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Stadtgeschichte von Grüningen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Grüningen, heute Markgröningen,[2] war im Mittelalter ein auch als Pfalz genutztes Königsgut: Die Reichsburg und die seit 1226 als Stadt mit Schultheiß belegte[3] Kommune haben die Könige dem vorzugsweise schwäbischen Träger der Reichssturmfahne als mit diesem „Grafenamt“ verbundenes Lehen übergeben.
1336 gelangten Markgröningen und die Reichssturmfahne durch Kauf endgültig in die Hand der württembergischen Grafen. Als Zweitresidenz und Amtsstadt erlebte Grüningen im ausgehenden Mittelalter einen zweiten Frühling und stellte die reichste Bürgerschaft Württembergs. Ihr beeindruckendes Rathaus und der alljährlich im August stattfindende Schäferlauf halten die Erinnerung an diese Blütezeit wach.
Der Bau des Residenzschlosses Ludwigsburg und erst recht die 1718 erfolgte Gründung der Stadt Ludwigsburg auf Grüninger Amtsgebiet führten jedoch zu einem fundamentalen Bedeutungsverlust: Grüningen musste seine Funktionen als Zweitresidenz und Hort der Reichssturmfahne, als Oberamtsstadt, Hochgericht, Dekanat und Kameralamt der jungen Konkurrenz überlassen und obendrein für ihren Ausbau bluten. So verfiel Grüningen der Stagnation und wurde schließlich in Markgröningen umbenannt. Die jüngere Geschichte nach dieser historischen Zäsur befindet sich unter Markgröningen.
Die Geschicke einer Stadt und ihrer Bürger sind abhängig von den verschiedensten Standortfaktoren. Grundlegende Siedlungsvoraussetzung war im frühen Mittelalter die ganzjährig sichere Verfügbarkeit von Trinkwasser, die insbesondere in der Quellmulde der Wette, dem ursprünglichen Grüninger Ortskern, gegeben war. Eine Grundwasser stauende Schicht des Lettenkeupers ermöglichte darüber hinaus die Anlage zahlreicher Brunnen im ganzen Bereich der im 13. Jahrhundert erweiterten Altstadt.[4]
Generell ist es um die naturgeographischen und insbesondere die agrarwirtschaftlichen Standortfaktoren Grüningens bestens bestellt:[5] Zur großflächigen Markung zählen im schwäbischen Raum unübertroffene Ackerböden auf der Lößebene des „Langen Felds“ und auf Lößablagerungen im sogenannten Ausfeld westlich der Glems. Das milde Klima tat ein Übriges und ermöglichte an den Muschelkalkhängen des Glems- und Leudelsbachtales Weinbau in großem Stil. Reiche Überschüsse an Feldfrüchten und Wein, Leinen und Wolle bildeten die Grundlage für florierenden Fernhandel im ausgehenden Mittelalter.[6]
Diese Gunstlage erklärt die weit zurückreichende Siedlungstradition und die besondere Wertschätzung, die dem seit 496 fränkischen Grüningen[7] bereits in karolingischer Zeit zuteilgeworden sei. Der Bau der Vorgänger-Basilika der Bartholomäuskirche soll der Legende nach von Hildegard, einer 783 gestorbenen Gattin Karls des Großen und Enkelin des schwäbischen Herzogs Hnabi, auf Königsgut initiiert worden sein. Ihr Bruder Gerold der Jüngere war ein enger Vertrauter und Heerführer Karls des Großen und soll der erste „primicerius et signifer regis“ (Vorstreiter und Fähnrich des Königs) gewesen sein, der ihm und seinen schwäbischen Nachfolgern dieses mit dem Grüninger Reichslehen verknüpfte Amt „auf alle Zeiten“ übertragen haben soll.[8] Diese Überlieferung bekommt durch einen Eintrag im Lorscher Codex Gewicht, in dem Gerold der Jüngere 794 unter anderem als Gaugraf im Glemsgau aufgeführt wird, also vor Ort ein damals vom König verliehenes Amt bekleidete.[9]
779 wurde Markgröningen erstmals in einer Schenkungsurkunde für das Kloster Fulda erwähnt (hier Gruoninga geschrieben und von einem alemannischen Ortsgründer Gruono abgeleitet). Noch heute wird die ehemalige Reichs- und württembergische Residenzstadt Grüningen von den Einheimischen umgangssprachlich „Gröningen“ (sprich: ) genannt.[10]
Die erstmals im 16. Jahrhundert verwendete Vorsilbe „Mark“ wurde im 18. Jahrhundert unter Herzog Karl von Württemberg zunehmend auch offiziell gebräuchlich und soll sich auf die Grenzlage an der fränkisch-alemannischen Mark beziehen. Diese war allerdings seit dem Blutgericht zu Cannstatt (746) nicht mehr relevant, bis auf die Übereinstimmung in diesem Bereich mit der Bistumsgrenze zwischen Konstanz und Speyer. Schlüssiger erscheint die These, dass sich die Vorsilbe „Mark“ auf den einstigen Sonderstatus als stets aus dem Glemsgau ausgemarktes Königsgut bzw. ehemaliges Reichslehen bezieht, was die einmal bei Heyd auftauchende Bezeichnung „Grüningen in der Mark“ belegen könnte.[11] Allerdings war Grüningen im 16. Jahrhundert als württembergische Amtsstadt schon seit rund zweihundert Jahren nicht mehr ausgemarkt.
Als die Vorsilbe „Mark“ vorerst nur im außerörtlichen Volksmund als Unterscheidungsmerkmal gebräuchlich wurde, waren jedoch beide historisch-akademischen Erklärungsansätze irrelevant.[12] Vielmehr verbanden Auswärtige zur Zeit der Namensergänzung mit (Mark-)Gröningen ein landesweit bekanntes Charakteristikum: den überregional bedeutsamen Jahrmarkt am Bartholomäustag, den Lorenz Fries bzw. Hans Grüninger[13] 1527 mit der bedeutenden Frankfurter Messe gleichsetzte und der deshalb tatsächlich namensgebend gewesen sein könnte. Dieser Bartholomäusmarkt wurde anfangs wie andernorts anlässlich der Kirchweih abgehalten. Weil Bartholomäus nicht nur der Patron der Stadtkirche, sondern auch der Schutzheilige der Schäfer ist, und der Termin gut in den Jahresablauf der Wanderschäferei passte, war es wohl opportun, den zentralen Zunfttag der württembergischen Schäfer mit diesem Jahrmarkt zu verknüpfen. Für auswärtige „Beinamensgeber“ wurde der „Barthelmarkt“ damit erst recht zum Unterscheidungsmerkmal von anderen Grüningen oder Gröningen, von denen es im Lande einige und mit Neckargröningen einen Ort im näheren Umkreis gab.
