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britischer Philosoph, Historiker und Archäologe Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Robin George Collingwood (* 22. Februar 1889 in Gillhead, Cartmel Fell, County Lancashire; † 9. Januar 1943 in Coniston, County Lancashire) war ein britischer Philosoph, zudem als Historiker und Archäologe auch ein Kenner des römischen Britanniens.
Robin G. Collingwood wurde bis zum Alter von 13 Jahren im Elternhaus erzogen und unterrichtet. Seine Mutter, Edith Mary Collingwood (1857–1928), war eine bekannte Malerin und Musikerin. Sie vermittelte ihrem Sohn die Liebe zur Kunst sowie zur Musik von Chopin und Ludwig van Beethoven. Sein Vater, William Gershom Collingwood (1854–1932), brachte ihm Latein und Griechisch bei.
Als er acht Jahre alt war, stieß Collingwood auf Thomas Kingsmill Abbotts Übersetzung von Kants Werk Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (A Theory of Ethics) und fand so zur Philosophie. Seinen Vater, der ein bedeutender Schriftsteller, Archäologe und Antiquar war, begleitete er bei archäologischen Forschungen und entwickelte auf diese Weise bald ein Gespür für die praktisch-technische Seite der Geschichtswissenschaft. Schon früh bildeten sich so zwei Hauptinteressen im Leben des jungen Mannes: Alte Geschichte und Philosophie.
In seinen Jugendjahren schien ihm das Wissen, das in der Rugby School vermittelt wurde, als ungenügend. Er zog sich oft zurück und widmete seine Zeit dem Lesen alter Klassiker in der Bibliothek. Außerdem lernte er, Geige zu spielen und entdeckte Johann Sebastian Bach. Viele seiner Lehrer empfanden ihn bald als Rebell gegen das gesamte Lehrsystem.[1]
Im Alter von 24 Jahren übernahm Collingwood die Leitung von Ausgrabungen, nachdem er zuvor Assistent seines Vaters gewesen war. Diese Tätigkeit beschreibt er in seiner Autobiografie als eine der Hauptfreuden seines Lebens. Im selben Jahr 1913 übersetzte er Benedetto Croces Werk The Philosophy of Giambattista Vico. Sowohl Giambattista Vico als auch Croce hatten entscheidenden Einfluss auf Collingwoods Denken. Letzterer erläuterte ihm die Hegelsche Philosophie näher. Hegel lehrte, dass jede Form von Wissen mit einer spezifischen Art von begrifflicher Aktivität verknüpft sei.[2]
In den 1930ern und 40ern waren die beiden Hauptströmungen des philosophischen Denkens in England der metaphysische „Realismus“ (John Cook Wilson und seine Schüler Prichard & Joseph) auf der einen Seite und die „Analytische Philosophie“ (Gilbert Ryle & Alfred Jules Ayer) auf der anderen. Beide Richtungen waren eine Reaktion auf den bis dorthin vorherrschenden Idealismus des Thomas Hill Green und seiner Schüler John Alexander Smith, Francis Herbert Bradley, Harold H. Joachim und Robert Lewis Nettleship. Collingwood vertritt in seiner Autobiographie die Ansicht, dass die Kritik der „Realisten“ am Idealistmus nicht überzeugen konnte. Insbesondere John C. Wilson kritisierte Ansichten, die er Bradley zuschrieb, die aber gar nicht Bradleys Ansichten waren. Die Kritik, die zunehmend einen selbstzersetzenden Charakter annahm, sollte die Schule des sogenannten „Idealismus“ (Thomas Hill Green und seine Schüler John Alexander Smith, Francis Herbert Bradley, Harold H. Joachim und Richard Lewis Nettleship) in Misskredit bringen.
Seine Werke entstanden zwischen 1916 (Religion and Philosophy) und 1942 (New Leviathan) und beschreiben den Weg seiner geistigen Entwicklung. Sein philosophischer Werdegang begann mit der vehementen Abwehr der Analytischen Philosophie in den politischen Wirren des Ersten Weltkrieges. Ab 1936 verfasste er zunehmend polemische Schriften, die eine gesellschaftspolitische Unterstützung liberaler Kräfte darstellen sollten. Collingwood ging einen Weg, der von Überarbeitung und Krankheit sowie dem Kampf gegen Irrationalismus geprägt war. Zeit seines Lebens schrieb er gegen den Mainstream der britischen Philosophie. Sein größtes Anliegen war – mit der Philosophie „als Waffe“ – eine Einheit von Theorie und Praxis zu schaffen. Dies sollte im Sinne einer gegenseitigen Durchdringung von Denken und Handeln durch ein rapprochement von Philosophie und Geschichte geschehen. Eine wesentliche Rolle spielte in dieser Hinsicht die Metaphysik.
