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Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bei Kindern und Jugendlichen ist eine gravierende psychische Störung. Forschungsbefunde zeigen, dass bereits Kleinkinder und Vorschulkinder eine PTBS entwickeln können.[1][2] Die PTBS weist bei Kindern und Jugendlichen eine Reihe von Besonderheiten gegenüber der PTBS bei Erwachsenen auf.
Umgangssprachlich werden sehr viele Situationen, wie z. B. Scheidungen als „traumatisch“ bezeichnet. Diese führen jedoch in der Regel nicht zu den charakteristischen Symptomen der PTBS. Der wissenschaftliche Traumabegriff ist in den diagnostischen Klassifikationssystemen psychischer Störungen (DSM-IV und ICD-10) enger definiert: Es handelt sich um ein Ereignis, bei dem der oder die Betroffene unter großer Furcht und Entsetzen direkt oder indirekt eine Situation erlebt, die eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit seiner selbst oder eines anderen Menschen beinhaltet. Beispiele sind Amoklauf an einer Schule, Psychoterror (Mobbing),[3][4] sexuelle und körperliche Gewalt, Unfälle oder Naturkatastrophen. Bei Kindern und Jugendlichen „scheint auch die verbale Vermittlung eines solchen Ereignisses eine PTBS auslösen zu können, z. B. die Nachricht oder Fotografien vom gewaltsamen Tod eines Familienmitglieds“.[5]
Im Anschluss an ein traumatisches Ereignis müssen im Falle einer PTBS Symptome des Wiedererlebens (z. B. Intrusionen und Flashbacks), der Vermeidung und der autonomen Übererregung vorliegen. Die grundlegenden Dimensionen der aufgeführten Symptome sind in Tabelle 1 dargestellt. Sie machen deutlich, dass sich eine PTBS bei Kindern altersspezifisch zeigt und ganz wesentlich vom Stand ihrer kognitiven, affektiven und sozialen Entwicklung bestimmt wird.
Traumatische Ereignisse werden auch eingeteilt in Typ-1-Traumata, d. h. kurzdauernde traumatische Ereignisse und Typ-2-Traumata, d. h. langdauernde, sich wiederholende traumatische Ereignisse. Weiterhin wird häufig zwischen Katastrophen und von Menschen verursachten Ereignissen („man-made disaster“) unterschieden, wobei gilt, dass die langandauernden und von Menschen verursachten traumatischen Ereignisse schwerwiegendere Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben und weit über die in Tabelle 1 aufgeführten Symptome hinausgehen können (s.a.: Trauma (Psychologie): Ereignisfaktoren).
Zur Veranschaulichung der Symptome werden zwei Fallbeispiele aufgeführt.
Fallbeispiel 1: Robert, 9 Jahre alt, lebt bei einer Pflegefamilie. Er wurde mit sechs Jahren vom Jugendamt zusammen mit seinem Bruder bei seinem Onkel und seiner Tante untergebracht, da er sehr häufig von seiner Mutter misshandelt wurde. So trat sie ihn, schlug ihn mit Fäusten und schlug seinen Kopf gegen die Wand. Zusätzlich sperrte sie ihn und seinen Bruder über viele Stunden in seinem Zimmer ein und ging außer Haus. Während dieser Zeit urinierte und kotete er auf den Boden des Zimmers. War er nachts alleine, hatte er während dieser Phasen Angstzustände. In seiner frühen Kindheit beobachtete er, wie seine Mutter von seinem Vater misshandelt wurde. An diese Zeit hat er keine konkrete Erinnerung. Ehe er bei seinem Onkel und seiner Tante untergebracht wurde, verbrachte er einige Wochen in einer betreuten Wohngruppe für Kinder. Heute erinnert er sich sehr häufig an die eigenen Misshandlungssituationen. Er verhält sich unruhig, leidet an schweren Konzentrationsmängeln und reagiert häufig aggressiv. Häufig wird er dadurch auffällig, dass er andere Kinder, scheinbar grundlos schlägt und mit ihnen in Streitereien gerät, wie mit seinem jüngeren Bruder, den er häufig schlägt. Auch mit seinen Lehrern gerät er häufig in Streit. Seine sprachlichen, intellektuellen Fähigkeiten liegen weit unter seinem non-verbalen Leistungsvermögen. In der Schule schreibt er schlechte Noten, so dass die Klassenlehrerin bereits in Erwägung gezogen hat, dass er eine Klasse wiederholen soll. Ein sonderpädagogischer Förderbedarf wurde aber noch nicht festgestellt. Nachts leidet er häufig unter Angstzuständen und fühlt sich bedroht. Gelegentlich hat er auch Alpträume. Er leidet an unspezifischen Schlafstörungen, die sowohl Einschlafprobleme, Durchschlafstörungen und zu frühes Aufwachen beinhalten. Der Schulpsychologische Dienst rät den Pflegeeltern dazu ihn auf eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung testen zu lassen. |
Fallbeispiel 2: Peter, 10 Jahre alt, ist ein aufgeweckter Junge, der gerne Fußball spielt und schwimmt. Mit seinem Freund geht er an einem Wochenende an einen See baden. Beim Schwimmen im tieferen Wasser bekommt Peters Freund plötzlich Panik. Er klammert sich an Peter, taucht ihn unter und lässt nicht mehr los. Peter bekommt keine Luft mehr, in letzter Sekunde stößt er den Freund von sich.
