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Oberflächenformation unter Frosteinwirkung Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Periglazial (zusammengesetzt aus altgriechisch περί peri ‚um, herum‘ und lateinisch glacies ‚Eis‘) bezeichnet in der physischen Geographie und Geologie die landschaftsprägende Wirkung von Frost und diese begleitende geomorphologischen Prozesse, die mit Schnee, fließendem Wasser und Wind verbunden sind.[1] Die verschiedenen geomorphologischen Prozesse, die in unvergletscherten Gebieten auftreten, werden durch Auftauen und Gefrieren von Bodeneis geprägt, das permanent, saisonal oder täglich auftreten kann. Die Frostwirkung muss dabei eine so starke Intensität zeigen, dass sie in der Landschaft nachweisbar ist. Gebiete periglazialer Landschaften liegen überwiegend im kontinentalen Tundrenklima. Das Adjektiv periglazial kennzeichnet sowohl die entsprechenden klimatischen Bedingungen als auch die unter diesen Bedingungen ablaufenden geomorphologischen Prozesse. Auch Hochgebirge zwischen der Subarktis und den inneren Tropen weisen zwischen Schneegrenze und Waldgrenze Landschaften auf, in denen periglaziale Prozesse stattfinden;[2] diese Gebiete, in denen sich durch höhere Niederschlagssummen und größere Reliefenergie Bodenfließen (Solifluktion) ausbildet, werden oft als Solifluktionsstufe (= "Periglazialstufe") bezeichnet. Ebenso wie in der Tundra sind Boden- und Vegetationsentwicklung mit spezialisierten Anpassungen von Pflanzen (alpine Frost-Schuttvegetation, Schneetälchen-Gesellschaften) gegeben.[3][4]
Der Begriff „periglazial“ wurde 1909 von Lozinski[5] geprägt und sollte geomorphologische Prozesse und die dabei entstandenen Oberflächenformen in der direkten Umgebung von Gletschern bezeichnen. Diese enge räumliche Bindung an die direkte Umgebung von Gletschern ist heute nicht mehr Bestandteil der Definition, da der entscheidende Faktor des Periglazials das permanente, saisonale oder diurnale Bodeneis ist. Gefrieren und Auftauen des Bodens durch Frostwechsel bedingt dann die periglaziale Morphodynamik. Vom Frost dominierte Gebiete können weit entfernt von heutiger oder vorzeitlicher Vergletscherung vorkommen, so zum Beispiel im zentralen Sibirien. Der durch diesen Bedeutungswandel missverständlich gewordene Begriff Periglazial wurde beibehalten, da sich Versuche einer neuen Terminologie (insbes. Washburn: „Geocryology“[6]) nicht durchsetzen konnten.
In den 1960er Jahren wurde der Begriff von Tricart und Cailleux[7] sowie Péwé[8] neu definiert. Ihre Definition zeigt bis heute Nachwirkungen: Diese Autoren banden den Begriff ‚Periglazial‘ an das Vorkommen von Permafrostboden. Dies hatte den Vorteil, dass die Grenzen der Periglazialgebiete relativ einfach bestimmt werden konnten. In der deutschsprachigen, allgemein-geomorphologischen Literatur hat sich diese Definition auch teilweise erhalten,[9][10] unter den Fachwissenschaftlern wird sie aber heute einhellig abgelehnt,[11][12][13] was auch dem internationalen Literaturstand entspricht.[14][1] Der Grund dieser Ablehnung ist in der Tatsache zu finden, dass zwei der wichtigsten, von allen Autoren zu den periglazialen gezählten geomorphologischen Prozesse (Gelifluktion und Kryoturbation, s. u.) eindeutig nicht auf Gebiete mit Permafrost beschränkt sind.
Somit wird heute mehrheitlich Periglazial nach dem Vorkommen mindestens dieser beiden Prozesse abgegrenzt. Allerdings führt dies zwar zu einer in Bezug auf die geomorphologischen Abläufe und Prozesse stimmigen Definition, erschwert aber eine exakte Grenzziehung, da im Gegensatz zur zweijährigen, stichprobenartigen Beobachtung des Permafosts nun aufwändige Messungen des Prozessgeschehens erforderlich wären. Zwar entstehen durch die genannten Prozesse sehr spezifische Oberflächenformen, jedoch ist oft kaum zu entscheiden, ob diese rezent entstanden sind oder unter vorzeitlichen, ehemals periglazialen Bedingungen.[15]
Die Mehrdeutigkeit des Begriffs hat dazu geführt, dass verschiedentlich Versuche unternommen wurden, Teilaspekte durch neue Benennungen vom Gesamtkomplex des Periglazials abzutrennen. So wurde der Begriff „Paraglazial“ für die direkte Umgebung von Gletschern eingeführt, in der ja neben der periglazialen i. e. S. auch die glaziale Formung bzw. deren Fernwirkungen durch Schmelzwässer eine bedeutende Rolle spielen[16]. In der deutschen Fachsprache findet sich der Begriff „periglaziär“, mit dem die periglazialen Prozesse zusammengefasst werden. All diese Begriffe konnten sich allerdings kaum durchsetzen.