1934 wurde zum Mitglied (Fellow) der British Academy gewählt.[3]
Als Vorgänger von Gilbert Ryle war Collingwood von 1935 bis 1941 Professor für Metaphysik in Oxford. Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes zog er 1942 in den Lake District in das Haus, das ihm von der Familie hinterlassen worden war. Schwerkrank während der letzten Monate seines Lebens starb er am 9. Januar 1943 in Coniston.
Collingwood hielt Benedetto Croces Geschichtsphilosophie für die ideale Verkörperung eines uns angemessenen Bildes der Geschichte.
Geschichtliches Wissen verleiht sowohl persönliche als auch soziale Identität, da es uns zeigt, wie Individuen und Gesellschaften geworden sind, was sie heute sind. Ein angemessenes Verständnis der Geschichte als der „Wissenschaft der menschlichen Angelegenheiten“ (Denken, S. 133) ist somit eine Bedingung für das Verstehen des Menschen vom Menschen. Um eine Situation klar erkennen zu können, müssen wir historisch-hermeneutisch denken, d. h. auf einer geschichtlichen Ebene, die auf die Lösung der im Moment gegebenen Situation bezogen ist. Lebensregeln hingegen führen zu einer gewissen Blindheit gegenüber den Realitäten der aktuellen Situation. So sind Geschichte und Gegenwart immer schon auf engste Weise miteinander verbunden, denn Geschichte ist die „Schule der moralischen und politischen Weisheit“, indem sie den Blick für die Situation schärft, in der es zu handeln gilt. Geschichte vermittelt keine Regeln, sondern Einsicht. Die „wissenschaftliche“ Methode der Naturwissenschaft (Beobachtung/Experiment, Urteil, Induktionsverfahren etc.) ist eine Tradition des frühen 17. Jahrhunderts.
Der Historiker hat die Aufgabe, menschliche Aktivitäten und nicht bloß Ereignisse zu finden. Er interpretiert Beweise durch Inferenzschluss und erzeugt so eine Sequenz von Handlungen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben. Es handelt sich also um eine Rekonstruktion der Vergangenheit durch Vorstellungskraft und Interpolation. Diese Rekonstruktion muss konsistent mit Beweisvorlagen (Dokumente, Fundstücke &c.) und kohärent im Sinne einer verständlichen und plausiblen Erzählung sein.
Der Historiker will aber auch herausfinden, warum etwas passiert ist. Dazu muss er die Intention oder den Beweggrund, das Motiv der handelnden Akteure in der Vergangenheit nochmals durchdenken. Dies geschieht durch Reenactment. Beim Durchdenken eines Gedankens eines anderen entstehen zwei Gedanken, einer von, sagen wir, Napoleon, und einer des Historikers. Die Vergangenheit lebt in der Gegenwart des Geschichtsforschers nicht als momentane Erfahrung (experience), sondern als Selbsterkenntnis (self-knowledge). Ein permanentes Problem P ist in Wirklichkeit eine Reihe vorübergehender Probleme p1, p2, p3… Der Schluss erfolgt von der Lösung auf die bestimmte Frage, die sich Nelson bei Trafalgar oder Leibniz bei einem bestimmten philosophischen Dilemma seiner Zeit stellte. Durch diese Herangehensweise wird die von Collingwood kritisierte „Schere-und-Kleister“-Methode verhindert. Stattdessen wird im Sinne einer Bacon'schen Wissenschaft die Frage gestellt: Was will ich als Historiker wissen?