Auf das Ereignis reagieren die beiden Kinder sehr unterschiedlich. Dem Freund geht es gut, aber Peter vermeidet nun alles, was mit Wasser zu tun hat, da er mit Wasser das Gefühl des Erstickens verbindet. Er schreit und wehrt sich, wenn er duschen oder in der Wanne baden soll. Zum Schwimmunterricht in der Schule will er nicht gehen, der Unterricht löst Angstzustände in ihm aus und er täuscht meist Kopfschmerzen vor, um nicht gehen zu müssen. Mit seinen Eltern spricht er nicht, wenn ihn diese nach seinem geänderten Verhalten fragen. Nachdem die Mutter von dem Vorfall am See erfahren hat, wendet sie sich an die Sportlehrerin, bei der Peter Schwimmunterricht in der Schule hat. Diese rät der Mutter zu einem Beratungstermin bei einem Psychologen. |
Vorbemerkungen:
(1) „Die Folgen eines Traumas sind umso größer, je jünger ein Mensch ist.“ (Scheeringa et al., 2003; Steil, 2003, zit. n. Arnold, 2010). (2) Die PTBS-Kriterien wurden auf der Basis der Symptomatik Erwachsener entwickelt. Sie spiegeln aber nur teilweise die Reaktionen im Kindes- und Jugendalter wider. Vor allem im Bereich der DSM-Kriterien C (Vermeidung) und D (Hyperarousal) zeigen Kinder und Jugendliche ähnliche Symptome wie Erwachsene (Arnold, 2010). Im DSM-IV-TR werden Besonderheiten bei Kindern explizit in den Kriterien A und B angegeben. (3) Von einigen Autoren wird vorgeschlagen, dass bei Kindern weniger Symptome als bei Erwachsenen für eine Diagnosestellung ausreichen sollten: Bei Kriterium B ein Symptom, bei Kriterium C ein Symptom und bei Kriterium D zwei Symptome (siehe Scheeringa et al., 2003; Simons & Herpertz-Dahlmann, 2008). (4) Als häufigste Symptome bei traumatisierten Kindern zwischen 7 und 14 Jahren werden „Vermeidung von Gedanken, Gefühlen und Reden über das Trauma“, die „Unfähigkeit sich an alle wichtigen Aspekte des traumatischen Ereignisses zu erinnern“ sowie „belastende Erinnerungen“ und „belastende Träume“ genannt. (Carrion et al., zit. n. Simons & Herpertz-Dahlmann, 2008).[6]
Symptome der PTBS nach DSM-IV | Mögliche Symptome bei Kindern und Jugendlichen und Unterschiede zu den Erwachsenenkriterien |
---|---|
A. Initialreaktion auf traumatisches Ereignis
Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden Kriterien vorhanden waren:
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Zu A1: Schwierig bei Vorschulkindern, da Vermittlung der Reaktionen primär durch Reaktionen von Bezugspersonen (Rosner & Hagl, 2008).
Zu A2: Aufgelöstes oder agitiertes Verhalten (DSM-IV-TR, Saß et al., 2003), bspw. Schreien, Wimmern, Erstarrung oder ungezielter Bewegungsdrang, Zittern, ängstlicher Gesichtsausdruck. |
B. Wiedererleben und Erinnerungen
Das traumatische Ereignis wird beharrlich auf mindestens eine der folgenden Weisen wiedererlebt:
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Bei kleineren Kindern: Spiele, in denen wiederholt Themen oder Aspekte des Traumas ausgedrückt werden (DSM-IV-TR); stark beängstigende Träume mit Traumabezug oder mit zunehmender Frequenz ohne wiedererkennbaren Inhalt (DSM-IV-TR; Scheeringa et al., 2003); schreit nachts im Schlaf; traumaspezifische Neuinszenierungen bei kleineren Kindern (DSM-IV-TR, 2003); dissoziative Episoden (Scheeringa et al., 1995); Psychische Belastung bei Konfrontation mit Hinweisreizen (Scheeringa et al., 1995); anklammerndes Verhalten (Steil & Rosner, 2009). |
C. Vermeidung
Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens drei der folgenden Symptome liegen vor:
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Schwierig bei Kindern aufgrund Fremdbestimmung des Alltags; Scheeringa et al. (2003) schlagen als Kategorie „Abflachung der Reagibilität“ vor.
