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Die Valech-Kommission (nach ihrem Vorsitzenden Sergio Valech Aldunate; offiziell: Comisión Nacional de Prisión Política y Tortura) ist eine Wahrheitskommission, die im Jahr 2001, zehn Jahre nach der Transition zur Demokratie in Chile von Präsident Ricardo Lagos zur Untersuchung der politischen Festnahmen und Folter während der Diktatur Augusto Pinochets einberufen wurde. Am 29. November 2004 stellte die Kommission ihren 638 Seiten umfassenden Abschlussbericht vor, der (auf Spanisch) frei verfügbar ist.[1]
Die Kommission untersuchte die Menschenrechtsverletzungen, die während der chilenischen Militärdiktatur (1973–1990) begangen wurden, nachdem das Militär gegen die demokratisch gewählte Regierung der sozialistischen Partido Socialista de Chile des Präsidenten Chiles, Salvador Allende am 11. September 1973 geputscht hatte. Der Oberkommandierende des Heeres, Augusto Pinochet, war bald nach der Machtübernahme zur unumstrittenen Führungsfigur aufgestiegen. Die Militärs hatten noch am Tag des Putsches fast alle demokratischen Institutionen aufgelöst und damit begonnen, ihre politischen Gegner systematisch auszulöschen. Neben deren Ermordung war Folter ein zentrales Machtinstrument.
Der Bericht wird als eine der wenigen verlässlichen Quellen über das Ausmaß dieser Folter angesehen. Angesichts der immer noch dominanten Stellung von Rechtsparteien und Militärs, die die Diktatur weiterhin befürworten oder verharmlosen, sind alle Daten und Zahlen als untere Grenze anzusehen. So wurden etwa alle Folteropfer aus den 1980er-Jahren, die formaljuristisch verurteilt worden waren, von der Kommission nicht als Opfer akzeptiert. Die Valech-Kommission beschäftigte sich nur mit Folter; die mehr als 3.100 politischen Morde wurden schon 1991 von der Rettig-Kommission untersucht.
Die Mitglieder der Kommission waren folgende Personen:
Wie in den meisten autoritären Diktaturen hatte die Folter in Chile zwei fundamentale Ziele: Zum einen sollte der Betroffene selbst „zum Reden“ gebracht werden und von weiterer oppositioneller Arbeit abgehalten werden (soweit er dies vorher überhaupt gemacht hatte). Wichtiger aber war den Militärs die allgemeine Verbreitung von Schrecken. Zusammen mit politischen Morden und dem „Verschwindenlassen“ von Personen sollten alle Gegner des Regimes systematisch eingeschüchtert werden und die Zivilgesellschaft sowie demokratische Basisorganisationen ausgelöscht werden.
In Chile wurde mindestens vom Morgen des 11. Septembers 1973 bis zum 10. März 1990 gefoltert, zehn Tage vor dem Abgang Pinochets, fast 17 Jahre lang. Die Valech-Kommission hat 27.255 politische Gefangene anerkannt, darunter 13 % Frauen, wobei die tatsächliche Zahl einige 10.000 Opfer mehr betragen könnte. Davon wurden 94 % gefoltert. Folter fand in allen Regionen Chiles und in allen größeren Städten statt. Sie wurde vor allem in Konzentrationslagern, Gefängnissen, Kasernen und auf Schiffen durchgeführt.
Soldaten, Militärs und Geheimdienstler wendeten ein weites Spektrum an Foltermethoden an (siehe auch den Abschnitt „Berichte der Opfer“). Eine (bei weitem nicht vollständige) Auswahl:
Unmittelbar nach dem Putsch gab es die meisten Opfer (Folterungen wie Morde). Allein am 11. September wurden 2131 Menschen aus politischen Gründen verhaftet, bis Ende des Jahres waren es 13.364. 43 % der Opfer wurden von Carabineros (Polizisten) verhaftet und weitere 30 % von Soldaten des Heeres (der Rest meist von Angehörigen von Luftwaffe und Marine oder Geheimdiensten). Opfer waren vor allem Mitglieder und Sympathisanten von Regierung, Linksparteien und Gewerkschaften. Die Festnahmen erfolgten meist in Fabriken, Universitäten und Gebäuden von Regierung, Linksparteien und Gewerkschaften. Oft wurden fast alle Anwesenden verhaftet. Öffentliche Gebäude wie Stadien, Konferenzhallen und Schulen wurden zu Konzentrationslagern umgerüstet. Der bekannteste Fall ist das Estadio Nacional, in dem allein mehr als 40.000 Gefangene zusammengetrieben worden sein sollen. Darüber hinaus gab es in Pisagua ein KZ und die berüchtigte Colonia Dignidad wurde ebenfalls zu Folterungen benutzt.[2] Angesichts des Ausmaßes der Folterungen ist es kaum erwähnenswert, dass den Gefangenen Kontakt mit einem Anwalt oder seiner Familie genauso verweigert wurde wie ein Prozess und die Familien über den Verbleib der „Verschwundenen“ im Dunkeln gelassen wurden. Das Ende dieser „ersten Phase“ wurde durch die Schließung des KZs im Estadio Nacional im November eingeleitet. Parallel wurde das größte Geheimgefängnis „Londres 38“ eröffnet und informell die Dirección de Inteligencia Nacional gegründet, der wichtigste Geheimdienst im Zeitraum von 1974 bis 1977.