An die Beantwortung dieser Frage, die eine umfassende wissenschaftliche Bildung voraussetzt, schließt sich die Praxis der archäologischen Untersuchung an, der zuletzt die Formulierung einer Theorie folgt. Dabei hielt sich Collingwood an folgende Überlegungen, die er auch seinen Studenten in Oxford näherbringen wollte:
Die Psychologie bezeichnet Collingwood als Pseudowissenschaft mit akademischem Jargon. Er sprach sich gegen die psychologische Behandlung der Religion aus: „Wird der Verstand auf diese Weise betrachtet, so hört er auf, überhaupt Verstand zu sein.“ (Denken, S. 91) „Sie (die Psychologie, Anm. d. Verf.) ist das, was im frühen 19. Jahrhundert die ‚Phrenologie’ und im Mittelalter wie im 16. Jahrhundert die Astrologie und Alchimie waren: die in unserem Zeitalter moderne Form von wissenschaftlichem Betrug.“ (Denken, S. 93)
Auch Geologie, Paläontologie und Astronomie bezeichnet er im Gegensatz zur Archäologie als Pseudowissenschaften, da jene die Relikte, die sie als Überreste verschiedener Perioden der Vergangenheit interpretiert, danach in eine Zeitskala einordnet, diese hingegen sich dem Ausdruck von Zwecken der jeweiligen Funde widmet und diese nur solange als Beweismittel dienen, solange der Historiker ihre Zweckbestimmung erkennen kann: Wozu dienten sie?
Die philosophische Methode formuliert er im Jahr 1932 während einer langen Krankheit verfassten Essay on Philosophical Method. Sie entwickelte sich aus seinen frühen Vorlesungen über Moralphilosophie. In seiner Autobiografie bezeichnet Collingwood es als sein „inhaltlich bestes Buch“, stilistisch „geradezu als mein einziges Buch“. (Denken, S. 116) Es sollte als Teil einer Schriftenreihe zusammen mit An Essay on Metaphysics unter dem Titel Philosophical Essays herauskommen. Neben den geplanten Philosophical Principles (The Principles of History und The Principles of Art) sollte die Sammelschrift Studies in the History of Ideas (The Idea of Nature und The Idea of History) erscheinen.
Der praktische Wert der Philosophie zieht sich als roter Faden durch Collingwoods Werke. Er kritisierte die Aussagenlogik und bot als Alternative seine Logik von Frage und Antwort. Vier Jahre vor Veröffentlichung von Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus erschien 1917 sein erstes Essay Truth and Contradiction, in dem er diese Ideen ausführt. Von dem Versuch einer Überwindung der Fehler durch die Wiederherstellung einer Einheit von Gedanke und Handlung in Speculum Mentis (1924) bis zur Warnung vor den Gefahren, mit denen sich die europäische Zivilisation konfrontiert sieht in An Essay on Metaphysics (1940), versucht Collingwood immer wieder, die lebenspraktische Seite der Philosophie, der Geschichte sowie der Geschichtsphilosophie (philosophy of history) zu betonen.
Die Philosophie zeigt schließlich den Mangel an Klarheit auf, der politische Positionen als unversöhnlich erscheinen lässt. Sie schafft Ideale, wie der Mensch leben soll. Dabei muss der Philosoph selbst zumindest einige der Tugenden, die er beschreibt, in seinen eigenen Gedanken, Worten und Taten verkörpern, denn der Zweck der Philosophie besteht letztlich in der Erfahrung der Selbsterkenntnis. Kunst, Religion, Wissenschaft, Geschichte und die Philosophie selbst repräsentieren dabei aufeinander folgende Stufen in der Entwicklung der Selbsterkenntnis des Geistes.
Collingwood war insbesondere am Entstehen und Vergehen unbewusster Denkvoraussetzungen interessiert. Das dazu verwendete Verfahren war das der hermeneutischen Rekonstruktion absoluter Präsuppositionen. Ausgearbeitet sind diese Ideen in An Autobiography und An Essay on Metaphysics.
Als Antwort auf die Frage, wie die Wissenschaft zu ihren grundlegenden Aussagen kommt, formulierte Collingwood drei „Absolute Voraussetzungen bzw. Präsuppositionen“ für die moderne Wissenschaft:
In An Essay on Metaphysics beschreibt Collingwood, wie sich die unserem Denken und Handeln zu Grunde liegenden Vorannahmen ändern: Durch rationales Erfragen können absolute Präsuppositionen selbst nicht verändert werden. Vielmehr verändern sie sich von innen her. Dies passiert laufend durch Anpassungen unbewusster (Gedanken-)Prozesse, die aufgrund von Spannungen hervorgerufen werden.