Vermeidet alles, was an das Erlebnis erinnern könnte (auch darüber reden) (Scheeringa et al., 2003); Rückzug gegenüber Eltern und/oder Spielkameraden (Scheeringa et al., 1995); emotionale Taubheit; Abflachung der Gefühle; Emotionslosigkeit (Steil & Rosner, 2009); scheinbar teilnahmslos und gleichgültig der Umwelt gegenüber; eingeschränktes Spielverhalten (Scheeringa et al., 2003); vermindertes Interesse an zuvor bedeutsamen Dingen (Steil & Rosner, 2009); Entfremdungsgefühle; Automutilation (Steil & Rosner, 2009); verändertes dysreguliertes Essverhalten (Arnold, 2010); Wahrnehmung einer verkürzten Zukunft (glaubt nicht, jemals erwachsen zu werden oder Schule zu beenden; DSM-IV-TR); übermäßige Sorge um Familienmitglieder (Steil & Rosner, 2009); Verlust schon erworbener Fähigkeiten (v. a. Sprache, Sauberkeitserziehung; Scheeringa et al., 1995); regressives Verhalten (Daumenlutschen, sekundäre Enuresis oder Enkopresis, spricht wie ein kleines Kind, Angst vor Alleinsein; Steil & Rosner, 2009). |
D. Hyperarousal
Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor:
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Erhöhte autonome Erregung; Nächtliche Angstzustände (Scheeringa et al., 1995); Einschlaf- und Durchschlafstörungen (Scheeringa et al., 2003), Konzentrationsstörungen (Scheeringa et al., 2003); Gedächtnisstörungen; Verschlechterung schulischer Leistung (Steil & Rosner, 2009); Reizbarkeit, Wutausbrüche (Steil & Rosner, 2009), Prügeleien; übertriebene Wachsamkeit (Scheeringa et al., 2003;); Schreckhaftigkeit (Scheeringa et al., 2003); reagiert ohne erkennbaren äußeren Anlass, zerstört z. B. Gegenstände, beginnt plötzlich zu weinen oder zu schreien; somatische Störungen (Magenschmerzen, Kopfschmerzen, DSM-IV-TR); erhöhte Infektanfälligkeit (Arnold, 2010). |
E. Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als 1 Monat. | Scheeringa et al. (2003) schlagen für Vorschulkinder als zusätzliche Kategorie „Neue Ängste und Aggression“ vor: Neu auftretende heftige aggressive Reaktionen; neu auftretende Trennungsängste (vermeidet z. B. Kindergartenbesuch); Angst alleine auf die Toilette zu gehen; Angst im Dunkeln; Angst vor traumabezogenen Dingen oder Situationen. |
F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. |
Tabelle 1: Symptome der PTBS bei Kindern und Jugendlichen gemäß DSM-IV
Aktuell diskutiert wird eine neue Störungskategorie als Vorschlag für das DSM-V, die insbesondere die Reaktionen nach multipler interpersoneller Traumatisierung eventuell in Kombination mit Vernachlässigung erfassen soll, die entwicklungsbezogene Traumafolgestörung. Die Kriterien dieser Entwicklungsbezogenen Traumafolgestörung bei komplex traumatisierten Kindern nach van der Kolk et al. (2009) enthält Kasten 1.
A: Ereigniskriterium: Traumatische Erfahrungen und Vernachlässigung
A1: Multiple oder chronische interpersonelle Traumatisierung (direkt oder indirekt) A2: Verlust protektiver Bezugspersonen als Folge von Veränderungen, wiederholte Trennungen von den Bezugspersonen, oder schwerer und überdauernder emotionaler Missbrauch B: Affektive und physiologische Dysregulation (mindestens zwei Kriterien) B1: Unfähigkeit, extreme Gefühlszustände zu verändern, auszuhalten und sich selbstständig wieder zu beruhigen (Furcht, Wut, Scham) B2: Schwierigkeiten bei der Regulierung von Körperfunktionen und Sinneswahrnehmungen (Schlafen, Essen, Überempfindlichkeit für Berührung, Lärm etc.) B3: Verringerte Bewusstheit/ Dissoziation von Wahrnehmung, Emotionen und körperlichen Zuständen B4: Eingeschränkte Fähigkeit, eigene Emotionen und körperliche Zustände zu beschreiben C: Dysregulation von Aufmerksamkeit und Verhalten (mindestens drei Kriterien) C1: Übermäßige Beschäftigung mit Bedrohungen oder eine mangelnde Wahrnehmung einer solchen (fehlerhafte Einschätzung von Sicherheit und Gefahr) C2: Eingeschränkte Fähigkeit zum Selbstschutz (risikosuchendes Verhalten) C3: Unangemessene Methoden der Selbstberuhigung C4: Habituelles oder reaktives selbstverletzendes Verhalten C5: Unfähigkeit, zielbezogenes Verhalten zu entwickeln oder aufrechtzuerhalten D: Schwierigkeiten der Selbstregulation und Beziehungsgestaltung (mindestens drei Kriterien) D1: Intensive Beschäftigung hinsichtlich der Sicherheit von Bezugsperson oder anderen geliebten Personen; Schwierigkeiten, Trennungen auszuhalten D2: Negatives Selbstbild, insbesondere Hilflosigkeit, Wertlosigkeit, ein Gefühl von Beschädigung, mangelnde Selbstwirksamkeitserwartungen D3: Misstrauen, kein angemessenes reziprokes Verhalten gegenüber anderen D4: Reaktive physische oder verbale Aggression D5: Unangemessene Versuche, intime Beziehungen herzustellen; übermäßiges Zutrauen zu weitestgehend unbekannten Erwachsenen oder Gleichaltrigen D6: Unfähigkeit zu angemessener Empathie E: Symptome aus dem posttraumatischen Spektrum Mindestens ein Symptom aus zwei der PTBS-Symptom-Cluster F: Dauer von mindestens 6 Monaten G: Funktionelle Beeinträchtigungen in mindestens einem wichtigen Lebensbereich |