Unterstrichen wird diese Namensherleitung durch besagten Abschnitt bei Fries, in dem der ortskundige Hans Grüninger die Stadt im Titel „Margt Grieningen“ nennt, und durch andere Quellen: So wurde 1533 in den Tübinger Matrikeln der Baccalarius Michel Volland „ex Marckt Gröningen“ aufgeführt.[14] Und so verwies auch Matthäus Merian in seiner 1643 publizierten Beschreibung Grüningens auf die Alternativbezeichnung „Marckt Gröningen“.[15]
Im Sinne dieses Erklärungsansatzes hat übrigens auch der 1819 durchreisende Städtemaler Christian von Martens, der seine aquarellierte Zeichnung von der Stadt mit „Markt-Gröningen“ beschriftete,[16] die Vorsilbe offenbar ganz selbstverständlich von Markt abgeleitet und deshalb die Vorsilbe der vom Magistrat auch offiziell immer noch Gröningen genannten Stadt[17] vermeintlich falsch, sinngemäß aber richtig geschrieben. Das im schwäbischen Dialekt gerne auch bei „Markplatz“ verschluckte „t“ könnte erklären, warum es in der Vorsilbe des Ortsnamens verloren ging und damit die Namensdeuter auf eine falsche Spur gelenkt hat.
Durch den Konzentrationsprozess im Zuge der Stadtentwicklung, aber auch durch Seuchen und Kriegsschäden, sind rund um Grüningen einige Siedlungen wüst gefallen (im Uhrzeigersinn von Nordost nach Nord): Hörnle, Maulbronn, Laiblingen, Schönbühl, Böhringen, Konstatt bzw. Caunstett bei der Oberen Mühle, Aicholtz, Hinterstatt, Kühlenbronn, die Schlüsselburg mit einem vermuteten Burgweiler im Sankt Johännser und Talhausen auf der Grüninger Gemarkung sowie die Orte Remmingen bzw. Remmigheim mit dem Remminger Schlössle auf Untermberger Markung, Vöhingen auf Schwieberdinger, Pulverdingen und Leinfelden auf Enzweihinger sowie Guckenhäußer und Burg Dauseck mit einem Burgweiler – nach Georg Gadner das ehemalige Pulverdingen[18] – auf Unterriexinger Markung.
1751/52 wurde das nach dem Dreißigjährigen Krieg großteils verwahrloste „Außfeld“ westlich der Glems neu vermessen und in Zelgen für die Dreifelderwirtschaft eingeteilt. Offenbar hatte die Regierung dabei bereits die Wiederbesiedlung der Wüstungen Talhausen, Aicholtz, Pulverdingen und der beim Schönbühl im Visier, um einerseits die Bewirtschaftung der weit von der Stadt entfernten Flächen zu gewährleisten und andererseits die zunehmende Auswanderung württembergischer Untertanen nach Russland, Ungarn oder Amerika einzudämmen: Durch Realteilung verarmten Bauern sollte hier der Aufbau einer neuen Existenz ermöglicht werden.
Auf der nebenstehenden Außfeld-Karte[19] kann man am „Hohen Markstein“ an der neuen Vaihinger Straße erkennen, dass die Grüninger Markung westlich davon um die Flächen wüst gefallener Siedlungen, möglicherweise Böhringen und Pulverdingen, bis hin zur heutigen Bundesstraße 10 erweitert worden war. Hierher hatte man außerdem das Hochgerich verlagert, wie man an den beiden dreischläfrigen Galgen sehen kann.
Ab der Jahrtausendwende sind vier, mit mehreren Grafschaften versehene Grafen Werner als „Reichssturmfähnriche“ belegt, von denen sich zumindest Werner III. und Werner IV. als Träger der Reichssturmfahne und des damit verknüpften Königslehens nach Grüningen nannten, obwohl sie andernorts weit mehr Besitz hatten: Graf Werner IV. von Grüningen profitierte vom Bempflinger Vertrag und soll ein naher Verwandter des ersten nachweisbaren Württembergers Konrad von Württemberg und des einflussreichen Hirsauer Abts Bruno von Beutelsbach gewesen sein. Vermutlich leiteten die Württemberger Grafen von diesem letzten, 1121 ohne männlichen Nachkommen verstorbenen Werner von Grüningen den stets mit großer Energie verfolgten Anspruch auf die Reichssturmfahne und das damit verknüpfte Grüninger Königslehen ab.
1139 hielt der zeitweilige Reichssturmfähnrich und Staufer-König Konrad III. in der Grüninger Königspfalz einen Hoftag ab und urkundete für das Kloster Denkendorf.[21] Unter den Zeugen finden sich die Württemberger Grafen Ludwig und Emicho, deren Nachkommen in Grüningen als Kirchherren und Besitzer eines „Steinhauses“ (mittelalterliches Stadtschloss) neben der Kirche in Erscheinung traten und sich später als Lehnsträger des Königsgutes „von Grüningen“ nannten. Davon zeugen das vermutlich älteste in Stein gehauene Württemberger Wappen der alten Grafen am überkommenen Sockel des Herrschaftshauses[22], an dessen Stelle im 16. Jahrhundert das Pfarrhaus errichtet wurde, und der Grabstein des 1280 gestorbenen Grafen Hartmann III. von Grüningen in der Bartholomäuskirche.