Nach drei Monaten wurden Repression und Folter deutlich professionalisiert. In den nächsten vier Monaten gab es mindestens 5266 politische Gefangene. Im Juni 1974 wurde die DINA offiziell gegründet und erhielt ihr eigenes Budget. Statt Massenverhaftungen wurden jetzt einzelne Mitglieder und Unterstützer von MIR, Sozialistischer Partei und Kommunistischer Partei (grob in dieser zeitlichen Reihenfolge) gefangen genommen und gefoltert. Beim Foltern selber war immer öfter medizinisches Personal anwesend, um einen (zu frühen) Tod zu verhindern. Statt sichtbarer Konzentrationslager wurde zunehmend in kleineren Geheimgefängnissen gefoltert, zwischen denen die Gefangenen öfters hin- und hertransportiert wurden. Statt Militärfahrzeugen wie anfangs benutzten die Folterer Privatlaster oder Kühlfahrzeuge. Eine der Folterstätten befindet sich in der Straße Simón Bolívar 8800 in Santiago. Diese Kaserne ist die erste, von der man heute weiß, dass sie gezielt zur Vernichtung der politischen Gegner betrieben wurde. 1976 wurden hier wichtige Persönlichkeiten der im Geheimen arbeitenden Kommunistischen Partei getötet. Bekannt wurde die genaue Lage der Kaserne erst 2007 durch die Aussage von Jorgelino Vergara. Als Folge seiner Aussage wurden mehr als 70 ehemalige Geheimagenten mit Namen bekannt und wegen Verbrechen gegen die Menschenrechte verurteilt. Jorgelino Vergara arbeitete als Dienstbursche, el mocito, in der Kaserne. 2012 ist das Buch „La Danza de los Cuervos“ von Javier Rebolledo erschienen, in dem Jorgelino Vergara seine Aussagen wiederholt und ergänzt.[3] Nach einem tödlichen Attentat auf Orlando Letelier und einen amerikanischen Begleiter in Washington im Jahre 1976 wurde die DINA auf Druck der USA Ende 1977 offiziell aufgelöst.
Die Agenten der DINA folterten jedoch weiter, jetzt unter dem Namen Central Nacional de Informaciones. Bis 1990 wurden weitere 3.625 Menschen aus politischen Gründen gefangen genommen und gefoltert. Hauptopfer sind nun Mitglieder und Unterstützer der militärischen Opposition wie MIR, Frente Patriótico Manuel Rodríguez und Mapu-Lautaro, aber auch Vertreter der friedlichen Opposition, die ab 1983 massiv auftrat. Aufgrund internationalen und innenpolitischen Druckes versuchte das Regime, die Folter mit Sicherheitsgesetzen zu legitimieren. An den Tatsachen änderte sich jedoch nichts: Pinochet ließ bis zum letzten Monat seiner Diktatur foltern.
Der Kommissionsbericht listet Dutzende von Zeugenaussagen von Folteropfern auf. Weil diese nur auf Spanisch verfügbar sind, wurden einige übersetzt und hier zusammengestellt.
Mann, gefangen genommen im September 1973, Marinekrankenhaus in Punta Arenas („Palacio de las Sonrisas“):
Mann, gefangen genommen im September 1973, Kommissariat von Río Bueno (X. Region):
Mann, gefangen genommen im Oktober 1973, Estadio Nacional in Santiago:
Mann, gefangen genommen im Oktober 1973, 3. Kommissariat in Rahue, Osorno:
Mann, gefangen genommen im Mai 1974, Isla Dawson (XII. Region):
Mann, gefangen genommen im September 1973, Academia de Guerra Aérea (AGA) in Santiago:
Frau, gefangen genommen im September 1973, in Armeeeinrichtungen des Servicio de Inteligencia Militar in Valdivia:
Frau, gefangen genommen im Januar 1975, in der Villa Grimaldi in Santiago:
Frau, gefangen genommen im September 1973, im Estadio Nacional in Santiago:
Frau, gefangen genommen im Oktober 1975, im Regiment Arica in La Serena:
Mann, gefangen genommen im Dezember 1975, in der Villa Grimaldi in Santiago:
Frau, gefangen genommen im September 1973, in der Fuerte Borgoño in der VIII. Region:
Frau, Región Metropolitana, 1974:
Mädchen, 14 Jahre, VII. Region, 12 Tage im Gefängnis, 1973:
Frau, V. Region, 1974:
Mann, gefangen genommen im Mai 1988, Cuartel General de Investigaciones (General Mackenna), Región Metropolitana:
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