Kasten 1: Kriterien der Entwicklungsbezogenen Traumafolgestörung bei komplex traumatisierten Kindern nach van der Kolk et al. (2009)
Es gibt eine Reihe von Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung vergrößern oder Schutzfaktoren darstellen. Risikofaktoren können in prätraumatisch (Faktoren, mit denen eine Person in die traumatische Situation hineingeht), peritraumatisch (Eigenschaften des Ereignisses und psychische Vorgänge in dieser Situation) und posttraumatisch (Faktoren, die nach der Situation wirken) unterschieden werden. Bei den prätraumatischen Faktoren spielen jüngeres Alter, weibliches Geschlecht, Minoritätenstatus, niedriger sozioökonomischer Status, prätraumatische psychische Morbidität (schon vor dem traumatischen Ereignis bestehende psychische Störungen), Vortraumatisierung, Familienstruktur, Funktionsniveau, schlechteres visuelles Gedächtnis (De Bellis et al., 2010), möglicherweise genetische Prädispositionen (Cortisol oder Catechol-O-methyltransferase) (Kolassa et al., 2010) sowie Substanzmissbrauch (Kingston & Raghavan, 2009) eine Rolle. Die peritraumatischen Faktoren umfassen Stressorschwere, wahrgenommene Lebensgefahr, Tod und Verletzung bekannter Personen, Ressourcenverlust, eigene Verletzung, Umstände des Ereignisses, emotionale Reaktion, Verhalten der Eltern und Aufnahme an einer pädiatrischen Intensivstation (Bronner et al., 2008). Relevante posttraumatische Faktoren sind die Akute Belastungsreaktion (ABR), Psychopathologie, mangelnde soziale Unterstützung, dysfunktionale Bewältigungsstrategien, PTBS der Mutter (Yehuda et al., 2008) oder allgemeiner PTBS eines Elternteils, familiäre Faktoren, hohe Überfürsorglichkeit der Eltern (Bokszczanin, 2008), häufiger Wohnortwechsel und weitere belastende Lebensereignisse. Die mit PTBS am meisten verbundenen Faktoren sind die peritraumatischen Faktoren Stressorschwere, wahrgenommene Lebensgefahr sowie Ressourcenverlust und die posttraumatischen Faktoren akuten Belastungsreaktion, Psychopathologie, mangelnde soziale Unterstützung und weitere belastende Lebensereignisse (Kultalahti & Rosner, 2008). Eine prätraumatische psychische Vorerkrankung steht ebenfalls in einem hohen Zusammenhang mit der Entwicklung der PTBS (Kultalahti & Rosner, 2008). Tabelle 2 vermittelt einen Überblick über die möglichen Risikofaktoren einer PTBS.
Prätraumatische Faktoren |
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Peritraumatische Faktoren |
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Posttraumatische Faktoren |
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Tabelle 2: Mögliche Risikofaktoren einer PTBS bei Kindern und Jugendlichen
Zur Erklärung der PTBS wurde eine Reihe von Modellen entwickelt. Sie müssen (a) die Symptomatik (b) Genesung und Heilung und (c) individuelle Unterschiede erklären können (Dalgleish, 2004, zit. n. Steil & Rosner, 2009). Ein adaptierbares Modell der PTBS für den Kinder und Jugendlichenbereich ist das kognitive Modell der PTBS nach Ehlers und Clark (2000).
Beim Modell der PTBS handelt es sich um ein Kognitives Modell. Für die Entstehung einer PTBS sind nach Ehlers und Clark (1999, zitiert nach Ehlers, 1999) zwei verschiedene Faktoren notwendig. Zum einen spielen die Interpretation des traumatischen Ereignisses, andererseits die Charakteristika des Gedächtnisses für traumatische Erinnerungen sowie deren Verbindung zum episodischen und autobiographischen Gedächtnis eine Rolle.
Ehlers und Clark (1999, zitiert nach Ehlers, 1999) nehmen an, dass PTBS-Patienten Schwierigkeiten haben, das traumatische Ereignis willentlich zu erinnern, dass intrusives Erleben überwiegend sensorisch und nicht kognitiv geschieht.
Abbildung 1 zeigt das von Ehlers und Clark (1999, zitiert nach Ehlers, 1999) entwickelte Modell. Die Autoren erklären darin, dass Personen nur dann eine PTBS entwickeln, wenn sie ein traumatisches Ereignis so verarbeiten, dass sie in ihrer Wahrnehmung eine gegenwärtige Bedrohung erleben.
In Anbetracht der möglichen Unterschiede in der PTBS-Symptomatik sowie unterschiedlicher Voraussetzungen ist ein diagnostisches Vorgehen angezeigt, das dem Rechnung trägt.
Bei der Diagnostik müssen sowohl der kognitive als auch sprachliche Entwicklungsstand des Kindes berücksichtigt werden. Dazu zählen z. B. Aspekte des autobiographischen Gedächtnisses und erhöhte Suggestibilität bei Kindern (Cossins, 2010). Aus diesem Grund sollten verschiedene Informationsquellen zu Rate gezogen werden; dazu können neben den Eltern des Kindes auch Betreuer oder Lehrpersonen zählen.
Hinsichtlich des sprachlichen Entwicklungsstandes sollte berücksichtigt werden, dass sich jüngere Kinder auch auf andere Weise mitteilen, z. B. durch Zeichnung oder Spielverhalten (Steil & Rosner, 2009). Aufgrund der kindspezifischen Symptomatik ist die Verwendung darauf abgestimmter diagnostischer Instrumente (Interviews, Fragebögen) notwendig. Für eine ausführliche Diagnostik sind in der Regel 2–5 Sitzungen zu veranschlagen (Steil & Rosner, 2009). Sie dient als Grundlage für eine individuell angepasste Therapieplanung.
