Als Suffragetten (von englisch/französisch suffrage „Wahlrecht“) wurden Anfang des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger organisierte Frauenrechtlerinnen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten bezeichnet (hier war die selbstgewählte Bezeichnung eher suffragist), die vor allem mit passivem Widerstand und mit Störungen offizieller Veranstaltungen bis hin zu Hungerstreiks für ein allgemeines Frauenwahlrecht eintraten. Die Suffragettenbewegung wurde überwiegend von Frauen aus dem Bürgertum getragen.
Bezeichnung
In der Verfassung der Vereinigten Staaten findet sich der Ausdruck suffrage in der Bedeutung „Recht zu wählen“: “No state shall be deprived of its equal suffrage in the Senate.”[1]
Die englische Bezeichnung suffragette wurde 1906 zum ersten Mal in der britischen Tageszeitung Daily Mail benutzt. Die britische Presse verwendete sie ursprünglich, um die Wahlrechts-Aktivistinnen herabzuwürdigen und abzuwerten, sie wurde von diesen jedoch erfolgreich für sich als Selbstbezeichnung vereinnahmt. Im Nachlauf der Bewegung wurde die Bezeichnung „Suffragetten“ erneut abwertend für engagierte Frauenrechtlerinnen verwendet, ähnlich wie heute der Ausdruck „Emanze“ in seiner ursprünglich abwertenden Bedeutung.
Geschichte
Die Suffragetten entwickelten sich in Großbritannien aus Gegnerinnen der Contagious Diseases Acts, der Gesetze von 1864 bis 1869 über die Zwangsuntersuchungen von Prostituierten zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten. Ihr Engagement führte 1883 dazu, dass die Rechtserlasse außer Kraft gesetzt und 1886 endgültig aufgehoben wurden. Der Erfolg der Kampagne radikalisierte die Befürworterinnen eines Frauenwahlrechts, die sich organisierten und neue Methoden des politischen Protests entwickelten.[2]
Parallel dazu engagierte sich Kate Sheppard für das Frauenwahlrecht in Neuseeland, das dort 1893 als dem weltweit ersten Land eingeführt wurde.
Im Jahr 1903 gründete Emmeline Pankhurst in Großbritannien die Women’s Social and Political Union, eine bürgerliche Frauenbewegung, die in den folgenden Jahren durch öffentliche Proteste, politische Demonstrationen und Hungerstreiks auf sich aufmerksam machte. Ihre Tochter Christabel Pankhurst war eine der führenden Suffragetten im Kampf um das Frauenwahlrecht in Großbritannien. Ein weiterer Tabubruch der Suffragetten war das demonstrative Rauchen in der Öffentlichkeit, das damals als ausschließlich männliches Vorrecht galt und, von Frauen ausgeübt, als Anmaßung empfunden wurde. Am 9. Februar 1907 versammelten sich rund 3000 Suffragetten und demonstrierten friedlich für das Wahlrecht für Frauen.[3] 1908 ketteten sich Frauen mehrfach nahe öffentlicher Institutionen wie auf der Galerie des House of Commons oder nahe der 10 Downing Street fest, um durch die aufwändige Entfernung möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzeugen.[4]
Nachdem 1910 eine Gesetzesinitiative gescheitert war, die zum Ziel hatte, die Rechte der Frauen auszuweiten, wurden auch Schaufenster von Kaufhäusern eingeworfen, große Landsitze angezündet und Bombenanschläge auf öffentliche Gebäude verübt, darunter auf Westminster Abbey. Am 18. November 1910, auch als schwarzer Freitag bezeichnet, wurden vor dem britischen Unterhaus demonstrierende Frauen durch die Polizei gewaltsam daran gehindert zum Eingang vorzudringen und 115 von ihnen verhaftet.[5] Auch die englische Komponistin Ethel Smyth war eine Zeit lang aktive Suffragette. 1910 schrieb sie für die Londoner Demonstrationen den March of the women (Text: Cicely Mary Hamilton), der als Hymne der Suffragettenbewegung wesentliches Element des Zusammenhalts der demonstrierenden Frauen war und im Januar 1911 zum ersten Mal auf der Pall Mall erklang. Ein Teil der Memoiren Ethel Smyths ist ein wichtiger Augenzeugenbericht jener Zeit. Der Dirigent Thomas Beecham, der die Frauen sehr unterstützte, berichtet in seinen Memoiren ebenfalls davon sowie auch der Maler Moritz Coschell, der eine Zeichnung mit dem Titel „Emmeline Pankhurst und ihre Tochter Christabel im Gefängnis“ für die Berliner Illustrirte Zeitung 1913 beisteuerte.[6] Ein weiterer Freund und Förderer der Emanzipationsbestrebungen war der Schriftsteller George Bernard Shaw. Am 1. März 1912 zerstörten 150 Suffragetten, mit Hämmern und Steinen bewaffnet, 270 Fenster im Einkaufsviertel des Londoner Westend. Dies führte zur Festnahme von 220 Frauen.[7] Zum Epsom Derby 1913 stürzte sich Emily Davison aus Protest vor das Pferd Georgs V. und starb wenige Tage später.[2] Im gleichen und dem darauffolgenden Jahr verübten Suffragetten mehrere Attacken mit Messern und Beilen auf Gemälde in Londoner Ausstellungen, was zu einer temporären Schließung aller Museen im Stadtgebiet und Hausverboten für Frauen mit langen Mänteln oder Taschen führte.[4] Der Erste Weltkrieg führte zu einer vorübergehenden Unterbrechung der Wahlrechtskampagne in Großbritannien. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, 1918, erhielten Frauen ab 30 Jahren, die im Besitz von Grundeigentum waren, das Wahlrecht.
