leiten auf 97 ha, während Südtiroler Vernatsch, Grauvernatsch, Vinschgau Vernatsch, Bozner Leiten und Klausner Leitacher zusammen nur auf ca. 43 ha kommen.[8]
Weitere Informationen Jahr, Südtirol gesamt ...
Entwicklung der Südtiroler Rebflächen und Weinmengen
Jahr |
Südtirol
gesamt |
Südtirol gesamt
Vernatschweine |
Anteil
Vernatsch |
Kalterer
see |
St.
Magdalener |
Meraner
Hügel |
Südt.
Vernatsch |
1978 |
5.316 ha
360.325 hl |
3.572 ha
254.126 hl |
67 %
71 % |
2525 ha
191.662 hl |
457 ha
36.539 hl |
230 ha
10.243 hl |
238 ha
10.779 hl |
1998 |
4.956 ha
342.736 hl |
2.362 ha
190.001 hl |
48 %
53 % |
1001 ha
80.147 hl |
308 ha
21.783 hl |
199 ha
10.830 hl |
787 ha
62.610 hl |
2017 |
5.318 ha
273.693 hl |
807 ha
51.909 hl |
15 %
19 % |
401 ha
29.000 hl |
186 ha
11.634 hl |
103 ha
3.395 hl |
103 ha
6.816 hl |
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Aufgrund der früheren weiten Verbreitung vor allem als Tafeltraube ist der Trollinger unter mindestens 183 Namen bekannt: siehe Liste bei Trollinger (Rebsorte).
- Hans Ambrosi, Bernd H. E. Hill, Erika Maul, Ernst H. Rühl, Joachim Schmid, Fritz Schumann: Farbatlas Rebsorten. 300 Sorten und ihre Weine. 3., vollständig neu bearbeitete Auflage. Eugen Ulmer, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-8001-5957-4.
- Horst Dippel (Hrsg.): Das Weinlexikon. Sonderausgabe. Gondrom, Bindlach 1994, ISBN 3-8112-1114-5.
- Pierre Galet: Dictionnaire encyclopédique des cépages. Hachette, Paris 2000, ISBN 2-01-236331-8.
- Christine Krämer: Rebsorten in Württemberg: Herkunft, Einführung, Verbreitung und die Qualität der Weine vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte 7. Ostfildern: Thorbecke, 2006.
- Otto Linsenmaier: Der Trollinger und seine Verwandten. Gesellschaft für Geschichte des Weines Schriften zur Weingeschichte 92. Wiesbaden: Gesellschaft für Geschichte des Weines, 1989.
- Jancis Robinson: Das Oxford-Weinlexikon. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Hallwag, München 2007, ISBN 978-3-8338-0691-9.
- Ivo Maran, Stefan Morandell: Vernatscher, Traminer, Kalterersee Wein. Neues aus Südtirols Weinbaugeschichte (= Schriften zur Weingeschichte. 188). Gesellschaft für Geschichte des Weines, Wiesbaden 2015.
- Herbert Taschler, Ivo Maran, Stefan Morandell, Barbara Raifer, u. a.: Südtiroler Vernatsch: gestern – heute – morgen. Bozen: Athesia Verlag 2018.
Bürgermeister Kappeller: Pachtversteigerungsedikt Grundstücke um Leifers. Hrsg.: Bozner Zeitung. Bozen 21. Januar 1852, S. 4 (tessmann.it).
Julius Kühn-Institut (JKI), Federal Research Centre for Cultivated Plants, Institute for Grapevine Breeding, Geilweilerhof ,Siebeldingen, Erika Maul, Reinhard Töpfer, Alina Ganesch: SCHIAVA GENTILE. Abgerufen am 21. Februar 2020 (amerikanisches Englisch).
Thierry Lacombe, Jean-Michel Boursiquot, Valérie Laucou, Manuel Di Vecchi-Staraz, Jean-Pierre Péros: Large-scale parentage analysis in an extended set of grapevine cultivars (Vitis vinifera L.). In: Theoretical and Applied Genetics. Band 126, Nr. 2, 1. Februar 2013, ISSN 1432-2242, S. Supplementary material 5: 77, doi:10.1007/s00122-012-1988-2.
J. F. Vouillamoz, M. S. Grando: Genealogy of wine grape cultivars: ‘Pinot’ is related to ‘Syrah’. In: Heredity. Band 97, Nr. 2, August 2006, ISSN 1365-2540, S. 102–110, doi:10.1038/sj.hdy.6800842 (nature.com [abgerufen am 20. Februar 2020]).
José F Vouillamoz, M Stella Grando: Généalogie des cépages : le ‘Pinot’ est apparenté à la ‘Syrah’. Hrsg.: IASMA Research Centre. 2007.
G. de Lorenzis, S. Imazio, L. Brancadoro, O. Failla, A. Scienza: Evidence for a sympatric origin of Ribolla gialla, Gouais Blanc and Schiava cultivars (V. vinifera L.). In: South African Journal of Enology and Viticulture. Band 35, Nr. 1, 2014, ISSN 2224-7904, S. 149–156.