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Gefährdungseinschätzung der Fußballspiele Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Begriff Risikospiel (auch Hochrisikospiel[1] und Hochsicherheitsspiel[2]) bezeichnet im Fußball Spiele mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko. Aufgrund der vermuteten Gefahrenlage erfordern diese Spiele einen hohen Einsatz von Sicherheits- und Polizeikräften. Die dadurch entstehenden Kosten sorgen für kontroverse Diskussionen zwischen den Vertretern aus Politik, der Fußballverbände und -vereine und der Polizei.
In der offiziellen Sprachregelung des DFB wird von Spielen „mit erhöhtem Risiko“ gesprochen. Solche Spiele liegen vor, wenn eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine besondere Gefahrenlage eintreten wird“. Die Entscheidung, ob ein Spiel als „Risikospiel“ anzusehen ist, treffen der Heimverein oder der DFB. Der Gastverein sowie die Sicherheitsorgane dürfen entsprechende Wünsche äußern.[3]
Dies ist besonders häufig der Fall, sofern eine Rivalität zwischen beiden Vereinen besteht (beispielsweise im Falle eines Derbys), aber auch wenn mindestens eine der beiden Anhängerschaften einen erhöhten Anteil an gewaltbereiten Fans hat.
In der Vergangenheit kam es zu Forderungen seitens der Gewerkschaften der Polizei, vorrangig durch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sowie die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), dass sich der DFB bzw. der Ligaverband der beiden deutschen Profiligen (DFL) an den Kosten für Polizeieinsätze im Rahmen von Fußballspielen beteiligen sollen. So äußerte sich der Vorsitzende der DPolG Rainer Wendt im Dezember 2009 am Rande der Innenministerkonferenz dahingehend, dass 50 Millionen Euro pro Saison von DFB und DFL eine angemessene Beteiligung wären. Der damalige GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg forderte außerdem, dass Spiele im schlimmsten Fall abgesagt werden müssen, sollte sich im Vorfeld Gewalt ankündigen.[4] Wendt wiederholte seine Forderung im Januar 2011 erneut.[5] Der neue GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut dagegen lehnte dies ab.[6]
Die Vereine und der DFB dagegen argumentieren, dass die Fußballklubs beispielsweise durch das Stellen von Ordnern selbst aktiv an der Gewährleistung der Sicherheit beteiligt seien und durch das Zahlen von Steuergeldern bereits ihren Beitrag zur Finanzierung der Polizei leisten. Ferner ließen sich die tatsächlichen Kosten für die Polizeieinsätze nicht konkret ermitteln.[7]
Daneben kommt es regelmäßig zu Diskussionen darüber, wie die Sicherheit bei Fußballspielen generell und bei Risikospielen insbesondere gewährleistet werden kann. Beispielsweise sorgten Forderungen der Polizei bzw. der Politik für den Einsatz von Gesichtsscannern oder dem Verhängen von lebenslangen Stadionverboten für Unverständnis seitens der Fanvertreter.[8]
Eine weitere Kontroverse ist die Einschätzung des Gewaltpotentials rund um Fußballspiele. Rainer Wendt wurde vor dem Beginn der Saison 2011/2012 zitiert, dass er die 2. Fußball-Bundesliga für eine potentielle „Chaos-Liga“ im Hinblick auf die zu erwartenden Risikospiele halte. Der DFB bezeichnete diese Aussagen als „polarisierend“.[9]
Das Bundesland Bremen überraschte 2014 als erstes Bundesland mit einem eigenen Vorstoß. Der „Bremer Weg“ sieht vor, einen Teil der Kosten von Polizeieinsätzen bei Fußballspielen auf die Deutsche Fußball Liga DFL zu übertragen. Unter anderem Liga-Präsident Reinhard Rauball kritisierte den Bremer Vorstoß, Vereine an den Kosten zu beteiligen.[10] Bremen trieb seinen Alleingang jedoch voran: Die Bürgerschaft unterstützte in einem ersten Schritt die Pläne des Senats, die Deutsche Fußball Liga (DFL) an den Kosten von Polizei-Einsätzen bei Risikospielen zu beteiligen. Der Vorstoß wurde daraufhin im Haushalts- und Finanzausschuss beraten. Mit den Stimmen der rot-grünen Regierungskoalition verabschiedete die Bremer Bürgerschaft im Oktober 2014 das umstrittene Gesetz. Künftig soll die DFL für Polizeieinsätze bei Risikospielen in Bremen zahlen. Im deutschen Fußball empfindet man den Vorstoß als Tabubruch. Bislang wurden sämtliche Kosten für die Sicherheit außerhalb der Stadien aus öffentlichen Mitteln getragen. Einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Ligaverband sieht das Land Bremen zuversichtlich entgegen.[11] Nach dem erfolglosen Vorstoß 2014 versuchte Bremen 2015 erneut, dem DFB eine viertel Million Euro in Rechnung zu stellen.[12]
Im Mai 2017 setzte sich die DFL vor dem Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen mit einer Klage gegen einen Gebührenbescheid durch, das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen entschied im Februar 2018 jedoch im Berufungsverfahren, dass das Land Bremen von der Deutschen Fußball Liga Gebühren für Einsätze bei Hochrisikospielen verlangen darf.[1] Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Ende März 2019 die Rechtsauffassung des OVG grundsätzlich und verwies wegen ungeklärter Detailfragen den Fall zurück an die Berufsinstanz[13], die wiederum gegen die DFL entschied (B. v. 21. Dezember 2021, Az.: 9 B6/21). Im Dezember 2021 wies das BVerwG die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde zurück, so dass die Verurteilung der DFL zur Zahlung an die Hansestadt Bremen seitdem rechtskräftig ist.[14] Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Gebührenerhebung ist beim BVerfG anhängig, die mündliche Verhandlung fand am 25. April 2024 statt.[15]
Nordrhein-Westfalen setzt in einem eigenen Projekt seit 2014 auf weniger Polizei, jedoch nur bei Nicht-Risikospielen. In Nordrhein-Westfalen ist hierzu eine Testphase abgelaufen. Bei den ersten Spielen der Bundesliga-Saison 2014/2015 hat NRW bei Nicht-Risikospielen weniger Polizisten eingesetzt. Innenminister Ralf Jäger (SPD) zog bereits eine erste Bilanz und wertet das Pilotprojekt als Erfolg: „Bei den erfassten Ligaspielen ist es uns gelungen, den Polizeieinsatz um rund 21 Prozent zu reduzieren“, sagte Jäger.