Historische Bedeutung erlangte Markgröningen, weil das Grüninger Reichslehen dem Träger der Reichssturmfahne vorbehalten war und einer deren Träger, Graf Hartmann II. von Grüningen aus dem Haus Württemberg, und sein mutmaßlicher Bruder oder Vetter, Graf Ulrich I. von Württemberg, 1246 den Niedergang der Staufer mit einleiteten: Unmittelbar vor der Schlacht bei Frankfurt[23] gegen den von Papst Innozenz IV. zum Gegenkönig erhobenen thüringischen Landgrafen Heinrich Raspe IV. wechselten die beiden Württemberger Grafen für viel Geld und die Aussicht auf die schwäbische Herzogswürde mit rund 2000 schwäbischen Gefolgsleuten zur antistaufischen Partei über und zwangen somit den Staufer-König und schwäbischen Herzog Konrad IV., Sohn Kaiser Friedrichs II., in die Flucht. Zur Umsetzung ihrer Ambitionen hielten sich die beiden Grafen bis 1250 mehrfach beim Papst in dessen Exil in Lyon auf.
1252 übereignete der zweite antistaufische König Wilhelm von Holland Reichssturmfahne, Burg und Stadt Grüningen dem sich stets papsttreu rühmenden Grafen Hartmann II. von Grüningen als Erblehen. Im Zuge des Interregnums führte der comes illustrissimus[24] genannte Graf Hartmann II. also die vermutlich von den Staufern zur Reichsstadt erhobene Kommune in Eigenbesitz über, um sie im Zuge seiner hochfliegenden Pläne zur Hauptstadt bzw. zum Fürstensitz auszubauen. Dabei ging er als Kirchherr auch den Neubau der aus karolingischer Zeit stammenden Bartholomäuskirche an und wandelte die romanische Basilika in eine der ersten gotischen Kirchen in Süddeutschland um.
Der 1273 zum König gewählte schwäbische Graf Rudolf von Habsburg machte den Grafen von Grüningen jedoch einen Strich durch die Rechnung: Rudolf hatte sich zum Ziel gesetzt, ehemals staufischen Besitz, also auch Burg und Stadt Grüningen, wieder in Reichshand zu bringen und dabei die Vormachtansprüche der beiden Württemberger Grafenlinien einzudämmen, weil er die vakante Herzogswürde für sein eigenes Haus gewinnen wollte.
Während Graf Ulrich II. von Württemberg einlenkte, setzten Hartmann II. von Grüningen und dessen Sohn auf die militärische Karte. Nach jahrelangem Widerstand wurde Hartmann III. von Grüningen 1280 jedoch in offener Feldschlacht gegen eine Koalition schwäbischer Grafen gefangen genommen. Er starb in Kerkerhaft auf dem Asperg und wurde in seiner Kirche in Grüningen beigesetzt, die als Grablege für seine Dynastie vorgesehen war. Seine Halbbrüder, insbesondere Graf Konrad II. von Grüningen, mussten ihre Ansprüche auf die Grafschaft Grüningen aufgeben und 1295 schließlich auch das namensgebende „Dominium“, ihren Eigenbesitz in der Stadt samt Herrenhof und Patronatsrecht an der Bartholomäuskirche, an König Adolf von Nassau veräußern.[25] Danach nannten sie sich nur noch Grafen von Landau nach einer Burg bei Riedlingen an der Donau.
Burg und Stadt Grüningen unterstanden ab 1280 dem Reichslandvogt Albrecht II. von Hohenberg, der als Rudolfs Heerführer vermutlich auch die Reichssturmfahne führte. 1284 nutzte er Burg und Kirche zur Ausrichtung der „Grüninger Fürstenhochzeit“, bei der auch sein Schwager König Rudolf von Habsburg zugegen war.[26] Nachdem die Stadt wieder reichsunmittelbar war, hielten nach Rudolf von Habsburg auch die Könige Adolf von Nassau (1292–1298), Albrecht I. von Habsburg (1298–1308) und Friedrich der Schöne von Habsburg (1314–1330) in der Grüninger Reichsburg Hof.
Nach der Niederlage des Gegenkönigs Friedrichs von Habsburg gegen König Ludwig, den Bayern, verlieh Ludwig 1322 das Reichssturmfahnlehen „angesichts seiner Dienste für König und Reich sowie als Bannerträger in seinem siegreichen Kampf“ an seinen fränkischen Heerführer Konrad II. von Schlüsselberg und dessen Erben: Konrad, der sich fortan „von Schlüsselberg zu Grüningen“ nannte, erhielt damit „Burg und Stadt Grüningen mit allen Rechten und Lehen, Patronat und Gerichtsbarkeit, Dörfern, Weiden, Wäldern, Gewässern und Wasserläufen, Leuten und Vasallen, Einkünften und Zubehör zu rechtem und ewigem Lehen“. In der dafür ausgefertigten Urkunde befahl der König „allen zur Stadt und Burg gehörenden Leuten und Vasallen, Konrad und dessen Erben die genannten Rechte in vollem Umfang zu übergeben und ihnen gehorsam zu sein“.[27]
Größeres politisches Gewicht im niederschwäbischen Raum erlangte unter König Ludwig allerdings Graf Ulrich III. von Württemberg. Als dessen Landvogt brachte er König Ludwig schließlich dazu, auf Konrad von Schlüsselberg einzuwirken, dass dieser 1336 das Grüninger Reichslehen gegen Entschädigung an ihn abtrat. Von König Ludwig als Erblehen übertragen, gelangten die Württemberger Grafen somit erneut und diesmal endgültig in den Besitz von Burg und Stadt Grüningen mitsamt der Reichssturmfahne,[28] die sie ab 1495 auch als Herzöge in ihr viergeteiltes Wappen mit den Herrschaften Württemberg, Teck, Grüningen und Mömpelgard übernahmen.[29] Damit verlor Grüningen, auch wenn Burg und Stadt über 1495 hinaus formal Reichslehen blieben, bis auf ein paar Sonderrechte wie eigene Maße endgültig seinen Status als Freie Reichsstadt und diente den Württemberger Grafen und Herzögen fortan als Residenz- und überörtliche Amtsstadt mit Hochgerich.[30]
