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Prozess des Sterbens einer Sprache, bis eine Sprache keine Muttersprachler mehr hat Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Sprachtod bezeichnet den Prozess des Sterbens einer Sprache, bis eine Sprache keine Muttersprachler mehr hat. Sprachtod entsteht häufig in Situationen von Sprachkontakt, in denen zwei oder mehr Sprachen in einer Gesellschaft miteinander konkurrieren: Immer weniger Sprecher verwenden eine Sprache in immer weniger Kontexten, bis es schließlich kaum noch kompetente Sprecher der Sprache gibt und sie vollständig durch die dominante Sprache ersetzt wird. Ein extremer Fall des Sprachtods ist die Ausrottung ihrer Sprecher durch Hunger, Seuchen oder Genozid.[1]
Wenn eine Sprache weder schriftliche Aufzeichnungen noch Tonaufzeichnungen hinterlässt, ist sie damit vollständig verschwunden und gilt als ausgestorben.[2] Wissenschaftliche Schätzungen gehen von etwa 6.000 bis 7.000 lebenden Sprachen weltweit aus, von denen im 21. Jahrhundert zwischen 50 und 90 Prozent aussterben werden.[3][4]
Der Ausdruck Sprachtod ist eine Metapher und nicht wörtlich zu verstehen. Die Metapher des Sprachtods dient aber der Beschreibung eines dramatischen Vorgangs, denn mit dem Tod einer Sprache geht in der Regel auch der Verlust einer kulturellen Tradition und die ethnische und sozioökonomische Unabhängigkeit einer Sprachgruppe einher. Allein in den letzten 500 Jahren sind etwa die Hälfte der bekannten Sprachen der Welt ausgestorben.[5]
Gelegentlich wird unterschieden zwischen ausgestorbenen Sprachen, für die es keine Sprecher mehr gibt, und toten Sprachen, für die es zwar keine Muttersprachler mehr gibt, aber noch Sprecher, die die Sprache verstehen. Eine tote Sprache kann gut dokumentiert sein, als Fremdsprache gelehrt und eventuell sogar noch in bestimmten Zusammenhängen gebraucht werden, wie Latein oder Altkirchenslawisch. So ist z. B. Latein eine tote Sprache, da es niemanden gibt, der es als Muttersprache spricht. Gleichwohl gibt es aber viele Menschen, die Latein verstehen, weil sie diese Alte Sprache als Fremdsprache gelernt haben. Klassisches Latein entwickelt sich als tote Sprache nicht mehr weiter, aber es gibt die romanischen Sprachen, die sich aus dem Vulgärlatein fortentwickelt haben.[6]
Mit gewissen phonologischen Einschränkungen ist es sogar möglich, eine tote Sprache wiederzubeleben, wie das beim Iwrit (Modernes Hebräisch) der Fall ist, das rund 2000 Jahre nach dem Aussterben des Hebräischen als gesprochene Sprache zur Staatssprache Israels wurde. Das wiederbelebte Kornische dagegen ist nicht viel mehr als ein Hobby von Englischsprachigen, die im Kornischen meist kein besseres Sprachvermögen erreichen, als Englischsprachige, die Deutsch im Schnellkurs erlernen.
Sprachtod muss von dem seltener gebrauchten Begriff Linguizid unterschieden werden. Der Linguizid (Sprachenmord) ist der provozierte Sprachtod. Seit dem 16. Jahrhundert wurde insbesondere in kolonialen Zusammenhängen eine Sprachpolitik betrieben, die den Sprechern das Sprechen ihrer Muttersprache explizit verboten bzw. gezielt erschwert hat.[7][8] In der Literatur wird Linguizid mitunter auch als eine Form des Ethnozid betrachtet.[9]
Es gibt nicht eine einzelne Ursache für Sprachtod, sondern eine Reihe von Faktoren, die zum Sprachtod beitragen können:[10]
Beispiele finden sich sowohl aus heutiger Zeit als auch in der Weltgeschichte: Als Folge eines Erdbebens 1998 an der Küste von Papua-Neuguinea wurden unter anderem die Dörfer der Arop und Warupu zerstört und 30 % der Einwohner getötet. Die Überlebenden zogen in andere Regionen oder urbane Zentren, so dass es fraglich ist, ob ihre Sprachen überleben werden. Ein weiteres Beispiel ist das Irische, das zwar nicht ausgestorben ist, aber dessen Niedergang durch die Hungersnot 1845–1851 mit über einer Million Toten und anschließender Massenauswanderung beschleunigt wurde. In Amerika sind seit der Ankunft der spanischen Eroberer durch militärische Aggression während der Kolonialisierung ungefähr 30 Sprachen ausgestorben.[11]
Eine Sprache kann sterben, wenn Sprecher zwei Sprachen verwenden und schließlich die eine Sprache zugunsten der zweiten Sprache aufgeben. Der Ablauf eines Sprachsterbens umfasst drei Phasen:[12]
Mit dem Tod von Sprachen geht auch der Verlust anderer menschlicher Errungenschaften einher:[13]
Beispiele für den Verlust kulturellen Erbes sind etwa die Mythen und Legenden der Tuwa, Wissen über traditionellen Reisanbau bei den Ifugao auf den Philippinen oder das Zahlensystem verschiedener Sprachen.[14]
Mittels Sprachpolitik wird in vielen Ländern versucht, Sprachen lebendig zu erhalten oder wieder neu zu beleben. Der Erfolg solcher Maßnahmen hängt jedoch von der noch vorhandenen Sprecherzahl, ihrem politischen Einfluss, finanziellen Möglichkeiten und dem Stadium des Sprachsterbens ab. Ein Beispiel für eine solche versuchte Spracherhaltung ist die Sprachpolitik in Wales: Walisisch wird an Schulen unterrichtet und hat den Status einer offiziellen Sprache in Wales, ferner gibt es den walisischsprachigen Fernsehsender S4C.[15]
Dialekte können ebenfalls zurückgehen und ganz verschwinden; man spricht dann auch vom Dialekttod.[16] Beispielsweise sind in den meisten Gegenden Frankreichs die verschiedenen galloromanischen Lokalvarietäten vollständig verschwunden. Dasselbe ist in verschiedenen Gegenden Norddeutschlands mit den niederdeutschen Varietäten geschehen, etwa im Raum Hannover. Jedoch wird das Niederdeutsche größtenteils als eigenständige Sprache gesehen und so im Sinne der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen behandelt, sodass es in einigen Ländern bereits im Bildungsbereich Angebote zum Erhalt der Sprache gibt.[17][18][19][20][21] Im oberdeutschen Sprachraum (alemannisch, bairisch) sind Dialekte auch in Kultur und Medien in Gebrauch, jedoch nicht im Schweizer Parlament.[22][23]
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