Massentierhaltung
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Massentierhaltung bezeichnet die Intensivhaltung einer großen Anzahl von Tieren. Während die Massentierhaltung in den 1960er Jahren als modern galt und positiv wahrgenommen wurde, steht der Begriff inzwischen für eine Vielzahl von Problemen der modernen Tierhaltungssysteme.

Entstehung und Entwicklung des Begriffs
Zusammenfassung
Kontext

Bei der Massenproduktion von industriellen Gütern geht es darum, Prozesse zu rationalisieren, was zu niedrigen Stückkosten führt. Damit wird die Grundlage geschaffen, um potenziell eine hohe Anzahl von gleichen Gütern zu niedrigen Preisen für den Massenmarkt zu erzeugen.[1]
Seit dem Ende der 1960er Jahre erfolgte diese Rationalisierung ebenfalls in der landwirtschaftlichen Tierproduktion, indem Mechanismen der industriellen Produktion auf die Landwirtschaft übertragen wurden (vgl. mit Geschichte der Landwirtschaft). In der Agrarwissenschaft,[2] der Veterinärmedizin und anderen Wissenschaftszweigen wurde diese Entwicklung unter dem Begriff „Massentierhaltung“ reflektiert.[3] Weitere Verbreitung fand der Begriff in Deutschland, nachdem 1975 die Verordnung zum Schutz gegen die Gefährdung durch Viehseuchen bei der Haltung von Schweinebeständen mit der Kurzbezeichnung Massentierhaltungsverordnung erlassen wurde, die damals für Bestände ab 1250 Schweinen galt.[4][5]
In der DDR wurde der Begriff industriemäßige Tierproduktion verwendet. Merkmale waren die Abnahme der Handarbeit, die Konzentration und Spezialisierung auf eine oder wenige Tierarten, die Produktion großer Mengen, Herausbildung der Stufenproduktion, die Anwendung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, die Ausgliederung von Nebenleistungen und der zunehmende Einsatz von Arbeitskräften mit Hochschulabschluss.[6]
In den 1960er Jahren wurde diese Form der Nutztierhaltung als „moderne Massentierhaltung“ begrüßt, da eine Steigerung der Produktivität und Rentabilität der Ernährungssicherheit diente und tierische Lebensmittel erschwinglich machte.[2] Inzwischen treten diese Argumente in den Hintergrund. Tierische Produkte sind günstig und ein großer Teil der erzeugten Produkte geht bspw. in Deutschland in den Export.[7] Wegen einer Vielzahl sich ergebener Begleiterscheinungen der Massentierhaltung ist der Begriff inzwischen meist negativ konnotiert.[8] Befragte Verbraucher assoziierten mit dem Begriff Massentierhaltung „Grausamkeit und Ungerechtigkeit“. Sie nannten auch „Qual/Quälerei“ besonders in der Geflügelhaltung, wo sie die seit 2012 in der EU verbotene Käfighaltung beispielhaft dafür nannten.[8]
Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, welches das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft berät, aus dem Jahr 2015 seien die Begriffe „Massentierhaltung“ bzw. „industrielle Tierhaltung“ „wissenschaftlich eher unüblich“. In der Wissenschaft werde „häufiger das Gegensatzpaar intensive versus extensive Tierhaltung genutzt“.[8] Die Wissenschaftler des Beirats forderten als Quintessenz ihres Gutachtens eine radikale Wende in der Tierhaltung in Deutschland, die in ihrer jetzigen Form nicht zukunftsfähig sei. Mehr Tierschutz sei aus fachwissenschaftlicher Sicht sowie auch aus Gründen gesellschaftlicher Akzeptanz dringend erforderlich.[9]
Im Kontext der Massentierhaltung wird sich häufig in der öffentlichen Debatte auf die Betriebs- und Bestandsgrößen fokussiert.[8] In Deutschland wurden im Jahr 2021 rund 23,8 Millionen Schweine und 11 Millionen Rinder gehalten.[10][11] Wenn mit der „Masse“ die Anzahl der Tiere gemeint ist, hängt diese vor allem direkt mit der Menge von verbrauchten Ressourcen oder erzeugten Nebenprodukten (wie Gülle) oder Emissionen zusammen.[12]
In den Niederlanden wird seit dem Herbst 2019 eine Halbierung des Tierbestands wegen zu hoher Emissionen diskutiert. Unter anderem werden in den Niederlanden knapp vier Millionen Rinder und rund zwölf Millionen Schweine gehalten.[13]
Intensive Tierhaltung gibt es auch in der Aquakultur (Fischzucht).