Zwar begehrte Grüningen im Bündnis mit Reichsstädten wie Eßlingen und während des Schleglerkriegs im 14. Jahrhundert nochmals gegen die württembergische Herrschaft auf. Die Grafen von Württemberg konnten sich jedoch in den lange schwelenden Auseinandersetzungen durchsetzen. Die Grüninger Bürger, die nach der Pestwelle auch diesen Konflikt überlebt hatten, mussten darauf dem Grafen Eberhard III. jeder persönlich „Urfehde“, das heißt ewige Treue, schwören. Einbezogen wurden auch die Geistlichen und der Vogt sowie württembergische Einwohner Talhausens und Unterriexingens, als wären sie schon eingemeindet gewesen. Die erhaltene „Urfehde-Liste“ von 1396[31] ist die älteste Markgröninger Bürgerliste und bildet im Verbund mit den Lagerbüchern von 1424, 1523 und 1565 sowie den Steuerlisten von 1448, 1471 und 1545 einen wertvollen Fundus für Historiker und Genealogen.[32]
Während der Landesteilung im 15. Jahrhundert erlebte die agrarwirtschaftlich ohnehin gutsituierte Stadt nochmals eine unverhoffte politische Aufwertung: als nördliche Hauptresidenz des Uracher Landesteils, als Sitz des Vormundschaftsrats des anfangs unmündigen Grafen Eberhard im Bart und als Bastion gegen den Heidelberger Pfalzgrafen. Im Zuge dieser stark hundertjährigen Blütezeit erlebte die Stadt einen wahren Bauboom: Die Herrschaft investierte in die Modernisierung der Burg und in Vorratsgebäude wie den Landesfruchtkasten. Das Heilig-Geist-Spital stellte sich neu auf, erweiterte die Spitalkirche um einen Chor und erbaute unter anderem das heute noch ob seiner Größe beeindruckende Pfründhaus. Aberlin Jörg erstellte den großen Chor und die Sakristei der Bartholomäuskirche. Und die Bürgerschaft errichtete unzählige Neubauten – gekrönt durch das stattliche Markt- und Rathaus (1441). Grüningens Bürger verfügten damals über das höchste Durchschnittsvermögen und der Kaufmann Heinrich Volland über das größte zu versteuernde Vermögen in ganz Württemberg.[33] Rund 150 Patriziersöhne wechselten während dieser Blütezeit von der örtlichen Lateinschule an die Universitäten in Heidelberg,[34] Tübingen[35] und Freiburg.[36]
Zum Bartholomäusmarkt, dem größten von vier Jahrmärkten in Grüningen, sollen zu dieser Zeit ebenso viele Besucher gekommen sein wie auf die Frankfurter Messe. Eine willkommene Einnahmequelle bot außerdem die von Graf Eberhard 1480 verfügte Umleitung der wichtigen Handelsroute von Ulm über Eßlingen nach Speyer (die heutige B10) durch die Stadt, die somit den durchziehenden Kaufleuten Wegezoll und Stapelgebühren auferlegen konnte. Die von Graf Eberhard wegen vermeintlichen Zinswuchers betriebene Judenvertreibung dürfte dem überregional aktiven Vollandschen Handelshaus zusätzliche Einnahmen im Kreditgeschäft gesichert und ihren Einfluss als „Fugger“ Württembergs gestärkt haben.
Zwei akademisch gebildete Söhne des schwerreichen Heinrich Volland II. († 1482) und seiner Frau Elisabeth Lyher beeinflussten nicht nur die Geschicke der Stadt: Den in Pavia zum Doktor beider Rechte promovierten Ambrosius Volland hielt es nicht lange in der ihm zugedachten Position als Geistlicher in Grüningen. Nach seiner Heirat ließ er sich erst nach Tübingen und Wittenberg zum Professor berufen, um 1505 an die Hofkanzlei Herzog Ulrichs zu wechseln. Nach seinem Studium hatte Philipp Volland inzwischen das lukrative Familienunternehmen übernommen und bekleidete alsbald auch das Amt des Vogts von Stadt und Amt Grüningen sowie zeitweise das des Kellers auf dem Hohenasperg. Nachdem er darüber hinaus auch noch Abgeordneter in der Landschaft zu Stuttgart geworden war, vereinte er in seiner Person nicht nur Exekutive und Legislative, sondern auch die damals noch junge Macht des Geldes. Kapital war bei Vollands reichlich vorhanden, und ein Landesherr, der weit über seine Verhältnisse lebte, versprach reichlich Zinsgewinn.
Als Herzog Ulrich jedoch die Vermögenssteuern erhöhen wollte, schaffte es die sogenannte Ehrbarkeit, dass er diese in eine Verbrauchssteuer umwandelte, die in erster Linie das gemeine Volk treffen sollte. Darüber hinaus konnte Philipp Volland der Versuchung nicht widerstehen, die Auswirkungen der wegen mehrerer Missernten und unsolider Haushaltspolitik ohnehin galoppierenden Inflation noch zu verschärfen: Indem er dem Markt trotz grassierender Hungersnot knappes Getreide entzog, es hortete und mit enormen Preisaufschlägen weiterverkaufte. Seine Machtfülle vor Ort nutzte er zudem, um die zur Allmende zählenden Fischgründe für sich selbst zu beanspruchen. Wie Ablasshandel mutet es deshalb an, dass sich Philipp andererseits als Wohltäter insbesondere des örtlichen Heilig-Geist-Spitals hervorgetan hatte. Dennoch sah er sich plötzlich ungeheurem geistlichem Furor und einem Aufruhr ausgesetzt.
Wie aus dem Nichts war um 1513 der Tübinger Theologe Reinhard Gaißer auf der ersten Pfarrstelle der Grüninger Bartholomäuskirche aufgetaucht und entpuppte sich als gefährlicher Gegenspieler des mächtigen Vollandschen Handelshauses und deren Vertreter in der Politik, zu denen mittlerweile auch Ambrosius als einflussreicher Rat und späterer Kanzler des Herzogs zählte. Dieser „erste Sozialrevolutionär auf einer württembergischen Kanzel“[37] war einer der Rädelsführer und der intellektuelle Kopf des Armen Konrads. Gaißer hatte sich dem Bundschuh verschworen, konspirierte mit den Anführern anderer „Widerstandsnester“ und plante die Übernahme Grüningens. Als er die Zeit gekommen sah, rief er den Gemeinen Mann in Grüningen und andernorts offen zum Aufstand gegen die frühkapitalistisch agierende Ehrbarkeit und den Vogt Philipp Volland auf. Und tatsächlich fehlte nicht viel, dass die „Aufrührer“ Volland „überzuckt“ (niedergemacht) hätten, nachdem sie die Stadt- und Torwachen bereits ersetzt hatten. Doch der Vogt war schlau genug, sein Haus nicht zu verlassen und auf Zeit zu spielen.
