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Kriegstaktik, bei der alles zerstört wird, was dem Gegner nützen könnte Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Verbrannte Erde bezeichnet eine seit der Antike praktizierte Kriegstaktik, bei der eine Armee alles zerstört, was dem Gegner in irgendeiner Weise nützen könnte, also Gleise, Straßen, Brücken, liegengebliebene Fahrzeuge, Lebensmittelvorräte, Fabriken, Wohnhäuser und manchmal bis hin zur kompletten Zerstörung von Städten und Dörfern. Technische Werkzeuge, als Beispiele in jüngerer Geschichte, die verheerende Schäden für die Zivilbevölkerung hinterlassen, sind Schienenwolf, Flammenwerfer und Brandbomben.
Die Taktik der verbrannten Erde kommt dann zur Anwendung, wenn entweder die sich zurückziehende Armee nicht damit rechnen kann, in nächster Zeit besetztes oder eigenes Gebiet zurückzuerobern, oder der Gegner Guerillataktik anwendet und auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen kann. Im zweiten Falle kalkuliert die Taktik der verbrannten Erde bewusst ein, dass dies auch auf Kosten der eigenen Bevölkerung geht. In allen Fällen hat die Anwendung dieser Taktik oft Hungersnöte und andere schwerwiegende Auswirkungen zur Folge.
Zu unterscheiden ist, ob die Taktik ein angegriffener Staat zur eigenen Verteidigung oder eine Kriegspartei, die ein Land überfällt, anwendet. Dementsprechend ist diese Kriegshandlung bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts für Besatzungsarmeen durch die Haager Landkriegsordnung als völkerrechtswidrig geächtet.
Die Haager Landkriegsordnung in der Fassung von 1907[1] legt in folgenden Artikeln einerseits fest:
Feindliches Eigentum darf nur in militärisch dringend gebotenen Fällen zerstört oder weggenommen werden (Art. 22, 23). Insbesondere ist es verboten, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude anzugreifen oder zu beschießen (Art. 25). Religiöse, historische, kulturelle und medizinische Gebäude und Einrichtungen, die keinem militärischen Zweck dienten, sind zu schonen (Art. 27).
Diese Bestimmungen wurden allgemein formuliert und lassen im Einzelfall Interpretationsspielräume offen. Eindeutig war jedoch die Absicht aller Bestimmungen, das Ausmaß von Zerstörung und Verwüstung auf das militärisch notwendige Minimum zu begrenzen. Die Bestimmungen sind durch weitere Abkommen ergänzt worden. Die Artikel der Fassung von 1907 und spätere Vereinbarungen sind bis in die Gegenwart in vollem Umfang gültig.
Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher wurde Ende 1945 klargestellt, dass die Maßnahme der verbrannten Erde bei unverhältnismäßiger Zerstörung, der Plünderung von staatlichem oder privatem Besitz und wegen der Deportation von Zivilpersonen aus den besetzten Gebieten ein Kriegsverbrechen darstellt.[2] In der Folge wurden Verantwortliche wie z. B. General Balck in Nachfolgeprozessen verurteilt.
Frühe Fälle der Anwendung lassen sich nachweisen für Russland in den Jahren 1708 und 1812. 1864 verwüsteten Nordstaaten-Truppen im Sezessionskrieg bei Shermans Marsch zum Meer Teile der Südstaaten.
Um den Vormarsch der russischen Truppen in Galizien zu behindern, vernichtete die österreichische Armee auf ihrem Rückzug systematisch ganze Dörfer und vertrieb deren Bevölkerung, was eine enorme Flüchtlingswelle zur Folge hatte.[3][4]
Vor dem Rückzug auf die Siegfriedstellung wurde 1917 das zu räumende Gebiet an der Somme im Rahmen des Unternehmens Alberich systematisch verwüstet und die Einwohner deportiert.[5]
Zwei Wochen nach Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion befahl Josef Stalin, die wirtschaftlich kriegswichtige Infrastruktur in den Osten der Sowjetunion zu evakuieren und alle Güter in den von den deutschen Truppen bedrohten Gebieten, die diesen von Nutzen sein könnten, zu zerstören. Er reagierte mit der Anwendung dieser Taktik als Verteidigungsmittel wie zuvor Alexander I. gegenüber dem Eroberungsversuch Napoleons und wie Peter der Große gegenüber Karl XII. Die Aufgabe übernahmen die paramilitärischen Vernichtungsbataillone.
