Erkrankungen des Nervensystems Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dieser Artikel behandelt Schäden an Nerven. Zu Schmerzen bei Schäden an Nerven siehe Neuropathischer Schmerz.
Neuropathie (von griechisch neuron „Nerv“) oder Nervenkrankheit ist ein Sammelbegriff für viele Erkrankungen des peripheren Nervensystems, wie er sich rein symptomatisch vor allem bei den Polyneuropathien eingebürgert hat. Aber auch bei zentralen Erkrankungen des Nervensystems, wie etwa bei konstitutionell verankerter Neigung zu vegetativen Funktionsstörungen, wird der Begriff verwendet, so u.a. in der Pädiatrie.[1] Historisch war dieser Begriff auch für die Neurose und Neurasthenie üblich.[2]Primäre Erkrankungen der peripheren Nerven sind eher selten. Neuropathien als sekundäre Folge anderer Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus) oder neurotoxischer Substanzen (z.B. Alkohol) sind jedoch häufig.
Es werden konstitutionell bedingte funktionelle Symptome in der Kinderheilkunde mit vegetativer Symptomatik als Neuropathien bezeichnet, die mit Trinkfaulheit, gewohnheitsmäßigem Erbrechen, Störungen der Darmentleerung, Schwitzen, Neigung zu Temperaturanstieg etc. einhergehen. Dabei wird eine erhöhte Reizempfindlichkeit mit überschießender Reizbeantwortung angenommen.[1][4]
Sekundäre Schäden der peripheren Nerven (Polyneuritiden) sind meist auf Beeinträchtigungen des neuronalen bzw. axonalenStoffwechsels oder auf entzündliche bzw. autoimmunologische Vorgänge zurückzuführen:
Entzündliche Erkrankungen
Zu dieser Gruppe gehören v.a. Erreger-bedingte Erkrankungen. So kommt es bei Infektionen
durch Varizellen, Mycobacterium leprae und Borrelia burgdorferi zu einer Infektion des peripheren Nervens bzw. des Neurons. Das körpereigene Immunsystem versucht die Erreger zu eliminieren und zerstört dadurch in der Regel das Neuron bzw. die Myelinscheide.
Autoimmunologische Erkrankungen
In dieser Gruppe ist v.a. das Guillain-Barré-Syndrom zu nennen. Bei den autoimmunologischen Erkrankungen kommt es zum Angriff des Immunsystems auf die körpereigenen Bestandteile, hier eben den
Nerven bzw. die Myelinscheiden. Ursächlich wird heute angenommen, dass im Vorfeld der Erkrankung eine Infektion durch einen Erreger stattgefunden hat, gegen den das Immunsystemkreuzreagierende, d.h. auch körpereigene Zellen angreifende Abwehrstoffe bildet. Speziell Campylobacter jejuni scheint mit Gangliosiden des Myelins kreuzreagierende Antikörper zu induzieren. Betroffen ist meist nur die Myelinscheide, so dass in den Neurografien v.a. eine Verminderung der Nervenleitgeschwindigkeit zu finden ist. Klinisch finden sich beim Guillain-Barré-Syndrom v.a. schlaffe Lähmungen, die jedoch reversibel sind. Gefährlich ist jedoch, dass die Erkrankung auch die Zwerchfell versorgenden Nerven (Nervus phrenicus) betreffen kann. Sind bei einem Guillain-Barré-Syndrom v.a. die Hirnnerven betroffen, so spricht man auch von dem Miller-Fisher-Syndrom.
Eine Untergruppe der HIV-positiven Patienten entwickelt eine Immunkomplex-vermittelte periphere Neuropathie. Die Arbeitsgruppe um Robert Miller[5] / San Francisco beschrieb bereits 1988 vier Varianten klinisch zu differenzierender Krankheitsbilder der HIV-Neuropathie:
Ethanol könnte einen direkt neurotoxischen Effekt haben, wobei die Abgrenzung zu den bei Alkoholikern häufigen Vitamin-Mangelzuständen schwierig ist[9]
Axonopathie: Hier findet man einen Axonuntergang bei zunächst erhaltener Nervenscheide. Vermindert sich die Anzahl der Neurone, so vermindert sich das Nervensummenpotential. Diese Form der Schädigung findet sich bei vererbten, toxischen und metabolischen Neuropathien.
Neuronopathie: Hier liegt der Ort der Schädigung im Zellkörper des Neurons (z.B. vererbte Stoffwechselerkrankungen). Die Neuronopathie zählt streng genommen nicht zu den peripheren Neuropathien.
Demyelinisierung: Hier liegt die Schädigung nicht im Neuron, sondern in der Myelinscheide. Dadurch verringert sich die Nervenleitgeschwindigkeit. Ätiologisch finden sich häufig Stoffwechselerkrankungen und Störungen in der Synthese des Myelins.
Die Folgen einer Neuropathie sind unterschiedlich.[10]Demyelinisierungen können reversibel sein und sich zurückbilden. Kommt es zur kompletten Schädigung des Neurons (z.B. traumatisch) so kommt es zur sogenannten Wallerschen Degeneration.
Erkrankungen der peripheren Nerven (periphere Neuropathien) sind häufiger als diejenigen des Zentralnervensystems.[11]
Anamnese: Die Patienten berichten über fehlende Wahrnehmung (Minussymptomatik) oder Gefühlsstörungen wie Kribbeln, Ameisenlaufen, Brennen (Plussymptomatik)
Inspektion: Auffällig trockene Haut kann bei symmetrischem Befall ein Hinweis auf eine Neuropathie sein.