Definitionen
Zusammenfassung
Kontext
Fachlexika
Der Duden definiert Massentierhaltung als technisierte Tierhaltung in Großbetrieben zur Gewinnung möglichst vieler tierischer Produkte.[14]
Das Lexikon der Biologie definiert Massentierhaltung als Synonym von Intensivhaltung oder Intensivtierhaltung. Massentierhaltung sei „in der heutigen Landwirtschaftssprache […] eine selten gebrauchte Bezeichnung für die Haltung einer großen Anzahl von Nutztieren (z. B. Schweine, Hühner […], Rinder) gleicher Art auf begrenztem Raum zugunsten rationeller Produktion von z. B. Fleisch, Eiern (Hühnerei), Milch“.[15]
Im Römpp Lexikon Chemie wird Massentierhaltung als Form der Intensiven Landwirtschaft mit einem zahlenmäßig großen Bestand einer Tierart beschrieben. Ziel ist, mit hohem Einsatz technischer Hilfsmittel eine befriedigende Rendite zu erwirtschaften.[16]
Oliver Bendel definiert im Gabler Wirtschaftslexikon Massentierhaltung, auch intensive Tierhaltung oder Intensivtierhaltung genannt, als „massenhafte Haltung von Tieren unter beengenden, belastenden und meist nicht artgerechten Umständen“. Dies betrifft im gesamten Formen der nichtextensiven Tierhaltung. Ziel ist die industrielle Fleisch-, Leder- und Fellproduktion. Bei entsprechender Betriebsgröße kann auch bei der Fischzucht Massentierhaltung vorliegen.[17]
Das Lexikon der Geographie definiert Massentierhaltung als „extreme Form der (kapital-)intensiven und ausschließlich auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Viehhaltung in Betrieben mit geringen oder gänzlich fehlenden Futterbauflächen“. Es legt den Schwerpunkt bei der Definition der Massentierhaltung auf die Entkopplung von Tierhaltung und Futteranbau in einem landwirtschaftlichen Betrieb und nennt folgende Einzelmerkmale der Massentierhaltung: a) Konzentration vieler Einzeltiere auf geringem Raum; b) häufiger Generationenwechsel; c) geringst möglicher Arbeitseinsatz; d) Einsatz mechanischer Einrichtungen zur Fütterung, Versorgung und Entsorgung und e) Verfütterung von hochwertigem Zukaufsfutter unter höchstmöglicher Ausnutzung.[18]
Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) definiert intensive Tierhaltung bis Massentierhaltung „als Systeme, in denen weniger als 10 % der Futtertrockenmasse dem eigenen Betrieb entstammen und in dem die Besatzdichte zehn Großvieheinheiten pro Hektar betrieblicher landwirtschaftlicher Nutzfläche übersteigt“.[5]
Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft Österreich
In Österreich definiert die Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft über die Begrenzung von Abwasseremissionen aus der Massentierhaltung (Gesetzeskraft ab 1998) den Begriff im Kontext dieser Verordnung als „Form der konzentrierten Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere.“ (BGBl. II Nr. 349/1997[19])
(Politische) Positionen
Zusammenfassung
Kontext

Bauernverbände
Der Präsident des Deutschen Bauernverbands Joachim Rukwied ist der Meinung, dass es Massentierhaltung in Deutschland nicht gebe. Er spricht sich dafür aus, den Begriff Intensivtierhaltung zu verbreiten.[20] Der Präsident des Schweizer Bauernverbands Markus Ritter ist der Meinung, dass es Massentierhaltung in der Schweiz nicht gebe.[21][22] Ähnliche Aussagen hat auch der SVP-Politiker Mike Egger in der Vergangenheit getroffen.[23]
Umweltschutzorganisationen