Zu Beginn der Diagnostik steht ein erstes exploratives Gespräch, das unter anderem die aktuelle und frühere psychiatrische Symptomatik von Kind und Eltern, medizinische Anamnese, Charakteristika und Umstände des traumatischen Ereignisses sowie Ressourcen und Risikofaktoren seitens des Kindes mit einschließt. Dieses sollte für Kind und Bezugspersonen getrennt erfolgen (Steil & Rosner, 2009). Beide Perspektiven sollten deshalb berücksichtigt werden, weil Kinder vor allem internalisierende Probleme (z. B. Schuld- und Schamgefühle, Ängste, depressive Verstimmung), Erwachsene eher externalisierende Aspekte (z. B. Trotz- und aggressives Verhalten, Hyperaktivität) berichten (Kolko & Kazdin, 1993) und im Allgemeinen dazu neigen, die Symptomatik des Kindes zu unterschätzen (Ceballo, 2001).
Da bei Kindern unter 5 bis 6 Jahren Selbstauskünfte nur bedingt als zuverlässig betrachtet werden können (Cossins, 2010), liegt der Schwerpunkt der Diagnostik in diesem Altersbereich bei der Befragung der Bezugspersonen. Dehon und Scheeringa (2006) verweisen auf die Möglichkeit einer diagnostischen Aussage anhand der Verwendung einer spezifischen Auswahl von 15 Fragen aus der Child Behavior Checklist 1½ – 5 Jahre (CBCL 1½ – 5 Jahre; Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 2002). Dies ist jedoch mit Vorsicht zu interpretieren, da die CBCL eher allgemeine psychische Belastung erfasst, nicht aber speziell PTBS-Symptomatik. Für die Diagnostik von PTBS bei Säuglingen und Kleinkindern liegt ein ins Deutsche übersetztes Interviewverfahren vor (Graf, Irblich & Landolt, 2008).
Zur Diagnostik existieren Interview- und Fragebogenverfahren. Generell sind (strukturierte) Interviews vorzuziehen, da auf das kognitive und sprachliche Niveau des Kindes individuell eingegangen werden kann. Offen formulierte Fragen verringern hierbei das Risiko von Suggestionen und erhöhen somit die Wahrscheinlichkeit einer unverfälschten Informationsgewinnung (Cossins, 2010).
Als Goldstandard zur Diagnostik 7- bis 16-Jähriger gelten die Interviews zu Belastungsstörungen (IBS-KJ; Steil & Füchsel, 2006). Bei diesem Verfahren handelt es sich um die deutsche Übersetzung des Clinician Administered PTSD Scale for Children and Adolescents (CAPS-CA; Nader, Blake & Kriegler, 1994). Hiermit werden neben der Art der Störung (Akute Belastungsstörung (ABS), PTBS) nach Kriterien von sowohl ICD-10 als auch DSM-IV, auch Häufigkeit und Intensität der einzelnen Symptome erfasst. Vorzüge des Verfahrens liegen in der guten Verständlichkeit durch kindgerechte Formulierung und die Verwendung visueller Analogskalen. Für das Verfahren liegen Normwerte vor und die Testgüte gilt als gesichert (Steil & Rosner, 2009).
Weitere gebräuchliche Verfahren sind der gleichermaßen als Interview- und Fragebogenverfahren einsetzbare UCLA-PTSD-RI (The University of California at Los Angeles Post-traumatic Stress Disorder Reaction Index; Steinberg, Brymer, Decker & Pynoos, 2004), sowie die reinen Fragebogenverfahren Children‘s Impact of Events Scale (Dyregrov, Kuterovac & Barath, 1996), Child PTSD Symptom Scale (Foa, Johnson, Feeny & Treadwell, 2001; keine deutschsprachige Übersetzung vorliegend) und die Checkliste zur Akuten Belastungsstörung (CAB; Frühe, Kultalahti & Rosner, 2007; speziell zur Diagnostik der Akuten Belastungsreaktion). Die Testgüte der deutschsprachigen Fassungen ist nicht in allen Fällen empirisch überprüft (Steil & Rosner, 2009).
Von zentraler Bedeutung ist eine sorgfältige Differentialdiagnose deshalb, weil das Erscheinungsbild der PTBS in vielen Punkten anderen psychischen Störungen ähnelt.
So finden sich Vermeidungssymptome auch im Rahmen von affektiven und Angststörungen und Übererregung als hyperkinetische Symptome einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Auffälligkeiten aus dem Bereich des Wiedererlebens könnten als Ausdruck einer psychotischen Störung fehlgedeutet werden (Cohen et al., 2010). Auch die Abgrenzung vom klinischen Bild einer komplizierten Trauer, sowie ferner Borderline-Persönlichkeitsstörung, Anpassungsstörung und Essstörungen ist unter Umständen angezeigt (Steil & Rosner, 2009).
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie schlägt ein differentialdiagnostisches Vorgehen gemäß Abbildung 2 vor.