Laut Dimitri Wolkogonow erließ Stalin am 17. November 1941 den „Fackelmänner-Befehl“: Demnach waren „alle Siedlungspunkte, an denen sich deutsche Truppen befinden, auf 40 bis 60 Kilometer ab der Hauptkampflinie in die Tiefe zu zerstören und in Brand zu setzen …“. „Zur Vernichtung der Siedlungspunkte“, „zur Inbrandsetzung und Sprengung der Siedlungspunkte“, also der Dörfer, seien Luftwaffe, Artillerie und Jagdkommandos einzusetzen. Wolkogonow beschreibt, wie die eigene Armee unzählige sowjetische Dörfer vernichtete. Andere Orte wurden von Deutschen in Brand gesetzt, um Partisanenaktionen zu bestrafen.[6]
Erstmals wandte die deutsche Seite die Strategie in großem Umfang während ihres in weiten Teilen unkoordinierten Rückzugs nach der verlorenen Schlacht um Moskau um den Jahreswechsel 1941/42 herum an. Ziel war es, die nachdrängenden sowjetischen Kräfte zu verlangsamen und durch die Entziehung potenzieller Unterkünfte abzunutzen.[7]
Kurz nach der Niederlage von Stalingrad befahl Adolf Hitler Anfang 1943, Waffen und Gerät nicht unzerstört in Feindeshand fallen zu lassen sowie alle Dörfer und Unterkunftsmöglichkeiten zu vernichten. Alle Männer zwischen 15 und 65 Jahren seien von der Truppe für Schanzarbeiten mitzuführen. Entsprechend wurde von den deutschen Truppen auf ihrem Rückzug Vieh vertrieben, Maschinenparks demontiert oder zerstört und wurden Städte, Dörfer und Getreidefelder abgebrannt und Massendeportationen vorgenommen. Als Bezeichnung für das planmäßige Vorgehen bürgerte sich die Abkürzung ARLZ-Maßnahmen für die aufeinanderfolgenden Schritte Auflockerung, Räumung, Lähmung und Zerstörung ein. Die deutschen Truppen entwickelten dabei eine große Zerstörungswut und verstießen zunehmend gegen das Plünderungsverbot. Wegen des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses fehlte den Truppenkommandeuren weitgehend die Möglichkeit, mit Kriegsgerichtsverfahren gegen ihre eigenen marodierenden Truppen durchzugreifen. Die Verschleppung der Zivilbevölkerung sollte dem Gegner auch deren Arbeitskraft entziehen. Arbeitsfähige wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschickt oder mussten völkerrechtswidrig Tross- und Schanzarbeiten für die Wehrmacht leisten. So hielt sich die 253. Infanteriedivision Ende April 1943 neben 1381 als „Hiwis“ tätigen Sowjetbürgern auch 853 Zwangsarbeiterinnen, die in Kasernen untergebracht waren. Evakuierte wurden in Trecks von einigen zehntausend Menschen in Richtung Westen in Marsch gesetzt, immer wieder ohne ausreichende Versorgung und Unterbringung. Durch die Verwüstung des besetzten Landes erhielten die Partisanen starken Zulauf und gewannen gebietsweise die Oberhand.[8]
Am 19. März 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, erließ Hitler den Nerobefehl (Alle militärischen Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte innerhalb des Reichsgebietes, die sich der Feind zur Fortsetzung seines Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit nutzbar machen kann, sind zu zerstören).
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