Ebenso wie Herzog Ulrich, der den im Remstal von Gaißers Verwandtschaft mit angeführten Aufstand durch geschicktes Taktieren und die Zusage einer Schlichtung in Form eines außerordentlichen Landtags zu neutralisieren verstand. Vertreter des Gemeinen Mannes wurden auf diesem allerdings ausgeschlossen, so dass der vielgerühmte Tübinger Vertrag am Ende doch wieder vor allem der Ehrbarkeit nutzte. Etlichen Gegenspielern wurde der Prozess gemacht. Obwohl der erboste Grüninger Vogt über Gaißers Umtriebe und konspirative Treffen ausführliche Anzeigen erstattet hatte, kam der von Volland stets „Gaißlin“ genannte Pfarrer mit einer Vorladung in die fürstliche Kanzlei davon, weil er nur dem Bischof von Speyer verantwortlich war und insofern in Württemberg Immunität genoss. Nach der Zerschlagung des Aufstands blieb er Stadtpfarrer in Grüningen und sprach dem Spitalmeister Johannes Betz 1517 den Ablasshandel erfolgreich ab. Auch den 1521 zwischen Betz und Gaißer entstandenen Streit um die geistliche Rangfolge in der Stadt entschied der Speyrer Bischof Georg von der Pfalz zugunsten des Stadtpfarrers und Dekans des Grüninger „Landkapitels“.[38] 1531 wurde der Grüninger Reformtheologe vom Magistrat der Reichsstadt Eßlingen als Gutachter zur Reformation angehört.[39] Nach 1533 verliert sich seine Spur.
Nachdem Herzog Ulrich 1519 sich die Reichsstadt Reutlingen einverleibt und damit den Bogen im ohnehin schlechten Verhältnis mit Schwäbischem Bund und Reich endgültig überspannt hatte, überrollte deren Heer das Herzogtum, dessen Untertanen nicht sonderlich zur Gegenwehr bereit waren. Der Herzog und die führenden Repräsentanten seiner Politik mussten ins Exil flüchten. Darunter neben Ambrosius Volland, dessen Grüninger Güter darauf enteignet wurden, auch Philipp Volland, der ebenfalls Vermögenseinbußen hinnehmen musste, aber noch rechtzeitig einige Güter beim Spital und den Beginen bis zu seiner Rückkehr „parken“ konnte. Im badischen Pforzheim bekam er 1522 eine Stellung als Schultheiß. Württemberg wurde erst vom Schwäbischen Bund und dann von Erzherzog Ferdinand von Österreich regiert.
Nach zwei misslungenen Versuchen, das Herzogtum zurückzuerobern, gelang dem inzwischen konvertierten Herzog Ulrich 1534 die Rückkehr mit Hilfe protestantischer Fürsten wie dem Landgrafen Philipp von Hessen. Damit konnte auch Philipp Volland nach Grüningen zurückkehren und nochmals das bislang von Martin Volland bekleidete Amt des Vogts bis zu seinem Tode 1537 übernehmen. Nachfolger wurde sein Sohn Michael, der in der Türkensteuerliste von 1545 als reichster Bürger Grüningens hervortrat. Die Bürgerschaft verfügte immer noch über das höchste Durchschnittsvermögen in ganz Württemberg,[40] obwohl der mehrfache Herrschaftswechsel, der 1524 ausgebrochene Bauernkrieg und insbesondere die Willkür der auf dem Asperg und in Grüningen stationierten Besatzungstruppen sie auch wirtschaftlich stark beeinträchtigt hatten. So wurde die Stadt 1546 im Zuge des Schmalkaldischen Kriegs erneut durch kaiserliche Truppen besetzt, die den Asperg belagerten und mordend und plündernd fouragierten. Da in der Folge weitere Truppendurchzüge stattfanden und Grüningen sich zudem an der hohen Kriegsentschädigung beteiligen musste, die Herzog Ulrich an den Kaiser zu entrichten hatte, waren die Stadtfinanzen anschließend zerrüttet.
Diese erste Krise spiegelt auch der Rückgang der Grüninger Studentenzahl wider, die sich in den 1540er Jahren zwar nochmals erhöhte, ab 1551 jedoch kontinuierlich zurückging. Auch weil zahlreiche frühere Uni-Absolventen andernorts Karriere machten und damit die Grüninger Elite schwächten. So verschwanden auch die Vollands schließlich aus der Stadt. Der letzte aus Grüningen stammende Volland immatrikulierte sich 1564 an der Universität Freiburg.[41]
Nachdem Herzog Christoph die 1534 von Ulrich zwar eingeleitete, vom Kaiser jedoch lange ausgebremste Reformation endgültig umsetzen konnte, zog er mit dem Kirchengut auch die mit der Bartholomäuskirche verbundenen Pfründen, den Besitz des Beginenhauses und des Heilig-Geist-Ordens ein. Dessen 1297 geweihtes und bis kurz vor der Reformation ausgebautes Spital wurde 1552 der städtischen Verwaltung bei herzoglicher Oberaufsicht unterstellt. In der Spitalkirche fand fortan kein Gottesdienst mehr statt. Im Zuge der Reformation entfielen in Grüningen rund zwanzig geistliche Stellen. Von der Säkularisation ausgenommen war bezeichnenderweise allein die Vollandpfründe, die Michael Volland, ein Enkel des vom Herzog protegierten Philipp Volland, 1560 schließlich der Stadt veräußerte, weil nach dem Tod von Martin Volland niemand mehr von seinem Familienzweig in der Stadt sesshaft war.
So zeichnete sich zur Mitte des 16. Jahrhunderts bereits ein schleichender Bedeutungsverlust ab, auch wenn Grüningen nach 1551 noch eine letzte größere herrschaftliche Investition verbuchen konnte: Der neue Herzog Christoph von Württemberg baute die ehemalige Reichsburg zum Residenzschloss um und initiierte nebenan den Bau des Oberen Tors (1555), das als einziges Stadttor bis heute erhalten ist und wie der benachbarte Wimpelinhof (Museum) besichtigt werden kann.[42] 1552 logierte in der ehemaligen Königsburg zum letzten Mal ein Kaiser: Karl V., der dem Württemberger Prinzen Christoph während dessen Exils Ambrosius Volland als Rat zur Seite gestellt hatte.