Beide Ansätze – sowohl der „Bremer Weg“ als auch der „NRW-Vorstoß“ – haben Gemeinsamkeiten, unterscheiden sich aber deutlich in einem Punkt: NRW setzt bei den Nicht-Risikospielen an, Bremen bei den "Risikospielen", also Bundesliga-Partien, die Gewaltpotenzial bergen und deswegen einen großen Polizeieinsatz erfordern.[16]
Nordrhein-Westfalen | Bremen | |
---|---|---|
Ziel | Kosten bei der Polizei drücken und weniger Fan-Gewalt | Kosten bei der Polizei drücken und weniger Fan-Gewalt |
Problem | Haushaltslage | Haushaltslage |
Strategie | Weniger Polizisten bei Nicht-Risikospielen. Bei Derbys und anderen Risikospielen bleiben die Einsätze unangetastet. | Rechnung an die DFL bei Risikospielen |
Begründung | Nach Analysen bleibt es bei einigen Bundesliga-Spielen so friedlich, dass kaum Polizisten benötigt werden. | Die Risikospiele verursachen hohe Kosten, weil dann bis zu sechs Mal so viele Polizisten im Einsatz sind wie bei normalen Spielen. Die Überstunden kann Bremen nicht bezahlen und will deshalb die DFL an den Kosten beteiligen. |
Besonderheit | Weil in dieser Saison sechs NRW-Vereine in der Bundesliga spielen, hat sich die Zahl der Spiele um zehn Prozent erhöht. "Bereits jetzt benötigt die NRW-Polizei rund 30 Prozent aller Einsatzzeiten für die Sicherheit bei Fußball-Spielen", sagt Jäger. | Bremen muss im Vergleich zu anderen Bundesländern bei Risikospielen mehr Polizisten einsetzen, weil das Weser-Stadion so zentral liegt. Dadurch treffen Fan-Gruppen leichter aufeinander. |
Gegenseitige Beurteilung | NRW zum Bremer Modell: "Wir haben das gemeinsame Interesse, Chaoten und Gewalttäter aus den Stadien herauszuhalten. Das erreichen wir nicht durch das Ausstellen von Rechnungen." (Innenminister Ralf Jäger) | Bremen zum NRW-Modell: "Völlig falscher Weg. Ich sehe vor allem den Eigenschutz der Polizisten in Gefahr. Weniger Polizei bedeutet auch immer mehr Verletzte in den eigenen Reihen." (Innensenator Ulrich Mäurer) |
(Erste) Reaktionen DFL/DFB | Die DFL reagierte zurückhaltend, nannte die Überlegungen aber als im Grundsatz nachvollziehbar. DFB: "Es zeigt, dass die Fans bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen." | Die DFL droht mit Klage. Der DFB hat Bremen als Strafe ein Länderspiel gestrichen. |
Reaktion Bürger/Fans | Von Fan-Clubs gibt es positive Reaktionen. Tenor: Jetzt könnten die Fans zeigen, dass es auch ohne großes Polizeiaufgebot geht. Einige sehen aber auch die Gefahr, dass Gewalttäter die Situation ausnutzen. | Für den Bremer Vorstoß gibt es laut Umfragen Unterstützung. Gut drei Viertel der Bundesbürger sind dafür, dass Bundesligavereine die Polizeikosten mitbezahlen sollen. Fan-Clubs halten diesen Weg für „populistisch und überzogen“. |
Ergebnis | In der Pilotphase hat NRW die Polizeieinsätze nach eigenen Angaben um mehr als 20 Prozent reduziert. Das Projekt geht vermutlich in die Verlängerung. | Bremen schickte im Dezember 2014 nach dem Spiel gegen Hannover 96 eine erste Rechnung an die DFL. Danach folgte eine gerichtliche Auseinandersetzung, in der das Bundesverwaltungsgericht im März 2019 die Argumentation der Hansestadt Bremen grundsätzlich bestätigte. |