Für die Periglaziale Morphodynamik ist Temperatur nur bedingt das entscheidende Kriterium. Damit sich Frosterscheinungen landschaftsprägend auswirken sind Bodenfeuchtigkeit, Gesteinslithologie, Bodentextur, und Verbreitung von Gestein in Regolithgröße entscheidend. Frostwechsel von Luft- und Bodentemperatur sind somit auch nur stellvertretende physikalische Größen für Frost-Tau Zyklen im Bodeneis, die aufgrund ihrer einfacheren Messung oft als bestimmende Größen genommen wurden. Dabei sind Produktion, Präsenz und Schmelzen von Bodeneis eigentliche Kenngrößen, die nicht über ein einfaches Temperatur-Kriterium bestimmbar sind. Erst über bestimmte Bodeneigenschaften werden Wechselwirkung mit Frostwechsel in periglaziale Prozesse übertragen.
Periglaziale Prozesse sind charakterisiert durch einen permanent oder jahreszeitlich gefrorenen Unterboden. Im Sommer wird der Oberboden aufgetaut (Auftauboden) und damit anfällig für fluviale Erosionsprozesse, für Massenselbstbewegungen und bei größerer Trockenheit auch für Deflation. Diese Prozesse schaffen charakteristische Sedimente und geomorphologische Erscheinungsformen.
Die Prozesse lassen sich untergliedern in solche, die mit keiner oder allenfalls kleinflächiger Verlagerung von Substrat verbunden sind, also im Wesentlichen auf flaches Relief beschränkt sind:
und in Prozesse mit räumlicher Verlagerung von Material, also an geneigten Hängen oder im Hangfußbereich, wo sich die Einflüsse eines nahegelegenen Hangs auswirken, oder an vegetationsfreien Arealen, die dem Wind Angriffsmöglichkeiten bieten:
Periglaziale Formen im engeren Sinn sind solche, die in dieser Form nur in Periglazialgebieten auftreten und die eng entweder zumindest an saisonalen Bodenfrost gebunden sind:
oder üblicherweise mit Permafrost verbunden sind:
Im weiteren Sinn werden Formen zu den periglazialen gerechnet, die auch unter anderen Bedingungen entstehen können, die aber in Periglazialgebieten gehäuft auftreten oder durch die periglazialen Bedingungen besonders gefördert werden:
Auch die Sedimente ließen sich in ausschließlich periglaziale und in solche gliedern, die bevorzugt, aber nicht nur unter periglazialen Bedingungen entstehen. Da aber nur die Deckschichten eindeutig periglazial entstanden sind und dies bereits für den Löß zumindest strittig ist,[22] unterbleibt diese Differenzierung hier:
Diese Sedimente können durch Phänomene wie Eiskeile oder Froststauchungen überprägt sein, wodurch ihre Interpretation als periglaziale Sedimente gestützt wird.
Als Periglazialgebiete bezeichnet man Gebiete, in denen periglaziale Prozesse wirken.
Periglazialgebiete finden sich heute in den Polar- und Subpolargebieten der Erde (Arktis, Nordamerika, Nordasien, Nordskandinavien und unvergletscherte Bereiche der Antarktis).
Aufgrund der Temperaturabnahme mit der Höhe besitzen alle Hochgebirge eine periglaziale Höhenstufe (in den Tropen: >4000 m ü.d.Meer; in mittleren Breiten, z. B. den Alpen: >2000 m ü.d.Meer[15]). Insgesamt sind rund 25 % der Festlandfläche der Erde von Permafrost bedeckt,[24] der Anteil der Periglazialgebiete ist also noch größer.
In den Kaltzeiten des Eiszeitalters dehnten sich die Periglazialgebiete weit äquatorwärts aus und schlossen zum Beispiel ganz Mitteleuropa ein. Auf diese Weise wurden in Mitteleuropa auch Landschaften umgeformt, die nicht von Inlandeis bedeckt waren, und in denen somit periglaziale Formen und Ablagerungen heute noch weit verbreitet sind.[25]
Periglazialklimate sind Klimate, die periglaziale Prozesse ermöglichen.
Eine Definition des Periglazialraums in seiner Gesamtheit durch exakte klimatische Messgrößen ist nicht möglich, da letztlich das Zusammenspiel mehrerer klimatischer Parameter (neben Temperatur auch Schneebedeckung, Wasserhaushalt u. v. a.) mit azonalen Einflüssen (Relief, Substrat) über das Zustandekommen periglazialer Prozesse und Formen entscheidet.[1] Einen Versuch der Typisierung der Periglazialgebiete auf der Grundlage von zonaler Lage, Kontinentalität und Höhenlage in Verbindung mit einer Zuordnung klimatischer Grenzwerte zu den einzelnen Typen unternahm Karte 1979.[25]
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