Im Zuge des Dreißigjährigen Kriegs (1618–1648) und seiner Nachwehen bis hin zu den Franzoseneinfällen im Pfälzischen sowie im Spanischen Erbfolgekrieg erlitten die Grüninger einen Schicksalsschlag nach dem anderen:
Im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) war Grüningen anfangs nicht direkt vom Kriegsgeschehen betroffen, verlor aber 1626 durch eine Pestwelle 466 Einwohner. Nach der von den Protestanten verlorenen Schlacht bei Nördlingen (1634) und der Flucht Herzogs Eberhard III. von Württemberg ins Straßburger Exil kam der Krieg zur Stadt: Während der zehnmonatigen Belagerung der von schwedischen und württembergischen Truppen gehaltenen Festung Hohenasperg hausten die auf „Selbstversorgung“ angewiesenen kaiserlichen Truppen schonungslos in den umliegenden Kommunen und quetschten die Bevölkerung bis aufs letzte Hemd aus. Die Grüninger „Amtsflecken“ rund um den Asperg wurden großteils dem Erdboden gleichgemacht. Der von Grüningen auf die Festung Hohenasperg geflüchtete Specialsuperintendent und Stadtpfarrer Wendel Bilfinger dokumentierte das Elend dieser Phase (August 1634 bis August 1635) in einer handschriftlichen Chronik.[43] Wer Folter, Vergewaltigung und Brandschatzung überlebt hatte, sah sich danach mit Hungersnot und Seuchen konfrontiert. Von 1634 bis 1637 starben in Grüningen 1103 Menschen. 1638 waren noch 40 Bürger mit ihren Angehörigen in der Stadt, viele Häuser beschädigt oder zerstört. Zahlreiche alte Grüninger Familien starben dabei aus. Nach Kriegsende (1648) konnte die Stadt diesen Tiefschlag durch Zuwanderer insbesondere aus der Schweiz zwar leidlich kompensieren.[44] Doch zählte man auch 1652 nur 185 steuerpflichtige Haushaltsvorstände und 762 Einwohner.[45] Nicht einmal halb so viele wie hundert Jahre zuvor.[46]
Umso härter wirkte die auferlegte Steuerlast zum Wiederaufbau des Herzogtums, gegen die sich die Stadtoberen vergeblich auflehnten. In einem „Brandbrief“ an die Landschaft schildern sie 1670 ihre zusätzlichen Belastungen vor Ort: „Um solcher täglich vorfallender Ausgaben willen vermag der allhiesige Stadtsäckel nimmer so viel auftreiben, nur die Thürm und Thor in nothwendigster Reparation zu erhalten, noch etwas an hiesiger fast ganz ruinierter Stadtmauer aufzubauen …“[47] Die Stadttor-Skizzen von Carl Urban Keller, angefertigt um 1800, zeigen, dass das Ostertor und das Esslinger Tor die Kriegswirren zwar weitgehend überstanden hatten, dass das Untere Tor jedoch im Stil der Zeit neu erstellt wurde.
Nachdem sich die Stadt mühsam aufgerappelt hatte und rund 200 Einwohner hinzugekommen waren, mussten die Grüninger Bürger im Zuge der Franzoseneinfälle während des Pfälzischen Erbfolgekriegs (vor allem um 1693) und während des Spanischen Erbfolgekriegs zusätzliche Zerstörungen, zahllose Plünderungen und Flurschäden durch Besatzungstruppen hinnehmen, deren unkontrollierter Terror keinen geregelten Landbau mehr zuließ. Eine weitere Hungersnot soll einem Bericht des Stadtpfarrers zufolge im Jahre 1693 177 Grüningern das Leben gekostet haben.[49] Die Einwohnerzahl vor dem Dreißigjährigen Krieg, der sich für Grüningen fast als hundertjähriger entpuppen sollte, konnte deshalb erst wieder um 1735 erreicht werden, als man 1640 Einwohner zählte.
Die durchgestandenen Kriegswirren wirkten sich auf das Schicksal der Stadt jedoch weit weniger aus als der Tiefschlag, den der absolutistische Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg der Stadt kurz danach versetzte: Durch den Bau des Ludwigsburger Residenzschlosses (ab 1704), für den die Grüninger Bürger massiv eingespannt wurden, und insbesondere durch die Gründung der Stadt Ludwigsburg (1718) im Grüninger Amtsgebiet, das bis an den Neckar reichte, entzog er Grüningen die politische und wirtschaftliche Existenzgrundlage. Widerstand war zwecklos: Im Mai 1718 wurden der Grüninger Vogt Georg Christoph Andler, der Stadtschreiber und ein Mitglied des Stadtgerichts nach Stuttgart zitiert und dort so lange festgehalten, bis sie den vorgesehenen Eingriffen ins Grüninger Statut und Amt zustimmten.[50]
Somit verlor die alsbald auch offiziell Markgröningen genannte Stadt erst die Funktion als herzogliche Zweitresidenz und Hort der Reichssturmfahne an das Ludwigsburger Schloss und nach verbissener, bis ins 19. Jahrhundert währender Gegenwehr auch die Funktionen als Oberamtsstadt, Hochgerich und Dekanat an die Stadt Ludwigsburg und damit ihre traditionelle Stellung als Zentraler Ort des Strohgäus.[51] Daher führt der Kreis Ludwigsburg als Nachfolgekörperschaft des Oberamts Gröningen heutzutage den Grüninger Adler im Wappen, und die Kreisstadt Ludwigsburg schmückt sich mit der Reichssturmfahne.
Zum Verdruss der Grüninger hat Herzog Eberhard Ludwig dann auch noch den Schäferlauf, ihr identitätsstiftendes „ältestes Volksfest Württembergs“, viergeteilt: Ab 1723 fanden auch in Heidenheim auf der Ostalb, in Urach auf der Mittleren Alb und in Wildberg im Schwarzwald Zunfttreffen und Schäferläufe statt.