Der BUND fordert „Raus aus der Massentierhaltung!“ und macht die dominierende Haltungsform für eine Vielzahl von Problemen verantwortlich: Antibiotika würden massenhaft im Tierstall eingesetzt, Tiere würden auf Hochleistung gezüchtet und selten artgerecht gehalten. Soja sei „ein Schlüsselfaktor für die Massenproduktion von Fleisch- und Milcherzeugnissen“ und der Import mitverantwortlich für das Verschwinden wichtiger Ökosysteme, wie dem Regenwald oder den Cerrados.[24][25]
Tierschutzorganisationen
Tierschutzorganisationen schließen das Schicksal der Tiere in die Definition ein. Beispielsweise gibt der Verein Provieh dazu an, dass Industrielle Massentierhaltung (Intensivtierhaltung) vorliegt, wenn die Tiere vom Halter als reine Produktionsfaktoren betrachtet werden, anstatt als Lebewesen mit artspezifischen Bedürfnissen und Verhaltensweisen.[20][26]
Tierethik
Die Tierethik nimmt die gesamte Handlungskette von Tierzucht und Tierzuchtzielen über Tierhaltung in der landwirtschaftlichen Produktion bis zu Tiertransporten und Schlachtung in den Blick und diskutiert in dem Zusammenhang die Massentierhaltung bzw. Intensivtierhaltung.[27] Ursula Wolf beschreibt die Massentierhaltung als eine der „Errungenschaften der modernen technischen Welt, durch die unzählige Tiere Qualen erleiden.“[28] Aus bioethischer Sicht lasse sich Massentierhaltung in der heutigen Form nicht rechtfertigen, „da sich die Menschheit auch mit weniger Tierprodukten ernähren könnte“.[29] Wolf verwendet für die Haltungsform auch den Begriff „industrielle Tierhaltung“.[30] Laut der Philosophin Friederike Schmitz gibt es in der akademischen Tierethik so gut wie keine Positionen, die die moderne Intensivtierhaltung verteidigen.[31]
Peter Kunzmann vertritt den Standpunkt, dass Massentierhaltung als Begriff mit kritischem und pejorativem Unterton benutzt wird, um die in den Industrie- und Schwellenländern übliche Art der Tierhaltung in größeren Beständen zu charakterisieren.[32][33]
Parteien in Deutschland
Bündnis 90/Die Grünen wollen ein vollständiges Verbot von industrieller Massentierhaltung bis 2036 durchsetzen.[34][35][36] Zum Begriff „Massentierhaltung“ sagte Robert Habeck 2016 auf einer Wahlkampfveranstaltung, dass er unscharf definiert sei und das eigentliche Problem mangelhaften Tierschutzes nicht beschreibe. Man könne „auch zehn Kühe scheiße halten“.[37] In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Habeck, dass er versucht den Begriff bewusst zu vermeiden, „weil der Begriff Masse undefiniert ist und in dem Agrarkomplex, in dem wir uns bewegen, für jede Menge böses Blut, Diffamierung und Unsachlichkeit sorgt“. Er bevorzugt den Begriff „industrielle Tierhaltungsformen“.[38]
Die Linke will „Massentierhaltung, die nicht tiergerecht und umweltgerecht ist, beenden“. Stattdessen möchte sie „industrielle Tierhaltung (…) durch artgerechte, umwelt- und ressourcenschonende Haltungsformen“ ersetzen. Ein konkretes Datum nennt sie dafür jedoch nicht.[39]
Die CDU und CSU sahen den Begriff im Jahr 2012 kritisch und wendeten sich in einem Positionspapier „gegen ‚Kampfbegriffe wie Massentierhaltung‘, die lediglich dazu dienten, die moderne Landwirtschaft in der Öffentlichkeit zu diskreditieren“.[40] Die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann bezeichnete Massentierhaltung im Jahr 2017 als einen „rein ideologischen Begriff“.[41]
Die Kleinparteien V-Partei³ und Partei Mensch Umwelt Tierschutz benutzen den Begriff „industrielle Massentierhaltung“ in ihren Programmen.[42][43]
Zivilgesellschaftliche Initiativen
Demonstration: Wir haben es satt!