Die Häufigkeit, ein traumatisches (und damit potenziell PTBS auslösendes) Ereignis zu erleben, ist regional unterschiedlich (vgl. Darves-Bornoz et al., 2008). Dies ist durch Unterschiede im Vorkommen von Naturkatastrophen, Kriegsgeschehen und dem allgemeinen Gewaltaufkommen in der Gesellschaft zu erklären.
Je nach Definitionskriterien des Ereignisses kann die Häufigkeit bei 13- bis 16-Jährigen auch in nicht von Krieg betroffenen Ländern auf bis zu 90 % ansteigen, wenn negative Lebensereignisse wie Scheidung oder Schwangerschaftsabbruch mit in die Statistik aufgenommen werden (Petersen, Elklit & Olesen, 2010). Die Wahrscheinlichkeit einer PTBS infolge eines traumatischen Ereignisses ist auch abhängig vom Geschlecht – Mädchen entwickeln häufiger eine PTBS als Jungen (Gavranidou & Rosner, 2003) – und von der Art des Ereignisses.
Tabelle 3 bietet einen Überblick epidemiologischer Studien zur PTBS im Kindes- und Jugendalter (nach DSM-IV Kriterien). Zu beachten sind die teilweise stark variierenden Prävalenzen, die auf die erwähnten Unterschiede in den Definitionskriterien eines traumatischen Ereignisses und andere Besonderheiten der jeweiligen Studien zurückzuführen sind.
Studie und Land | Alter | Prävalenz eines traumatischen Ereignisses | Lebenszeitprävalenz PTBS | Teilnehmeranzahl |
---|---|---|---|---|
Essau et al. (2000) Deutschland | 12–17 Jahre |
18,4 % weiblich 28,5 % männlich |
1,6 % gesamt 1,4 % männlich 1,8 % weiblich |
1035 |
Perkonigg et al. (2000) Deutschland | 14–24 Jahre |
17 % gesamt 18,6 % männlich 15,5 % weiblich |
1,3 % gesamt 0,4 % männlich 2,2 % weiblich |
3021 |
Petersen et al. (2010)
Faroer Inseln |
14,2
Jahre |
90 % gesamt 89 % männlich 94 % weiblich |
20 % gesamt | 687 |
Domanskaité-Gota et al.
(2009) Litauen |
15,1
Jahre |
80,2 % gesamt 80,7 % männlich 79,8 weiblich |
6,1 % gesamt | 183 |
Copeland et al. (2007) USA | 9–16
Jahre |
68,2 % gesamt 67,9 % männlich 68,4 % weiblich |
0,4 % gesamt 0,1 % männlich 0,7 % weiblich |
1420 |
Tabelle 3: Prävalenzstudien zu traumatischen Ereignissen und PTBS in der Kindheit und Jugend
Eine Studie mit jungen Kindern zwischen 2 und 10 Jahren von Meiser-Stedman et al. (2008), unter Anwendung alternativer Kriterien des DSM-IV für Kinder, zeigte Häufigkeiten von 11,5 % nach traumatischen Verkehrsunfällen. Wenn man demnach davon ausgeht, dass die vermutlich zu eng gefassten DSM-IV Kriterien betroffene Kinder und Jugendliche teilweise von der Diagnose ausschließen, ist von einer tatsächlich höheren Auftretenshäufigkeit der PTBS auszugehen. Dies macht die PTBS im Vergleich zu anderen psychischen Störungen zu einer häufigen Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen (Steil & Rosner, 2009).
Innerhalb der ersten vier Wochen nach einem traumatischen Ereignis kann es zu einer Akuten Belastungsreaktion (nach DSM-IV, entsprechend im ICD-10: F43.0 Akute Belastungsreaktion) kommen. Eine akute Belastungsreaktion besitzt allerdings nur einen mittleren prognostischen Zusammenhang mit der PTBS und ist daher nach wie vor als Prädiktor umstritten (Frühe, Kultalahti, Röthlein & Rosner, 2008). Die PTBS kann ab einem Zeitraum von vier Wochen nach dem traumatischen Ereignis diagnostiziert werden. Wenn die Symptome erst nach sechs Monaten oder später beginnen, spricht man von PTBS mit verzögertem Beginn; dies betrifft circa 10 % der Fälle (Yule et al., 2000).
Das Risiko für eine PTBS ist geringer, wenn psychische Gesundheitsfürsorge in Anspruch genommen wird. Ohne Behandlung ist die Wahrscheinlichkeit eine PTBS oder Depression nach einem traumatischen Ereignis zu entwickeln um ein Vierfaches erhöht (Jia et al., 2010).
Grundsätzlich muss man bei der PTBS von einem hohen Chronifizierungsrisiko ausgehen: Bei 30 % der untersuchten Jugendlichen mit einer diagnostizierten PTBS registrierten Yule et al. (2000) ein Jahr nach einem Schiffsunglück eine Verbesserung im subklinischen Bereich. 34 % der Betroffenen jedoch zeigten mehrere Jahre nach dem Unglück noch das Vollbild einer PTBS. Perkonigg et al. (2006) berichten als Ergebnis einer vierjährigen Langzeitstudie ein Chronifizierungsrisiko von 42,4 % bei 14- bis 17-Jährigen. Auch Landolt et al. (2003) stellten in einer Verlaufsanalyse nicht-therapierter Kinder mit PTBS keine signifikanten Symptomveränderungen innerhalb eines Jahres fest. Tendenziell nahm der Anteil der Diagnosen sogar zu.