Der Philosoph/Archäologe ist derjenige, der auf das Netz von Hintergrundüberzeugungen stößt, das unser Weltverständnis und Weltverhältnis bestimmt. Er entdeckt in Konstellationen (constellations) die absoluten Präsuppositionen, d. h. die im Vorhinein festgelegten konzeptuellen Programme, die uns wahr und falsch unterscheiden lassen.
Absolute Präsuppositionen bestimmen a priori, was wir fragen können und was nicht. Jeder Mensch hat tiefe, absolute moralische Präsuppositionen, auf denen seine Entscheidungen basieren und Handlungen stattfinden. Sie zeigen, was wir tun und wer wir sind. Sie können zerbrechen, wenn der Druck zu groß wird, um sie aufrechtzuerhalten. Sie sind das, was in der Gruppe und vom Einzelnen für selbstverständlich gehalten wird. In Collingwoods „Die Idee der Natur“ (Idea of Nature) werden die zu Grunde liegenden Ideen der Natur über die Epochen der Geschichte hinweg ausgearbeitet.
Relative Präsuppositionen hingegen sind durch rationale (metaphysische/hermeneutische) Forschung erkundbar, denn es handelt sich um Fragen des historischen Wissens. Auf diese Weise sind Metaphysik und Geschichte eng miteinander verbunden.
Die Methode der Logiker und Grammatiker, die Sprache in ihre konstitutiven Merkmale zu zerlegen, ihre Teile zu finden und zu analysieren, diese Methode ist die der Aussagenlogik. Dabei finden die Sprachwissenschaftler nach R.G.C. nicht die verschiedenen Teile, sondern bringen die Teilung der Sprache durch die angewandte Methode notwendig mit sich. Was getan wird, ist, dass die Sprache in die Modelle eingepasst wird, die von den Analytikern mitgebracht werden. Für Collingwood gilt Sprache aber als veränderlich, als wachsende, lebende Aktivität, die mit der Entwicklung des individuellen (und sozialen) Bewusstseins in enger Verbindung steht. Teilung und Klassifikation ist daher per se eine unzureichende Methode, denn Sprache wird sich nie auf diese Weise fassen lassen.
Sowohl Platon, wenn er das Denken als Dialog der Seele mit sich selbst bezeichnet, als auch Kant, wenn er sagt, dass es den Weisen auszeichne zu wissen, welche Fragen man sinnvoll stellen kann, verwerfen nach Collingwood eine bloße Aussagenlogik und fordern eine Logik von Frage und Antwort. Wird diese auf die Archäologie angewandt, dann stellen sich für diesen folgende Fragen: „Was will ich finden?“ und „Welche Grabung könnte das Gesuchte zu Tage fördern?“ Dies unternimmt Collingwood in The Idea of History, indem er versucht, alle bis in die Moderne führenden Stufen des Geschichtsverständnisses zu rekonstruieren.
Metaphysik, Geschichte und Kunst waren für Collingwood auf grundsätzliche Weise miteinander verbunden. Er setzte daher an genau diesen drei Bereichen mit seiner neuen Methode, der Logik von Frage und Antwort, an. Die zwei erforderlichen Prämissen der Aussagenlogik in der analytischen Tradition, die lediglich eine Analyse der sprachlichen Äußerungen ist, werden abgelehnt:
Er will sie durch eine Logik der Frage und Antwort ersetzen. Um Anspruch auf Wahrheit erheben zu können, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
An Essay on Metaphysics wurde 1938 auf einer Reise nach Java verfasst. Das Werk diente der Aufhellung der nicht-thematisierten Hintergrundannahmen (absolute presuppositions). Diese absoluten Präsuppositionen sind immun gegenüber der Unterscheidung wahr/falsch, da sie so fundamental für das menschliche Leben sind.