Begleitend zur Internationalen Grüne Woche Berlin findet jedes Jahr in Berlin die Wir haben es satt!-Demonstration gegen die Massentierhaltung statt.[44]
Appell gegen die Massentierhaltung
In einem im Jahr 2011 von 300 Wissenschaftlern initiierten Appell gegen die Massentierhaltung wurden Bund, Länder und die EU dazu aufgefordert, „die Tierquälerei zu beenden und den Umstieg auf eine sozial-ökologische Landwirtschaft voranzutreiben“. 9500 Menschen haben den Appell unterschrieben. Die Hochschullehrer folgten einer ähnlichen Initiative aus den Niederlanden, an welcher sich 100 Wissenschaftler beteiligt hatten.[45][46]
Veterinärverbände
Viele Veterinärämter in bayerischen Landkreisen genehmigten 2019 keine Transporte in Drittstaaten mehr. Laut dem Fachmagazin Amtstierärztlicher Dienst und Lebensmittelkontrolle (ATD) sind in Nicht-EU-Staaten „sehr häufig Praktiken an der Tagesordnung […], die den Tieren vor ihrem Tod erhebliche und länger anhaltende oder sich wiederholende Schmerzen und Leiden zufügen (Fesselung, Griff in die Augen etc.)“.[47] Veterinärverbände forderten im Februar 2019 bayerische Mitglieder des Europaparlaments auf, Tiertransporte in Drittstaaten nicht weiter zu erlauben. Die Transporte seien „elementarer Bestandteil des Systems der Massentierhaltung“.[48] Maria Heubuch von den Grünen forderte: „Die Ausrichtung der EU-Agrarpolitik auf industrielle Massentierhaltung mit all ihren negativen Auswirkungen muss ein Ende haben.“[49] Nachdem ein Bericht des EU-Agrarausschusses gravierende Verstöße im Handel mit Rindern, Schweinen, Schafen und anderen Tieren festgestellt hatte, forderte das EU-Parlament im Februar 2019 die Transportbedingungen für Tiere zu verbessern, Kontrollen zu verschärfen, Transporte in Drittstaaten zu unterbinden und auf maximal acht Stunden zu begrenzen.[50]
Volksbegehren in Brandenburg
Die Tierhaltung in den Neuen Ländern Ostdeutschlands ist strukturell durch eine Dominanz von Großbetrieben gekennzeichnet, was teilweise auf die Organisation der Landwirtschaft in der früheren DDR (mit Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Tierproduktion) zurückgeht. Seit der deutschen Wiedervereinigung kamen zahlreiche neue Großbetriebe hinzu, oft zum Ärger der ansässigen Bevölkerung. Laut Landesamtes für Umweltschutz gibt es im Bundesland Brandenburg rund 630 Zucht- und Mastbetriebe. Eine „Volksinitiative gegen Massentierhaltung“[51] forderte 2015 „die stetige Ausbreitung der Massentierhaltungsanlagen in Brandenburg zu unterbinden“.[52] Das Volksbegehren erreichte die erforderliche Unterschriftenzahl, in der Sitzung am 19. April 2016 nahm der Brandenburger Landtag es in etwas verändertem Wortlaut an (eine der Forderungen, das Klagerecht für Tierschutzverbände, wurde zurückgewiesen).[53] Mit einer satirischen Kampagne warfen 2018 Tierschutz- und Umweltaktivisten der Regierung vor, das erfolgreiche Volksbegehren nicht umzusetzen. Stattdessen würde der Ausbau der „industriellen Tierhaltung“ vorangetrieben.[54]
Volksinitiativen in der Schweiz
Die Eidgenössische Volksinitiative «für ein naturnahes Bauern – gegen Tierfabriken (Kleinbauern-Initiative)» wurde 1989 von der Mehrheit abgelehnt (vgl. Volksabstimmung „Kleinbauerninitiative“).[55] Eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts Gfs-Zürich im Auftrag der Tierrechtsorganisation Tier im Fokus 2018 ergab, dass 76 % der Befragten keine Massentierhaltung in der Schweiz wollen.[56] Die von 15 Organisationen unterstützte Eidgenössische Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)» fordert, den Artikel 80 der Bundesverfassung, in dem Tierschutz verankert ist, um einen neuen Artikel 80a zu ergänzen, indem es unter anderem heißen soll: „Die Tierwürde umfasst den Anspruch, nicht in Massentierhaltung zu leben.“[57] Auch die «Trinkwasser-Initiative» wollte die Massentierhaltung einschränken, wurde jedoch 2021 mit 59,78 % aller Stimmen abgelehnt.
Literatur
- Veronika Settele: Deutsche Fleischarbeit. Geschichte der Massentierhaltung von den Anfängen bis heute. C.H.Beck, München 2022, ISBN 978-3-406-79092-8 Rezension bei Sehepunkte von Mieke Roscher.
Weblinks
Einzelnachweise
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