Bezüglich der Häufigkeitsangaben von Komorbiditäten existieren verschiedene Forschungsergebnisse. Dies ist neben methodischen Gründen vor allem auf Unterschiede bezüglich des Auftretensalters, des Verlaufs und der zeitlichen Abfolge von primärer und sekundärer Störung zurückzuführen (Essau, Conradt & Petermann, 1999).
Berichtete Komorbiditäten der PTBS im Kindes- und Jugendalter sind ADHS, affektive Störungen, Angststörungen, somatoforme Störungen, suizidales Verhalten und Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags (Essau, Conradt & Petermann, 1999).
Unabhängig von der konkreten Diagnose wiesen Abram et al. (2007) bei 93 % der von ihnen untersuchten männlichen jugendlichen Häftlinge mit einer PTBS mindestens eine komorbide Störung nach. Dabei wurden bei 54 % zwei oder mehr Komorbiditäten diagnostiziert. Er stellte Depressionsraten von 17 % fest, Angststörungen wiesen 38 % der Untersuchten auf, ADHS 43 % und Substanzmissbrauch 79 % der Probanden. Bei Straftäterinnen zeigten sich unterschiedliche Raten: 24 % waren depressiv, 27 % hatten Angststörungen, 40 % ADHS und 63 % Substanzstörungen (Abram et al., 2007).
Bei Vorschulkindern zeigen sich leicht abweichende Häufigkeiten. So berichten Scheeringa und Zeanah beim Vorhandensein einer PTBS eine allgemeine Komorbiditätsrate von 88,6 % – hierunter fanden sich am häufigsten die oppositionelle Trotzstörung und Angststörungen (Scheeringa & Zeanah, 2008).
Häufig gehen mit einer PTBS auch eine erhöhte Rate körperlicher Erkrankungen einher. So berichten Rohleder und Karl (2006) in einer Überblicksstudie besonders von kardiovaskulären Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen und chronischen Schmerzen (vgl. auch Boscarino, 2004). Zu dieser Thematik gibt es jedoch für Patienten im Kindes- und Jugendalter lediglich geringe empirische Evidenz.
Nach intensiver Auseinandersetzung mit der Traumapsyschologie des Kindes- und Jugendalters kam Bessel van der Kolk zu der Erkenntnis, dass Kinder, die anhaltend in ihrer Kindheit traumatischen Erfahrungen ausgesetzt waren (oder immer noch sind), neben der PTBS noch verschiedene andere Erkrankungen aufweisen. Diese können sowohl physischer als auch psychischer Natur sein. Als Ursache dafür, sieht er veränderte neurobiologische Entwicklungen an, die durch Extremstress verursacht wurden (vgl. Krüger & Reddemann 2007, S. 66).
Einige dieser entwicklungsbezogenen Traumafolgestörungen sind (vgl. Krüger & Reddemann 2007, S. 70):
Verschiedene Faktoren bedingen die Intensität der Auswirkungen eines Traumas auf die nachfolgende Entwicklung von Kindern. Diese werden im Folgenden aufgezählt (vgl. Streck-Fischer 2006, S. 2):
Michaela Huber, Luise Reddemann und weitere Therapeuten heben hervor, dass zunächst die Abklärung der Ressourcen wichtig ist, das mit ihnen in Kontakt kommen sowie der Ausbau.
„Jede Person mit PTSD hat einen Funken Resilienz in sich. Und was wir tun wollen, ist, diesen Funken zu finden und diese Flamme zu entfachen, damit die widerstandsfähige Seite die Schatten ausblendet, das Licht größer wird als die Dunkelheit.“
Derzeit gibt es viele verschiedene Interventionen (mindestens 200 laut Streeck-Fischer (2007)), die in der Traumatherapie bei Kindern eingesetzt werden. Allerdings wurden bisher nur sehr wenige Interventionen hinsichtlich ihrer Eignung und Effektivität für Kinder und Jugendliche wissenschaftlich untersucht.
Kinder und Jugendliche, die gerade ein traumatisches Ereignis erlebt haben, sollten in der Akutsituation im Rahmen einer Krisenintervention zuerst medizinisch und anschließend psychosozial versorgt werden. In der psychosozialen Versorgung geht es vor allem darum, wieder ein Stück Normalität herzustellen, indem Grundbedürfnisse wie Hunger, Durst und Müdigkeit gestillt und ein stabiles Sicherheitsgefühl (z. B. durch den Kontakt zu Bezugspersonen, gewohnte Umgebung, gewohnte Tagesroutinen) geschaffen wird (Steil & Rosner, 2009).
Eine weitere mögliche Krisenintervention in der Akutversorgung ist das Einzelsitzungsdebriefing (Psychological Debriefing (Dyregrov, 1979), Critical Incident Stress Debriefing (Mitchell, 1983)). Von diesem ist eher abzuraten, da bisher keine gesicherten Hinweise für die Wirksamkeit von Einzelsitzungsdebriefing bei Kindern gefunden wurden (NICE, 2005; Stallard, 2006).