In England wird durch rigorose Maßnahmen des Fußball-Verbandes FA versucht, „Risikospielen“ präventiv zu begegnen. So wurden in den vergangenen Jahren die Maßnahmen bei Fankrawallen zunehmend verschärft. Schuldige sollen durch Stadionverbote und andere Maßnahmen zum Teil lebenslang aus dem Fußball verbannt werden.[17] Der Ex-DFB-Sicherheitschef Helmut Spahn beschreibt die Situation in England wie folgt: „Dort gibt es rigorose Regeln. Englische Stadien haben nur noch Sitzplätze, der Alkoholverzehr ist generell verboten und andere Getränke dürfen ebenfalls nicht mit zum Sitzplatz genommen werden. Bei Verstößen gibt es sofort Stadionverbot. Zudem sind kaum Fahnen oder Banner zu sehen. Wenn dort ein Fan das Spielfeld betritt, muss er mit strafrechtlichen Folgen rechnen. Wir müssen uns in Deutschland fragen, ob wir das auch so extrem haben wollen.“ Spahn habe die Antwort für sich bereits gefunden: „Eine solche Entwicklung fände ich besonders für die Fans schade, die sich anständig verhalten und für eine positive Atmosphäre sorgen. Daher halte ich die Stimmung in Deutschland, wenn alles friedlich bleibt, sogar für besser als in England.“[18]
In Großbritannien zahlt der Staat für alle Polizei-Einsätze in der Öffentlichkeit, auch wenn sie mit dem Spiel zu tun haben – etwa in Bahnhöfen, auf dem Weg zum Stadion oder in den Stadtzentren vor und nach Spielen. „Fußballfans und Fußballclubs zahlen Steuern und erwarten dafür auch eine Leistung“, sagt ein Premier-League-Sprecher. Für die Sicherheit auf dem Privatgelände der Clubs müssen die Vereine selbst zahlen, sowohl für ihre eigenen Ordner als auch für Polizisten. Wie viel und welche Sicherheitskräfte notwendig sind, besprechen die Clubs gemeinsam mit Polizei und Kommunen.[19]
Die französischen Fußballvereine müssen sich seit Jahren an den Kosten für Polizei-Einsätze in und an den Stadien beteiligen. Die Bereitstellung eines Polizisten wird beispielsweise mit 20 Euro pro Stunde in Rechnung gestellt – sind mehr als 50 Polizisten notwendig, wird es teurer. Nach Angaben des Innenministeriums wird allerdings nur ein Bruchteil der Gesamtkosten verlangt, um die Existenz vor allem kleinerer Clubs nicht zu gefährden. Betroffen von der Rückerstattungspflicht sind auch Organisatoren von anderen Sportevents, Kulturveranstaltungen und Demonstrationen.[19]
In Italien werden „Risikospiele“ vor allem durch die bauliche Situation der Stadien begünstigt. Viele Stadien sind in einem schlechten Zustand. „Im Vergleich zur Veltins-Arena auf Schalke wirken unsere Stadien wie aus dem Mittelalter“, sagte Juve-Verteidiger Fabio Cannavaro im Jahr 2006. Seit Ende der 1980er-Jahre, als sich das Land für die WM 1990 vorbereitete, sind Modernisierungsmaßnahmen in vielen italienischen Stadien ausgeblieben. Dieses Defizit macht sich auch bei der Sicherheit bemerkbar. In Italien sind Krawalle weit häufiger als in Spanien oder England.[20] Folgende Maßnahmen wurden in Italien zur Gewaltprävention eingeführt:
In den Niederlanden gibt es ein Schnellgerichtsverfahren. Dort ist ein Richter im Stadion anwesend und kann bei Bedarf sofort Urteile fällen.[21]
In der Folge der Krawalle vom 13. Mai 2006 bei einem Hochrisikospiel in Basel wurde in der Schweiz die Ausweispflicht für Gästefans eingeführt und wenige Wochen später nach Protesten der Fans wieder außer Kraft gesetzt. Eine Umfrage des Schweizer Tagesanzeigers unter der Leserschaft ergab im Jahr 2009 folgendes Meinungsbild:[21]
In Spanien bezahlt der Staat die Polizeieinsätze. Innerhalb der Stadien sorgen vor allem private Sicherheitsdienste für Ordnung. Weil die Tickets überwiegend an heimische Zuschauer verkauft werden, kommt es dort kaum zu Konfrontationen zwischen gegnerischen Fans. Wenn zum Beispiel beim El Clásico Real Madrid gegen den FC Barcelona spielt, sitzen im Bernabéu-Stadion fast ausschließlich Real-Fans auf den Rängen und im Camp Nou nur Barça-Anhänger.[19] In Deutschland zum Beispiel geht ein Kontingent von 10 % der Eintrittskarten an die Gästefans.[22]
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