Remove ads

Tenofovir ist ein Virostatikum, das als Arzneistoff in der Behandlung von HIV-1-Infektionen und Hepatitis B verwendet wird. Tenofovir gehört zur Gruppe der nukleotidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NtRTI), die klinisch wie die nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) eingesetzt werden.

Schnelle Fakten Strukturformel, Allgemeines ...
Strukturformel
Allgemeines
Freiname Tenofovir
Andere Namen

(R)-[2-(6-Amino-9H-purin-9-yl)-1-methylethoxy]methylphosphonsäure (IUPAC)

Summenformel C9H14N5O4P
Kurzbeschreibung

Kristalle[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
EG-Nummer (Listennummer) 604-571-2
ECHA-InfoCard 100.129.993
PubChem 464205
ChemSpider 408154
DrugBank DB14126
Wikidata Q155954
Arzneistoffangaben
ATC-Code

J05AF07, J05AF13

Wirkstoffklasse

Virostatika

Wirkmechanismus

Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren

Eigenschaften
Molare Masse 287,21 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

279 °C[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[2]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0°C, 1000 hPa).
Schließen

Chemisch handelt es sich um ein Nukleotid-Analogon, das aufgrund seiner strukturellen Verwandtschaft mit dem natürlichen Substrat an dessen Stelle in die Virus-DNA eingebaut wird und in der Folge die Vermehrung der Viren hemmt. Die Endung -fovir charakterisiert die Substanz als antiviral wirksames Derivat der Phosphonsäure.[3] Entdecker des Wirkstoffes sind Antonín Holý und Erik De Clercq.

Remove ads

Tenofovir-Prodrugs

Tenofovir kommt in Form von Prodrugs wie etwa Tenofovirdisoproxil[4] (TDF, Bis(isopropoxycarbonyloxy)methoxyester des Tenofovirs) oder Tenofoviralafenamid[5] (TAF, (S)-P-[(2S)-1-Oxo-1-(propan-2-yloxy)propan-2-yl]amid und P-Phenylester des Tenofovirs) zur Anwendung. Eine weitere Prodrug-Form ist Tenofovirexalidex.[6]

Pharmazeutisch verwendet werden wasserlösliche Salze beispielsweise der Fumarsäure wie das Tenofovirdisoproxilfumarat[7], Tenofoviralafenamidfumarat[8] oder Tenofoviralafenamidhemifumarat[9].

Remove ads

Anwendung als Arzneimittel

Als Einzelsubstanz

Tenofovir wurde 2001 in den USA und 2002 in der EU in Form des Tenofovirdisoproxilfumarats als Filmtablette zur Behandlung von Infektionen mit dem humanen Immundefizienzvirus (HIV) bei Erwachsenen zugelassen, wobei es stets in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln anzuwenden ist. 2008 wurde die Indikation erweitert um die Behandlung der chronischen Hepatitis B bei Erwachsenen mit einer kompensierten Lebererkrankung, wenn diese mit bestimmten Befunden, wie etwa erhöhten Alanin-Aminotransferase-Serumwerten, aktiver Leberentzündung bzw. Leberfibrose und nachgewiesener aktiver Virusreplikation einhergeht.

2010 wurde eine Studie bekannt, in der die Wirksamkeit von Tenofovir bei der HIV-Prophylaxe von Frauen untersucht wurde. Die Verabreichung des Wirkstoffs als Vaginalcreme konnte demzufolge das Risiko einer HIV-Infizierung beim Geschlechtsverkehr um 39 % reduzieren.[10] Allerdings wurde in einer späteren Studie der US-amerikanischen National Institutes of Health gezeigt, dass das Präparat als Vaginalcreme wirkungslos ist.[11]

Kombination mit Emtricitabin

2012 hat die Food and Drug Administration eine Kombination der Wirkstoffe Tenofovir (300 mg) und Emtricitabin (200 mg) in Tablettenform zur Präexpositionsprophylaxe zugelassen (TDF/FTC).[12] Studien der Family Health International (FHI) deuten aber darauf hin, dass auch diese Darreichungsform nur das Infektionsrisiko bei Männern senkt, nicht jedoch bei Frauen.[13] Am 22. August 2016 hat die Europäische Kommission unter Auflagen die Zulassung für Tenofovir in Kombination mit Emtricitabin unter dem Markennamen Truvada zur Präexpositionsprophylaxe erteilt.[14]

Remove ads

Wirkungsmechanismus

Nach Resorption entsteht aus Tenofovirdisoproxil das mit Adenosinmonophosphat strukturell verwandte Nukleotid-Analogon Tenofovir, das in Virus-befallenen Zellen zum aktiven Tenofovirdiphosphat phosphoryliert wird. Dieses konkurriert in der Nukleinsäuresynthese mit dem natürlichen Substrat Desoxyadenosintriphosphat und inaktiviert für die Reproduktion wichtige virale Enzyme wie die Reverse Transkriptase des HI-Virus bzw. die DNA-Polymerase des Hepatitis-B-Virus („Suizid-Inhibition“). In die DNA eingebaute Nukleotide verhindern außerdem durch ihre chemische Struktur die Anknüpfung weiterer Nukleotide und es kommt zum Kettenabbruch.[15][16]

Tenofoviralafenamid ist im Plasma stabiler als Tenofovirdisoproxil und wird hauptsächlich erst in den Virus-infizierten Zellen über eine Tenofovir-Alanin-Zwischenstufe hydrolysiert zum Tenofovir wie oben beschrieben. Dadurch werden die Selektivität des Wirkstoffes und infolgedessen die intrazellulären Konzentrationen erhöht.[17] Unerwünschten Wirkungen an Nieren und Knochen (Proteinurie, Knochenmineralisierung) treten vermindert auf.