1724 wurde ein erster Teil des Grüninger Schlosses abgerissen. Die Steine mussten zur Wiederverwendung nach Ludwigsburg gekarrt werden.[48]
Diese auf die Stadtgeschichte der ehemaligen Reichs-, Residenz- und Oberamtsstadt Grüningen fokussierte Darstellung endet mit der historischen Zäsur, die sich infolge der Ablösung durch Ludwigsburg, der „Vierteilung“ des Schäferlaufs und der nun auch offiziell erfolgten Umbenennung von Grüningen in Markgröningen ergeben hat.
Aspekte der jüngeren Geschichte der ins politische Abseits und darauf auch in den Verkehrsschatten geratenen Stadt werden deshalb ausschließlich unter Markgröningen dargestellt.
Gekrönt wurde dieser gravierende Bedeutungsverlust Grüningens durch Geschichtsschreiber wie Römer, Mereb oder Lorenz, die in Anlehnung an Memminger[53] seit 1826 die namensgebende Existenz der mit Reichssturmfahne, Burg und Stadt verknüpften Grafschaft Grüningen ohne eingehende Prüfung der Quellen in Abrede stellten, indem sie im Gegensatz zur von Heyd und anderen bestätigten Überlieferung den Namen der Württemberger Grafenlinie „von Grüningen“ von einer Burg in Grüningen bei Riedlingen herleiteten und damit die Namensgleichheit der Grafen und ihrer Hauptresidenz als Zufall werteten.[54] Gegen diese Riedlinger These sprechen neben der Überlieferung und der Quellenlage jedoch vier unverrückbare Tatsachen:
Dieser Titel und der hohe Stellenwert, der dem damit verbundenen Amt selbst im 19. Jahrhundert noch eingeräumt wurde, belegen, dass der Namenswechsel im 13. Jahrhundert zwar zur Differenzierung zweier Württemberger Linien erfolgt sein mag, die Wahl des Namens jedoch definitiv auf die Verleihung der Reichssturmfahne zusammen mit Burggrafschaft und Stadt Grüningen zurückzuführen ist.
Die alljährlich im Festspiel zelebrierte Legende führt die Entstehung des Schäferlaufs auf einen Schäfer namens „Barthel“ zurück: Dieser habe sich dem untreuen Vogt und dessen Spießgesellen widersetzt, wurde daraufhin von ihnen verleumdet und vom getarnten Grafen von Grüningen zur Probe in Versuchung geführt. Weil er sich dem Grafen gegenüber jedoch höchst loyal erwiesen habe, bestimmte dieser, dass dem „treuen Barthel“ zu Ehren von nun an alljährlich an seinem Namenstag ein großes Fest der Schäfer gefeiert werden solle.
Seinen Ursprung hat der Schäferlauf tatsächlich bereits im Mittelalter anlässlich der Kirchweih der Bartholomäuskirche und eines damit verbundenen großen Jahrmarkts am Bartholomäustag. Schon die romanische Vorgängerkirche war ursprünglich dem heiligen Bartholomäus geweiht und wie andere alte Bartholomäuskirchen[57] auf den Sonnenaufgang am 24. August ausgerichtet[58]. So schien die aufgehende Sonne am 24. August julianischer Zeitrechnung durchs Ostfenster der Apsis exakt in Richtung der Längsachse ins Mittelschiff.
Weil dieser Apostel auch der Schutzpatron der Schäfer war und weil der Schaftrieb über die Felder erst zu dieser Jahreszeit nach dem „Einholen der "Frucht“ (Getreide) möglich wurde, bot es sich an, das jährliche Zunfttreffen der saisonal mit ihren Herden wandernden Schäfer mit dem einst überregional bedeutsamen „Barthelmarkt“ in Grüningen zusammenzulegen.
Ein erster Hinweis auf das Fest stammt aus dem Jahr 1445[59]: Ein Ordensbruder des Heilig-Geist-Spitals in Markgröningen vermerkte in seiner Ausgabenliste, was er auf dem Bartholomäusmarkt gekauft hatte. Zu diesem Jahrmarkt sollen während der damaligen Blütezeit Grüningens laut Hans Grüninger[60] (1527) ebenso viele Besucher gekommen sein wie auf die Frankfurter Messe. Ähnlichen Ursprungs sind der „Barthelmarkt“ in Oberstimm oder die Bartlmädult in Landshut.
Die erste explizite Nennung als „Schäferlauf“ mit „Schäfertanz“ stammt allerdings erst aus dem Jahr 1593 von Jakob Frischlin. Der Schäfertanz könnte, wie andernorts der „Hammeltanz“, seine Wurzeln in einem uralten heidnischen Brauch haben, der schließlich wie in Onolzheim und anderen fränkischen Orten mit der Kirchweih verknüpft wurde.
In seiner heutigen Form findet der Schäferlauf seit 1651 statt. Der württembergische Herzog Eberhard III. erließ die Schäferzunftordnung, die die Aufgaben und den Ablauf des Treffens und des Festes regelten. Auf den Treffen wurden Rechts- und Ordnungsangelegenheiten der Schäferzunft verhandelt, und es herrschte Anwesenheitspflicht.
Da die im ganzen Land lebenden Schäfer aber teilweise Probleme hatten, sich auf diesem jährlich stattfindenden Zunfttreffen am 24. August einzufinden, hat Herzog Eberhard Ludwig die Grüninger Hauptlade 1723 aufgeteilt und Nebenladen (Viertelladen) in Heidenheim, Urach und Wildberg einrichten lassen. Nun fanden auch in diesen Städten Zunfttreffen und Schäferläufe statt. Für Grüningen war dieser Exklusivitätsverlust bereits ein herber Rückschlag. Rund hundert Jahre später stiftete König Wilhelm das Cannstatter Volksfest mit Landwirtschaftlichem Hauptfest, das dem Grüninger Schäferlauf schnell den Rang als größtes württembergisches Fest abnahm.