Reflexprüfung des Patellarsehnen- und Achillessehnenreflex. Bei Fehlen des ASR besteht Verdacht auf eine Polyneuropathie.
Kalt-Warm-Unterscheidung: der Patient sollte bei Berührung der Fußsohle unterscheiden können zwischen einer kalten Metallfläche von ca. 1,5cm Durchmesser und einer gleich großen Plastikfläche.
Sensibilitätsprüfung mit dem Monofilament nach Semmes-Weinstein: dabei handelt es sich um einen Nylonfaden, der durch Verbiegen einen definierten Druck von 0,1Newton ausübt. Das Filament wird z.B. auf den Fußballen zwischen dem 1. und 2.Zehengrundgelenk aufgesetzt. Der Patient wird zunächst aufgefordert, die Augen zu schließen und die Lokalisation der Berührung anzugeben. Bei 5 Berührungspunkten sollten mindestens drei korrekt angegeben werden.
Untersuchung des Vibrationsempfindens mit der Stimmgabel nach Rydel und Seiffer: Die massive Metall-Stimmgabel nach Rydel und Seiffer hat eine Frequenz von 128Hz, die durch zwei aufschraubbare Metallblöcke auf 68Hz reduziert ist. Auf den Metallblöcken befinden sich zwei spitzwinklige Dreiecke, die sich beim Schwingen der Gabel überschneiden und mit Hilfe einer Skala mit 8Unterteilungen erlauben, die Stärke der Schwingung zu ermitteln, bis zu der der Patient die Vibration noch wahrnimmt. Während der Schwingung wandert ein virtuelles Dreieck von 0/8 nach 8/8. Normal ist bis zum 50. Lebensjahr über 6/8, über dem 50. Lebensjahr bis 5/8. Bei geringerer oder fehlender Wahrnehmung besteht der Verdacht einer Polyneuropathie.
Pathologische Diagnostik: Entnahme eines Stückes des Nervus suralis. Dieser liegt relativ oberflächlich unter der Haut des Unterschenkels und hat nach der Entnahme nur einen geringen Verlust von Sensibilität im Bereich des Unterschenkels. Untersuchungen erfolgen in der Regel am normalen Paraffin-Schnitt, an Semi-Dünnschnitten und mit Hilfe der Elektronenmikroskopie.
Die autonome Neuropathie tritt typischerweise beim Diabetes mellitus auf und betrifft das vegetative Nervensystem. Sie kann nahezu jedes Organsystem befallen und ist charakterisiert durch vielfältige Symptome. Ausgeprägte Beschwerden sind relativ selten. Sie treten oft erst nach langer Diabetesdauer auf. Zu den wichtigsten Organen mit den dazugehörigen Symptomen gehören:[12]
Immunkomplex-vermittelte Autoimmun-Neuropathien (z.B. Guillain-Barré oder HIV-assoziierte Neuropathien) können mit Immunapherese entscheidend gebessert werden.
Bei einer viralen Ursache ist eine ursächliche Therapie der Neuropathie meist nicht möglich.
Bei toxischer Ursache kann das Weglassen der Noxe (z.B. Alkohol, Medikamente) zu einer Erholung der Nervenfunktion führen.
Bei stoffwechselbedingten Neuropathien wie z.B. der diabetischen Polyneuropathie kann eine normnahe Blutzuckereinstellung zu einer Erholung der Nervenfunktion führen, manchmal kann aber nur eine weitere Verschlechterung verhindert werden.
Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 4., überarbeitete Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-13-132414-6, S. 654 ff., uni-duesseldorf.de/AWMF
F. B. Axelrod, G. Gold-von Simson: Hereditary sensory and autonomic neuropathies: types II, III, and IV. In: Orphanet J Rare Dis. Band 2, 3. Oktober 2007, S. 39. PMID 17915006, PMC2098750 (freier Volltext).
RG. Miller, GJ. Parry, W. Pfaeffl, W. Lang, R. Lippert, D. Kiprov:The spectrum of peripheral neuropathy associated with ARC and AIDS. In: American Association of Neuromuscular & Electrodiagnostic Medicine (Hrsg.): Muscle & Nerv. Band11, Nr.8. Wiley, New York 1988, S.857-63.
A. Douros, K. Grabowski, R. Stahlmann: Safety issues and drug-drug interactions with commonly used quinolones. In: Expert opinion on drug metabolism & toxicology. Band 11, Nummer 1, Januar 2015, S.25–39, doi:10.1517/17425255.2014.970166. PMID 25423877 (Review).
Nathan P. Staff, JaNean Engelstad, Christopher J. Klein u.a.: Post-surgical inflammatory neuropathy. In: Brain. Nr. 10, Oktober 2010, S. 1–15. doi:10.1093/brain/awq252
Immo von Hattingberg: Die Erkrankungen der peripheren Nerven. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1326–1336.
deutsche-diabetes-gesellschaft.de (PDF; 3,4MB) Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle der Neuropathie bei Diabetes mellitus Typ1 und Typ2, Leitlinie DDG 2004.
Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema. Er dient weder der Selbstdiagnose noch wird dadurch eine Diagnose durch einen Arzt ersetzt. Bitte hierzu den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten!
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