War Collingwood in Fragen der Logik revolutionär (die Logik von Frage und Antwort soll die Aussagenlogik ersetzen), so war er in Fragen der Metaphysik reformistisch (sie soll auch geschichtlichen Charakter gewinnen). Die Metaphysik ist fast so nahe zu Geschichte wie Genetik zum Leben, denn sie zeigt, was fundamental ist am Bild, das wir von der Welt haben. Insofern ist sie eine historische Wissenschaft, denn sie übernimmt die Funktion, herauszufinden, was die Menschen zu ihrer Zeit über die allgemeine Naturbeschaffenheit der Welt glaubten. Sie ist aber ebenso ein Versuch, die entsprechenden Voraussetzungen anderer Völker und anderer Zeiten zu entdecken, um den historischen Prozess zu verfolgen, in dessen Verlauf bestimmte Voraussetzungen in andere umgeschlagen sind.
Der Metaphysiker rekonstruiert dabei konzeptuelle Systeme, d. h. Frage-Antwort-Komplexe für sich, wie ein Schachspieler, der durch Nachspielen einer Partie die Strategie des Spielers nach und nach erfährt und entdeckt. Es handelt sich dabei ohne Zweifel um einen Prozess, um Aktivität. In diesem Forschungsprozess sollte – so Collingwood – die Logik von Frage und Antwort vorherrschen. Diese Auffassung brachte eine kritische Debatte über die Relevanz der Aussagenlogik mit sich.
Collingwoods Theorie der Ästhetik ist von Platon, Coleridge und Hegel beeinflusst, aber auch von Croce, Samuel Alexander und David Carritt, v. a. aber Giambattista Vico. Entwickelt hat er sie in Speculum Mentis (1924), Outlines of a Philosophy of Art (1925) und schließlich The Principles of Art (1938).
Das Ziel der Kunst ist die Entdeckung des Gefühls. Gute Kunst bedeutet demnach, dass Gefühle nicht verfälscht dargestellt werden, sondern wahr, d. h. ihnen entsprechend. Es wird gezeigt, wie es ist (how we feel…). Schlechte Kunst hingegen ist im eigentlichen Sinne expressiver Kunst gar keine. Die Essenz der Kunst liegt darin, Stereotype zu zerstören und als Therapieform wirksam zu sein, indem sie mit (Selbst-)Täuschung der Gemeinschaft sowie mit Illusionen und unaufrichtigen Gefühlen des Einzelnen aufräumt.
Kunst ist sowohl intuitiv (pure Imagination) als auch expressiv (aufschlussreich über Wahrheit). Da die Entwicklung der Sprache und des Bewusstseins miteinander stattfindet, und Kunst identisch mit Sprache ist, folgt, dass zwischen Kunst und Bewusstsein eine enge Verbindung besteht. Das eigentliche Werk ist nicht sichtbar, die wirkliche Musik nicht hörbar, sondern aus der Selbsterkenntnis heraus zu rekonstruieren. Das eigentliche Bild, der eigentliche Ton, ist im Kopf des Künstlers, und nirgendwo sonst. Diese ursprüngliche Intuition des Künstlers ist durch den Betrachter/Zuhörer wieder zu erschaffen. Dies passiert aktiv, und nicht durch bloß passive Aufnahme/Wahrnehmung des Kunstwerks. Der transformative Charakter der Kunst liegt in dem Prozess, der Aktivität, des Wachsens der Erkenntnis der dahinterliegenden Intuition, Intention bzw. Emotionen des Künstlers. Es finden sich Anklänge an den subjektiven Idealismus. So wurde Collingwood auch bisweilen als „aktualistischer Idealist“ bezeichnet (und war scharfer Kritik ausgesetzt), wenn er auch selbst diese Klassifizierung ablehnte.
Collingwoods Ansatz muss im Gegensatz zum „Naiven Expressivismus“ gesehen werden. Seine Kritikpunkte:
Collingwoods letztes Buch New Leviathan, das inmitten des Zweiten Weltkrieges entstanden ist, legt das Netzwerk begrifflicher Voraussetzungen frei, das der liberalen Kultur Europas zugrunde liegt, um so „den geistigen Lernprozess nachzuvollziehen, durch den die liberalen Werte, Praktiken und Institutionen entstanden sind, an die wir uns als Europäer mental gebunden wissen müssen.“ (Die Idee der Natur, S. 229)
Der New Leviathan ist in vier Teile geteilt: Man, Society, Civilization und Barbarism. In den ersten beiden werden Bewusstseinstheorie und Moralsystem behandelt, im dritten die förderlichen und gefährdenden Faktoren der Zivilisation(swerdung), im letzten Teil das Wesen und die Gefahr der Barbarei, die den Zivilisationsprozess (Annäherung an das christliche Ideal der zuvorkommenden Umgangsform, d. h. den Selbstrespekt des anderen zu wahren und Gewaltlosigkeit zu praktizieren) umkehren will.