Zwei verzweifelt anmutende Modernisierungswellen im 19. Jahrhundert und um 1970 kosteten Markgröningen beträchtliche Teile der mittelalterlichen Stadtbefestigung und der außergewöhnlichen historischen Bausubstanz: Um 1800 wurde das Kirchenschiff des Heilig-Geist-Spitals geschleift, danach das Ostertor und schließlich große Teile des doppelten Mauerrings mitsamt dem Esslinger und dem Unteren Tor. In den 1960er und 1970er Jahren folgten die Ruine der Schlüsselburg, die Wirtschaftsgebäude des Spitals und zahlreiche stolze Bürgerhäuser, darunter welche von großer historischer Relevanz.[61] Hier einige Beispiele:
Vom einst eindrucksvollen spätmittelalterlichen Stadtensemble blieben die gotische Bartholomäuskirche aus dem 13. bis 15. Jahrhundert, das eindrucksvolle Kauf- und Rathaus aus dem 15. Jahrhundert, Teile des ehemaligen Heilig-Geist-Spitals, einige herrschaftliche Wirtschaftsgebäude und etliche Bürgerhäuser erhalten. Von den vier Toren steht noch der 1555 errichtete Obere Torturm. Sein Vortor mit Zugbrücke wurde allerdings abgerissen. Daneben lassen sich noch Reste der mittelalterlichen Stadtbefestigung und bei genauerem Hinsehen auch der ehemals von der Stadt getrennten Reichsburg aufspüren. An deren Stelle wurde nach 1550 ein in den Mauerring integriertes Schloss errichtet, das erst als Arbeitshaus und Frauengefängnis diente, dann in ein Lehrerinnen-Seminar umgebaut wurde und heute für ein musisch orientiertes Gymnasium genutzt wird.
Hervorzuheben ist der Marktplatz, dessen ursprüngliches Erscheinungsbild weitgehend erhalten blieb. Außerdem das evangelische Pfarrhaus am Kirchplatz, der Landesfruchtkasten oder die Keltern beim Schloss und nicht zuletzt der Wimpelinhof, der seit seiner Renovierung durch die Stadt Museum und Stadtarchiv beherbergt.[42] Die verbliebenen Fachwerkbauten reichten aus für die Aufnahme in die Deutsche Fachwerkstraße.
Die dem Apostel Bartholomäus geweihte frühgotische Stadtkirche ersetzte im 13. Jahrhundert eine romanische Basilika auf einer aufgeschütteten Rampe im historischen Stadtkern. Im 15. Jahrhundert erhielt sie einen größeren Chor, eine Sakristei und zwei Seitenkapellen. Der Strohgäu-Dom war bis zur Reformation geistliches Zentrum des Landkapitels Grüningen im Archidiakonat Trinitatis des Bistums Speyer. Von den zwei unterschiedlich „behelmten“ Kirchtürmen diente der nördliche als Hochwachtturm und gehört deshalb immer noch der Stadt. Ausgerechnet vor dem Haupteingang der Bartholomäuskirche, deren Neubau der antistaufische Graf Hartmann II. von Grüningen initiiert und als Grablege seiner Dynastie vorgesehen hatte, steht seit 2012 eine Stauferstele.[64] Diese soll an die Erhebung zur Reichsstadt in der Stauferzeit[65] erinnern und widerspiegelt an diesem Standort den in vielen Reichsstädten schwelenden Interessenkonflikt zwischen reichsunmittelbarer Bürgerschaft und dem jeweiligen Burgherren.
Das Heilig-Geist-Spital wurde vermutlich vor 1246 von Graf Hartmann von Grüningen gegründet, mit Brüdern des Heilig-Geist-Ordens besetzt und die Spitalkirche 1297 geweiht. Das für Krankenpflege, Armen-, Waisen- und Altenfürsorge zuständige Spital entwickelte sich zu einer Klosteranlage mit reichem Grundbesitz. Nach der Reformation (1534) wurde das Spital in Raten säkularisiert und gelangte 1552 in städtische Obhut. 1801 ließ die Stadt das baufällige Kirchenschiff abbrechen. 1954 schenkte die Stadt den neu zugezogenen Katholiken die Relikte der Spitalkirche, die nach der Sanierung durch einen Anbau anstelle des Kirchenschiffs ergänzt, 1957 wieder geweiht und 1982 durch einen Neubau aufgewertet wurde.
Die Blasonierung des Markgröninger Stadtwappens lautet: Unter blauem Schildhaupt, darin fünf sechsstrahlige goldene Sterne, in Gold der rotbezungte schwarze Reichsadler. Der Adler weist auf den Status der ehemaligen Reichsstadt Grüningen hin, der 1336 verloren ging, als Grafschaft, Burg und Stadt den württembergischen Grafen mit der Reichssturmfahne als Erblehen überlassen wurden. Das Wappen ist seit 1299 in den Stadtsiegeln nachweisbar und wurde auch unter württembergischer Herrschaft weiter genutzt. Das blaue Schildhaupt kam erst später als Unterscheidungszeichen von anderen Reichsstädten hinzu und symbolisiert ursprünglich wohl das Amt Grüningen.[66] Die Stadtflagge ist seit dem 17. Jahrhundert blau-gelb und bezieht sich vermutlich auf das Württemberger Wappen, in dem die goldgelbe Reichssturmfahne seit 1495 stets mit blauem Fond abgebildet wurde. | |
Die zusammen mit Vorstreitrecht, Burg und Stadt Grüningen verlehnte Reichssturmfahne wurde traditionell in der Grüninger Reichsburg bzw. ab 1555 im nachfolgenden Residenzschloss aufbewahrt. Als quadratische Standarte zeigte sie wie das Reichsbanner den schwarzen Reichsadler in goldenem Feld und war zudem mit einem oben angebrachten, langen roten Schwenkel versehen. Nach dem Bau des Ludwigsburger Schlosses wurde die prestigeträchtige königliche Reiterfahne nach Ludwigsburg verbracht. | |
Heute ziert die verschollene Reichssturmfahne auf blauem Fond das Wappen der 1718 gegründeten Stadt Ludwigsburg, allerdings ohne den roten Schwenkel. Der Reichsadler im Wappen von Stadt und Oberamt Grüningen wurde mit einer darüber liegenden Württemberger Hirschstange Bestandteil des Wappens des Landkreises Ludwigsburg (Bild links). |
Weitere historische Aspekte zu Markgröningen finden sich in folgenden Artikeln:
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