Kinder und Jugendliche, die ein traumatisches Ereignis erlebt haben, benötigen nach der Krisenintervention eine weitere Intervention, wenn sie eine psychische Störung, und zwar insbesondere eine ABS oder eine PTBS, entwickeln. Hierfür sind nach aktuellen Forschungsergebnissen traumafokussierte Therapieansätze am effektivsten. Traumafokussiert heißt, dass die traumatischen Erfahrungen des Kindes in den Mittelpunkt der Therapie gestellt und explizit angesprochen werden (Exposition). Derzeit gelten die traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)[8] und das Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) als am besten untersuchten Methoden (AACAP, 2010; NICE, 2005).[9]
Die traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen:
Vor der therapeutischen Arbeit am Trauma müssen die Ressourcen der Kinder gestärkt werden. Ein wesentlicher Teil dieser Ressourcen sind die Eltern und weitere Bezugspersonen. Laut der American Academy of Child & Adolescent Psychiatry (AACAP) sollten Eltern als Unterstützer einer positiven Veränderung in die Therapie miteinbezogen werden; ebenso Erzieherinnen in Kindertagesstätten, Lehrer und Ärzte des Kindes. Gemeinsames Ziel ist dabei die Förderung der Funktionsfähigkeit, Resilienz und Weiterentwicklung des Kindes (nicht nur eine Verringerung der Symptomatik) (AACAP, 2010). Ein gut erprobtes traumafokussiertes Therapiemanual, das die von der AACAP geforderten Anforderungen erfüllt, ist bspw. die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie nach dem Manual von Cohen, Mannarino & Deblinger (2006). Diese Therapie hat folgende 10 Komponenten für das traumafokussierte Vorgehen:
In den ersten 5 Komponenten werden basale Informationen und Fähigkeiten vermittelt, in den Komponenten 6 bis 10 geht es um die Traumaexposition und die Vorbereitung der Familie auf die Zeit nach der Therapie:
Das Therapiemanual betont die Wichtigkeit der Sensibilität des Therapeuten beim Aufbau einer vertrauensfördernden therapeutischen Beziehung und beim flexiblen und kreativen Umgang mit dem Therapiemanual (Cohen, 2006).
Als zweites, sehr effektives Verfahren zur Behandlung traumatisierter Kinder und Jugendlicher gilt EMDR. Es basiert auf einem theoretischen Modell, in dem es darum geht, Erinnerungen an Gedanken, Gefühle und körperliche Empfindungen, die in Zusammenhang mit dem traumatischen Ereignis stehen und aversiv sind, vom impliziten Gedächtnis in das explizite Gedächtnis zu verschieben. Damit sind diese Erinnerungen nicht länger von der normalen Informationsverarbeitung abgeschnitten. Sie können wieder in Kontext mit bereits vorhandenen Erinnerungen und Erfahrungen gesetzt und verarbeitet werden und können dadurch ihre starke Aversivität verlieren (NICE, 2005).
In einer EMDR-Sitzung wird der Patient angeleitet, sich an das traumatische Ereignis zu erinnern, während in verschiedenen Phasen der Behandlung bilaterale physische Stimulation (Augenbewegungen, Berührungen, Töne) vom Therapeuten erfolgt. Ziele des EMDR-Verfahrens sind Desensibilisierung, Reduzierung der Erregung sowie das Gewinnen einer neuen Einsicht bzw. einer veränderten Überzeugung hinsichtlich des erlebten traumatischen Ereignisses. Das EMDR-Verfahren enthält also Elemente der gestuften Exposition, der kognitiven Umstrukturierung und des klassischen Konditionierens (NICE, 2005).[9]
Die von Kemp, Drummond und McDermett (2009) durchgeführte Studie weist die Eignung des EMDR-Verfahrens für traumatisierte Kinder und Jugendliche nach.
Neben den bisher genannten Therapieansätzen zeigt die Forschung, dass auch die Narrative Expositionstherapie (NET; Schauer, Neuner & Elbert, 2005) ein vielversprechendes Verfahren bei Kindern und Jugendlichen sein kann. NET zeigte laut Studie bei Kindern und Jugendlichen eine effektive Reduktion der Traumasymptomatik. Eine Verbesserung tritt selbst dann ein, wenn das Umfeld der jungen Patienten instabil, unsicher und unberechenbar bleibt (Robjant & Fazel, 2010). Inzwischen gibt es für die Narrative Expositionstherapie für Kinder und Jugendliche die Bezeichnung KIDNET. Auf der Basis psychologischer und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse – vor allem zu Lernen und Gedächtnis – werden traumatische Ereignisse mit dem Ziel der psychischen und autobiografischen Integration aufgearbeitet (Sonnenmoser, 2009). Die Kurzzeittherapie erstreckt sich normalerweise auf acht Phasen (= Sitzungen).
In der Behandlung von PTBS bei Kindern und Jugendlichen ist aufgrund von unzureichender Forschung von einer Pharmakotherapie abzuraten (NICE, 2005). Wenn sie in Erwägung gezogen wird, dann nur begleitend zu einer Psychotherapie – beispielsweise, wenn zusätzlich eine starke depressive oder andere Symptomatik besteht, das Kind/der Jugendliche schlecht auf die Therapie anspricht (AACAP, 2010) oder keine Psychotherapie verfügbar ist. Inzwischen konnte für unterschiedliche Wirkstoffe, die je nachdem in welcher Phase der PTBS der Patient ist und welches Ziel erreicht werden soll, eine begrenzte Wirksamkeit gezeigt werden, aber die Forschung ist noch nicht weit genug, um generelle Empfehlungen aussprechen zu können (Huemer, 2010).
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