Alice Paul und Lucy Burns führten in den Vereinigten Staaten hingegen eine Serie von Protesten gegen den als „Kaiser Wilson“ titulierten US-Präsidenten Woodrow Wilson an. Zahlreiche Mitglieder der im Juni 1916 von Alice Paul gegründeten National Woman’s Party (NWP) waren in den Jahren 1917 bis 1919 unter fragwürdigen Bedingungen inhaftiert, wodurch es zu Hungerstreiks und Zwangsernährungen kam.
Durch den kriegsbedingten Arbeitskräftemangel kam es sowohl in den USA als auch in Großbritannien zu einer stärkeren Verankerung der Frauen in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens, was letztlich auch zur allgemeinen Akzeptanz des Frauenwahlrechts führte.
Mit der Umsetzung des Frauenwahlrechts in den USA in den Jahren 1919 und 1920 (19. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten) und in Großbritannien ab dem 2. Juli 1928 erreichte die Bewegung ihre Ziele. In manchen anderen Ländern wurde das Frauenwahlrecht währenddessen schon früher und überwiegend gewaltlos erreicht: 1893 Neuseeland aktiv, 1902 Australien aktiv, 1906 Finnland allgemein, 1913 Norwegen allgemein, 1915 Dänemark allgemein, 1917 Niederlande passiv, 1917 Russland allgemein, 1918 Österreich allgemein, 1918 Deutschland allgemein, 1918 Polen allgemein.
Durch den Film Mary Poppins mit dem Lied Sister Suffragette wurden Suffragetten 1964 bis in die heutige Zeit auch bei Kindern bekannt.
Siehe auch
Literatur
- Diane Atkinson: Suffragettes. The London Connection No.12, The Museum of London 1988 (englischer Text, 16 S.).
- Linda Ford: Iron Jawed Angels. The suffrage militancy of the National Woman's Party. University Press of America, Lanham, Md. 1991, ISBN 0-8191-8205-2 (Werk zur US-Bewegung).
- Beatrix Geisel: Klasse, Geschlecht und Recht. Vergleichende sozialhistorische Untersuchung (Schriften zur Gleichstellung der Frau; Bd. 16). Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1997, ISBN 3-7890-4933-6 (zugl. Dissertation, Universität Frankfurt/M. 1996).
- Jana Günther: Suffragetten. Mediale Inszenierung und symbolische Politik. In: Paul Gerhard (Hrsg.): Das Jahrhundert der Bilder. 1900 bis 1949. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, S. 108–115, ISBN 978-3-525-30011-4.
- Jana Günther: Die politische Inszenierung der Suffragetten in Großbritannien. Formen des Protests, der Gewalt und symbolische Politik einer Frauenbewegung. fwpf-Verlag, Freiburg/B. 2006, ISBN 978-3-939348-04-7 (zugl. Diplomarbeit, Universität Humboldt-Universität Berlin 2005).
- Michaela Karl: „Wir fordern die Hälfte der Welt!“ Der Kampf der englischen Suffragetten um das Frauenstimmrecht. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 2009, ISBN 978-3-596-18355-5.
- Antonia Meiners (Hrsg.): Die Suffragetten. Sie wollten wählen – und wurden ausgelacht. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2016, ISBN 978-3-945543-13-9.
- Melanie Phillips: The Ascent of Woman. A History of the Suffragette Movement and the ideas behind it. Abacus Books, London 2004, ISBN 0-349-11660-1 (EA London 2003).
- Hannelore Schröder: Widerspenstige, Rebellinnen, Suffragetten. Feministischer Aufbruch in England und Deutschland (Philosophinnen; Bd. 12). Ein-Fach-Verlag, Aachen 2001, ISBN 3-928089-30-7.
Film
- Michèle Dominici (Regie): Die Suffragetten. Rebellisch, kämpferisch = Les suffragettes. Ni paillassons, ni prostituées. Paris 2011 (Dokumentation für Arte)
- Katja von Garnier (Regie): Alice Paul – Der Weg ins Licht. USA, 2004.
- Sarah Gavron (Regie): Suffragette – Taten statt Worte. Großbritannien, 2015.
- In der US-amerikanischen Serie Cold Case geht es in der Folge Suffragetten um die Probleme einer jungen Frau, die sich für ihre Rechte einsetzen wollte.
- In dem Film Enola Holmes hat sich offenkundig die verschwundene Mutter den Suffragetten in London angeschlossen.
Weblinks
- Biographien (englisch)
- Radikale Suffragette. Ein Porträt zum 75. Todestag der Frauenstimmrechts-Kämpferin Emmeline Pankhurst. Der Standard, 12. Juni 2003, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 1. Januar 2020 .
- Sally Roesch Wagner: The Untold Story of the Iroquois Influence on Early Feminists
Einzelnachweise
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