Remove ads

Pharmakokinetik

Die orale Bioverfügbarkeit von Tenofovir beträgt nach nüchterner Einnahme etwa 25 % und erhöht sich mit Nahrungsaufnahmen auf 40 %. Die Plasmaproteinbindung ist gering. Das Potential für Cytochrom P450-vermittelte Wechselwirkungen zwischen Tenofovir und anderen Arzneimitteln wird als gering eingeschätzt.[16] Tenofovir wird größtenteils unverändert renal sowohl durch glomeruläre Filtration als auch durch aktive tubuläre Sekretion ausgeschieden. Die terminale Plasmahalbwertszeit liegt bei 12–18 Stunden.[15][16]

Remove ads

Nebenwirkungen und Anwendungsbeschränkungen

Es liegen keine Daten vor über die Anwendung bei Personen unter 18 Jahren oder bei Patienten über 65 Jahren. Vorsicht ist bei der Therapie niereninsuffizienter Patienten geboten.

Bei Einnahme TDF-haltiger ARTs während einer Schwangerschaft ist eine Dosisanpassung nicht notwendig.[18] Daten zu Knochendichte und -metabolismus bei exponierten Kindern sind uneinheitlich. Bei TAF-haltigen ARTs beträgt die Fehlbildungrate 4,87 %. Zu TAF liegen bisher nur begrenzt Daten zur Anwendung in der Schwangerschaft vor, weswegen TDF bevorzugt werden sollte.

Insgesamt soll bei supprimierter mütterlicher Viruslast (<50 Kopien/ml) die Entscheidung über das Stillen unter Abwägung von Nutzen und Risiken in einem partizipativen Prozess getroffen werden – bei höherer Viruslast wird ein Stillverzicht empfohlen.[18]

Remove ads

Frühe Nutzenbewertung

In Deutschland müssen seit 2011 neu zugelassene Medikamente mit neuen Wirkstoffen gemäß § 35a SGB V einer „frühen Nutzenbewertung“ durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unterzogen werden, wenn der pharmazeutische Hersteller einen höheren Verkaufspreis als nur den Festbetrag erzielen möchte. Nur wenn ein Zusatznutzen besteht, kann der Arzneimittelhersteller mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen einen Preis aushandeln. Die Dossierbewertungen, auf deren Basis der G-BA seine Beschlüsse fasst, erstellt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Seit 2012 hat Tenofovir in unterschiedlichen Kombinationen sowie als Monopräparat zahlreiche frühe Nutzenbewertungen durchlaufen, überwiegend für die Indikation HIV-Infektion, aber auch für die Behandlung einer chronischen Hepatitis B.[19] Die zweckmäßige Vergleichstherapie hing dabei häufig vom Alter der Betroffenen (Kinder, Jugendliche, Erwachsene) sowie von einer möglichen antiretroviralen Vorbehandlung ab. Gemäß einem G-BA-Beschluss von 2012 gibt es für die Kombination Emtricitabin/Rilpivirin/Tenofovirdisoproxil (Handelsname Eviplera) zur Behandlung antiretroviral nicht vorbehandelter Erwachsener mit einer Viruslast von ≤ 100.000 HIV-1-RNA-Kopien/ml einen Beleg für einen geringen Zusatznutzen gegenüber Efavirenz in Kombination mit zwei Nukleosid-/Nukleotidanaloga (Tenofovir plus Emtricitabin oder Abacavir plus Lamivudin).[20]

Für alle anderen Kombinationen, Indikationsgebiete und Vergleiche ist ein Zusatznutzen in den frühen Nutzenbewertungen bis einschließlich 2019 nicht belegt.[21][22][23][24][25][26][27][28][29][30][31][32][33][34][35]

Remove ads

Handelsnamen

Monopräparate

  • Tenofovirdisoproxil: Viread (D, A, CH), Generika
  • Tenofoviralafenamid: Vemlidy (EU, CH)

Kombinationspräparate

  • Tenofovirdisoproxil + Emtricitabin: Truvada (EU, CH), Generika
  • Tenofovirdisoproxil + Emtricitabin + Efavirenz: Atripla (EU, CH), Generika
  • Tenofovirdisoproxil + Emtricitabin + Rilpivirin: Eviplera (EU, CH)
  • Tenofovirdisoproxil + Emtricitabin + Elvitegravir + Cobicistat: Stribild (EU, CH)
  • Tenofovirdisoproxil + Doravirin + Lamivudin: Delstrigo
  • Tenofoviralafenamid + Emtricitabin + Elvitegravir + Cobicistat: Genvoya (EU, CH)
  • Tenofoviralafenamid + Emtricitabin: Descovy (EU, CH)
  • Tenofoviralafenamid + Emtricitabin + Rilpirivin: Odefsey (EU)
  • Tenofoviralafenamid + Emtricitabin + Cobicistat + Darunavir: Symtuza
  • Tenofoviralafenamid + Bictegravir + Emtricitabin: Biktarvy (EU, CH)
Remove ads

Einzelnachweise

Wikiwand in your browser!

Seamless Wikipedia browsing. On steroids.

Every time you click a link to Wikipedia, Wiktionary or Wikiquote in your browser's search results, it will show the modern Wikiwand interface.

Wikiwand extension is a five stars, simple, with minimum permission required to keep your browsing private, safe and transparent.

Remove ads