Collingwood erwähnt in seiner politischen Philosophie nichts von Gerechtigkeit in dem Sinne, wie wir sie heute verstehen. Stattdessen liegt die Betonung auf civility und civilization, i. e. auf höflichen, zuvorkommenden „Umgangsformen“ und „Zivilisation“. Es war sein letztes Buch und damit letzter Versuch, durch seine Gedanken zu einer Aufklärung der politischen Wirren seiner Zeit beizutragen. Der stufenweise Prozess der geistigen Selbstläuterung von einfachen Empfindungen bis zur Entwicklung staatlicher Institutionen mag vermuten lassen, dass es sich um einen Imitationsversuch von Hegels Phänomenologie des Geistes handelt.
Axel Honneth sagt im Nachwort zu Collingwoods Die Idee der Natur (2005): „Wollte man politisch-philosophische Schriften anführen, die der unseligen Entgegensetzung von Liberalismus und Kommunitarismus schon früh entgegengewirkt haben, indem sie das Bild einer liberaldemokratischen Sittlichkeit entwarfen, so wäre Collingwoods New Leviathan an vorderer Stelle zu nennen.“ (S. 230)
Am meisten öffentlich diskutiert wurde Collingwoods Werk The Idea of History (im Deutschen leicht irreführend übersetzt mit Philosophie der Geschichte), in dem die Frage beantwortet werden soll, wie Geschichte überhaupt möglich ist. Vieles in Foucaults Werk Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (Frankfurt, 1974) erinnert, was das systematische Anliegen und den archäologischen Eifer betrifft, an Collingwood.
Collingwoods Überzeugung, dass Geist eine Aktivität und keine Substanz sei sowie dass die Einheit von Geist eine Tatsache sei, erinnert an die Santiagotheorie der Konstruktivisten Maturana und Varela.
Die Verteidiger der Aussagenlogik griffen Collingwood ihrerseits scharf an. Es gibt auch einen Annäherungsversuch im Sinne einer konstruktiven Zusammenarbeit: Collingwoods Logik von Frage und Antwort sollte als komplementäre Logik für Fälle, in denen die Aussagenlogik (propositional logic) nicht ausreicht, angesehen werden, aber nicht als Ersatz (Johnson 1998).
Seine Kritiker wiesen emphatisch auf die scheinbar widersprüchlichen Argumente in den Schriften über Religion, Kunst, Philosophie, Geschichte und Metaphysik hin. Der Autor sah diese Kritik voraus, antwortete meist mittels persönlicher Briefe und behauptete in der Öffentlichkeit, dass die Gedanken nur vor dem Hintergrund des Ganzen verständlich werden könnten.
Zu den Theoriebildungen über Sprache durch die „Realisten“ stand Collingwood so wie der Wittgenstein der Philosophischen Untersuchungen zum Wittgenstein des Tractatus logico-philosophicus. Sie lehnten beide den Standpunkt ab, dass Sprache eine Repräsentation der Welt sei. Gewisse Parallelen im Denken können aber nicht nur zu Wittgenstein (Über Gewissheit, In: ders., Werkausgabe, Bd. 8, Frankfurt, 1989, S. 113–258) gesehen werden, sondern auch zu Strawson und seiner „deskriptiven Metaphysik“ in Einzelding und logisches Subjekt (Stuttgart 1986).
Robin G. Collingwood war kein einfach zu klassifizierender Denker. Er ließ (und lässt) sich nicht in eine der verschiedenen Schulen einordnen. Zu Lebzeiten ist er unbekannt geblieben, auch in Deutschland. Erst in den 1990er Jahren erfolgte eine Renaissance Collingwoods. 1994 wurde die Collingwood Society (siehe Weblinks) gegründet, der u. a. Alasdair McIntyre und Quentin Skinner angehören. Diese Gesellschaft publiziert die Collingwood Studies. Es gibt eine große Sammlung von Manuskripten Collingwoods über Folklore und Märchenerzählungen in der Bodleian Library in Oxford.
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